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Marktdaten - ZIV-Zahlen

Zwei Schritte vor, einer zurück

Der ZIV (Zweirad-Indus­trie-Verband) stellte sehr spannende Zahlen auf seiner jüngsten Marktdatenpräsentation vor. Sie geben einen tiefen Einblick, wie es gerade um die Fahrradwirtschaft steht, auch wenn sich manches nicht auf den ersten Blick erschließt.

Dass heutzutage großes Interesse am Fahrradmarkt besteht, zeigt sich nicht zuletzt an den durchweg etwa 250 Zuhörenden, die die ZIV-Präsentation live verfolgten. Entsprechend gab es im Nachgang viel Berichterstattung über dieses Event, was sicher nicht so schlecht für die Wahrnehmung des Fahrrads ist. Das Thema Fahrrad ist nun für ein breiteres Publikum nicht nur als Fortbewegungsmittel interessant, sondern auch aus anderen Perspektiven einen genaueren Blick wert.
Zunächst die groben, großen Zahlen: Insgesamt drei Millionen Fahrräder und E-Bikes wurden von den deutschen Fahrradherstellern 2023 produziert. Davon wurden 2,29 Millionen dann auch tatsächlich in Deutschland produziert, weitere 710.000 wurden in ausländischen Fertigungsstätten hergestellt. 85 Prozent davon befinden sich im EU-Ausland, insbesondere in Osteuropa. Das ist in der Summe ein Rückgang von rund 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (als noch 3,34 Millionen Räder produziert wurden), wobei die Inlandsproduktion 2023 stärker zurückgefahren wurde als die im Ausland. Seit 2018 produzieren deutsche Fahrradhersteller mehr E-Bikes als Fahrräder ohne Antrieb. Daran hat sich dieses Jahr nichts geändert und wird es vermutlich auch nie wieder. Innerhalb Deutschlands wurden 1,6 Millionen E-Bikes und 700.000 Fahrräder produziert.

ZIV-Frontmann Burkhard Stork verbreitete Optimismus für die Zukunft der Fahrradindustrie.

Letztere Zahl dürfte ein Allzeittief der hiesigen Fahrradindustrie sein, wobei nach wie vor keine Trendwende absehbar ist. Mit einem längerfristigen Blickwinkel zeigt sich der ZIV trotzdem nicht enttäuscht von den Zahlen. Die Gesamtproduktion pendle sich auf einem hohen Niveau ein. Tatsächlich sind 2,29 Millionen produzierte Einheiten in Deutschland das drittbeste Jahr im vergangenen Jahrzehnt, nach den Ausnahmeerscheinungen 2021 und 2022.

Teileproduktion schwächelt

Signifikante Produktionsrückgänge gibt es bei den Zweiradteilen. Insbesondere der Teileimport schrumpfte vom Rekordwert von 4,105 Milliarden Euro auf nun bescheiden wirkende 2,683 Milliarden Euro, ein Rückgang um mehr als ein Drittel. Auch Inlandsproduktion und Exportwert sanken, wenn auch nicht so stark (minus 11 Prozent beziehungsweise minus 15 Prozent).

