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Die Sonne lachte zu Beginn der Fahrradsaison
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Die Fahrradsaison 2007 zeigte viele Gesichter:

Industrie und Handel ziehen unterschiedliche Bilanz

Dass der Start in die Fahrradsaison berauschend war, darüber sind sich alle Markteilnehmer im Gespräch mit velobiz.de einig. Doch beim späteren Verlauf der Saison gehen die Meinungen über Erfolg oder Misserfolg auseinander. Unterm Strich gibt es dennoch einen Konsens: Die Saison 2007 kann durchaus als eine der Besseren in der jüngeren Fahrradchronik verbucht werden, auch wenn von der zunächst euphorischen Stimmung im Fachhandel zum Ende der Saison nicht mehr viel übrig blieb. Händler und Hersteller ziehen bei velobiz.de im großen Rückblick eine Bilanz über das Fahrradjahr 2007.

Die Sonne lachte zu Beginn der FahrradsaisonLicht und Schatten wechselten sich abRennradfahren, so wie es Spaß macht - ohne Doping.

Biergarten-Wetter im Februar

Wie sehr das Business mit Fahrrädern einer Achterbahnfahrt gleicht, lässt sich gut an den letzten zwei Jahren ablesen: Während die Marktteilnehmer in den ersten Monaten des Jahres 2006 arg unter dem nicht enden wollenden Winter litten, ging es Anfang 2007 gleich in die Vollen: Bereits im Februar herrschte an vielen Wochenenden Biergarten-Wetter, das viele Menschen schon lange vor der eigentlichen Saison aufs Fahrrad lockte. Hinzu kam, dass viele sportlich orientierte Verbraucher noch mit gut gefülltem Geldbeutel ins Jahr starteten, weil Ausgaben für Wintersportaktivitäten mangels Schnee kaum getätigt wurden – zum Leidwesen der Sportartikel-Branche, die drastische Einbußen im Wintergeschäft verglichen zum schneereichen Winter 2005/2006 hinnehmen musste.

Handel verliert nach furiosem Start im Laufe der Saison wieder an Boden

Der Fahrradbranche war es Recht: Viele Fahrradhändler meldeten in den Monaten Februar und März Rekordumsätze. Die Branche hatte Hoffnung auf ein ähnlich starkes Jahr wie zuletzt im Jahrhundertsommer 2003. Doch die Rechnung wird erst zum Ende der Saison gemacht, wie alte Branchenhasen wissen. Wie beispielsweise Louis-Dieter Hempelmann, Senior-Chef von Lippe-Bike in Lage und gleichzeitig Vorsitzender vom Verband Deutscher Zweiradhändler (VDZ): „Klar konnte man nach dem starken Start Glücksgefühle bekommen. Jedoch habe ich mich nicht von der Euphorie täuschen lassen“, so Hempelmann und fügt den Grund im gleichen Atemzug dazu: „Ich bin schon so lange im Geschäft und ich weiß, dass sich so was meistens im Verlauf eines Jahres wieder ausgleicht.“ Und rückblickend hat Hempelmann Recht behalten, wie auch Albert Herresthal, der geschäftsführende Vorstand vom Verbund selbstverwaltender Fahrradbetriebe (VSF), bestätigt: „Das erste Quartal war natürlich phantastisch, wobei die Nachfrage bei unseren Mitgliedern im zweiten Quartal schon wieder spürbar nachgelassen hat“. Der Grund war eine Phase mit erheblichen Schwankungen im Markt, die sich auch in der Auftragsentwicklung bei Fahrradherstellern niederschlug: „Zeiten mit Nachfrageschüben standen Zeiten gegenüber, wo regelrecht ‚tote Hose’ war“, berichtet Heiko Müller, Geschäftsführer von Riese und Müller aus Darmstadt. Diese Schwankungen, ausgelöst durch den schnellen und häufigen Wechsel von Schön- bzw. Schlechtwetterperioden, haben vor allem im Handel Spuren hinterlassen: „Man hört von vielen Händlern, dass der Vorsprung, der im Frühjahr erzielt wurde, jetzt beinahe wieder aufgezehrt ist“, berichtet z.B. Steffen Alberth, Vertriebsleiter der Winora-Group. Eine Einschätzung, die auch Fahrradhändlerin Erika Gruber bestätigt: „Von den Zuwächsen im März und April ist bis heute nicht viel übrig geblieben“. Die unbeständige Wetterlage hätte nicht nur zu Umsatzeinbußen bei Regenperioden geführt. Problematisch sei auch die Personalplanung in den Sommermonaten gewesen. Gruber erklärt warum: „In Zeiten, in denen viel los ist, arbeiten wir mit Aushilfskräften“. Doch die Phasen mit Hochbetrieb waren in dieser Saison schwer abzusehen. Die Folge bei Radsport Gruber: „Wir hatten oftmals den Laden voll und dann einfach zu wenig Verkaufspersonal und im Gegenzug bei unerwartet schlechtem Wetter zu viele Verkäufer für wenige Kunden.“ Eine unbefriedigende Situation in beiden Fällen für Kunden und die Geschäftsinhaberin.

