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Jay Townley
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Die Ära der unbegrenzten Lustkäufe ist vorbei

"Amerikanische Verbraucher sind sehr sparsam geworden"

Eine Arbeitslosigkeit, die bundesweit auf 10 % zusteuert, Staatsschulden in Rekordhöhe, eisern sparende Verbraucher, und als wäre dies noch nicht genug Ärger, spielt auch noch regelmäßig das Wetter verrückt: Amerikanische Einzelhändler haben es gegenwärtig nicht gerade leicht. Dagegen geht es zwar dem Fahrradhandel in den USA noch vergleichsweise gut, doch ganz ohne Folgen bleibt die Rezession auch hier nicht. Im Interview mit velobiz.de berichtet Branchen-Analyst Jay Townley, welchen Herausforderungen sich amerikanische Bike-Shops gegenwärtig stellen müssen.

Jay Townley kann wohl auf eine der ungewöhnlichsten, aber auch längsten Karrieren im amerikanischen Fahrradmarkt zurückblicken. 1957 fing Townley als einfache „Shop Rat“, amerikanischer Jargon für einen Aushilfsverkäufer, in einem Fahrradladen an. Schon bald kamen einige Stationen in der Fahrradindustrie dazu, etwa als Marketing-Direktor bei der US-Fahrradikone Schwinn oder als Geschäftsführer der amerikanischen Giant-Niederlassung. Darüber hinaus war Townley zeitweise auch Inhaber eines Radreiseveranstalters sowie Geschäftsführer des US-Branchenverbands The Bicycle Council. Seit einigen Jahren nun schon nutzt Townley seine inzwischen über 50 Jahre Branchenerfahrung, um das Geschehen im amerikanischen Markt mit kritischem Blick und oft auch mit scharfer Zunge zu analysieren. Sein alljährlicher Vortrag auf der Interbike über den „State of the Bicycle Market“ ist dabei ein kurzweiliger, aber auch sehr informativer Pflichttermin für viele Marktteilnehmer. velobiz.de hat sich während der Interbike mit dem Branchen-Analysten über den Zustand des amerikanischen Fahrradmarkts unterhalten.

{b}velobiz.de: Jay, die weltweite Rezession hat auch in den USA einige Spuren hinterlassen. Inwiefern hat sie das Verhalten amerikanischer Verbraucher verändert?{/b}

Jay Townley: Die auffälligste Veränderung ist, dass die amerikanischen Verbraucher quer durch alle Einkommensklassen sehr sparsam geworden sind. Wenn Verbraucher hierzulande gegenwärtig eine Anschaffung tätigen, dann werden sie versuchen, so wenig wie möglich Geld auszugeben, um das zu bekommen was sie wollen. Im Vordergrund stehen die Grundbedürfnisse. Und wenn das verfügbare Einkommen nicht ausreicht, um sich mehr als das zu leisten, dann wird auch nicht mehr ausgegeben. In der Outdoor-Branche wurde jüngst eine Studie durchgeführt, die ein gutes Beispiel für diese Entwicklung ist: Früher hat ein Kunde in einem Outdoor-Shop bei einer größeren Anschaffung im Schnitt noch 100 USD für entsprechendes Zubehör ausgegeben. Die Studie zeigt, dass solche Zusatzkäufe nicht mehr stattfinden. Diese Entwicklung lässt sich auch auf andere Branchen übersetzen. Egal ob Motorräder, Bekleidung oder eben auch Fahrräder: Die Verbraucher erfüllen sich gegenwärtig nur ihre Grundbedürfnisse, Lustkäufe finden hingegen nicht mehr statt. Im Gegenzug werden Kaufentscheidungen sehr sorgfältig überlegt. Verbraucher informieren sich vor dem Kauf mehr über Produkte, zum Beispiel im Internet. Aber auch die Empfehlung von Freunden und Bekannten hat hier einen höheren Stellenwert bekommen.

Ein weiterer auffälliger Trend ist die zunehmende Regionalität des US-Marktes. Das ist eine Entwicklung, die schon ab 2006 feststellbar war, die aber durch die Rezession noch verstärkt wurde. Es gibt beispielsweise immer mehr Regionen in den USA mit einer überwiegend alten Bevölkerung, zum Beispiel die Staaten im Nordosten. In Kalifornien und den anderen westlichen Bundesstaaten finden Sie hingegen deutlich mehr Haushalte mit Kindern. Und in den südlichen Staaten hat der Anteil der spanisch sprechenden Bevölkerung deutlich zugenommen.

