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Gratwanderung im Kartellrecht
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Report - Kartellrecht

Gratwanderung im Kartellrecht

Der lange Arm der Bonner und Brüsseler Kartellbehörden erfasst längst nicht mehr nur die klassischen »Hinterzimmerkartelle«. Er zielt seit Kurzem auch auf die alltägliche Vertriebspraxis großer und mittelständischer Unternehmen – insbesondere in Bezug auf den Internethandel. Dieses Thema betrifft auch und gerade die Fahrradbranche, wie eine Vertreterin des Bundeskartellamts in einem Vortrag Anfang dieses Jahres deutlich machte. Die auf das Kartellrecht spezialisierten Anwältinnen Dr. Daisy Walzel und Julia Amling von der Kanzlei Kapellmann und Partner mbB erklären die möglichen Konsequenzen.

Das Bundeskartellamt macht durch seine strikte Kartellverfolgung regelmäßig Schlagzeilen. 2014 verhängte die Bonner Behörde Bußgelder von mehr als einer Milliarde Euro. Weniger bekannt ist, dass das Bundeskartellamt und die Europäische Kommission in den letzten Jahren auch kartellrechtswidrige Praktiken im Vertrieb und insbesondere im Internethandel als Bereiche identifiziert haben, die sie mit besonderer Priorität behandeln und beobachten.
Das Bundeskartellamt hat in den letzten drei Jahren zahlreiche Verfahren in diesem Bereich geführt. Manche Unternehmen mussten Bußgelder in Millionenhöhe (etwa im Februar 2015 ein Matratzenhersteller 3,38 Mio. Euro) zahlen, andere (z.B. Adidas und Asics) dürfen den Online-Handel nicht mehr so stark reglementieren, wie sie es zuvor getan haben. Die Europäische Kommission hat jüngst eine groß angelegte Sektoruntersuchung zum Internethandel initiiert, in deren Rahmen sie die Online-Vertriebspraktiken europaweit eingehend untersuchen will. Mehrere hundert Unternehmen haben Fragebögen erhalten. Weitere Verfahren gegen »schwarze Schafe« sind in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern zu erwarten.

Das Kartellverbot im Vertrieb

Das Kartellverbot gilt nicht nur für das klassische »Hinterzimmerkartell«, also für miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen, die sich z. B. über Preiserhöhungen verständigen.
Es gilt ebenso im Verhältnis zwischen Herstellern und Händlern.
Hier ist insbesondere das sogenannte Verbot der Preisbindung der zweiten Hand zu beachten. Es besagt, dass der Hersteller dem Händler nicht vorgeben darf, zu welchen Preisen der Händler die Waren an seine Kunden weitervertreibt. Jede Form von diesbezüglichen Abstimmungen oder Vereinbarungen ist unzulässig. Das gilt für schriftliche oder mündliche Vereinbarungen ebenso wie für »Gentlemen‘s Agreements«, bei denen sich Hersteller und Händler lediglich informell darüber verständigen, dass ein bestimmtes Preisniveau beim Weiterverkauf der Produkte nicht unterschritten werden soll.
Bundeskartellamt und Europäische Kommission legen hier strenge Maßstäbe an. So liegt ein Verstoß bereits vor, wenn Hersteller ihre Händler unter Druck setzen oder ihnen Anreize geben, um die unverbindliche Preisempfehlung (»UVP«) oder ein bestimmtes Preisniveau einzuhalten. Unzulässig ist es zum Beispiel, wenn der Hersteller dem Händler Nachteile für Abweichungen von der UVP in Aussicht stellt wie die Streichung von Werbekostenzuschüssen oder Rabatten, die Nichtbelieferung oder eine verzögerte Belieferung. Verbotene Anreize sind beispielsweise die Gewährung von Werbekostenzuschüssen oder Rabatten, um so ein bestimmtes Preisniveau durchzusetzen. Nach Auffassung des Bundeskartellamts können bereits das mehrfache Thematisieren der UVP oder ein System der intensiven Überwachung des Händlers gegen das Preisbindungsverbot verstoßen und hohe Bußgelder auslösen. Hier ist also besondere Vorsicht angebracht.
Oft wird das Bundeskartellamt auf unzulässige Praktiken durch Beschwerden aus dem Markt aufmerksam: Händler beklagen sich etwa, dass sie Produkte nicht »frei« verkaufen dürfen oder keine Waren mehr bekommen. Das Bundeskartellamt kann daraufhin ermitteln und dabei Unternehmen unangekündigt durchsuchen sowie Zeugen (etwa andere Händler) vernehmen. Im Fall TTS Tooltechnik stützte das Bundeskartellamt ein Bußgeld in Höhe von insgesamt 8,2 Mio. Euro auf eine Vernehmungsserie und überschrieb die diesbezügliche Pressemitteilung lakonisch mit dem Titel »Mündlichkeit schützt vor Strafe nicht«.

