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Verkauf - Abschlussstärke

Den Sack zumachen

Man könnte denken, dass am Ende des Verkaufsgesprächs, wenn alle Fragen beantwortet sind und Kunde oder Kundin angemessen beraten wurden, der Verkaufsabschluss nur noch eine Formalität wäre, eine Selbstverständlichkeit. Doch drei von fünf Verkäufern machen den Sack nicht aktiv zu. Sie übernehmen nicht die Verantwortung für den finalen Kaufmoment.

In meinem Verkäuferkompetenz-Check stelle ich die Frage: »Führst du im Verkaufsgespräch aktiv Kaufabschlüsse herbei?« Nur 37,8 Prozent antworten darauf mit »Ja, das mache ich«. Es bleiben mehr als 60 Prozent, die das nicht tun. Nur den wenigsten Verantwortlichen ist dies bewusst. Dieser Zustand bleibt regelmäßig komplett unentdeckt oder wird gar geduldet. Das ist brandgefährlich in einem Jahr wie 2024. Gestattet mir den Vergleich mit der Werkstatt. Dort würde es doch sofort auffallen, wenn die Kollegen und Kolleginnen »alles, außer Schaltung einstellen« beherrschen würden.
Der Verkaufsabschluss ist der Moment, in dem aus dem Berater ein Verkäufer wird. Das ist auch nichts Unanständiges. Es sind am Ende die gewinnbringend verkauften Räder, die den Betrieb erfolgreich am Laufen halten.
Viele Händler haben das Lager randvoll und hoffen darauf, dass die Temperaturen auf über 14 Grad steigen. Okay, und dann? Dann werden wir sicherlich wieder mehr Besucher und Interessenten in den Läden haben. Aber wer verkauft am Ende tatsächlich? Ich lege mich fest, es werden die Händler sein, die ihre Verkaufskompetenz kennen, Tendenzen beobachten und erprobte Methoden anwenden.
Wer das Lager mit 150 Prozent gefüllt hat, der muss auch 150 Prozent Abschlüsse einfahren, um wieder auf »normal« zu kommen. Es gilt dann, jede der sich bietenden Chancen zu nutzen. Dafür braucht es Abschlussstärke. Man stelle sich vor, was möglich wäre, wenn alle Potenziale aktiviert und genützt würden.

Zwei Wahrnehmungen im Verkauf

Bin ich mit Händlern im Gespräch, höre ich regelmäßig Folgendes, wenn ich sie auf Schulung und Entwicklung für den Verkauf einlade: »Gunnar, ich mache das seit zwanzig Jahren. Was willst du uns hier noch beibringen?« Diese Reaktion ist naheliegend und doch halte ich es für fahrlässig, Erfahrung und Kompetenz zu verwechseln.
Auf der anderen Seite stehen Verantwortliche, die auf diesen Vorschlag sagen: »Warte mal, da muss ich die Jungs fragen.« Deren Reaktion lässt sich leicht vorwegnehmen, denn auch sie ist immer die gleiche: »Brauchen wir nicht.« Achtung! Wenn mich meine Frau fragt, ob ich Hilfe bei der verstopften Spüle bräuchte, dann lautet die Antwort natürlich »brauche ich nicht«. Es gibt Umstände und Beziehungen, die lassen nur eine Antwort zu. Was soll er seinem Chef nach acht oder zwölf Jahren im Verkauf sagen? »Du, Chef, auf diese Frage warte ich seit Jahren. Beim Abschluss bekomme ich manchmal weiche Knie.«?
Die anderen sind die Verkäuferinnen und Verkäufer, die ich im 1:1-Coaching auf der Fläche begleite. Dort werden im Alltag zu selten Abschlüsse gemacht. In ihrer Selbsteinschätzung sind die Verkäufer oft brutal mit sich selbst. Auf einer Skala von 0 bis 10, wobei eine 10 High-Performance entspricht, bewerten sie sich in der Umfrage im Schnitt mit einer 4,2 auf die Frage, ob sie aktiv Abschlüsse herbeiführen. Das ist ein deutliches Indiz, dass auf diesem Feld Steigerungsmöglichkeiten gesehen werden. Interessant ist der Unterschied in den Antworten, wenn sie alleine sind oder der Chef dabei ist.
In der Gegenwart der Vorgesetzten fällt die Selbsteinschätzung in der Regel etwas besser aus. Es ist also ratsam, eine Gelegenheit für ehrliche Rückmeldungen zu schaffen. Eine Möglichkeit ist der Verkäufer-Kompetenz-Check (siehe Kasten), der allen Leserinnen und Lesern kostenlos über den Link ein Feedback zu ihren Fähigkeiten gibt.
Selbst wenn man sich auf diesem Feld bereits kompetent fühlt, schadet es sicher nicht, regelmäßig am Thema dranzubleiben, noch mal zu verschärfen, noch feiner zu arbeiten, noch mal erinnert zu werden, noch mehr funktionierende Routinen zu etablieren. In meiner eigenen Zeit als Verkäufer wurde ich jedes Jahr mindestens drei Tage zu diesem Thema geschult, jahrelang. Das ist im Fahrradhandel noch selten.