Inlandsanlieferung lässt tief blicken

Der hiesige Handel bekam laut ZIV 4,36 Millionen Fahrräder angeliefert. Diese Zahl »Inlandsanlieferung« in der Fahrradwirtschaft erfreut sich nicht nur bei ZIV-Frontmann Burkhard Stork großer Beliebtheit, ist sie doch ein vorzüglicher Indikator, wie es gerade um das Zusammenspiel von Herstellern und Handel bestellt ist und besser noch: wie sich dieses absehbar weiter entwickeln wird. Die Zahl besagt, wie viele Räder an den Handel geliefert wurden, indem Inlandsproduktion und Importe zusammengezählt werden und davon der Export wieder abgezogen wird.
Die sich so ergebenden 4,36 Millionen Räder sind ein deutlicher Rückgang zu 2022, als noch 5,45 Millionen Räder jeder Art an den Handel gingen. Nun befindet man sich wieder auf dem Niveau von 2019 und 2020.
Besonders bemerkenswert ist die Inlandsanlieferung in Bezug auf die Verkaufszahlen. 2023 wurden laut ZIV 4 Millionen Fahrräder verkauft. Das bedeutet, dass auch 2023 das Lager der Händler weiter gewachsen ist. Diesmal blieb ein Überschuss von 300.000 Fahrrädern und E-Bikes in den Läden stehen.
Zur Erinnerung: Zum Zeitpunkt Ende 2020 kann man davon ausgehen, dass die Lager der Händler weitestgehend leer gefegt waren. 2021 und 2022 lag die Inlandsanlieferung dann jeweils bei 400.000 beziehungsweise 800.000 Fahrrädern über der Zahl der verkauften Räder.
Zusammen mit dem Überschuss des vergangenen Jahres sind nun Anfang 2024 allein im Handel bereits 1,5 Millionen Fahrräder auf Lager vorrätig. Dazu kommt noch all die Ware, die bei Herstellern und ihren Lieferanten auf Abnehmer wartet. Bis jetzt ist es also noch nicht zu einer Reduzierung des Warenbestands gekommen.
Damit liegt eine wenig mutige Prognose nahe: Im Jahr 2024 werden vom Handel mehr Fahrräder verkauft, als ihm neue geliefert werden. Wenn man die Verkaufszahlen des letzten Jahrzehnts als Maßstab heranzieht, könnten erneut zwischen 3,8 und 5 Millionen Fahrräder an die Kundinnen und Kunden gehen. Die Inlandsanlieferung sollte deutlich unter den erwartbaren Verkaufszahlen liegen.
In dieses Bild passt auch der Einblick, den VSF-Geschäftsführer Uwe Wöll in die Bestandssituation der angeschlossenen VSF-Händler gab. Laut einer VSF-internen Umfrage haben 24 Prozent der Händler berichtet, dass sich ihr Lagerbestand bereits normalisiert hat. Weitere 9 Prozent erwarten, dass sie schon kurzfristig im 2. Quartal 2024 ebenfalls diese Situation erreichen werden. Die größte Gruppe erwartet, dass sie im zweiten Halbjahr den Lagerdruck herausnehmen können (25 Prozent im 3. Quartal, weitere 16 Prozent im 4. Quartal 2024).

Die Fahrradproduktion in Deutschland steht heute auf einem immer größer werdenden E-Bike-Fundament.

Es bleibt dann aber noch ein durchaus großer Händleranteil von 27 Prozent, der erst für 2025 eine Entspannung im eigenen Lager erwartet.
Zusammengenommen steht zu befürchten, dass auch dieses Jahr noch einmal hart wird für die Industrie. Allerdings geben diese Zahlen auch Anlass für Hoffnung: Wenn die Situation bei den im VSF organisierten Betrieben halbwegs repräsentativ ist, dann ist absehbar, dass zum Ende des Jahres hin die Ware wieder knapper wird. Für 2025 dürfte es also in diesem Jahr eine Orderrunde geben, die die Flaute in der Industrie beendet. Insbesondere, wenn es um die besonders nachgefragten Produkt-gruppen und Modelle geht, dürfte Orderbedarf herrschen. Besonders glücklich würde eine starke Verkaufssaison im Handel machen, ein anscheinend früh einsetzender Saisonbeginn macht zusätzliche Hoffnungen.

E-Bike-Bestand wächst stetig

Eine Quelle der Freude ist bereits jetzt der Bestand an Elektrofahrrädern in den deutschen Haushalten. Laut ZIV liegt dieser nun bei 11 Millionen E-Bikes. 2013, als E-Bikes schon kein Neuland mehr waren, aber noch längst nicht das Kerngeschäft der Fahrradwirtschaft, lag dieser Bestand noch bei 1,6 Millionen Stück. »Ein Drittel Marktanteil könnte vielleicht, mit der richtigen Unterstützung, erreicht werden«, so lauteten damals die optimistischeren Erwartungen. Diese wurden in bemerkenswerter Weise übertroffen.