Internethandel als Herausforderung für herkömmliche Vertriebsmodelle

Nahezu alle Hersteller versehen ihre über den Fachhandel vertriebenen Waren mit einer UVP. Der Abstand zwischen der UVP und dem Händlereinkaufspreis soll gewährleisten, dass Händler kostendeckend arbeiten und zudem eine ausreichende Marge erzielen können.
Waren können online oft zu deutlich günstigeren Preisen angeboten werden als im stationären Geschäft. Viele Kosten, die beim stationären Vertrieb entstehen (etwa für Personal, Anmietung von Räumlichkeiten, Infrastruktur, Produktdarbietung), entfallen beim reinen Online-Händler gänzlich oder weitgehend. Das bedeutet, dass ein reiner Online-Händler nur eine im Vergleich geringere Marge auf den Händlereinkaufspreis aufschlagen muss, um ein auskömmliches Geschäft zu machen. Das ist häufig die Ursache für ein Abrutschen der Online-Preise gegenüber den Preisen für stationär angebotene Produkte. Die Fachhandelslandschaft gerät durch günstige Internetangebote zunehmend unter Druck.
Gleichzeitig bietet der Online-Handel Herstellern und Händlern die Möglichkeit, besonders viele Kunden zu erreichen und so den Vertrieb anzukurbeln oder auf Innovationen aufmerksam zu machen. Ein zeitgemäßes Produktmarketing kann daher auf einen Online-Auftritt nicht mehr verzichten. Die gerade auch in der Fahrradbranche erforderliche Produktberatung und das Erlebnis, ein Fahrrad selbst zu fahren oder Einzelprodukte (Sattel, Lenker, Zubehör) auszuprobieren, entfallen online. Kunden testen solche Waren zum Teil im Ladenlokal, kaufen sie dann aber – deutlich günstiger – online ein. Der Handel wird zum Showroom und erhält für seine Beratung und Produktpräsentation letztlich keine Vergütung. Manche Kunden versuchen auch, unter Hinweis auf die günstigeren Online-Preise mit dem stationären Händler einen höheren Rabatt auszuhandeln. All dies erhöht den Druck auf die stationären Händler in vielen ohnehin schon sehr umkämpften Märkten. Häufig wenden sie sich an die Hersteller und fordern diese auf, etwas zu unternehmen und sie mehr zu unterstützen.

Typische Lösungsansätze, die die Kartellbehörden für bedenklich halten

Diese Zwickmühle zwischen zusätzlicher Absatzmöglichkeit einerseits und Gefahren für stationäre Beratung und Produktpräsentation andererseits stellt Hersteller und Händler seit einigen Jahren vor neue Herausforderungen. Alle suchen nach Wegen, um die Vorzüge des stationären Fachhandels mit denen des Online-Handels zu kombinieren. Längst nicht alle Lösungsansätze stoßen dabei auf die Zustimmung der Kartellbehörden. Bislang hat sich herauskristallisiert, dass folgende Praktiken in der Regel kartellrechtlich verboten sind:

  • Hersteller und (auch) stationär tätig werdende Händler stimmen sich über das Online-Preisniveau ab, um ein Abrutschen der Online-Preise zu verhindern. Dafür reicht auch einseitiger Druck durch den Hersteller, dem sich der Händler beugt, oder Beschwerden von Händlern über zu niedrige Preise anderer Händler, die der Hersteller daraufhin kontaktiert und zur Anpassung der Preise auffordert. Das Bundeskartellamt hat bereits mehrfach klargestellt, dass dies – ebenso wie beim stationären Handel – als Verstoß gegen das Preisbindungsverbot unzulässig ist. Solche Verstöße werden mit hohen Bußgeldern geahndet.

  • Der Hersteller schreibt den Händlern bestimmte Maximalmengen für den Vertrieb über den Online-Handel vor oder macht die Höhe der Rabatte davon abhängig, ob die Waren online oder stationär vertrieben werden. Konsequenz ist, dass sich der Online-Vertrieb für die betreffenden Händler kaum lohnt. Solche »Doppelpreissysteme« hat das Bundeskartellamt bereits in Entscheidungen gegenüber den Unternehmen Gardena, Bosch und Dornbracht als unzulässige Beschränkungen des Online-Handels für rechtswidrig erklärt.

  • Der Hersteller verbietet den Händlern, die er beliefert, den Online-Handel vollständig (Internetvertriebsverbot). Haben sich Hersteller dazu entschieden, bestimmte Händler zu beliefern, dürfen sie diesen den Online-Handel nicht untersagen. Mit anderen Worten: Bieten Händler ihre Waren stationär und online an, darf dies der Hersteller grundsätzlich nicht (weder direkt noch indirekt) unterbinden. Tut er dies doch, begeht er einen schweren Kartellrechtsverstoß, der mit Bußgeldern geahndet werden kann.

  • Der Hersteller verbietet seinen Händlern zwar nicht den Internethandel insgesamt, aber den Vertrieb über bestimmte Plattformen wie Ebay, Amazon Marketplace oder Idealo. Solche Vertriebswege werden zum Teil als mit dem Markenimage unvereinbar empfunden und begünstigen zudem oft ein Abrutschen der Online-Preise. Auch solche sogenannte Plattformverbote sind nach dem Bundeskartellamt aber grundsätzlich unzulässig.