Ein- und Vorwände vorbereiten

Zur Abschlussstärke gehört auch, dass man auf Ein- und Vorwände der Kundschaft vorbereitet ist. Wenn man nicht weiß, wie man auf diese reagieren soll, dann traut man sich nicht so leicht, den Abschluss einzuleiten. Die Frage zu stellen: »Wollen wir jetzt den Deckel drauf machen?« oder ähnlich, traue ich mich dann erst, wenn ich neben dem erwünschten »Ja« auch auf ein »Nein« vorbereitet bin. Dies geht nur, wenn man genau weiß, was in dieser Lage zu tun ist. Auf diese unvermeidliche, alltägliche Situation kann man sich vorbereiten.

Aktiv Abschlüsse herbeizuführen ist eine Fähigkeit, mit der sich erstaunlich viele im Verkauf schwer tun.

In meinem Kompetenz-Check frage ich ab, auf wie viele verschiedene Sorten von Ein- und Vorwänden die Verkäuferinnen und Verkäufer vorbereitet sind. Es gewinnt die Kategorie
»0 bis 3« mit 43 Prozent Anteil. Nur knapp 10 Prozent antworten, dass sie auf 12 oder mehr Ein- und Vorwände eine erprobte Reaktion parat haben. Macht Euch das Leben doch ein wenig leichter. Es darf uns doch nicht überraschen, wenn jemand sagt, sie wolle eine Nacht darüber schlafen, bevor sie sich zum Kauf entscheidet. Da braucht es eine bewährte Strategie. Diejenigen, die hauptberuflich und in Vollzeit verkaufen, sollten in diesem Moment ihre »Eine-Nacht-drüber-schlafen«-Karte herausziehen und wissen, wie sie diese spielen müssen. An diesem Punkt wird der Unterschied gemacht. Wer nutzt diese Chance und wer lässt den Kunden ziehen und hofft auf eine zweite Chance?
Stark, sicher und authentisch im Moment der Kaufentscheidung zu sein ist per se nicht ganz ohne. Im Fahrradhandel kommen jedoch weitere Umstände hinzu. Laut eigener Statistik verfügen 40 Prozent der Verkaufenden über einen kaufmännischen Abschluss. Für mich macht auch dieser Fakt diese Branche so liebenswert. Und auch den quer Eingestiegenen sei gesagt, praxisnah »den Sack zumachen« haben auch diese 40 Prozent nicht in der Berufsschule lernen dürfen.

Eigenheiten des Fahrradhandels

Viele kommen aus dem Radsport oder der Leidenschaft für Räder. 19 Prozent des Verkaufspersonals haben einen akademischen Abschluss. Das ist eine hohe Quote für den Einzelhandel. Auch die Kundschaft ist überdurchschnittlich oft akademisch gebildet. An dieser Stelle sind wir nicht klassischer Einzelhandel. Das alles zusammen sorgt für diesen liebenswerten Charme der Branche und erhöht die Komplexität. Nur zu selten gibt es Verkaufsskripte, eine klare Einarbeitung oder Regelwerke.
Und trotzdem gehen Räder raus, alle geben sich Mühe – also ist alles okay? Wenn wir aber ganz genau hinschauen und fragen, wer macht hier wirklich Abschluss, dann zeigt sich die Bedeutung dieses Moments: Den größten Einfluss auf die Conversion Rate (siehe velobiz.de-Ausgabe 11-12 2023) hat der aktive Kaufabschluss. Wer das nicht drauf hat, beschneidet den eigenen Verkaufserfolg.