{b}velobiz.de: War der US-Markt vor 2006 homogener? {/b}

Jay Townley: Ja. In den einzelnen Regionen der USA waren bis ungefähr 2001 keine besonderen Unterschiede in der Zusammensetzung der Bevölkerung feststellbar. Danach hat eine allmähliche Entwicklung eingesetzt, die aber noch ein paar Jahre gebraucht hat, bis wirklich deutliche Veränderungen spürbar wurden.

Was nun noch dazu kommt, ist die Arbeitslosigkeit, die in den USA im nationalen Schnitt gegenwärtig bei 9,7 % liegt. Aber dieser Schnitt sagt wenig über die tatsächliche Situation in den einzelnen Regionen aus: Manchen Staaten geht es mit fünf bis sechs Prozent Arbeitslosigkeit noch recht gut, in anderen Teilen der USA liegt sie schon bei über 12 %.

{b}velobiz.de: Was wäre denn für die USA ein normaler Prozentsatz?{/b}

Jay Townley: Fünf Prozent wären normal. Und über sechs bis sieben Prozent würde man sich noch nicht sonderlich Gedanken machen. Ab acht bis neun Prozent fängt die Bevölkerung aber an, sich Sorgen zu machen. Für Ende 2009 hatten die zuständigen Behörden noch vor ein paar Monaten eine Arbeitslosigkeit von ungefähr acht Prozent erwartet. Nun steuern wir wohl eher auf die zehn Prozent zu. Und 2010 wird die Arbeitslosigkeit wohl nicht wie ursprünglich erwartet unter neun Prozent liegen, sondern eher nur knapp unter zehn Prozent.

Insgesamt kommen also mehrere Faktoren zusammen: ein demografischer Wandel und eine regionale Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Das Verbraucherverhalten kann dadurch von Region zu Region sehr unterschiedlich sein.

{b}velobiz.de: Demnach ist es also denkbar, dass manche Händler noch ganz gute Geschäfte machen, während anderen gerade der Markt weg bricht... {/b}

Jay Townley: Ja, absolut. Händler müssen in den USA gegenwärtig sehr individuelle Strategien für ihre jeweiligen Märkte entwickeln.

Die zwei Faktoren, Sparsamkeit der Verbraucher und Regionalität der Märkte, haben wohl gegenwärtig den größten Einfluss auf den Einzelhandel. Was noch dazu kommt, ist das Wetter. Nun ist es zwar so, dass Fahrradhändler überall auf der Welt grundsätzlich über das Wetter klagen. Was aber zumindest in den USA tatsächlich der Fall ist, dass wir hier in den letzten Jahren häufiger extreme Wettersituationen und ein immer wärmeres Klima hatten. In manchen ohnehin schon warmen Regionen wird es dadurch allmählich zu warm für Outdoor-Aktivitäten.

„Keep it simple ist in der gegenwärtigen Situation eine gute Strategie für den amerikanischen Fahrradhandel“

{b}velobiz.de: Inwiefern beeinflussen die von Ihnen beschriebenen veränderten Rahmenbedingungen den Fahrradhandel? {/b}

Jay Townley: Die Sparsamkeit der Verbraucher hinterlässt natürlich auch im Fahrradmarkt Spuren. Der bisher recht attraktive Markt für Rennräder über 3000 USD ist beispielsweise praktisch nicht mehr vorhanden. Die Fachhändler müssen deshalb nun andere Warengruppen und Preisklassen in den Mittelpunkt stellen. Und sie müssen ihr Sortiment einfacher stricken: Wenn die Verbraucher eine Kaufentscheidung nur schwer fällen, sollte sie nicht noch durch eine übermäßige Auswahl erschwert werden. Es ist jedenfalls gegenwärtig wenig sinnvoll, in einer Kategorie fünf bis sechs Modelle zu führen, die nur 20 oder 30 USD auseinander liegen. Sinnvoller ist eine Strategie „gut, besser, am besten“ mit vielleicht 100-USD-Sprüngen zwischen den einzelnen Modellen. „Keep it simple“ ist in der gegenwärtigen Situation eine gute Strategie für den amerikanischen Fahrradhandel.

{b}velobiz.de: Sind die Zeiten, in denen ein teures Rennrad oder Mountainbike auch als Statussymbol von wohlhabenden Bevölkerungsschichten gekauft wurde, demnach vorbei? {/b}

Jay Townley: Ja, diese Zeit ist vorerst vorbei. Das ist vielleicht nur ein vorübergehender Trend. Wir haben in den letzten Jahren in den USA jedenfalls viele Räder bis 12.000 USD verkauft. Hier spielt inzwischen sicherlich auch eine gewisse Sättigung des Marktes eine Rolle. Ob dieser Markt wieder kommt, werden wir erst wissen, wenn die Rezession vorbei ist. Im Moment werden sicher eher Rennräder in der Preisklasse 2000 bis 3000 USD gekauft.

