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Solarstrom scheint für viele die rettende Lösung aus dem Reichweiten-Dilemma. Aber ganz so einfach ist es nicht.
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Report - E-Bikes und Fernreise

Extremreisen unter Strom

Das E-Bike ist nicht zu bremsen. Ist der nächste Boom die Fernreise? Vieles spricht dafür – aber so einiges auch dagegen.

E-Bike und Tourismus kann man kaum mehr voneinander trennen. Wer heute in Urlaubsregionen auf dem Radweg unterwegs ist – und nicht nur da –, dem kommen vor allem am Wochenende mehr E-Biker als Radfahrer entgegen. Die ehedem kultivierte Reichweitenpanik hat deutlich nachgelassen. Das ist sicher gut so. E-Bike-Touren werden immer beliebter: 18 Prozent aller Radtourer und touristischen Radreisenden waren laut ADFC Radreiseanalyse 2017 mit dem Pedelec unterwegs – 2016 waren es nur 13 Prozent, eine enorme Steigerung. Tendenz vermutlich anhaltend.
Klar, was die kurzen Touren und ein- oder zweiwöchige Reisen in der Region oder den deutschen Ländern anbelangt, darf man wohl auch weiterhin mit einer Steigerung des Pedelec-Enthusiasmus rechnen. Schließlich gilt: Die touristischen Perlen lassen sich mit einem Pedelec besser auf die Routen-Kette ziehen als mit dem Fahrrad ohne Unterstützung. Vor allem, wenn hügeliges Terrain sie trennt. Das dürfte zur Folge haben, dass auch immer mehr wenig trainierte Radler den Radurlaub für sich entdecken. Der Radurlaubs-Boom geht also weiter.
Aber Kurztouren und Wochenendausflüge mit fest eingeplanten Übernachtungen in festen Unterkünften sind für den Pedelec-Fahrer etwas anderes als Fernreisen. Denn dabei weht dem zuschaltbaren Rückenwind ein strengerer Widerstand entgegen.

Schwerer Fall von Übergewicht

Das fängt schon mit dem systembedingten Mehrgewicht an: Der Antrieb macht die E-Bikes schwerer als Reiseräder ohne Zusatzantrieb, bei gleicher Zuladung müssen sie also so konstruiert sein, dass sie Stabilitäts-Reserven für das im Schnitt etwa sechs bis acht Kilogramm höhere Gesamtgewicht haben als Reiseräder, um die gleiche Gepäcklast aufzunehmen. Hier wären die Hersteller von E-Reiserädern gefordert. Viele von ihnen haben erst in den letzten Jahren ihre Reiseräder auf Systemgewichte von rund 140 Kilogramm gebracht – vor etwa 15 Jahren war das zulässige Gesamtgewicht noch gar kein Thema. Wer hier denkt: Alles im grünen Bereich, kann sich schnell eines Besseren überzeugen: Ein Radreisender mit 85 Kilogramm Lebendgewicht kommt komplett ausgestattet leicht auf etwa 90 Kilo. Nehmen wir an, das Reise-E-Bike wiegt 28 Kilogramm, so steht die Waage bereits auf der 118. Achtung: Noch haben wir hier kein Gepäck an Bord, das sich, beim Einsatz von Lowridern, schnell bei 40 Kilo einpendeln kann. Und jetzt bitte dasselbe mit einem deutlich übergewichtigen Fahrer ...