3,5-mal höher als noch vor 10 Jahren war der Verkaufswert derin Deutschland 2023 verkauften E-Bikes und Fahrräder. Wenn man sich nur diese Umsatzentwicklung ansieht, wirtschaftet die Branche seit Corona auf einem neuen Niveau.

2023 war das Jahr, in dem mehr E-Bikes als Fahrräder verkauft wurden (53 zu 47 Prozent Anteil), auch diese Grenze wurde nun geknackt, nachdem sie 2022 noch knapp verfehlt wurde. Der Verkaufswert der Fahrräder und E-Bikes lag 2023 bei knapp über 7 Milliarden Euro, ein Plus von 76,5 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass die aktuelle Krise relativiert werden muss. Insbesondere gilt das, wenn man noch weiter zurückblickt: Innerhalb von fünf Jahren hat die Branche ihren Umsatz um 130 Prozent gesteigert, auf Zehnjahressicht stieg der Umsatz um mehr als das 3,5-Fache. Es gibt nicht viele Branchen, die eine solche Erfolgsgeschichte erzählen können.
Interessant ist noch der direkte Vergleich des E-Bike-Bestands mit der Zahl der verkauften E-Bikes seit 2013: In den letzten zehn Jahren wurden vom Handel laut ZIV 13,4 Millionen Elektroräder an den Mann und die Frau gebracht. In dieser Zeit sind (wenn der Bestand von 11 Millionen E-Bikes akkurat beziffert ist) also etwa 2,4 Millionen E-Bikes wieder von den Straßen verschwunden, sei es durch Diebstahl, irreparable Schäden oder sonstige Ursachen. Ein Schwund von knapp 18 Prozent ist angesichts der Kurve, die ja erst seit Corona jährlich 2 Millionen E-Bikes in den Markt spült, eine bemerkenswert hohe Zahl. Genau genommen liegt die Prozentzahl noch höher, denn schon vor 2013 wurden nennenswerte Stückzahlen von E-Bikes verkauft.
Relativiert werden diese Zahlen durch den Vergleich mit dem Gesamtmarkt: 2023 zählt der ZIV einen Fahrradbestand von 84 Millionen Fahrrädern, ein Plus um 18 Prozent beziehungsweise 13 Millionen zusätzliche Fahrräder und E-Bikes über die letzten zehn Jahre. In dieser Zeit sind vom Handel addiert 47,1 Millionen Räder verkauft worden. Am Ende der Rechnung stellt sich heraus, dass der »Schwund« bei klassischen Fahrrädern noch größer ist, E-Bikes eher »on top« zum Bestand dazukommen, während klassische Fahrräder eher Ersatzkäufe darstellen. Eventuell steckt in diesen Zahlen sogar die Aussage, dass E-Bikes über eine längeren Zeitraum gefahren werden als unmotorisierte Fahrräder insgesamt. Doch für diese Aussage bräuchte man zusätzliche Informationen.

Segmente unterscheiden sich deutlich

Wenn man auf die nichtmotorisierten Segmente blickt, dann stellt der ZIV fest, dass 86,5 Prozent der Fahrräder für den Einsatz in urbanen Räumen gedacht sind. Nur 13,5 Prozent der Fahrräder sind für sportive Einsätze gedacht, dazu zählen Rennräder, Gravel- und Mountainbikes. Insbesondere letzteres Segment konnte seine langjährige und rasante Talfahrt abbremsen. Statt wie zuvor bei 4 Prozent zu dümpeln, konnte erstmals ein Plus verzeichnet werden auf nun 5 Prozent (92.500 Einheiten).

Die verkauften Stückzahlen mögen zurückgegangen sein, der Wert der Fahrräder und E-Bikes hat sich dagegen nur wenig verringert.