Lieferengpässe sorgten für Verärgerung im Handel

Zum unwägbaren Saisonverlauf kamen in diesem Jahr noch erhebliche Lieferprobleme der Industrie, insbesondere zu Beginn der Saison. Besonders ärgerlich, so klagen Fahrradhändler, war, dass selbst die Vororder zum Teil mit erheblicher Verspätung ausgeliefert wurde und man bei ausstehenden Lieferungen von einer Woche auf die andere vertröstet wurde. Deutliche Worte findet hier Erika Gruber gegenüber velobiz.de: „Das kann doch nicht sein, dass Ware, die ich auf den Herbstmessen geordert habe, erst im Mai ausgeliefert wird.“ Erst als die Saison ihren Höhepunkt schon beinahe überschritten hatte, wären die Pakete der Lieferanten vor der Tür gestanden, so Gruber. „Die Lieferanten wollen unser Geld, und lassen uns dann so hängen. Das muss sich künftig unbedingt ändern“, ärgert sich Gruber. So konnten Kundenwünsche nicht erfüllt werden und manches Geschäft kam deshalb nicht zustande. Mit diesen Problemen hatte jedoch offensichtlich nicht nur der stationäre Fachhandel zu kämpfen. In Publikumszeitschriften beschwerten sich zur gleichen Zeit viele Leser, dass als Testsieger prämierte Modelle aus dem Versandhandel über Wochen hinweg nicht lieferbar gewesen sind. Die Lieferproblematik wird von Herstellern und Importeuren nicht bestritten: „Zu den Engpässen bei den Produzenten in Asien kam in diesem Jahr der sehr frühe Saisonstart noch dazu“, erklärt z.B. Claus Wachsmann, Vertriebs- und Marketing-Mann bei Bike-Anbieter Cube. Allerdings habe sich die Lage später wieder entspannt. Jedoch müsste der Handel künftig ebenfalls besser planen und öfter mal ihre Statistiken lesen, so Wachsmann. Viele Händler seien zu wenig realistisch in ihren Einschätzungen und würden viel zu wenig oder viel zu spät ordern.

Industrie schätzt die Lage des Handels positiv ein

Auf Lieferantenseite ist man dennoch überzeugt, dass der Handel im Großen und Ganzen ein gutes Jahr hingelegt hat. Ein Indiz dafür nennt Winora-Mann Alberth: „Viele Händler haben in Punkto Preiskampf die Füße lange stillgehalten“, und steht dabei mit seiner Einschätzung nicht alleine da. „Rabatte waren in dieser Saison nicht so das große Thema“, wie Heiko Müller erklärt. Ganz ohne Preisaktionen ging es dennoch nicht ab, „aber die liefen erst sehr spät an“, so Alberth. Aus Sicht der Lieferanten ergibt sich so im Handel eine komfortable Situation: „Die Lager bei den Händlern sollten bis zur Messe gut geleert sein“, meint beispielsweise Christian Wagner vom Kelheimer Großhändler Feldmeier. Auch Steffen Alberth meint, dass selten zuvor zu diesem Zeitpunkt so wenige Räder auf dem Markt noch verfügbar gewesen wären. Demzufolge hoffen Lieferanten nun für 2008 auf eine rege Vorordertätigkeit ihrer Handelskunden.