Mehr Masse – mehr Power – mehr Verbrauch

Das Gewicht stellt aber nicht nur für Rahmen und Träger eine Herausforderung dar: Gerade in gebirgigen Regionen wird der Antrieb durch Mehrgewicht gefordert. Probleme mit der Dauerleistung an langen Steigungen und mehr oder weniger Überhitzungsneigung bei unterschiedlichen Motorbauarten sind zu meistern. »Natürlich kann es da auch schnell für den Antrieb Probleme mit dem Gewicht geben«, so Stefan Stiener, Chef der Marke Velotraum, ein dezidierter Reiseradhersteller. Zum einen seien für die Fernreise bepackte E-Bikes auch für starke Motoren eine Herausforderung, »dabei kann der Akku schon mal nach 15 Kilometern im Mittelgebirge leer sein«, meint er. »Da schafft ein passionierter Reiseradler mehr, wenn auch langsamer.« Stiener guckt in Sachen Gewicht besonders auf den Motor und verbaut den Steps-Antrieb von Shimano für seine Mittelmotor-Modelle. Auch Modelle mit dem Heckantrieb Neodrives hat er im Programm. Trotzdem: »Schon die Anreise mit der Bahn kann schwierig werden, wiegt doch auch ein nur gering bepacktes E-Bike schnell über 40 Kilogramm. Schon die Treppe zum Bahnsteig ist ein Riesen-Hindernis!«

Heiß, kalt, schmutzig: Reicht die Robustheit?

Auch müsse der Antrieb auf Fernreisen oft einer extremen Witterung trotzen: Gegen sehr hohe und tiefe Temperaturen, eventuell hohem Wasserdruck bei Starkregen, Schlamm und ähnliches müssen Mechanik und Elektronik im Motor gewappnet sein.
Was Robustheit betrifft, da könne man schon jetzt am Beispiel der E-MTBs feststellen, dass sich viel getan hat, meint Michael Wild vom Shimano-Vertreiber Paul Lange. »Es ist mittlerweile viel möglich. Ein echtes Sorglos-System steht aber in der Entwicklung nicht an vorderster Stelle«, so der Kommunikationschef. Doch auch der Schutz für die empfindliche Elektronik würde immer besser. Der Kommunikationsleiter verweist auf Longus-Schutzhüllen für Akkus aus dem Lange-Portfolio.
Gewohnt zuversichtlich zeigt man sich bei Bosch: »Hochwertige und leistungsstarke E-Bikes sind robust und eignen sich auch für echte Extrem- und Abenteuerreisen«, sagt Tamara Winograd, Director Marketing &
Communictions bei Bosch. Der Antriebshersteller habe zudem bereits diverse Expeditionen unterstützt
und begleitet.

Je schwerer, desto weiter?

Doch vielleicht ist die immer noch größte Herausforderung das Lademanagement: Batterien brauchen heute im Schnitt drei Stunden Ladezeit für 400 Wattstunden. Das bedeutet: Je nach Untergrund, Gegenwind, Steigung und Unterstützungsstufe kommt man damit 20 bis 70 Kilometer. Schnelladegeräte, so die Hersteller sie anbieten, haben den Ruf, die Akkus sehr zu belasten und kurzlebiger zu machen – unabhängig davon braucht man auf der Reise zunächst aber auch erst die Möglichkeit, sie einzusetzen – sprich: einen Stromanschluss. Zusatz-Akkus machen die Ausrüstung um zweieinhalb bis dreieinhalb Kilogramm schwerer – und sind nicht zuletzt ein finanzieller Faktor: von 350 bis über 1000 Euro zahlt man, je nach Typus, für den zweiten Akku. Geht der Weg ohnehin in Richtung »mehr Akkus für mehr Reichweite«? Blickt man auf Riese und Müller, die fest mit Bosch verpartnert sind und viele Modelle mit zwei Akkus anbieten, könnte man das denken. Doch der Gewichtsnachteil ist nicht wegzureden.

Ist Sonne die Lösung?

