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Marktdaten - Umsatzsteuerstatistik

Der Höhepunkt des Fahrrad-Booms

Das Jahr 2022 war der zumindest vorläufige Höhepunkt des Fahrradbooms in den Jahren nach Corona. Die jüngsten Zahlen der Umsatzsteuerstatistik bieten einmal mehr bemerkenswerte Einsichten in die Entwicklung des stationären Fahrradfachhandels.

Nachdem das Jahr 2021 nur ein geringes Umsatzwachstum knapp über die 7-Milliarden-Euro-Grenze auswies, konnte der Fachhandel 2022 wieder einen deutlichen Sprung machen. Die insgesamt 7,81 Milliarden Euro bedeuten ein Wachstum um über 10 Prozent binnen eines Jahres. Ganz offensichtlich hat das Ende der Warenknappheit den Abverkauf beflügeln können. Zu dumm, dass im Jahresverlauf später dann aus dem »verfügbar« so schnell ein »zu viel« wurde.
Erwirtschaftet wurde dieses Plus von insgesamt 5191 Fahrradhändlern mit Umsätzen über 22.000 Euro. Die Gesamtzahl der Händler ist damit zum dritten Mal hintereinander gestiegen, allerdings nur geringfügig. Man befindet sich nun wieder auf dem Niveau von 2019. Angesichts der Sonderkonjunktur der vergangenen Jahre für das Fahrrad muss zunächst noch offenbleiben, ob es sich hier nur um einen vorübergehenden Effekt handelt. Eine längerfristige Trendwende ist keineswegs völlig ausgeschlossen. Das Marktwachstum insgesamt könnte durchaus dafür sorgen, dass Raum entsteht für neue Geschäfte, die in ihren eigenen Nischen und Segmenten erfolgreich wirtschaften können. Leasing, die verschiedenen E-Bike-Segmente und die Nahversorgung mit Werkstattleistungen lauten die Stichworte, die eine diversifizierte Handelslandschaft wirtschaftlich über Wasser halten könnten.

Über 7,8 Milliarden Euro erwirtschaftete der stationäre Fahrradfachhandel im Jahr 2022.

Auf der anderen Seite ist natürlich auch festzuhalten, dass der Konzen­trationsprozess auch im Jahr 2022 deutlich sichtbar ist. Wie bei allen größeren Umsatzsprüngen der vergangenen Jahre haben die großen und größten Fahrradhändler überproportional davon profitiert.

Filialisten erklimmen neue Umsatzkategorien

Die spannendsten Entwicklungen spielen sich also einmal mehr bei den Umsatzriesen ab. Es hat sich bereits im vergangenen Jahr angekündigt, nun ist es vollbracht: Der erste oder die ersten Fahrradfachhändler, genau genommen Filialisten, haben die Umsatzgrenze von 250 Millionen Euro Jahresumsatz übertroffen. Das hat es noch nicht gegeben in der Geschichte des Fahrradhandels. Aufgrund der geringen Zahl der Handelsbetriebe in diesen Umsatzregionen werden zur Wahrung des Steuergeheimnisses ihre genaue Zahl und ihre genauen Umsätze geschwärzt.
Es ist aber dennoch sichtbar, dass nun insgesamt acht Betriebe Umsätze über 100 Millionen Euro erwirtschaften. In den zwei Jahren davor waren diese Branchenriesen noch zu siebt. In dieser Zeit haben sie zusammen 1,18 beziehungsweise 1,14 Milliarden Euro umgesetzt. Nun erzielt diese Gruppe (mit einem Unternehmen mehr) einen Umsatz von 1,668 Milliarden Euro. Sie haben also fast 527 Millionen des Wachstums von 789,7 Millionen Euro für sich gesichert, das sind ziemlich genau zwei Drittel. Anders formuliert: 0,15 Prozent der Händler sorgten für 67 Prozent des Wachstums. Noch mal anders formuliert: Die sieben großen Filialisten erwirtschafteten im Jahr 2021 noch durchschnittlich 163 Millionen Euro Umsatz, im Jahr 2022 kamen die Big 8 auf 208 Millionen Euro im Schnitt.
Unterhalb dieser Spitzengruppe gibt es etwas geringere Umsatzsprünge, die Entwicklung ist deswegen aber nicht weniger spannend. Zu den Auffälligkeiten gehört die entstandene Lücke direkt unterhalb der Handelsriesen.

Die Punkte ganz unten rechts bedeuten, dass es nun mindestens ein Unternehmen gibt, das zum stationären Fahrradfachhandel gezählt wird und über 250 Millionen Euro Umsatz erreicht. Noch 2015 gab es kein Unternehmen, das auch nur 100 Millionen übertroffen hätte, 2009 waren selbst die 50 Millionen Umsatz außer Reichweite für den Fahrradfachhandel.