Mit dieser Erwartung im Hinterkopf, sind zurückhaltende Stimmen unter den Fahrradanbietern in Bezug auf den bisherigen Saisonverlauf eher die Ausnahme. „Ich glaube in diesem Jahr kann sich keiner in der Branche beschweren“, ist sich auch Sven Mack, Geschäftsführer von Freeride-Spezialist Sportsnut sicher. Auch Daniel Kohl, Geschäftsführer von Bike-Schmiede Bionicon spricht von einer guten Saison, „die wahnsinnig früh“ los ging und eigentlich auch recht lang dauerte. Erst Mitte Juli und im August sei das Geschäft abgeflacht, was aber „ganz normal“ sei. Auch bei größeren Anbietern, wie z.B. der Winora-Group mit ihren Marken Winora, Staiger, Hai und Sinus oder bei Importeur Cube spricht man von einem „erfolgreichen“ Jahr. Nicht ganz so euphorisch, aber auch nicht unzufrieden klingt da Heiko Müller: „Die Stimmung ist nicht unbedingt so überschwänglich, wie es vielleicht nach den ersten Monaten ausgesehen hat. Wir bewegen uns auf konstantem Niveau und sind ganz zufrieden damit“ – vor allem auch deshalb, weil es keine Überhänge gäbe und man jetzt mit guten Erwartungen zur Messe fahren könne.

Positive Stimmen kommen auch von Teilelieferanten, die möglicherweise von Lieferengpässen bei den Fahrradherstellern profitiert hätten, wie z.B. Tobias Hild, Geschäftsführer von Ergonomiespezialist SQlab vermutet. Für sein Unternehmen kann er jedenfalls berichten, dass es „hervorragend“ lief und der „übliche Knick nachdem die Vororder ausgeliefert ist“ in diesem Jahr ausblieb. Gerade im Teilebereich dürfte sich besonders positiv bemerkbar gemacht haben, dass in diesem Jahr extrem früh angefangen wurde, Rad zu fahren. Was Hild zudem optimistisch stimmt: „Das Rad als intelligentes Mittel der Mobilität wird nicht zuletzt aufgrund der in diesem Jahr verstärkt aufkommenden Klimadiskussion nicht mehr in Frage gestellt.“

City- und Trekkingräder zeigten sich besonders wetteranfällig

„In diesem Jahr zeigte sich deutlich, dass wir eine wetterabhängige Branche sind“, so Händler Hempelmann. Insbesondere der City- und Trekkingradbereich habe dabei besonders stark auf die Wetterschwankungen reagiert. „Das war, als ob man einen Schalter umgelegt hätte“, so Hempelmann. Auch auf Lieferantenseite wird in diesem Bereich von einem eher „durchschnittlichen“ Geschäft bei Alltagsrädern gesprochen, das den anderen Segmenten hinterher hinkt. Im Trekking-Bereich wurde offensichtlich stärker als bisher auf leichtere Varianten, wie z.B. Cross-Trekking-Räder ausgewichen. Eine Entwicklung, die auch Hempelmann feststellt: Oftmals werde dieser Radtyp einem Mountainbike oder Rennrad vorgezogen. Dass es im City- und Trekkingbereich nicht so richtig rund läuft, hat auch Fahrradhändlerin Gruber festgestellt. Als Grund hat Gruber aber auch eine verfehlte Modellpolitik der Hersteller ausgemacht. Gerade für die ältere Generation sind die vorhandenen Modelle einfach zu schwer. „Nicht jedes City- oder Trekkingrad braucht eine Federgabel und einen Nabendynamo“, so Gruber. Ein leichtes Fahrrad, das wartungsarm ist, sei das, was diese Generation sucht. Sie fordert: „Die Hersteller müssten bei der Modellplanung viel mehr den Handel mit einbeziehen. Schließlich kennen wir unsere Kunden am besten.“