Wesentlich länger als übers Wochenende, nämlich gut zwei Jahre ist Mark Harzheim unterwegs. Zur Zeit unseres Interviews ist er gerade in Laos. Da er dauerhaft Knieprobleme hat, auf eine Radreise aber nicht verzichten wollte, hat sein Reiserad von Patria eine Motorunterstützung. Es zieht auf Harzheims Weltreise einen zweispurigen Trailer, und der hat es in – oder besser, auf sich: Die komplette Länge von 1,40 Meter wird für ein Solarpanel genutzt. Zwei Batterien sind an Bord, eine hängt dabei ständig am Ladekabel – vorausgesetzt, die Sonne scheint. Das selbst gebaute Panel mit 40 Solarzellen hat eine Peak-Leistung von 142 Watt. Bei jedem längeren Halt werden Antriebs- und Ladebatterie getauscht. »Bei Idealbedingungen«, so Harzheim, also »wolkenlosem Himmel, hohem Sonnenstand und flacher Topografie, sind Verbrauch und Ladung in etwa ausgeglichen.« Nachladen über Nacht sei dann nicht erforderlich.
Mittlerweile hat Harzheim aber gemerkt, dass er meist auf seinen Trailer verzichten kann, heute spricht er von seinem System als einen »Range Extender«: »Wenn ich genau plane und mich darauf einstelle geht’s fast immer auch ohne. Ich kann fast überall Lademöglichkeiten finden.« Nur in Myanmar gab es nachts zu wenig Strom – »da war ich froh, dass ich den Hänger dabei hatte“, so Harzheim. Je mehr Kommunikation mit den Einheimischen, desto mehr die Möglichkeiten, nachzuladen. Für die Schleife, die er in den nächsten Wochen in Asien dreht, wird er den Trailer wohl nicht benötigen. Er schickt ihn deshalb voraus ins australische Outback. »Wer dort mit E-Bike unterwegs ist, der braucht so etwas definitiv. Trotzdem glaube ich, dass Solarstrom für Extremreisende eine absolute Nische bleiben wird«, resümiert Harzheim. Und wer ihn nicht unbedingt brauche, werde darauf verzichten. Denn auch wenn es technisch keine Probleme mit dem Trailer gab: Immer wieder gibt es Treppen ober sonstige Hindernisse zu überwinden – ein voll bepacktes E-Reiserad reicht da eigentlich schon als Herausforderung. Und für die meisten Reisenden gilt ohnehin der Grundsatz: Es so einfach wie möglich halten!

