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Report - Nachhaltigkeit

Bikewear – eine Gewissensfrage?

Nachhaltigkeit ist also mehr als nur Klimaschutz, sie beinhaltet auch eine ökonomische, ökologische und soziale Komponente. Wie konsequent verfolgt der Bike-Bekleidungs-Markt das Thema Nachhaltigkeit? Oder anders gefragt: Hat Bikewear ein gutes Gewissen?

Immer mehr Menschen verhalten sich beim Kauf bewusster, kaufen Bio-Produkte, bevorzugen Fair-Trade-Artikel, beziehen Ökostrom und fahren mit dem Fahrrad ins Büro. Da überrascht es nicht, dass nur 3 % aller Deutschen den Begriff »Nachhaltigkeit« noch nie gehört haben. So jedenfalls das Ergebnis einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage des IFH Köln in 2011. Beim Endverbraucher ist – zumindest der Begriff – also inzwischen angekommen.

Aber was genau ist mit Nachhaltigkeit gemeint? Der Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung definiert wie folgt: »Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirtschaften bedeutet also: Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.«

Nachhaltigkeit als ­Kaufkriterium

Laut IBH-Handelsreport achten Konsumenten immer mehr darauf, ob Konsumgüter- und Handelsunternehmen verantwortungsvoll und nachhaltig handeln. Damit ist nicht nur gemeint, dass ökologische Aspekte beachtet, sondern dass verstärkt auch darauf geschaut wird, was in Medien und sozialen Netzwerken über Hersteller und Handel berichtet wird. Mit dieser Einschätzung ist das IBH nicht alleine: Fast alle großen Bikewear-Marken in Deutschland sind sich einig, dass sich dieser Trend auch beim Bikewear-Kauf über die nächsten Jahre weiter verstärken wird. Matthias Reichwald, Country Manager Deutschland bei Odlo, sagt: »Das Bewusstsein wächst stetig. Der Druck seitens der Konsumenten wird höher werden und damit auch die Umsätze in diesem Bereich.«
Vor allem die Medien befeuern gegenwärtig das Bewusstsein für Nachhaltigkeit beim Verbraucher. Wie zum Beispiel mit dem erfolgreichen ARD-Format »Marken-Check«. Montags zur besten Sendezeit werden populäre Konsummarken wie etwa Adidas auf den Prüfstand gestellt. Gewiss ist das Format ein wenig reißerisch und simplifiziert, es trägt aber dazu bei, dass Endkonsumenten bewusster entscheiden, welche Produkte sie kaufen.

Neue Marken, neue ­Communities

Nachhaltigkeit als Hauptaspekt beim Kauf von Bike-Bekleidung ist jedoch bisher nur erst bei wenigen Kunden ein kaufentscheidendes Kriterium. Auch besetzen nur wenige Hersteller diesen Aspekt konsequent. Ein Beispiel: Triple2, eine relativ neue, ökologische Bike-Marke, die sich mit Naturmaterialien auseinandersetzt und aus der Nische mit einer kleinen Kollektion neue Kundengruppen gewinnt.
Doch die Vielfalt der Fahrradfahrer, die mit unterschiedlicher Motivation das Fahrrad als Fortbewegungsmittel nutzen, wächst. Da sind style-orientierte Urban-Biker, Wieder- und Neueinsteiger auf dem E-Bike, Pendler, um nur einige zu nennen. Sogar Levi’s hat mit seiner Commuter Linie den Nährboden erkannt für neue Konzepte. Im konkreten Fall zwar ohne Nachhaltigkeitsversprechen, aber dennoch ein Indiz, dass neue Communities bedient werden wollen.

Outdoor-Nähe als Vorteil

Das wachsende Endkonsumenten-Bewusstsein nutzt insbesondere den Marken, die eng mit dem Outdoor-Markt verbunden sind. So liegen Umweltschutz und ein respektvoller Umgang mit Pflanzen, Tieren und deren Lebensraum »in der Natur der Sache«, wie Katrin Riedel von Deuter feststellt. Der Outdoor-Markt nimmt bei der Nachhaltigkeit ohnehin bereits eine Vorreiter-Rolle ein. Die outdoor-nahen Marken werden von einem neuen Bewusstsein der Verbraucher profitieren, denn sie sind in ihren Strukturen und Prozessen, der Transparenz und Kommunikation und natürlich mit ihren Produkten schon auf dem richtigen Weg.


Immer mehr Unternehmen, wie hier Vaude, setzen hohe Maßstäbe beim Umgang mit den Mitarbeitern

Kein Thema für uns

Etwas verwunderlich ist vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass es immer noch namhafte Hersteller von Bike-Bekleidung und Accessoires gibt, bei denen die Suche nach Begriffen wie »Nachhaltigkeit«, »Ökologie« oder »soziale Verantwortung« auf der markeneigenen Website keine Treffer hervorbringt. Ob dies nur ein Kommunikations-Manko darstellt, ist von außen schwer zu sagen. Einige Anbieter wollten sich gegenüber velobiz.de zu dem Thema jedenfalls lieber nicht äußern. Die sinnvolle Kommunikation in Bezug auf die gesamten Bemühungen um nachhaltiges Agieren eines Unternehmens, wird jedoch künftig eine größere Rolle spielen. Der Endkonsument will schließlich künftig mehr darüber wissen und macht davon zunehmend seine Kaufentscheidung abhängig.