»Den größten Einfluss auf die Conversion Rate hat der aktive Kaufabschluss.«

Gunnar Schmidt

Wer in seinem Radsport-Team einen Fahrer hat, der sagt »Ich kann alles, außer Schlussspurt«, wird wissen, dass er ein wertvolles Team-Mitglied sein kann, aber kaum in die Ränge fahren wird. Doch im Jahr 2024 ist die große Aufgabe, dass sich Fahrradexperten mit Verkaufsprofis messen. In der Produktkunde kennen sich die allermeisten Verkäuferinnen und Verkäufer sehr gut aus. Bei den entscheidenden verkäuferischen Fähigkeiten ist oft noch Luft. Das nicht anzupacken ist gefährlich.

Klare Rollenverteilung im Verkaufsgespräch

Die Sorge, dass die Kundschaft erschrickt, wenn nach dem Kaufentschluss gefragt wird, ist unbegründet. Die Kundinnen und Kunden wissen, dass da jemand etwas verkauft. Jemand fängt ein Gespräch an mit jemand anderem, der einen Fahrradladen betreten hat. Letzterer geht zu Recht davon aus, dass Ersterer womöglich bereit ist, sich von diesen Rädern zu trennen. Die Hemmschwelle, zu fragen, ob Kunde oder Kundin das Rad mitnehmen möchten, kommt meist daher, dass es gern als ein bisschen unhöflich empfunden wird, so direkt zu sein. Aber man darf den Kontext beachten. Die Rollen sind klar verteilt. Es ist von Beginn an klar, wer Kaufender und wer Verkaufender ist. Niemand ist überrascht, wenn er nach der Kaufentscheidung gefragt wird.

Die Kundschaft wünscht Klarheit und Transparenz

Gutes Verkaufen ist Klarheit und Transparenz im Verkaufsprozess. Mit einer ausgefeilten, erprobten, angepassten, wiederoptimierten und auf den eigenen Typ individualisierten Abschlussstrategie wird man mehr verkaufen als ein Taschenspieler. Wer sein Handwerk beherrscht, kann erfolgreicher verkaufen. Zum Handwerk gehört es, respektvoll, ehrlich und verantwortungsbewusst mit Plan den Anschaffungswunsch zu begleiten und zu bestärken.
Zu den Situationen, die ebenfalls gerne vermieden werden, gehören die Preisverhandlungen zum Ende des Verkaufsgesprächs. In meiner Umfrage antworten noch immer 15 Prozent der Verkäufer, dass sie aufgrund der aktuellen Liefersituation keine Preisrabatte einräumen könnten. Hier ist wohl ein Update fällig.

Die Königin der Verkaufsphasen

Eine gängige Regel im Verkauf lautet üblicherweise, dass man nur mit offenen Fragen arbeitet und nicht mit geschlossenen. Das gilt aber an diesem Punkt gerade nicht. Man stellt eine Frage, die idealerweise mit einem bestimmten »Ja« beantwortet wird. In diesem Stadium ist eine geschlossene Ja-Nein-Frage von Vorteil: »Willst du dieses Fahrrad kaufen?« »Möchtest du dieses Fahrrad jetzt kaufen?« »Hast du Dich für dieses Fahrrad entschieden?« All das sind handwerklich saubere, geschlossene und zielorientierte Fragen.
Es geht natürlich noch feiner und geschmeidiger. Wichtig ist, dass man die Verantwortung für diesen Moment übernimmt.
Erst wenn man diese Frage verbindlich gestellt hat, kommt man an den Punkt, wo sichtbar wird, ob sich der Kunde oder die Kundin bekennen können. Oft werden Verkaufsgespräche so geführt, dass man gar nicht zu dem Moment kommt, wo diese Verbindlichkeit erkennbar wird. Stattdessen wird dann noch zehn Minuten lang um den heißen Brei geredet. »Wenn Sie wollen, können Sie ja noch etwas anderes Probe fahren.« »Wahnsinn, wie sich das mit den E-Bikes entwickelt hat, nicht wahr?« Auf diese Weise bleiben wertvolle Minuten liegen, die nichts bringen. Ich verspreche, dass jeder, der Menschen und Räder mag, diese Strategien erlernen, in seinen Alltag holen und später auch lieben kann Es wäre schade, bei einem ansonsten gelungenen Verkaufsgespräch ausgerechnet und immer wieder vor der Ziellinie ins Stocken zu geraten. Auf geht’s, Schlussspurt lernen. //

3. April 2024 von Gunnar Schmidt
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