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E-Bikes, deren Ästhetik auch Rennradfahrer anspricht, zählen zum Kerngeschäft von Electrolyte.
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Portrait - Electrolyte

Traumradschmiede am Alpenrand

Als Electrolyte vor fünf Jahren mit dem Modell Straßenfeger Premiere im Fahrradmarkt feierte, markierte dies auch den Beginn einer neuen Sichtweise auf das E-Bike-Segment. Das Start-up aus Oberbayern zeigte Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern, dass E-Bikes durchaus stylish und lässig sein können. Mit dem Selbstverständnis als Traumradschmiede gilt das für Electrolyte heute mehr denn je.

Berlin oder München, ein schummriger Hinterhof oder eine alte Industriehalle, vorne auf der Straße tobt das urbane Leben in vollen Zügen. So oder so ähnlich stellt man sich das Firmendomizil von Electrolyte vor. Wer die Macher der stylishen E-Bike-Marke sucht, muss jedoch ganz andere Wege einschlagen. Genau gesagt nach Baiern, tief im Münchner Hinterland. Der Name klingt nicht nur ganz ähnlich wie der Freistaat, der Ort könnte auch glatt als Prototyp eines bayrischen Dorfes durchgehen: Kirchtürme mit Zwiebelspitze, Kuhglockengeläut und beim Blick nach Süden sieht man den markanten Wendelstein am Rand der Alpen.
Dass die Gründer von Electrolyte ihr Unternehmen gerade hier im Ortsteil Piusheim angesiedelt haben, ist kein Zufall. Schon bevor hier der E-Bike-Anbieter sein Zuhause fand, hatte einen Ort weiter die Firma Gerg Modell- und Formenbau ihren Sitz, die mit ihren 200 Mitarbeitern Komponenten aus Aluminium und Titan unter anderem für die Luft- und Raumfahrtindustrie sowie den Motorsport fertigt.
Darüber hinaus war der Leichtbauspezialist vor fünf Jahren ein wichtiger Geburtshelfer der Marke Electrolyte. Es war irgendwann vor 2010, als die Schwester von Matthias Blümel ihren Bruder ihr neugekauftes E-Bike ausprobieren ließ. Der passionierte Rennradfahrer fand zwar durchaus Gefallen am Fahrerlebnis eines E-Bikes, konnte sich aber mit dem altbackenen Design nicht anfreunden. Den frischgebackenen Maschinenbauingenieur packte der Ehrgeiz, ein E-Bike zu entwickeln, das elektrische Antriebstechnik und Radsport-Feeling in einem Fahrrad vereint. Bei der Suche nach möglichen Partnern zur Umsetzung seiner Idee stieß Blümel schnell auf die Familie Gerg – man kannte sich schon aus dem Studium – die nicht nur ihr technologisches Know-how in die Waagschale warf, sondern das Start-up auch mit finanziellen Mitteln ausstattete.
Mit den im Markt damals erhältlichen Komponenten waren jedoch die Vorstellungen eines stylishen und sportlichen E-Bikes nicht umzusetzen. Also setzte sich Blümel ans Zeichenbrett bzw. an den Computer und entwickelte »sein« E-Bike von Grund auf – also inklusive eigener Antriebstechnik. Das Ergebnis konnte das Start-up Electrolyte bald darauf unter der Modellbezeichnung »Straßenfeger« der Fachwelt präsentieren. Solche E-Bikes, wie das Erstlingswerk von Electrolyte hatte der Markt bis dato noch nicht gesehen; entsprechend groß war die Aufmerksamkeit. Bereits 2010 gab es einen Eurobike Award für den Straßenfeger –auch wenn damals sich noch kaum jemand in der Branche vorstellen konnte, dass für ein puristisches E-Bike ohne Gepäckträger, Schutzbleche und Licht irgendjemand mal die als Verkaufspreis aufgerufenen 4000 Euro zahlen würde. Ein Jahr später kam noch der Ispo Brand New Award dazu.
Mit dem Brandstifter gibt es inzwischen längst auch eine alltagstaugliche Weiterentwicklung des Straßenfegers. Das Selbermachen als Marken-
kern hat Electrolyte unterdessen beibehalten. So kommen beispielsweise zwar die Wicklungen für den E-Motor aus China und die Akkuzellen von Panasonic, alle weiteren Komponenten des Antriebssystems sowie deren Assemblierung werden jedoch weiterhin in Baiern in Kleinserie umgesetzt. Für Aluminiumrahmen hat Electrolyte unterdessen mit dem tschechischen Rahmenbauer Duratec einen engen Partner gefunden. Bei besonders ausgefallenen Kundenwünsche wird jedoch auch schon mal das Schweißgerät im Keller angeworfen.
Ebenfalls in 2010, also relativ zeitgleich mit der Entwicklung des Straßenfegers, ergab sich für Matthias Blümel noch ein andere Bekanntschaft, die für die weitere Entwicklung des jungen Unternehmens eine wichtige Rolle spielen sollte. Zeitgleich hatte ein Team um die studierte Journalistin Anja Schmidt-Amelung an der TU München ein Projekt initiiert, mit dem ein E-Bike entworfen und entwickelt werden sollte, das gleichermaßen hohen Alltagsnutzen und ein urbanes, modernes Design bieten sollte. Mit im Team war auch Matthias Blümel, der damals gerade mit seiner jungen Firma die ersten Schritte im Markt wagte. Aus dem Projekt wurde ein Fahrradmodell, das nach verschiedenen Weiterentwicklungen unter der Bezeichnung »Vorradler« heute eine wichtige Säule im Programm von Electrolyte ist. Antriebstechnisch basiert der urbane Allrounder auf dem System von Go Swissdrive. Als künftige Option wurde zudem gerade auf der Eurobike auch eine MTB-Variante mit Contitech-Antrieb vorgestellt.