E-Biker sind da merklich sportiver unterwegs. Das E-MTB kommt alleine auf einen Marktanteil von 39 Prozent, was 819.000 Einheiten entspricht, ein leichter Rückgang zum Vorjahr, als der Marktanteil für 836.000 verkaufte E-MTBs reichte. Dennoch bleibt dieses Segment das mit Abstand meistverkaufte.
Stückzahlenmäßig zulegen konnte einmal mehr das Lastenrad. Die Verkaufszahlen stiegen für das E-Cargo-Segment auf 189.000 Einheiten. Damit hat sich das Wachstum nochmals verlangsamt. Dazu kommen noch 46.300 Lastenräder ohne Elektroantrieb (im Vorjahr noch 47.500 Stück). Allerdings gehört das E-Cargo-Bike damit zu den wenigen Segmenten im E-Bereich, die 2023 zulegen konnten. Das Plus von 14,5 Prozent wird nur noch von den E-City-Rädern übertroffen, die 16,5 Prozent zulegen konnten auf nun 441.000 Räder beziehungsweise 21 Prozent Marktanteil.
Ein Segment, das besonders stark an Boden verloren hat, sind die E-Trekking-Räder, von denen in 2023 »nur« noch 525.000 Stück verkauft wurden, nach 616.000 ein Jahr zuvor. Gelitten hat auch die neu geführte Kategorie der Fahrradanhänger. Laut ZIV wird der Anhänger nach wie vor unterschätzt, wurde er doch 206.000-mal verkauft in 2023. Allerdings ist das ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum Vorjahr, als noch 293.000 Anhänger neu ans Fahrrad gehängt wurden. 2023 könnte das erste Jahr sein, in dem mehr Lastenräder als Anhänger verkauft wurden.

Fachhandelsanteile und Durchschnittspreise

Alle genannten Segmente wurden weitestgehend im gleichen Umfang über die gleichen Vertriebskanäle verkauft wie zuvor. Der Fachhandel mit einem Marktanteil von 74 Prozent ist nach wie vor in einer dominanten Position. Dazu kommen drei Prozent Marktanteil, die der Fachhandel online erzielt. An diesen Werten gab es binnen Jahresfrist keine Veränderung. Der VDZ (Verband des deutschen Zweiradhandels) kommt übrigens auf einen wertmäßigen Marktanteil des Fachhandels von 82 Prozent. Die reinen Online-Fahrradhändler konnten etwas zulegen auf 22 Prozent Anteil (plus 1 Prozent), während die SB-Warenhäuser und Co. nun statt 2 Prozent nur noch 1 Prozent Marktanteil besitzen.
Durchschnittlich kostete ein unmotorisiertes Fahrrad laut ZIV im Jahr 2023 brutto 470 Euro (statt wie im Vorjahr 500 Euro). Gestiegen ist dagegen einmal mehr der durchschnittliche Verkaufspreis von E-Fahrrädern auf nun 2950 Euro. Der VDZ kommt auf höhere Zahlen. Normalfahrräder kosten laut den Handelsexperten 714 Euro brutto, E-Bikes gingen für 3570 Euro über die Ladentheke. Noch höhere Niveaus erreicht man im VSF, wo E-Bikes im Schnitt für 4190 Euro verkauft wurden und Fahrräder für 1484 Euro.
Insgesamt sind die Erwartungen der Märkte im Großen und Ganzen eingetroffen. Bereits im vergangenen Jahr war klar, dass viel zu viel Ware in den Markt fließt. Der Krieg in der Ukraine und nachlassender Konsum waren ebenfalls schon dominierende Themen. Entsprechend gering waren die Erwartungen an das Jahr. Dass aber der Überbestand noch gewachsen ist und nun erst in 2024 wirklich abgebaut werden kann, ist durchaus eine Überraschung. Wie lange dieser Prozess in Anspruch nehmen wird, bleibt abhängig von vielen Faktoren, die sich erst im Jahresverlauf entfalten werden. //

18. April 2024 von Daniel Hrkac

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