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Burkhard Stork sieht Poltik und Fahrradindustrie in der Pflicht - wie jüngst hier beim Vivavelo-Kongress in Berlin.
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Interview - ADFC

»Völlig andere ­Dimensionen des Fahrradfahrens«

Ist das Pedelec Fluch oder Segen für den Radverkehr? Burkhard Stork, streitbarer Bundesgeschäftsführer des ADFC, sieht »überhaupt kein Problem«, wenn sich Radfahrer mit und ohne E-Motor den Radweg teilen. Vielmehr müssen in Sachen Radverkehr insgesamt »völlig andere Dimensionen« erzielt werden. Das Pedelec könne dabei durchaus noch »eine wichtige Rolle spielen«.

{b}Sie haben auf dem Vivavelo-Kongress gesagt, dass zuerst die Infrastruktur stimmen muss, damit die Verkehrswende möglich ist. Was konkret kann die Politik für die Radinfrastruktur tun, insbesondere im Hinblick auf Elektroräder?{/b}
Wenn wir lebenswerte, gesunde Städte wollen, brauchen wir eine Verkehrswende. Also: Deutlich weniger und effizientere Autos, einen top-ausgebauten ÖPNV und attraktive Angebote zum Zufußgehen und Radfahren. Beim Fahrradfahren müssen wir in völlig andere Dimensionen kommen. Es müssen viel mehr Menschen Fahrrad fahren. Die Politik kann für die Infrastruktur einiges tun, indem sie nämlich auf allen Ebenen – angefangen mal auf der kommunalen Ebene – den Willen hat, auf der Straße Platz zu machen und vernünftige Radwege zu bauen: Radwege, die nicht gefährlich sind, die sich für Leute gut anfühlen, die komfortabel sind, die ein geschlossenes Netz bilden. Das erfordert viel politischen Willen, denn dafür muss dem fließenden und dem ruhenden Autoverkehr Platz weggenommen werden. Wir erleben, dass das schwierig wird, weil gerade die Kommunalpolitik Angst davor hat, dass genau diese Entscheidungen immer wieder für Ärger sorgen. Deswegen müssen die Landespolitik und auch die Bundespolitik Rahmenbedingungen schaffen. Das macht man natürlich als erstes über Geld. Aber auch über rechtliche Regelungen wie Bauordnungen und anderes, bei dem die Umstände so verändert werden, dass es der Kommu­nalpolitik einfach gemacht wird, etwas fürs Fahrrad zu tun.

{b}In deutschen Städten sind heutzutage Fahrräder mit zwei Geschwindigkeiten unterwegs: Fahrräder und Pedelecs. ­Inwiefern stellt diese Koexistenz besondere Ansprüche an eine fahrradfreundliche ­Infrastruktur?{/b}
Das ist nicht ganz richtig. Die wenigen Studien, die es bisher gibt, zeigen deutlich, dass klassische Fahrräder und 25er-Pedelecs mit sehr ähnlichen Geschwindigkeiten unterwegs sind. Und ich sehe da überhaupt kein Problem. Auch in den Niederlanden vertragen sich Fahrräder und Pedelecs relativ gut. Das echte Problem ist: Die Infrastruktur ist mit dem zunehmenden Radverkehr nicht mitgewachsen, unterdimensioniert und veraltet. Das macht sowohl dem klassischen Fahrrad als auch den immer beliebteren Pedelecs Probleme.

{b}Die meisten Elektroräder findet man ja auf touristisch interessanten Fahrradwegen außerhalb der Städte, wie etwa dem Bodenseeradweg oder als E-Moutainbikes in den Alpen. Im urbanen Raum hingegen sind weniger E-Bikes unterwegs. Was kann die Politik tun, um den Anteil der Pedelecs in den Städten zu erhöhen?{/b}
Erstmal freue ich mich sehr, dass die Frage die richtige Beobachtung enthält: Der Fahrradtourismus hat das E-Bike richtig vorangebracht und der allergrößte Teil der E-Bikes und Pedelecs werden bis heute für den Tourismus gekauft. Das ist in der Branche nicht immer allen ganz klar gewesen. In der urbanen Mobilität braucht man neben sicherer und komfortabler Infrastruktur natürlich auch den sicheren Parkplatz fürs Rad. Das gilt besonders für die etwas teureren und schwereren Pedelecs. Wir brauchen gute Abstellmöglichkeiten, gerne auch mit digitalem Service drum rum. Ich weiß nicht, warum ich meinen Platz in einem Fahrradparkhaus nicht vernünftig buchen kann. Wir brauchen vernünftige Reiseketten, die einen unproblematischen Übergang zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln ermöglichen. Das wird das E-Bike in der Stadt sehr unterstützen. Wir wissen aus Studien, dass die Diebstahlgefahr neben der schlechten Infrastruktur das größte Hindernis für mehr Pedelecs in der Stadt ist.
Da sehe ich auch die Fahrradindustrie in der Pflicht. Bei Motorrädern hat man inzwischen eine ganze Reihe von Bauteilen, die nach einem Diebstahl nicht mehr sinnvoll funktionieren. Es ist offensichtlich sehr aufwändig, wenn man ein Motorrad geklaut hat, dieses wieder in Gang zu bringen. Ich hoffe darauf, dass die Fahrradindustrie Möglichkeiten findet, Vergleichbares auch beim Pedelec zu machen. Ideal wäre es doch, wenn das Display mit Bedienungsteil erkennt, ob es an genau seinem Fahrrad angebracht ist, wie die Wegfahrsperre am Auto. Wenn ich ein geklautes Pedelec habe und dann ein Ersatzdisplay draufsetze, dann muss es das doch eigentlich merken können. Das muss doch technisch möglich sein.

