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Wilfried Nietschke (rechts) hat sich nach einer langen Karriere bei Automobil-Dienstleister IAV GmbH jetzt dem E-Bike verschrieben. Ihm gelang es sogar Sigmar Gabriel (links) fürs E-Bike zu begeistern
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Fahrzeug-Entwickler IAV entdeckt das E-Bike

Wilfried Nietschke: „Mit Elektromobilität hat ein neues Zeitalter begonnen“

Eigentlich entwickelt die IAV GmbH Antriebstechniken für Kunden wie Volkswagen, BMW oder Daimler. Und eigentlich ist das Unternehmen, das weltweit über 3000 Mitarbeiter beschäftigt, im Automobilsektor zu Hause. Doch seit einiger Zeit blickt das Unternehmen auch über den Tellerrand hinaus: Unter der Leitung des langjährigen Entwicklers Wilfried Nietschke befasst sich ein kleines Ingenieur-Team mit Antriebstechniken für E-Bikes und Pedelecs. Im Interview mit velobiz.de spricht Wilfried Nietschke über den momentanen Stand der Technik bei E-Bikes und Pedelecs aus seiner Sicht, über visionäre Technologien und welche Ambitionen sein Unternehmen im Zweiradsektor noch hat.

Wilfried Nietschke (rechts) hat sich nach einer langen Karriere bei Automobil-Dienstleister IAV GmbH jetzt dem E-Bike verschrieben. Ihm gelang es sogar Sigmar Gabriel (links) fürs E-Bike zu begeisternWilfried Nietschke ist auf dem Weg zur Arbeit, aber auch in der Freizeit viel mit dem Pedelec unterwegs."Mit Elektromobilität hat ein jetzt neues Zeitalter angefangen", ist Wilfried Nietschke überzeugt.

{b}velobiz.de: In der Fahrradbranche dürfte die IAV GmbH für viele noch recht unbekannt sein. Stellen Sie doch bitte das Unternehmen kurz vor.{/b}

Wilfried Nietschke: Die IAV GmbH beschäftigt weltweit mehr als 3000 Mitarbeiter. Wir beschäftigen uns mit Entwicklungsaufgaben, die das gesamte Fahrzeug betreffen. Zu unseren Kunden zählen viele Automobilhersteller, z.B. Volkswagen, BMW oder Daimler. Wir sind seit 25 Jahre in der Branche tätig und haben uns auch in der Vergangenheit immer wieder mit alternativen Antriebskonzepten beschäftigt. Ein Beispiel ist ein VW Lupo mit einem Diesel-Direkteinspritzer Diesel, der einen Langstreckenrekord mit 1,8 Litern Diesel auf 100 Kilometern aufgestellt hat - und das schon Ende der 80er Jahren.

{b}velobiz.de: Und wie lange sind Sie schon im Unternehmen dabei?{/b}

Wilfried Nietschke: Ich bin seit ungefähr 21 Jahren bei IAV und habe 20 Jahre lang operative Bereiche geleitet. Aus gesundheitlichen Gründen arbeite ich jetzt mit einem Team von acht Leuten an Zukunftstechnologien, wie z.B. induktive Energieversorgung. Ein Teil dieses Bereichs ist E-Bikes gewidmet.

{b}velobiz.de: Der Schwerpunkt lag als bislang eindeutig im Automobil-Sektor. Was war die Antriebsfeder für das Unternehmen, die Entwicklungskompetenz in Richtung Fahrradbranche auszudehnen?{/b}

Wilfried Nietschke: Die Idee kam eigentlich persönlich über das Thema Hybrid-Fahrzeug. Aus gesundheitlichen Gründen kam bei mir das Thema E-Bike sehr schnell auf den Schirm. Jedoch schwebte mir ein Konzept vor, das einer Hybrid-Entwicklung Nahe kommt – also ein entsprechendes Antriebsmanagement besitzt und Rekuperationsmöglichkeiten (Anm. d. Red.: Rückgewinnung von elektrischer Energie) bietet. So bin ich zu Beginn letzten Jahres zunächst auf den BionX-Antrieb gestoßen, meiner Ansicht nach einer der fortschrittlichsten Antriebe, die momentan auf dem Markt zu finden ist.