Organisation ist alles

Eine Vorreiterin in Sachen Fernreise auf dem E-Bike und in der Branche bestens bekannt ist Susanne Brüsch. Sie ist zuletzt per E-Bike von der kalifornischen Küste nach Denver in Colorado gefahren – 5.000 Kilometer quer durch die USA. Auf einer früheren Reise durch die Mongolei war sie mit Solarenergie, ebenfalls auf einem Trailer mit Panels gewonnen, unterwegs – nach eigenen Aussagen energietechnisch autark. »Das hat gut funktioniert«, erklärt sie auf unsere Nachfrage. »Allerdings braucht das Laden der Akkus Zeit. Das Nadelöhr war das Ladegerät. Wir brauchten 10 Stunden Sonnenlicht, um den 255-Wattstunden-Akku zu laden.« Diese Akkugröße war damals Standard bei Bosch. Das verwendete Gerät konnte die Solarpanels direkt mit den Akkus verbinden – Brüsch brauchte also keinen Spannungswandler und keine Pufferbatterie.
Bei der letzten Reise durch die USA waren Brüsch und ihre zwei Begleiter mit je drei Akkus (400 Wattstunden), aber ohne weitere Energiezufuhr unterwegs. »Mit einem Akku haben wir je nach Terrain, Gewicht und Unterstützungsmodus 50 bis 60 Kilometer geschafft.« Eine Tagesreichweite von rund 160 Kilometer. Nachgeladen wurde an Campingplätzen, notfalls auch mal an Tankstellen oder kleinen Restaurants. Aus Brüschs Sicht »macht Solarenergie auf jeden Fall unabhängiger von der sonstigen Infrastruktur. Was den Einsatz am Fahrrad angeht, gibt es aber noch viel Entwicklungspotenzial.« Unter anderem kann die Kompatibilität von Akkus und Solarladegerät noch eine Herausforderung darstellen, denn oft ist eine Pufferbatterie nötig – zusätzliches Gewicht.
Auch das Ehepaar Katzer hatte auf der letzten Fernreise – der nach eigenen Angaben bisher längsten, »non-supported« E-Bike-Expedition – Solarenergie im Schlepp: Der Hundeanhänger der beiden Weltenbummler transportierte auch ein Solar-Panel, das wiederum Energie an die sechs (!) Batterien abgab, die auf der Tour im ständigen Wechsel im Einsatz waren. Allerdings war, was das Panel an Energie kreierte, tendenziell eine Notration: Nur ein Bruchteil an Ladung konnte mit dem 60-Watt-Panel ergänzt werden. Im bergigen Gelände kommen die beiden mit ihren schwer beladenen Rädern etwa 30 Kilometer pro Akku, dazu kommen Nachladungen über genannte, vom Solarpanel geladene Batterie. Recht komplex also, und vor allem: gewichtsintensiv. Die Räder von Tanja und Dennis Katzer hatten bei ihrer letzten Reise um die 150 Kilogramm Systemgewicht, dazu kam der Hundeanhänger.
Shimano-Mann Wild sieht das Thema »individueller Solarstrom für E-Bikes« zumindest skeptisch. »Ich würde nicht sagen, dass Solarstrom völliger Schwachsinn ist. Wenn es irgendwann Solarpanels gibt, die effizient genug sind, warum nicht? Das ist aber sehr komplex und ich würde es derzeit nicht als ein wichtiges Entwicklungsthema einschätzen. Im Grunde geht’s zunächst mal einfach um die Effizienz«, sagt er. »Natürlich stehen wir noch am Anfang einer Entwicklung und momentan kann keiner genau sagen wohin die Reise geht. Vielleicht passen in naher Zukunft Zellen für 800 Wattstunden in unseren Akku, doch momentan sind wir noch nicht so weit.« Das ist für den Endverbraucher und Reiseenthusiasten derzeit sicher auch das beste Argument gegen die Solar-Unterstützung: Der Markt bietet kaum Produkte, die direkt und ohne Basteleien des Anwenders zu nutzen sind. Andererseits unterstützten die Nutzer auch immer mehr die Entwicklung für lange Reichweiten, so Wild. »Mit der Zeit merken die Leute, dass man die Unterstützung in vielen Situationen auch mal ausschalten und mit konventionellem Antrieb unterwegs sein kann.«

Akku unter Generalverdacht

Ein großer Hemmschuh für die Fernreise per E-Bike ist neben der Ladeinfrastruktur der Transport ins Reiseland: Akkus sind Gefahrengut und dürfen als solches nicht im Passagierflugzeug transportiert werden. Eine Möglichkeit für Menschen, die ihre E-Bike-Abenteuerreise dennoch antreten wollen, ist der Gefahrenguttransport zum Startort der Radreise: Nach festen Richtlinien werden die Akkus verpackt und per Frachtmaschinen transportiert. Bei manchen Fluglinien fliegen allerdings E-Bikes ohne Akku im Passagierflugzeug mit. Daher ist es – je nach Destination – auch eine gute Idee, sich im Reiseland die passenden Leih-Akkus zu reservieren und das Pedelec ohne Energieträger mitzunehmen.
Deutsche Züge nehmen derzeit E-Bikes mit. Allerdings ist zu beachten, dass man für alle ICs Fahrrad-Reservierungen braucht, ICEs mit Fahrradmitnahme gibt es nur sehr wenige – der Reisende muss sich also frühzeitig informieren und planen. Flexibilität beim Reisen sieht anders aus – schließlich ist man als Radfahrer stark vom Wetter abhängig und möchte vielleicht unvorhergesehen ein Teilstück abkürzen. In anderen Ländern gelten teilweise andere Bedingungen – hier hilft nur sehr sorgfältiges Recherchieren im Vorfeld. Velotraum-Chef Stiener sieht auch in dieser grundlegenden Einschränkung ein Handicap für die Durchsetzung des E-Bikes als Reiserad. »Der Grad an Organisation nimmt zu – und das ist schade. Schließlich ist das Sich-Treiben-Lassen gerade bei der Radreise das Salz in der Suppe.«

2. Juli 2018 von Georg Bleicher
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