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Klar, dass die Firmenchefs selbst auch begeisterte Liegeradfahrer sind.
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Erfolgreich in der Nische

Mit Lieger zum Überflieger: HP Velotechnik im Portrait

Der Berg ist angeblich der natürliche Feind des Liegerads. Und doch findet man mitten im Taunus einen der am höchsten professionalisierten Hersteller in diesem Bereich. Wir haben HP Velotechnik besucht und dabei auch vieles über die Geburtsstunde des Unternehmens erfahren, z.B. warum ein Schullehrer von Paul Hollants eine wichtige Rolle zu Beginn der Erfolgsgeschichte spielte.

Klar, dass die Firmenchefs selbst auch begeisterte Liegeradfahrer sind.Daniel Pulvermüller und Paul HollantsEntwickelt wird am BildschirmPräzision bei der Fertigung

Manchmal können banale Ärgernisse eine Karriere prägen: Regen und fehlender Komfort zum Beispiel. Schon als 13- bzw. 15-jährige Jungs hatten Paul Hollants und Daniel Pulvermüller die Idee, ein Fahrrad zu bauen, das mehr als nur Mobilität bietet – ein frühes Velomobil also. Anders als andere sind sie tatsächlich ans Werk gegangen, und gewannen mit einem Liegedreirad mit Kabine auch gleich den Bundessieg im Jutec-Wettbewerb Jugend und Technik 1992. Parallel dazu wurde aber auch anderweitig weiterentwickelt. Die Sache mit der Witterungsabhängigkeit trat vorübergehend in den Hintergrund und es entstand der erste Prototyp der Street Machine, das wahrscheinlich bislang meist verkaufte deutsche Liegerad – ein so genannter Kurzlieger (Tretlager sitzt vor der Lenkachse). Als Hollants Lehrer ein solches Gefährt für sich in Auftrag gibt, wird klar: Die Sache hat Potenzial

Abschied von der Garagenfirma

Heute verweist zwar nur ein großer Aufsteller an der B 519 bei Kriftel im Vordertaunus auf den Firmensitz in einem unscheinbaren 80er-Jahre Industriebau, doch in der Liegeradszene – und nicht mehr nur dort – ist HP Velotechnik bestens bekannt: In der Firma der mittlerweile 35 und 37-jährigen „Liegeradfuzzis“, wie ein T-Shirt-Aufdruck neckt, werden sieben verschiedene Liegezwei- und Dreirad-Modelle gebaut. Mit enormen Erfolg.
Auf etwa 800 Quadratmeter Büro-, Lager- und Montagefläche wird jedes neue Modell CAD-entwickelt. Hier werden ganze Räder- oder auch Teile-Prototypen gebaut, Stahl- und Aluschweißen ist in der kleinen Werkstatt kein Problem.
Die sehr hochwertig verarbeiteten Serienrahmen werden aber seit Jahren in Taiwan gefertigt. Jeder Kundenauftrag durchläuft die Räume von der Bestellung bis zur Endabnahme, die grundsätzlich von zwei Verantwortlichen gegengezeichnet wird. Und die Kontrolle dürfte ganz schön auf aufwendig sein, denn HP-Räder sind grundsätzlich Custom Made. Auf 19 Vollzeit-Stellen verteilt sich die Schaffenskraft der Firma, darunter auch vier Auszubildende.
Fast alle, die hier arbeiten, sind entweder „Liegerad-Enthusiast oder Technik-Freak“, sagt der heute 35-jährige Paul Hollants.

Qualität aus der Nische darf kosten

„Auch 2009 ist ein sehr gutes Jahr für uns, das kann man jetzt schon sagen“, so Hollants, „wir werden wie letztes Jahr etwa 1300 Räder verkaufen, erwarten aber ein deutlich zweistelliges Plus im Umsatz, der 2008 etwa 2,8 Millionen EUR betrug.“ Die Erklärung hierfür:Das neueste Modell, das Trike Scorpion Fs, wird doppelt so häufig verkauft wie geplant. Und dieses voll gefederte Hightech-Dreirad ist mit einem Grundpreis von 3.290 Euro das kostspieligste Modell – im Durchschnitt gibt ein Kunde 4.000 Euro dafür aus. „Wir stehen als Premium Anbieter sicher in unserer Nische“, so Hollants, „und sehen aufgrund unseres Know Hows und unserer Innovationskraft keine Gefahr, dass Großkonkurrenz uns verdrängt“ – meint er lächelnd mit Blick auf die vergangen Bemühungen von großen „Aufrecht-“Anbietern, Liegeräder zu einem Massenmarkt zu machen. Die Kunden? Vor allem im Dreirad-Bereich liegt der Fokus auf der Altersgruppe "45 plus" mit gehobener Bildung und überdurchschnittlichem Einkommen, eher auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Menschen, aber nicht unbedingt der klassische Öko.

Krise? Hier nicht!