Rennräder und der Dopingsumpf

Unweigerlich mit der Fahrradsaison 2007 ist die Diskussion um Doping im Radsport verbunden. Die Frage, ob die Negativ-Schlagzeilen den Abverkauf von Rennrädern beeinträchtigt haben oder nicht, lässt sich nur schwer beantworten. „Doch sollte man angesichts des Ausmaßes jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, fordert z.B. Hans Höppel, Geschäftsführer von Großhändler Astro-Rad (Staffelstein). Höppel sieht vor allem im Einsteigerbereich erhebliche Rückgänge im Abverkauf. Jene Kunden würden fehlen, die sich durch die Präsenz des Radsports in den Medien sonst für den Kauf eines Rennrads interessieren würden. Höppel befürchtet zudem, dass die Medienpräsenz durch den Rückzug vieler Sponsoren in kommenden Jahren noch geringer werden wird. Radhändler Hempelmann stimmt dem zum Teil zu: „Wenn wir eine Tour de France gehabt hätten, in der etwa ein Jan Ullrich um den Sieg mit gefahren wäre, dann hätte dies schon positive Auswirkungen gehabt. Solche ‚me-too’-Effekte wie sie extrem in den 70-er Jahren bei den Erfolgen von Didi Thurau auftraten, fielen natürlich weg“. Um den Rennradabverkauf macht sich Hempelmann jedoch trotzdem wenig Sorgen: „Die Rennradfreaks werden sich von den Skandalen bestimmt nicht beeinflussen lassen und weiterhin für Umsatz sorgen“.

Bei Mountainbikes ist viel Bewegung in der Nische

Im Abverkauf von Mountainbikes haben sich im Vergleich zu den Vorjahren keine entscheidenden Trendänderungen ergeben. Bei den Fullys können zwar weiterhin hohe Verkaufspreise erzielt werden. Doch hier ist die Luft recht dünn, weil die absetzbaren Stückzahlen begrenzt sind. So spricht Cube-Manager Claus Wachsmann für seine Marke zwar von einem leicht wachsenden Fully-Absatz, der aber nicht vergleichbar wäre mit den Verkaufserfolgen im Hardtail-Bereich. „Das ist eine Frage des Preises. Für 1500 bis 2000 EUR bekomme ich mit einem Hardtail bereits hervorragende Leistung fürs Geld, für ein Fully hingegen sind dann schon mal 3000 bis 4000 EUR fällig“. Hersteller, die hierzulande fertigen, berichten über einen harten Konkurrenzkampf mit den Produzenten aus Fernost, wie z.B. Bergwerk-Geschäftsführer Werner Zebisch. „Wir müssen jenes Klientel gewinnen, das noch Wert auf einen in Deutschland gefertigten Rahmen legt“, so Zebisch. Auch sei die Zusammenarbeit mit dem Handel in diesem Bereich schwieriger geworden, da kaum ein Händler mehr bereit wäre, sich dort mit einer höheren Anzahl von Rädern einzudecken. Mehr Bewegung scheint im Freeride- oder Dirt-Bereich zu stecken. „Immer mehr Fahrradhändler, auch solche die eher konservativ aufgestellt sind, steigen dort mit einer Ecke im Laden ein“, freut sich Freeride-Spezialist Sven Mack von Sportsnut.

Positive Gesamtbilanz

„In der Gesamtbilanz“, so schätzt VDZ-Vorstand Hempelmann, „wird man feststellen, dass es ein durchschnittliches Jahr mit durchschnittlichem Erfolg war“ – was nach den zuletzt schwierigen Jahren im Fahrradmarkt vielleicht schon als Erfolg gewertet werden darf. Eine grundsätzlich positive Gesamtbilanz zieht VSF-Frontmann Albert Herresthal für seine Mitgliedsbetriebe. Jedoch gibt er die weite Bandbreite im Geschäftserfolg zu bedenken, in der sich die Läden bewegt hätten: „Läden in denen es sehr gut gelaufen ist, stehen genauso Läden gegenüber, die ein richtig schlechtes Jahr hingelegt haben“ – zumindest in dieser Beziehung fällt 2007 dann schon wieder nicht aus der Rolle...

23. August 2007 von Jürgen Wetzstein

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