Vom Start-up zur Traumradschmiede

Inzwischen hat Electrolyte die Start-up-Phase längst hinter sich gelassen, das Unternehmen feiert in diesem Jahr sein fünfjähriges Jubiläum. Die große Aufmerksamkeit, die Electrolyte in seinen Gründungsjahren erntete, hat ein wenig nachgelassen. Was auch daran liegen mag, dass die Oberbayern längst nicht mehr der einzige Anbieter stylisher E-Bikes in Deutschland sind. Als Electrolyte vor fünf Jahren der Fachwelt seine Interpretation von Fixie-Optik mit E-Bike-Technik vorstellte, war dies durchaus eine Revolution im Markt. Inzwischen gibt es – zumindest auf den ersten Blick – ähnliche Konzepte auf der Eurobike auch bei zahlreichen anderen Ausstellern zu sehen.
Die Macher der Marke Electrolyte setzen deshalb immer mehr auf ihre Stärke bei der Umsetzung individueller Fahrradwünsche. Kaum ein E-Bike, das aus der kleinen Fertigung in Baiern rollt, gleicht dem anderen. Das geht soweit, dass Kunden auch die Rahmengeometrie mancher E-Bike-Modelle individuell mitbestimmen können. Als »Traumradschmiede« wird entsprechend auch das Selbstverständnis der Marke beschrieben. Was übrigens durchaus auch Fahrräder ohne Elektroantrieb beinhaltet. Modelle wie Straßenfeger oder Brandstifter gibt es seit 2014 auch ohne E-Motor. Darüber hinaus werden mit einem Rahmenbau-Partner in Italien auch individuelle Maßfertigungen von Mountainbikes und Rennrädern aus Titan angeboten.
Der durchschnittliche Verkaufspreis für ein Fahrrad mit dem Electrolyte-Logo beträgt stolze 4500 EUR. Rund 500 Fahrräder verlassen jährlich die kleine Manufaktur in Baiern. Dass es nicht mehr sind, liegt einerseits daran, dass die Electrolyte-Macher den exklusiven Charakter ihrer Marke bewahren wollen. Aber auch daran, dass die meisten Verkäufe immer noch direkt an den Endkunden erfolgen. Das Händlerverzeichnis der Marke listet gegenwärtig gerade mal zehn Adressen in Deutschland auf. Dabei würde Electrolyte gerne durchaus enger mit dem Fachhandel zusammenarbeiten, was bislang aber noch vor allem am hohen Produktionsaufwand und den entsprechenden Kosten scheitert. Handelspartner, die ein Fahrrad von Electrolyte verkaufen, müssen sich mit 15% Handelsspanne begnügen. Branchenüblich sind 30%.
Eine Lösung, ohne den eigenen Prinzipien untreu zu werden, ist für das Unternehmen zumindest kurzfristig nicht in Sicht. Also betonen die Electrolyte-Macher gegenüber Handelspartnern die Exklusivität und hohe Preisstabilität der individuell gefertigten Modelle. Und nachdem jedes Electrolyte erst nach der Bestellung für den jeweiligen Kunden aufgebaut wird, muss im Handel auch kein Kapital durch übermäßige Lagerhaltung gebunden werden.
Parallel arbeitet Electrolyte weiter daran, die Fahrräder der Marke selbst an den Kunden zu bringen. Und geht dabei auch unorthodoxe Wege: Gerade erst präsentierte sich das Unternehmen auf einer Yachtmesse in Monaco. Und im November steht schon die Millionärsmesse Big Boys Toys in Dubai im Messekalender. Auch die Überlegung, weiße Flecken auf der Vertriebslandkarte mit eigenen Showrooms oder Shop-in-Shops beispielsweise in Design-Möbelhäusern zu füllen, steht im Raum. Der Wille, ungewöhnliche Wege zu gehen, ist den Machern von Electrolyte in der fünfjährigen Unternehmensgeschichte also nicht abgekommen.

21. Oktober 2015 von Markus Fritsch

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