Wie kann der Fachhandel geschützt werden?

Die rigide Praxis des Bundeskartellamts wirft die Frage auf, welche Wege Herstellern und Händlern überhaupt noch offen stehen, um den stationären Fachhandel in kartellrechtlich unbedenklicher Form zu schützen. Die Antwort hängt freilich von einer Reihe von Faktoren ab, insbesondere von der Art des Vertriebssystems sowie von der Marktstellung der Beteiligten. Für marktstarke oder marktbeherrschende Unternehmen gelten kartellrechtlich strengere Vorgaben als für solche mit einer schwächeren Marktposition.

Folgende Lösungsansätze sind in der Regel zulässig:

  • Ein Hersteller entscheidet sich, reine Online-Händler nicht zu beliefern. Hersteller, die nicht marktbeherrschend sind, können frei entscheiden, welche Händler sie beliefern und welche nicht. Sie sind auch nicht verpflichtet, alle belieferten Händler gleich zu behandeln. Entsprechend können sich Hersteller entscheiden, reine Online-Händler nicht zu beliefern, oder einzelnen Händlern unterschiedliche Konditionen und Rabatte zu gewähren, solange dies nicht faktisch einer Preisbindung dient. Sie dürfen sich zu solchem Verhalten aber nicht gegenüber ihren Händlern verpflichten.

  • Ein Hersteller verfügt über ein selektives Vertriebssystem und stellt Kriterien für die Produktpräsentation sowie vorzuhaltende Serviceleistungen auf. Hersteller dürfen verlangen, dass der Online-Vertrieb so gestaltet wird, dass dies dem Markenimage gerecht wird. Das gilt zum Beispiel hinsichtlich der Art der Produktpräsentation, des Zahlverfahrens oder des Bestehens einer Beratungshotline. Hierbei muss der Hersteller aber darauf achten, dass er keine überzogenen Kriterien anlegt. Unzulässig sind insbesondere Vorgaben, die über dasjenige hinausgehen, was auch im stationären Handel verlangt wird (»Äquivalenzprinzip«, d. h. z. B. Erfordernis einer 24-h-Beratungshotline vs. Hotline, die zu üblichen Geschäftszeiten besetzt ist). Außerdem darf der Hersteller keine Vorgaben machen, auf welchen Vertriebswegen oder in welchem Umfang die anhand der Kriterien selektierten Händler Endkunden beliefern.

  • Ein Hersteller verfügt über ein selektives Vertriebssystem und untersagt seinen Händlern, nicht zum Vertriebssystem zugelassene andere Händler
    (z. B. sog. Dropshipper) zu beliefern. In einem selektiven Vertriebssystem kann der Hersteller solche Verbote aussprechen, wenn sein System insgesamt den kartellrechtlichen Anforderungen genügt.

  • Ein Hersteller, der kein (kartellrechtlich zulässiges) selektives Vertriebssystem betreibt, darf dagegen seinen Händlern grundsätzlich nicht vorgeben, an wen sie die Produkte weiterverkaufen. Tut er dies doch (z. B. indem er den Weitervertrieb an in »schwarzen Listen« aufgeführte Händler untersagt), verstößt er gegen das Boykottverbot.

Sektoruntersuchung der Europäischen Kommission

Die Europäische Kommission hat das Thema Online-Handel ganz oben auf ihre Agenda für die kommenden Jahre gesetzt. Die seit Anfang Mai laufende Sektoruntersuchung zu Beschränkungen des Online-Handels verdeutlicht, dass sich auch der Verfolgungsschwerpunkt der Kommission vermehrt auf Wettbewerbsverstöße beim Produktvertrieb richtet. Derartige Verstöße wurden in der Vergangenheit vor allem von nationalen Kartellbehörden verfolgt, während sich die Kommission auf unzulässige grenzüberschreitende Abstimmungen unter Wettbewerbern konzentrierte.
Die Sektoruntersuchung zielt auf eine ganze Bandbreite möglicher Beschränkungen des Online-Handels, inkl. bestehender Preisunterschiede für online angebotene Markenartikel zwischen den EU-Staaten. Die Kommission will insbesondere prüfen, ob Hersteller (ggf. gemeinsam mit Händlern) künstlich unterschiedliche nationale Preisniveaus aufrechterhalten. Infolge der Sektoruntersuchung ist insgesamt zu erwarten, dass es zu einer stärkeren Verfolgung kartellrechtlich unzulässiger Praktiken beim Online-Vertrieb in Europa kommen wird.

Fazit

Händler und Hersteller aller Branchen müssen sich darauf einstellen, dass ihre Vertriebsarbeit kartellrechtlich auf den Prüfstand gestellt wird. Sie sollten besonders vorsichtig sein, wenn es darum geht, den Umgang mit dem Internet als Vertriebsweg zu regeln und die kartellrechtlichen Vorgaben stets im Blick haben. Um die immer größer werdenden Risiken für Unternehmen oder Führungskräfte zu vermeiden, sollten sie etwaige Defizite zügig und umfassend beseitigen.

21. Oktober 2015 von Dr. Daisy Walzel und Julia Amling
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