Glaubwürdig argumentiert

Es gibt aber auch bereits viele positive Beispiele. Einige Hersteller zeigen inzwischen, dass sie das Thema ernst nehmen und sich im Rahmen eines grundsätzlichen Unternehmensleitbildes damit auseinandersetzen. So tut sich beispielsweise Löffler in der Kommunikation leicht, denn mit einem Produktionsanteil von über 60 % der Stoffe in Österreich und annähernd 100 % Konfektion in EU-Staaten erleichtert dies die öffentliche Auseinandersetzung über die Einhaltung von sozialen Standards, wie Arbeitszeiten, angemessene Bezahlung, Transportwege oder Umweltschutz.
Odlo nimmt laut CSR Report 2011 (CSR: Corporate Social Responsibility) für sich in Anspruch, dass 70 % seiner Produkte in der EU gefertigt werden und davon wiederum 50 % in eigenen Fabriken. Der Vorteil: Hier hat man als Unternehmen Nachhaltigkeitsbedingungen zu einem großen Teil in der eigenen Hand.
Einen ähnlichen Weg geht Deuter mit langfristiger, vertraglicher Bindung an seinen Produktionspartner in Fernost, der nach der Umweltmanagementnorm DIN EN ISO 14001 zertifiziert ist. Dies schafft gegenseitiges Vertrauen und bietet ganz andere Möglichkeiten, qualifizierte Mitarbeiter längerfristig zu binden, etwa durch Förderung, Fortbildung und in Niedriglohnländern ansonsten oft unüblichen Sozialleistungen wie Krankenversicherung oder feste Urlaubstage.
Besonders stark engagiert ist Vaude. So hat das Unternehmen Mitte April 2012 zum Auftakt des Deutschen Nachhaltigkeitskodexes im Bundeskanzleramt als einer der ersten Vertreter der deutschen Wirtschaft die Entsprechenserklärung unterzeichnet, womit sie offiziell bekannt geben, den Kodex anzuwenden. Mit dabei in diesem ausgewählten Kreis war die Umweltmanagementbeauftragte des Unternehmens: »Vaude hat sich das Ziel gesetzt, bis 2015 Europas umweltfreundlichster Outdoor-Ausrüster zu werden«, so Hilke Patzwall. Und weiter: Der neue Umweltminister Peter Altmeier überreichte Dr. Antje von Dewitz, Geschäftsführerin von Vaude, am 5. Juni 2012 den B.A.U.M.-Umweltpreis (B.A.U.M.: Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management e. V.) für ihre Verdienste um die Nachhaltigkeit.

Ein Dschungel an Öko-Labeln

Nicht nur in der Politik, sondern im gesamten Markt wimmelt es geradezu von unterschiedlichsten Initiativen und Labels. Da sind unabhängige Institute und Qualitätssiegel ebenso vertreten wie markeneigene Öko-Logos und Selbstverpflichtungen. Die Vielzahl und die Vermischung von unabhängigen und markeneigenen Öko-Labels trägt aber mehr zur Verwirrung des Kunden bei. Was kommt denn beim Endverbraucher noch an? Ist denn – wie so oft – weniger doch mehr?
Deuter, Gonso, Jack Wolfskin, Odlo und Vaude sind zum Beispiel Mitglieder in der Fair Wear Foundation. Zu den Systempartnern von Bluesign gehören unter anderem Deuter, Jack Wolfskin, Maloja, Qloom, TNF, Vaude und Zimtstern. Gore Bike Wear hat angekündigt, im Juni diesen Jahres der Fair Labor Association beizutreten, außerdem wurden neue bluesign-zertifizierte Laminate für die kommende Kollektionen angekündigt. Oeko-Tex 100 ist wiederum bei fast allen Anbietern Standard.
Jeder Hersteller geht bei der Zertifizierung seiner Produkte eigene Wege, setzt eigene Schwerpunkte. Eine wirkliche Vergleichbarkeit ist kaum herstellbar. Weder für den Handel, noch für den Endkonsumenten.

Die Einhaltung sozialer Standards ist für Textil­anbieter eine globale Heraus­forderung.

Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit

Neben den Öko-Labeln und Selbstverpflichtungen werden von vielen Bikewear-Herstellern auch immer eine hohe Qualität und Funktionalität und insbesondere eine lange Lebensdauer als nachhaltige Werte angeführt. Das Ziel, ein Produkt so lange wie möglich in seinem originär gedachten Anwendungsbereich zu halten, trägt entscheidend zur Verringerung des ökologischen Fußabdruckes bei. Ein eigener Reparaturservice, wie Deuter ihn für Rucksäcke in Gersthofen betreibt, ist ebenfalls eine sehr geeignete Maßnahme, die einen wertvollen Beitrag leistet. Ressourcenschonung durch Reparatur statt Neukauf.

