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ADP-Geschäftsführer Peter Schlitt
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Vom Rehkitz zum High-End-Platzhirsch:

ADP hat mit Rotwild noch ehrgeizige Pläne

Der Name mag urdeutsch klingen, doch die Marke genießt in der MTB-Szene Kultstatus: Mit Rotwild zählt die Firma ADP zu den prominentesten Anbietern im hochpreisigen MTB-Markt. Doch ADP ist weit mehr als „nur“ der Name hinter der Marke Rotwild. Die Wurzeln des Unternehmens liegen in der Entwicklung innovativer Komponenten und Konzepte für fremde Unternehmen – eine Tätigkeit, die bis in der Gegenwart einen großen Stellenwert für ADP besitzt. Mit frischem Kapital und stark erweitertem Management befindet sich das hessische Unternehmen nun an der Schwelle zu einer neuen Ära. Ein spannender Moment also, um hinter die Kulissen des Unternehmens zu blicken.

ADP-Geschäftsführer Peter SchlittCo-Gründer Peter Böhm fachsimpelt mit Profi-Biker Wolfram Kurschat.Laufradlager für die Rotwild-ProduktionMarketing-Leiter Ole Wittrock mit dem ersten Rotwild-PrototypenPenible Vermessung der Rahmen vor dem Zusammenbau

Im Dickicht des Branchen-Dschungels, in dem die Anglizismen den Markt beherrschen, wildert eine Marke mit urdeutschem Namen: Räder von Rotwild haben bei anspruchsvollen MTB-Fans echten Kultstatus. In großen Lettern prangt der Schriftzug auf jedem Oberrohr des Herstellers und dürfte für Fans schon fast so einprägsam sein wie Coca-Cola.
Die Optik der Modelle hat sich in den vergangenen Jahren – von technologisch bedingten Veränderungen und dem Zeitgeschmack leicht angepassten Details abgesehen – wenig verändert. „Die Identität und Kontinuität der Marke ist bei uns enorm wichtig“, erklärt Ole Jes Wittrock. Er leitet das Marketing der Firma ADP Engineering GmbH in Dietzenbach, dem Anbieter der Marke Rotwild. Die Corporate Identity wird hier gepflegt wie bei wenigen anderen Bike-Firmen dieser Größe. Das zeigt sich beispielsweise auch daran, dass der Schriftzug erst zur Saison 2010 erstmals leicht überarbeitet wurde. Auf den 2010er Rädern findet er sich jetzt leicht modernisiert: Fast geometrisch exakt anmutende Buchstaben ohne die etwas altbacken wirkenden Serifen bringen mehr Dynamik ins Logo.

Ingenieure nehmen Kurs auf den Markt

Dynamik, die der Marke selbst aber nie fehlte: 1994 gründeten Peter Schlitt und Peter Böhm, beide damals studentische Mitarbeiter beim Fraunhofer-Institut in Darmstadt, die Firma ADP, Advanced Development Engineering. Sie hatten einen Brake Booster aus Kohlefaser-Verbundstoff entwickelt, damals ein absolutes Novum auf dem Markt. „Das sollte ein kleines Nebengeschäft werden“, so Peter Schlitt. Doch es kam anders. Die Zukunft des Produkts wurde sicher auch dadurch gefördert, dass mit einer so genannten Kraftmessdose der Kräfteverlauf entlang des Werkstücks demonstriert werden konnte.

In diesem Jahr probte auch das Gardasee-Festival seinen Einstand. „Unser Messestand dort war, wie eigentlich das ganze erste Festival, ein richtiges Abenteuer“, erinnert sich Schlitt. Sie stellten das feine Carbonteil vor – und einige große Unternehmen zeigten brennendes Interesse dafür. Die beiden Ingenieure mussten über Nacht in Stückzahlen denken, die ihnen vorher im Traum nicht eingefallen wären. Robert Holzer, damals Univega-Importeur, wollte beispielsweise gleich 10.000 Einheiten haben. Die entsprechenden Produktionskapazitäten mussten Böhm und Schlitt quasi aus dem Nichts hervorzaubern. Doch das Projekt glückte, und eine der interessantesten Innovationsschmieden der Branche hatte ihr erstes Produkt.

Prototypen und ihre Folgen

„Wir hatten damals ja noch keine Ahnung von der Branche“, so Schlitt. Die kam aber bei diesem Sprung ins kalte Wasser recht schnell. In einer Zeit, in der die Szene der deutschen MTB-Anbieter noch überschaubar war, sich Innovationen aber quasi die Klinke in die Hand der Redaktionstüren gaben, wurden Netzwerke schon durch den Bedarf an Know-How-Transfer rasch geknüpft. In schneller Reihenfolge wurden bei ADP etwa Thermoplast-Schutzbleche mit Kohlefaser-Verstärkung, Kettenspannsysteme und Bikes wie das Groove von Univega entwickelt. 1996 kam dann der Prototyp Rotwild P.1: ein MTB-Fully mit Zahnriemen, elektrisch geschaltetem Getriebe und CFK-Gabel. Was nicht vorauszusehen war: Parallel zum Serienstart wird das Rad von den Lesern der "Mountain Bike" zum Bike des Jahres gewählt und erhält gleich mehrere Designauszeichnungen. Die Serie mit etwas konventionelleren Komponenten folgte, und noch im gleichen Jahr gewinnt Stefan Herrmann auf einem Rotwild die Downhill-Weltmeisterschaft.

13 Jahre später: Der Firmensitz von ADP ist Teil eines riesigen Industriegeländes in Dietzenbach nahe Frankfurt. Etwa 1000 Quadratmeter Fläche für Ideen und Entwicklungen rund um den Bike-Bereich auf zwei Etagen, 22 Mitarbeiter.