{b}velobiz.de: Sicher haben Sie auch weitere bislang auf dem Fahrradmarkt angebotene Produkte eingehend studiert. Was wurde Ihrer Meinung nach bislang gut gemacht, wo sehen Sie noch Nachholbedarf?{/b}

Wilfried Nietschke: Beim Fahren eines solchen Fahrrads und beim Energiemanagement im Vergleich zu einem Hybrid-Fahrzeugs sehe ich noch Verbesserungspotenzial.
Ich habe Schwächen in der gesamten Elektrik bei E-Bikes und Pedelecs ausgemacht. Meiner Ansicht kommt hier immer noch die Elektrik zum Einsatz, die vor 40 bis 50 Jahren gängig war, z.B. was die Kabelverlegung anbelangt. Zudem kommen beispielsweise Steckverbindungen zum Einsatz, die technisch eigentlich ein Armutszeugnis für jeden Anbieter darstellen. Dort kann man natürlich Erfahrungen aus der Automobilindustrie durchaus nutzen. Gerade in einem Preisbereich, in dem sich hochwertige E-Bikes im Moment bewegen, kann schon eine höhere Qualität in diesem Bereich erwarten werden.

Des Weiteren sehe ich noch Entwicklungspotential beim Gewicht der Motoren und der Akkus. Ich denke es sollte möglich sein, das zusätzliche Gewicht, das beim E-Bike bewegt werden muss, im Vergleich zu einem herkömmlichen Fahrrad auf bis zu 3 Kilogramm zu reduzieren.

{b}velobiz.de: Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem eigenen Entwicklungsteam? Was wollen Sie besser machen?{/b}

Wilfried Nietscke: Unsere Zielsetzung ist u.a. eine Verbesserung der Funktionalität des E-Bikes. Darunter verstehen wir insbesondere eine Verbesserung der Bedienbarkeit. Ein Beispiel aus dem Automobilsektor wäre eine Rückfahrkamera. Das ist ein Teil, das im Einkauf nur ein paar Euro kostet. Und gerade bei einem E-Bike, mit dem Sie ja etwas schneller unterwegs sind und öfter mal einen Blick hinter sich riskieren sollten, wäre dies einfach umsetzbar und ein wirkungsvoller Ersatz für Rückspiegel, die ja am Fahrrad nicht zu gerne angebracht werden. Ein zweites Thema ist Fahrradnavigation, mit dem wir uns intensiv auseinandersetzen. Gleichzeitig sehen wir auch eine Wegfahrsperre als sinnvolles Detail in einem Gesamtkonzept für ein E-Bike. Also auch eine Thematik, die aus dem Automobilbereich übernommen werden kann. Ein weiterer Ansatzpunkt ist auch eine automatische Schaltung.

{b}velobiz.de: Wie groß ist das Entwicklungsteam mit dem Sie im Moment an diesen neuen Konzepten arbeiten?{/b}

Wilfried Nietschke: Im Gesamtbereich Antriebstechnologie für E-Bikes arbeiten im Moment vier Ingenieure. Das sind im Wesentlichen auch Kollegen, die eine gewisse Fahrradbegeisterung mitbringen.

{b}velobiz.de: Gibt es schon einen Zeitrahmen, in dem Sie verschiedene Ziele verwirklichen wollen?{/b}

Wilfried Nietschke: Unser Ziel ist eine Standardisierung der Systeme. Es geht in die Richtung des Bus-Systems, das auch Hannes Neupert mit Extra Energy verfolgt. Was wir zudem auch noch vorantreiben, ist in der Zusammenarbeit mit einer Fachhochschule ist der Aufbau eines speziellen Prüfstands, auf dem man bestimmte Fahrzyklen nachfahren kann.
Damit wollen wir auch im Bereich der Rekuperation in der Lage sein, objektive Vergleich anstellen zu können. Dafür wird gerade ein Rollenprüfstand an der Fachhochschule Wolfsburg in Betrieb genommen.