{b}Welche Rolle spielen Pedelecs für die Verkehrswende?{/b}
Spätestens im zweiten Schritt auf dem Weg zur Verkehrswende werden sie eine große Rolle spielen. Jetzt im ersten Schritt geht es ja erstmal darum, Menschen überhaupt dafür zu interessieren, dass man kurze Strecken ohne Auto zurücklegen kann. Wir wissen, dass schon ein Viertel aller Autofahrten in der Stadt kürzer sind als zwei Kilometer. Also Strecken, die man ganz problemlos mit dem Fahrrad machen kann. Die Hälfte aller Autofahrten insgesamt ist kürzer als fünf Kilometer. In den Niederlanden mit ihrem viel höheren Fahrradanteil und der viel höheren Fahrraderfahrung der Menschen gehen gerade deutlich darüber hinaus und es werden so sechs- bis acht-Kilometer-Strecken normal mit dem Fahrrad. Und spätestens da ist es natürlich klar, dass das Pedelec eine wichtige Rolle spielen kann für diese etwas längeren Fahrten. Im Bereich des Pendelns ist es ohnehin eindeutig. Ich habe 15 Kilometer zu pendeln. Das mache ich, wenn ich es mache, nur mit dem Pedelec, damit ich nicht völlig nassgeschwitzt ankomme.

{b}Was erwarten Sie vom Gesetzgeber in Bezug auf die Nutzung von S-Pedelecs?{/b}
S-Pedelecs sind ein fantastisches Fahrzeug, um lange Fahrten vom Auto auf das Rad zu verlagern. Aber S-Pedelecs sind für uns nicht das gleiche wie Fahrräder. Wir sind der Meinung, dass außerorts S-Pedelecs auch auf die Fahrradinfrastruktur sollen dürfen. Genauso finden wir aber auch, dass sie innerorts nichts auf der Radverkehrsinfrastruktur zu suchen haben. Unsere niederländischen Kollegen haben jahrelang dafür gestritten, dass Mofas – also die über 45 km/h schnellen – von den Radwegen runterkommen. Gerade erst wurden dazu neue gesetzliche Regelungen erlassen. Wir dürfen auf keinen Fall den Fehler machen, in Deutschland diese potentiell sehr schnellen Fahrräder innerhalb der Städte auf die Infrastruktur zu lassen. S-Pedelecs sind wirklich Fahrzeuge, die auf die Straße gehören.

{b}Auf dem Vivavelo-Kongress haben Sie auch noch gefordert, dass die Fahrradbranche sich im Hinblick auf die Fahrradpolitik mehr engagieren müsste, wenn Sie wieder mehr Fahrräder verkaufen wolle. Welche Maßnahmen sollte die Fahrradindustrie Ihrer Meinung nach konkret ergreifen, um fahrradpolitisch aktiv zu werden?{/b}
Das ist klar gestaffelt. Zum einen erwarte ich selbstverständlich von jedem Fahrradhändler vor Ort, dass er sich in der lokalen Politik einmischt – genauso vom Genossenschaftsgeschäft wie vom großen Filialisten. In der Industrie sollten sowohl die Chefs sehr klar in der Politik erkennbar sein und dafür stehen, dass wir mehr Fahrradpolitik brauchen. Selbstverständlich sollten sie ihre Verbände aber auch uns und andere Lobbyverbände finanziell und mit Engagement unterstützen. Weiterhin müssen sie in ihrem Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen. Das heißt: selbst Fahrrad fahren, fahrradfreundlicher Arbeitgeber sein, die Abläufe so gestalten, dass auch kurze Fahrten in der Stadt mit dem Fahrrad gemacht werden können. Von einem großen Unternehmen erwarte ich auch, dass es sich in der Bundespolitik engagiert – was einige große Unternehmen, wie etwa Schwalbe, übrigens wunderbar tun.

4. Juni 2018 von Nadine Elbert
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