Im Fokus, das sieht man schon am Eingang, steht die Marke mit dem stilisierten springendem Reh. Die Räder werden hier entwickelt, das Rapid Protoyping läuft über den Münchner Designer Guido Golling und dessen Unternehmen 5th Dimension. Geschweißt wird in Taiwan, bei einem mittelständischen Betrieb, der schon seit langem das Vertrauen der Rotwild-Macher hat.

Bei unserem Besuch war die Rahmenlieferung für 2010 noch nicht eingetroffen, sodass die Produktion auf Sparflamme lief. Jeder Rahmen unterläuft eine genaue Qualitätskontrolle und kommt auf die massive Marmorplatte des Messtischs, wo die Einhaltung der Winkelgeometrie vor der Montage noch einmal kontrolliert wird.

Dann wird montiert und von hier aus zu den etwa 100 deutschen Händlern geschickt. Das R.R1 HT Comp als das günstigste Modell mit Shimanos SLX-Ausstattung kostet 2010 etwa 1900 Euro – bislang gab es kein Modell mit dieser Mittelklasse-Gruppe –, das meiste Geld muss man mit etwa 8000 Euro für das R.R2 FS Worldcup hinblättern. Auch wenn man im gut abgeschlossenen Jahr 2008 noch ein einiges davon entfernt war: Das Ziel für Rotwild-Stückzahlen liegt in Zukunft im zweistelligen Tausender-Bereich – für eine deutsche Highend-Marke in der Radbranche ziemlich einzigartig. Und auch wenn für 2010 Preispunkte im mittleren Segment neu dazu kommen: Mit abgespeckten Billig-Rotwilds liebäugelt man dabei nicht. "Ein Rotwild wird immer ein Rotwild bleiben, ein Bike aus der Premium-Liga“ sagt auch Ole Wittrock, “und das geht nicht mit Dumping-Angeboten.“

Der Mercedes unter den Rädern

Noch mehr Räder bezieht Autohersteller Daimler Benz bei ADP. Seit 2004 werden die Mercedes-Räder unter gleichem Dach wie Rotwild entwickelt und gebaut – eine Partnerschaft, die für gutes Image vor allem auch jenseits der Radbranche sorgt. Alles außer dem Verkauf, der in den Autohäusern stattfindet, also auch die Reparatur, läuft über ADP, und zwar international. Über genaue Stückzahlen schweigt man sich aus.
Zu automobilen Partnern hatte man im Dietzenbach immer schon einen Draht: Auch für BMW und Audi wurde entwickelt und teilweise auch gefertigt. Das demonstriert auch die Konzeptionsstärke der Firma.
Den bislang letzten ADP-Coup „kann man knicken“: Auch das neue Topeak-Faltrad Jango wurde bei ADP entwickelt. Nebenher gibt es seit Jahren eine kleine, aber feine eigene Bekleidungs-Kollektion mit etwa 50 Modellen: Von reinen Race-Trikots bis hin zu bequemen Sweatshirt tritt man verglichen mit der Sport-Konkurrenz eher zurückhaltend auf; hochpreisige, aber auch hochqualitative Textilien mit dem etwas edleren Look.

Auch personell fühlt man sich bestens aufgestellt, um konsequent auf Wachstumskurs zu bleiben: Neben den Gründern und Entwicklern Peter Schlitt und Peter Böhm sitzt seit Juni auch der frühere Vertriebsleiter von SAP Deutschland, Jörg Schmidt, auf dem Rotwild-Sattel, und als Manager für Business Development konnte zum ersten Juli auch noch Bike-Urgestein Stefan Götz, Ex-Specialized-Mann der ersten Stunde, gewonnen werden. Die hochkarätige Zusammenstellung dieser Management-Riege lässt also bereits vermuten, dass ADP ebenso klare wie große Pläne für die nahe Zukunft hat. Letzte Zweifel daran nimmt die Tatsache, dass im vergangenen Juli eine Kapitalaufstockung vorgenommen wurde. Einer dieser Pläne ist der Einstieg in die elektrifizierte Fahrradwelt. Den Markt der E-Mobilität will ADP in Kürze aufmischen – mit einem starkem Partner: Einer der größten deutschen Hersteller für Fahrzeug-Elektronik soll mit im Boot sitzen. Alleine schon diese Zusammenarbeit dürfte die Branche hellhörig machen.

Leidenschaft treibt an

Nicht nur die beständige Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut soll den Bestand der Qualität und Innovationsdichte der ADP-Produkte garantieren: Rennteams wie Fiat Rotwild und Topeak Ergon liefern die vielleicht härtesten Praxistests, die Räder zu bestehen haben. Wolfram Kurschat wurde 2007 und 2009 auf Rotwild deutscher Cross-Country-Meister, Irina Kalentieva Weltmeisterin 2007 und 2009, und weltbekannte Fahrer wie der Freerider Richie Schley testen für Rotwild.

„Man ist vor allem da gut, wo einen die Leidenschaft packt“, weiß auch Peter Schlitt. „Solange ich meinen Schreibtisch Schreibtisch sein lasse, wenn ich den DHL-Wagen vor dem Haus sehe, begeistert hinunterlaufe und mich auf den neuen Prototypen stürze, ist alles gut. Wenn mich das einmal nicht mehr reizt, weiß ich: Es ist Zeit, meinen Platz einem anderen zu überlassen!“ Heute sieht es allerdings so aus, als ließe dieser Moment noch lang auf sich warten.

3. November 2009 von Georg Bleicher

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