{b}velobiz.de: Inwiefern streben Sie dabei Partnerschaften mit Fahrradherstellern?{/b}

Wilfried Nietschke: Wie bieten diese Entwicklung als Dienstleister an und sind bereits mit verschiedenen Fahrradherstellern über einen sehr kompakten E-Antrieb mit einer stufenlosen Übersetzung am Diskutieren und teilweise schon in der Angebotsphase. Das Interesse von Seiten der Fahrradindustrie ist sehr hoch. Letztendlich beschränkt sich die Zusammenarbeit natürlich auch auf jene Hersteller, die bereit sind unsere Dienstleistungen zu bezahlen. Die Stundensätze orientieren sich dabei am Automobilsektor und sind dementsprechend hoch. Jedoch können wir uns von diesen Stundensätze nicht weit wegbewegen.
Aber auch Automobilhersteller sind im Zuge des Trends Elektromobilität daran, das Thema Zweirad, insbesondere auch E-Bike und E-Roller wieder verstärkt in Angriff nehmen.

{b}velobiz.de: Bei welchen Zielgruppen sehen Sie das größte Potential von Elektro-Fahrrädern?{/b}

Wilfried Nietschke: Ich sehe schon das größte Potential bei Menschen, die jung bleiben, sich an der frischen Luft bewegen wollen und Touren anstreben, die sie mit einem herkömmlichen Fahrrad nicht mehr fahren könnten. Also ein Gruppe so Mitte 40 und aufwärts. Oder auf dem Weg zur Arbeit. Ich fahre beispielsweise täglich rund 13 Kilometer mit dem E-Bike zur Arbeit – auch im Anzug – ohne anschließend durchgeschwitzt zu sein.

{b}velobiz.de: Lassen Sie uns mal fünf bis zehn Jahre in die Zukunft sehen: Welche Stellung wird Ihrer Ansicht nach Elektromobilität generell auf unseren Straßen und Verkehrswegen einnehmen? Was trauen Sie dem E-Bike zu?{/b}

Wilfried Nietschke: Mit Elektromobilität hat ein neues Zeitalter begonnen. Die Zeit ist reif, links und rechts über den Tellerrand zu schauen. Und das machen wir auch: Wir beschäftigen uns z.B. sehr intensiv mit der induktiven Energieversorgung von Elektrofahrzeugen. Eine Vision dabei ist, Energieaufnahme während der Fahrt. Oder aber etwas, das wir Pick-up-Prinzip nennen und folgendermaßen aussehen könnte: Sie klappen den Fahrradständer Ihres E-Bike beim Abstellen aus und nehmen dann Strom auf, der dann über eine Chipkarte abgerechnet wird. Eine Infrastraktur dafür könnte überall dort geschaffen werden, wo Fahrradfahrer bedient werden: z.B. am Supermarkt oder warum nicht bei einem Fahrradgeschäft. Dort gäbe es dann auch die Möglichkeit mit höheren Strömen zu laden als mit den momentanen Ladegeräten, die ich für sehr unhandlich halte. Insbesondere wenn man auf eine längere, mehrtägige Tour geht. Auch im Punkto Ladegeräte wollen wir Verbesserungen schaffen mit Ladegeräten, die die Potentiale der Batterien besser ausnutzen.

{b}velobiz.de: Welche Rolle wird dabei der künftigen Akku-Technologie zukommen? Welches Potenzial kann dort Ihrer Meinung nach noch ausgeschöpft werden?{/b}

Wilfried Nietschke: Dort ist von der Kapazität auch noch ein Faktor 2-3 bei gleichem Gewicht möglich, so dass mit einem E-Bike vernünftige Reichweiten möglich sind.

{b}velobiz.de: Vielen Dank Herr Nietschke für das Gespräch!{/b}

Das Interview mit Wilfried Nietschke führte Jürgen Wetzstein.

5. November 2009 von Jürgen Wetzstein

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