{b}velobiz.de: Tendieren die preissensiblen US-Verbraucher nun wieder mehr dazu, Fahrräder bei Wal Mart und anderen branchenfremden Händlern einkaufen? {/b}

Jay Townley: Grundsätzlich ist es sicherlich so, dass das gegenwärtige Konsumklima mehr Verbraucher in die großen Märkte treibt. Wir hören aber auch, dass die Mass Merchants aufgrund der geringen Margen bei Fahrrädern gegenwärtig wenig begeistert von diesem Sortiment sind und deshalb andere Schwerpunkte setzen.

{b}velobiz.de: Gibt es vielleicht auch eine gegenläufige Entwicklung dahingehend, dass Verbraucher jetzt nachhaltiger denken und eher dazu tendieren, ein Qualitätsprodukt im Fachhandel zu kaufen? {/b}

Jay Townley: Nachhaltigkeit ist langfristig sicher ein wichtiger Trend. Aber das Qualitätsniveau bei den großen branchenfremden Fahrradverkäufern wie Wal Mart oder auch Dick’s Sporting Goods ist selbst in den unteren Preisklassen inzwischen recht gut. Der auffälligste Unterschied zum Angebot im Fachhandel ist eher die kleinere Auswahl an Zubehör und Rahmengrößen. Die Qualität der Fahrräder bei den Mass Merchants ist für den durchschnittlichen amerikanischen Verbraucher mehr als akzeptabel.

{b}velobiz.de: Hat sich das in den letzten Jahren geändert? Mein Bild von Fahrrädern bei Wal Mart war bisher eher von einfacher Qualität geprägt…{/b}

Jay Townley: Ja, ich denke das hat es. Und es hängt vor allem damit zusammen, dass Händler wie Wal Mart möglichst wenig Ärger mit Rückläufern haben wollen. Zudem sind auch die gesetzlichen Bestimmungen in den USA bei der Abwicklung von Gewährleistungen inzwischen strenger.

{b}velobiz.de: Wenn ich mich hier auf der Interbike umschaue, sehe ich immer noch viele Rennräder und eine deutlich größere Zahl von City-Rädern. Was ich nicht mehr so häufig sehe, sind Mountainbikes. Reflektiert dies einen Trend im amerikanischen Fahrradmarkt? {/b}

Jay Townley: In gewisser Weise ist das wohl so. Aber es handelt sich hier eher um eine allmähliche Entwicklung. Durch die wachsende Popularität der Urban Bikes sind Mountainbikes in diesem Jahr etwas aus dem Fokus der Branche gerutscht. Und nahezu alle wichtigen Anbieter haben in diesem Jahr neue Linien für die Stadt vorgestellt. So gesehen kann man sicherlich zumindest behaupten, dass Urban Bikes der Gewinner der Saison sind.

{b}velobiz.de: In den letzten Jahren wurden in den USA auf nationaler und kommunaler Ebene große Anstrengungen – auch finanzieller Art - unternommen, um die Städte fahrradfreundlicher zu gestalten. Hat sich das angesichts der rezessionsbedingten Probleme geändert? {/b}

Jay Townley: Der Fahrradverkehr zählte zwar auch in der Vergangenheit nicht zu den dringendsten Sorgen der Regierung, aber es wurde hier in den letzten Jahren dennoch einiges in Bewegung gesetzt. Im Haushaltsplan für das Verkehrswesen stehen gegenwärtig zwar immer noch Mittel für den Fahrradverkehr, aber angesichts der zahlreichen anderen Probleme und des wachsenden Haushaltsdefizits ist eine Förderung des Fahrrads für manche Leute derzeit weniger wichtig als noch vor ein bis zwei Jahren. Und irgendwann werden wir anfangen müssen, das Haushaltsdefizit abzutragen. Ob sich dadurch die Situation für die Fahrradförderung verschlechtern wird, lässt sich im Moment noch nicht sagen. Aber den Lobbyisten der Fahrradbranche stehen sicherlich einige schwierige Jahre bevor.

{b}velobiz.de: Jay, vielen Dank für dieses interessante Gespräch. {/b}

14. Oktober 2009 von Markus Fritsch

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