Die Handelsbetriebe mit Umsätzen zwischen 25 und 100 Millionen sind weniger geworden. Einer ging nach oben, zwei stiegen ab. Statt 19 Unternehmen mit zusammen 943 Millionen Euro Umsatz finden sich nun »nur« noch 16 Händler in diesen Größenklassen mit zusammen 799 Millionen Euro Umsatz wieder. Allerdings ist die durchschnittliche Umsatzgröße nahezu konstant bei fast 50 Millionen Euro geblieben.

Hauptumsatz tragen Betriebe über 1 Mio. Euro Umsatz bei

Deutlich gewachsen ist die Zahl und Umsatzbedeutung der Händler in der Umsatzgröße von 1 bis 25 Millionen Euro. Die Zahl dieser Händler ist in jeder Größenklasse gestiegen. Insgesamt finden sich in diesem Bereich nun 1342 Fahrradhändler, ein deutliches Plus von 88 Betrieben innerhalb eines Jahres. Sie erwirtschaften nun einen Umsatz von 4,2 Milliarden Euro. Die größten acht Filialisten mögen also besonders viel Aufmerksamkeit erfahren, mehr als die Hälfte des Handelsumsatzes wird in dieser Spanne erzielt.
Allerdings: Vor Jahresfrist mag ihre Zahl kleiner gewesen sein, ihr Marktanteil lag genauso hoch wie zuvor. Aktuell liegt er bei 54 Prozent, ziemlich genau wie ein Jahr zuvor. Die 4,2 Milliarden Euro bedeuten auch ein sattes Plus innerhalb eines Jahres. 450 Millionen Euro mehr Umsatz ergeben einen durchschnittlichen Umsatz von rund 3,2 Millionen Euro pro Betrieb.

8 Unternehmen gibt es nun, die Umsätze über 100 Millionen Euro erzielen. Zusammen erwirtschaften sie 1,67 Milliarden Euro.

Die Umsatzgewinne der großen, ganz großen und riesigen Handelsbetriebe, die zusammen über dem Gesamtwachstum liegen, bedeuten, dass es auch Umsatzverlierer geben muss. Diese finden sich wie schon seit vielen Jahren und eigentlich schon Jahrzehnten bei den kleineren Betriebsgrößen. Sie werden immer weniger und bringen immer weniger Umsatzgewicht auf die Branchenwaage. In der Umsatzgruppe zwischen 250.000 bis 1 Million Euro erwirtschaften verbliebene 2630 Händler (das ist mehr als die Hälfte aller Betriebe, aber doch 104 Betriebe weniger als ein Jahr zuvor) nun 1,04 Milliarden Euro Umsatz (nach zuvor 1,09 Milliarden). Allzu traurig muss man wegen dieses Schwundes aber vermutlich nicht sein: Die meisten werden einfach in höhere Umsatzregionen entwachsen sein. Von den dort dazugekommenen 88 Neuzugängen werden nur wenige komplette Neueinsteiger sein.
Richtiges zahlenmäßiges Wachstum gibt es dann im Bereich von 22.000 Euro bis 100.000 Euro. Diese Umsatzkategorie wächst das zweite Jahr in Folge. Nach wie vor fangen die meisten neuen Händler klein an.

Bundesländer mit unterschiedlicher Entwicklung

Wenn man sich die Umsatzverteilung auf der Ebene der Bundesländer anschaut, dann sieht man durchaus unterschiedliche Entwicklungen. Baden-Württemberg etwa verzeichnete ein klares Wachstum an neuen Betrieben.

Auf Länderebene zeigt sich, dass sich das Branchenwachstum seit Corona keineswegs gleichmäßig über die Republik verteilt. Aus dem Rahmen fallen die Sachsen, wo sich seit 2019 der Umsatz unter großen Schwankungen mehr als verdreifacht hat.

Ebenso verfügen nun Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen nun über mehr Fahrradhändler als ein Jahr zuvor. Berlin, Bremen, und Thüringen haben kaum Veränderungen zu berichten, während Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein nun weniger umsatzsteuerpflichtige Fahrradhändler zählen. In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl merklich gesunken. Gleiches gilt für Rheinland-Pfalz. Dass die Sachsen innerhalb eines Jahres elf neue Kollegen begrüßen können, ist die eine Sache. Dass sich in der gleichen Zeit der Umsatz fast verdoppelt hat, ist eine verblüffende Entwicklung.
Insgesamt ist die Umsatzsteuerstatistik einmal mehr ein schöner Einblick über die stattfindenden Veränderungen der Handelslandschaft. Die Zahl der Händlerschaft hat sich zumindest vorläufig stabilisiert, gleichzeitig profitieren vom Wachstum die größeren Betriebe überproportional. Der Konzentrationsprozess ist also nach wie vor sichtbar. Schade nur, dass diese Zahlen immer erst mit so großem zeitlichen Abstand verfügbar sind. Es wird sehr spannend sein zu sehen, wie der stationäre Handel das schwierige Jahr 2023 bewältigt hat. Genau wissen wir es erst in einem Jahr. //

15. April 2024 von Daniel Hrkac
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