Recycling und Naturstoffe

Öko-Label für Naturmaterialien finden sich im Bike-Bereich eher selten. Über Jahre hinweg hat der Endverbraucher gelernt, dass Naturmaterialien schwer und unkomfortabel sind und somit nicht geeignet, insbesondere für aerobe Sportarten. »Naturfasern spielen in der gesamten Outdoor-Branche nur eine Nischen-Rolle für Fashion-Produkte wie T-Shirts«, stellt Hilke Patzwall von Vaude nüchtern fest. Hier seien moderne Kunstfasern, auch aus recyceltem Polyester und Polyamid, weit überlegen. Dennoch wird mancherorts bereits umgedacht.
Nachhaltigkeit und Funktion. Ein Widerspruch? »Nein, absolut nicht. Im Gegenteil. Einige natürliche Fasern haben unschlagbare Vorteile, die bei synthetischen Materialien nur mit hohem, chemischem Aufwand realisiert werden können. Hanf, beispielsweise wirkt von Natur aus antibakteriell«, sagt Matthias Dreuw von Triple2. Fragt man die großen Hersteller der Branche, dann hört man jedoch immer wieder: »Naturstoffe im Bike-Textil bieten für uns noch nicht die gewünschten Eigenschaften«, sagt etwa Kai Marquardt von Gonso. Und der Grundtenor ist ähnlich bei anderen Herstellern: »In Funktionalität und Qualität wollen wir keine Abstriche machen«, sagt Katrin Riedel von Deuter.
Für Hersteller ist klar: Keine Kompromisse. Die Auswahl an ökologischeren und ressourcenschonenderen Materialien ist vorhanden, aber noch eingeschränkt. Die Suche nach nachhaltigeren Färbemethoden, den alternativen Stoffen und der richtigen Materialkombination für die jeweilige Anwendung – auch bei den Naturstoffen – nimmt aber an Fahrt auf. Vielleicht kann der Outdoor-Bereich hier als Vorbild fungieren. Denn beide Bereiche verbindet der Bedarf, sich gegen Umwelteinflüsse wie Wind, Regen, Kälte und starke Sonneneinstrahlung und die Mitmenschen vor Schweißgeruch zu schützen.
Vaude und Triple2 bringen inzwischen dosiert Materialien ein, die aus natürlichen Rohstoffen stammen. Beispielsweise aus Holz, Baumwolle, Hanf oder Kokosnuss. Auch deren Kombination mit recycelten Materialien wie Polyester und PET gewinnt an Bedeutung. Eine Membranjacke aus recycelten Kunstfasern, Baumwolle und Hanf ist heute etwa bei Triple2 kein Widerspruch mehr. Das mag für den ambi­tionierten Rennradfahrer vielleicht noch ungeeignet sein, für den style-orientierten Fixie-Fahrer in der Innenstadt hingegen gerade das richtige ­Produkt.
Es kommt also auf den Anwendungsbereich, auf die Intensität der sportlichen Aktivität und auf die spezifischen Eigenschaften an, die man dem Stoff für seinen Träger mitgeben will. Die Vielfalt der denkbaren Lösungen bereichert den gesamten Markt und wendet sich an unterschiedliche Bike-Communities.

Nachhaltigkeit und der Handel

Wer Nachhaltigkeit im Bikewear-Segment etablieren will, muss auch dem Handel eine zentrale Rolle einräumen, denn die Komplexität der Materie muss dem Endverbraucher ja nahe gebracht werden. Bei über 60 % des Umsatzes von teureren, hochwertigeren Gebrauchsgütern im stationären Handel hat der Endkunde im Vorfeld im Internet recherchiert. Er kommt also gut informiert in den Laden. Und diese Chance sollte der Handel nutzen, seine Informations-Funktion zu stärken und auszubauen. Nur mithilfe exzellent geschulter und informierter Mitarbeiter wird es gelingen, den letzten Zweifel des Kunden zu zerstreuen und zu überzeugen.
Da mögen Blogs, Marken-Web­sites und TV-Formate informieren, virtuelle Transparenz und Klarheit versprechen. Letztlich ist das persönliche Gespräch durch nichts zu ersetzen. Es ist heute nicht das Problem, an Informationen heranzukommen. Das Problem ist, die gesammelten Informationen zu bündeln, zu analysieren und zu interpretieren. Es ist sicherlich eine der wichtigsten Chancen des stationären Handels, sich hier zu positionieren.
Aber auch Bikewear-Marken, die zukünftig das Thema Nachhaltigkeit nicht klar, transparent und nachvollziehbar praktizieren und kommunizieren, werden über kurz oder lang ein grundsätzliches Glaubwürdigkeitsproblem bekommen. Ein insgesamt wachsender Markt bietet vielfältige Möglichkeiten für Hersteller ebenso wie für den Handel, gegenüber dem Endverbraucher nachhaltig zu punkten. Und Bikewear mit gutem Gewissen zu verkaufen. //

1. Juni 2012 von Gerald Roeckl
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