Nein, Krisen geplagt ist man hier sicher nicht, „lediglich das Geschäft in den USA ist dieses Jahr etwas kleiner geworden. Hier macht sich die fehlende Kaufkraft durch einen Umsatzrückgang bemerkbar.“ Von Kriftel aus gehen Trikes und Bikes auch nach Australien und Japan – „da ist vor allem die Faltbarkeit unserer neuen Modelle wichtig“. Grundsätzlich sieht man sich in Kriftel als Vollsortimenter im Bereich Liegerad: Die genannte Street Machine ist ein klassischer Reiselieger, die Speedmachine das schnelle Touren-Spaß-Gerät, mit dem GrassHopper bekommt man einen Lieger mit Allrounder-Qualitäten, dem auch der Feldweg nichts anhaben kann. Den Trike-Sektor, in den HP erst Ende 2005 einstieg, hat man mit dem Scorpion kräftig durcheinander gewirbelt, das derzeitige Spitzenmodell ist der genannte Scorpion Fs, der mit Adaptionen aus der Auto-Fahrswerkstechnologie auch voll gefedertes Trike-fahren auf ein sehr hohes Komfort- und Sicherheitsniveau hebt.
Das Spirit markiert als Sesselrad dagegen eher den Einsteiger in den Liegezweirad-Bereich – der bei HP übrigens nur voll gefederte Modelle aufweist.

Zufriedene Kunden – zufriedene Händler

Direktvertrieb gibt es nicht, und die gut 120 deutschen HP-Händler scheinen sehr zufrieden mit ihrem Partner zu sein: Zum vierten Mal in Folge bekamen die Leute aus dem Taunus die beste Note im VSF-Lieferantenranking der Händler. Vor allem die Produktqualität und die Kundenbetreuung wurde gelobt - aber die Händler wissen sicher auch die gute Marge, die die Premium-Räder mit sich bringen, zu schätzen. Eine spezielle Händlerstruktur mit Premium-Händlern, die immer mehrere Produkte verfügbar haben und Stützpunkt-Händlern, die mindestens ein Rad zum testen bieten, sichern eine gewisse Präsenz. Darüber hinaus kann jeder Händler die Räder von HP Velotechnik bestellen. „Voraussetzung ist für uns: Es muss einen Mitarbeiter geben, der Liegerad-begeistert ist, sonst klappt das nicht.“ Neueinsteiger unter den Lieger-Kunden entscheiden sich jetzt noch leichter für HP Velotechnik, meint Hollants, denn das Dreirad habe einen höheren Coolness-Faktor und die Angst vor der Blamage, nicht auf Anhieb fahren zu können – beim Liegezweirad durchaus realistisch – falle flach.
Hier sprechen 16 Jahre Erfahrung – nicht nur im technischen Bereich, sondern auch im kaufmännischen. Paul Hollants hat Wirtschaftsingenieurwesen studiert und füllt seinen Bereich der Geschäftsführung bestens aus. Dazu gehört auch das Marketing. In Sachen Medienarbeit ist kaum jemand in der Branche so schnell wie er, wenn es darum geht, Innovationen an die Öffentlichkeit zu bringen – schließlich hat das Liege(drei)rad einen erheblichen Auffälligkeitsfaktor. Also etwas, was auch die Medien gerne für sich nutzen.

Technik auf enormem Level

Auch was die Innovationen angeht, ist die Firma traditionell fleißig. Dafür sorgen schon die Entwickler Daniel Pulvermüller und Matin Wöllner, Ingenieure für Maschinenbau bzw. Fahrzeugtechnik. Für den Rahmenbau wird auch schon mal mit der Fachhochschule Zwickau zusammen gearbeitet – zum Beispiel zur Erfassung der Krafteinwirkungen, die beim Überfahren Fahrbahnunebenheiten entstehen. Wissenschaftlich gings auch bei der Entwicklung des Body-Link-Sitzes zu, dem vielfach verstellbaren, ergonomischen Liegerad-Sitz, auf dem man in Kriftel besonders stolz ist. Hier wurde mit einer hochempfindlichen Druckmess-Folie mit einer Vielzahl von Sensoren der Druck beim Treten in verschiedenen Sitzeinstellungen gemessen. Für viele Fans der besondere Clou ist aber die Vorderachs-Konstruktion des Scorpion Fs: Die beiden Vorderachsen werden von so genannten McPherson-Federbeinen geführt, die mit Dreieckslenker abgestützt sind. Ein spezielles Stabilisierungs-System verhindert zusätzlich, dass das kurvenäußere Rad zu stark einfedert und das Rad starke Seitenneigung bekommt – vor Zeiten des Scorpion Fs das Hauptproblem bei gefederten Dreirädern.
Ist bei so viel Technik das Hauptproblem „Regen“ außer Sichtweite geraten? Nicht wirklich, meinen die Macher von HP Velotechnik. Nachdem in diesem Jahr vor allem Detailverbesserungen die Neuheitenliste besetzten, wird bald verstärkt wieder an neuen Rädern gearbeitet werden. Ein neues Zweirad ist schon in Planung. Und dann kommt man ja vielleicht auch der Schlechtwetter-Lösung näher…

19. Oktober 2009 von Georg Bleicher

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