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Fahrradsachverständiger in Sorge

„Die Nachfrage regt Personen an, die das schnelle Geld machen wollen“

E-Bikes und Pedelecs sind in den letzten Monaten in aller Munde und immer mehr Marktteilnehmer springen auf den Zug auf. Eine Entwicklung, die der Fahrradsachverständige Ernst Brust auch mit Sorge beobachtet: „Diese Nachfrage regt natürlich auch Personen an, die das schnelle Geld machen möchten und die sich wenig um Recht und Ordnung kümmern“, schreibt Brust im nachfolgenden Brief an velobiz.de. Darin fasst Brust die Entwicklung im E-Bike-Markt aus seiner Sicht zusammen und geht dabei auch auf die aktuelle Normen-Situation bei Pedelecs ein.

„ Pedelecs sind keine neue Erfindung, es gibt sie schon seit mehr als 15 Jahren, z. B. in Deutschland. Fahrräder mit additiver Motorunterstützung – die Pedalkraft wird verdoppelt – hatten aber einen großen Nachteil: die Speicherkapazität der Akkus reichte nur für kurze Distanzen.

Neu sind weder das Fahrrad noch der Elektromotor. Neu sind die Akkus. Sie haben den Absatz der Elektrofahrräder belebt und dadurch zur Entwicklung neuer Elektro-Hilfsantriebe und ihrer elektrischen Steuerungen geführt. Der neue Name war schell gefunden. Heute heißen sie Pedelec, Pedal Electric Cycle.

Die Schweiz ist Vorreiter in Europa bei der Einführung der Pedelecs, weil ihre Verordnungen nicht den EU-Richtlinien folgen müssen. In der EU gibt es eine Betriebserlaubnis für zwei- und dreirädrige Kraftfahrzeuge, die seit 1992 Elektro-Fahrräder ausschließt. Italiener, Spanier und Franzosen haben ihr Moped verteidigt und keine anderen Fahrzeuge zulassen wollen, die für Verkehrsanfänger ausreichen, aber den Moped-Absatz - ab 14 Jahre zugelassen – stören.

Die technischen Anforderungen an Pedelec sind einfach: Es gelten alle Bauvorschriften für Fahrräder und es darf ein Elektromotor zugeschaltet werden, der bis 25 km/h die Antriebsleistung des Radfahrers verdoppelt. 250 W Motorleistung sind dabei die Obergrenze.

Es haben sich einige Varianten herausgebildet. Diese Entwicklung hat aber erst begonnen. Grundlage ist die verbesserte Reichweite. Waren es früher 20 km, so erreicht man heute bis zu 70 km. Gelände, Fahrweise, Gesamtgewicht und Umgebungstemperatur haben großen Einfluss. Die Akkus können zum Laden entnommen werden. Im Idealfall wird man einmal mit Norm-Akkus fahren, die man an Stationen tauschen kann.

Die Motoren werden für drei Positionen angeboten:

1. Frontmotoren in der Vorderradnabe
Der Motor zieht an der Gabel, die Bremse wirkt an gleicher Stelle entgegengesetzt. Nur stabile Konstruktionen sind hierfür geeignet.
2. Mittelmotoren sitzen direkt am Tretlager und wirken über die Kette auf das Hinterrad
3. Heckmotoren sitzen direkt im Hinterrad

Frontmotoren haben zwei Vorteile: das Fahrrad bleibt in seiner Bauart unverändert und das Gewicht verteilt sich gut.
Der Nachteile: sie ziehen an der Gabel und haben bergauf weniger Bodenkontakt am angetriebenen Rad. Es kann leichter durchrutschen. Hinterradmotoren belasten dort, wo zu 60 % der Fahrer, zu 80 % die Batterie und zu 100 % der Motor und das Gepäck getragen werden müssen. Mittelmotoren bieten hier eine bessere Verteilung der Lasten. Die Bremsen eines Pedelecs müssen besser sein als die eines normalen Fahrrades gleicher Qualität. Eine größere Masse ist abzubremsen, die Geschwindigkeit, aus der gebremst wird, ist im Durchschnitt höher und es wird öfter und härter gebremst, weil der Motor beim Beschleunigen hilft.

Auch die Betriebsfestigkeit des Pedelecs muss größer sein als die eines vergleichbaren Fahrrades. Das Fahrzeug ist schwerer, Fahrbahnhindernisse werden sorgloser überfahren, es geht schneller in der Ebene und am Berg voran und es wird härter gebremst. Die ersten Bemühungen, dies in einer Pedelec-Norm festzuschreiben, sind kläglich gescheitert. DIN EN 15194 ist die Mindestanforderungen an einfachste Citybikes, ergänzt um eine mäßig angehobene Anforderung an Vorderradgabeln und an die elektromagnetische Verträglichkeit. Das kann man getrost als Einladung verstehen Billigstprodukte in den Markt zu pumpen.

Und von denen gibt es genug. In China werden 20 Millionen jährlich hergestellt, davon 0,5 Millionen exportiert. In Europa könnten diese Gurken spottbillig verramscht werden, wenn die Importeure nicht so gut verdienen würden. Der halbe Preis des „Flyer“ ist längst nicht die Untergrenze. Man muss, ähnlich wie bei Spielzeug aus China, Vergleichstests durchführen und die Ergebnisse publizieren. Die Schweiz ist der anspruchsvollste Fahrradmarkt in Europa- Es ist nicht zu erwarten, dass Billigschrott mit Motor Abnehmer findet.

Vormontiert (der Kunde trägt das Risiko falscher Endmontage) und ohne Service kostet es nur beim Kauf weniger. Während der kurzen Nutzung wird es dafür umso teurer! Preisgruppen kann man nicht nennen, weil es die beim Fahrrad auch nicht geben kann. Die Variationsmöglichkeiten sind zu breit gestreut.
Als Anhalt kann man etwa sagen, dass zum regulären Preis des Fahrrades ca. 50 % für Antrieb und Akku hinzuzurechnen sind.

Der beste Rat an wenig informierte Interessenten: Gehen Sie zu einem Fachhändler ihre Vertrauens, sagen Sie genau was sie wollen und was sie bezahlen werden und fahren Sie mehrere Modelle Probe. Es lohnt sich!

Für die nächste Zeit habe ich natürlich Wünsche. Die neue Fahrzeugart belebt und bereicht das Zweiradangebot. Die interessanten Fahrzeuge werden in großer Zahl gekauft, auch deshalb, weil es noch keinen Bestand alter Pedelecs gibt, aus dem man sich bedienen kann. Diese Nachfrage regt natürlich auch Personen an, die das schnelle Geld machen möchten und die sich wenig um Recht und Ordnung kümmern.

Der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet. Die Elektronik ist kaum zu bewerten. Schon werden abenteuerliche Kennlinien gebastelt und neue Höchstgeschwindigkeiten angeboten um Marktvorteile zu sichern. Hatten wir das nicht schon einmal mit dem 50 ccm Moped? Dem Markt eine gute Entwicklung, dem Hersteller ausreichend Vorschriften und dem Kunden.“

allzeit gute Fahrt wünscht

Ernst Brust

3. Juli 2009 von Jürgen Wetzstein

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