10 Minuten Lesedauer
i

Interview - Uli Stanciu

Die Spaßvariante: Transalp à la Elektro

Uli Stanciu hat eine Spür­nase für Trends in unserer Branche. Die von ihm ­gegründete Zeitschrift Bike war vor über 20 Jahren ein wichtiger Zündfunke für den Mountainbike-Boom in Deutschland. Auch das Bike-Festival, Prototyp einer immer noch blühenden Festival-Landschaft in Europa, und die Transalp-Events stammen aus seiner Feder. Seit kurzem befindet sich in Stancius Fahrradfuhrpark nun auch ein E-Bike, das sich bereits bei einer Alpenüberquerung bewähren musste.

Herr Stanciu, Sie haben den Mountainbike-Boom nicht nur miterlebt, sondern auch maß­geblich mitgeprägt. Haben Sie manchmal ein Déjà-Vu-Gefühl, wenn Sie sich nun die Entwicklung des E-Bike-Marktes ansehen?

Ja und nein. Ja, weil wir wieder am Anfang einer großen Epoche und Weiterentwicklung des Fahrrads stehen. Nein, weil sich die Anfänge des Mountain­bikens anders dargestellt hatten. Während das Mountainbike von Anfang an ein hochsportliches Gerät war, wurde das E-Bike zunächst eher als Mischung aus Oma-Fahrrad und Krankenfahrstuhl wahrgenommen. Das ist eine ganz andere Image-Positionierung als beim Mountainbike. Zumal das Mountainbike damals eine rasante technische Entwicklung auslöste. Pioniere wie Gary ­Fisher oder Joe Breeze haben völlig neue Dinge erfunden. Daumenschalthebel, dicke Reifen, Alu- statt Stahlrahmen, Federungen, Scheibenbremsen – das waren alles Innovationen, die die Fahrradwelt entscheidend geprägt haben und sich bald auch an Touren- und Trekkingrädern fanden. Beim E-Bike haben wir hingegen mit einem völlig unsportlichen Jedermann-Fahrrad mit elektrischer Trethilfe angefangen. Das jetzt auf eine sportliche Ebene zu befördern wird viel schwerer sein als umgekehrt.

Geben sie dem E-Bike dann überhaupt eine Chance als Sportgerät?

Große Chancen, trotzdem. Und genau deswegen bin ich diese Alpenüberquerung mit dem E-Bike gefahren. Da war schlicht auch eine große Portion jour­nalistische Neugier im Spiel. Wir hatten drei verschiedene E-Bikes dabei, um die Systemunterschiede erfahren zu können. Und wir haben bei dieser Tour eine ganze Menge über E-Bikes gelernt. Für uns als eher sportliche Biker war es beispielsweise eine interessante Erfahrung, dass wir die E-Bikes nicht als einen Ersatz für Kondition empfunden haben, sondern als Verstärkung unserer Kondition. Wir haben uns jeden Morgen eingeschworen: »Heute bewegen wir mal nur die Beine rauf und runter und lassen alles andere den Motor machen.« Es hat an keinem Tag länger als fünf Minuten gedauert, und wir sind wieder genauso getreten wie immer auf dem Mountainbike.

Das ist wahrscheinlich ein typisches Verhalten sportlicher Biker, nämlich, dass man einfach nicht langsam fahren kann…

Ja, und man hat seinen Tritt drauf, der nach einigen tausend Stunden im Sattel einfach intus ist. Auf dem E-Bike fährt man deshalb nicht mit weniger Kraft, sondern fährt eher schneller und macht mehr Höhenmeter. Mit dem E-Bike kann ich Sachen bergauf fahren, die ich mit dem normalen Bike auch als trainierter Mensch nie schaffen würde. Ich konnte steile Rampen hochfahren, an denen ich sonst abgestiegen wäre und hatte dabei ein totales Erfolgsgefühl. Schieben ist für Biker eine Niederlage, und die erspart man sich mit dem E-Bike. Das sind Punkte, die auch ein sportlicher Biker schätzen wird.

» Schieben ist für Biker eine Niederlage, und die erspart man sich mit dem E-Bike«

Wo sehen Sie die größeren Chancen für das E-Bike: Als Erweiterung der Möglich­keiten für Leute, die bereits regelmäßig im Mountainbike-Sattel sitzen? Oder bei ­neuen Zielgruppen, die ohne E-Motor nicht auf die Idee kämen, in den Bergen Fahrrad zu fahren?

Ich sehe da mehrere Ansätze. Vordergründig spricht das E-Bike alle Leute an, denen Mountainbiken eigentlich zu anstrengend wäre. Die es also nicht schaffen, 1000 Höhenmeter zu einer Alm rauf zu strampeln. Oder die vielleicht auch einfach nicht die Zeit haben, so viel zu trainieren wie die elitären Top-Biker. Diese Menschen wollen es vielleicht aber auch mal erleben, nach oben auf den Berg zu fahren, bei einem Weißbier auf der Alm zu sitzen und den tollen Blick zu genießen. Die wollen nicht nur im Tal rumradeln, wo die Omas unterwegs sind.
Die zweite Zielgruppe sehe ich bei sportlichen Mountainbikern, die eine Transalp-Tour in vier statt in sieben Tagen fahren wollen. Die haben mit dem E-Bike das gleiche Erlebnis, aber konzentrierter und mit weniger Zeit- und Geldaufwand.
Zielgruppe Nummer drei – und da gehöre ich als älterer Herr inzwischen auch dazu – sehe ich bei den Freeridern. Ich fahre nicht nur große Touren, ich freeride auch gerne mal. Mir macht die Abfahrt Spaß. Bisher musste ich zum Freeriden immer irgendwo mit der Seilbahn hochfahren. Es gibt aber auch abseits von Seilbahnen Trails, die ich gerne mal fahren würde. Wenn dann die E-Bikes so sportlich werden, wie das bei einigen Anbietern schon absehbar ist, dann komme ich mit denen nicht nur leichter den Berg rauf, sondern habe auch totalen Fahrspaß bergab. Ich habe das am Monte Grappa schon ausprobiert und war mit dem Erlebnis ganz zufrieden.


Wenn‘s ums Biken geht, ist Uli Stanciu immer noch mit Begeisterung bei der Sache - egal ob mit oder ohne E vor dem Bike.

Bei Ihrer Alpenüberquerung haben Sie verschiedene E-Bike-Systeme getestet. War ein System dabei, dass Sie für diesen Einsatzzweck besonders überzeugen konnte?

Noch keines dieser Konzepte war so weit, dass ich als Mountainbiker sagen würde, das ist bereits perfekt. Aber die Ansätze sind schon sehr gut. Wir sind den Antrieb von Panasonic, von Bosch und von Clean Mobile gefahren. Den Antrieb von Panasonic, den wir in einem Flyer gefahren sind, fand ich sehr ausgereift. Das ist ein auf Komfort ausgelegtes Mountainbike, das ich vor allem Tourenbikern empfehlen würde. Der Bosch-Antrieb hat mir im Vergleich dazu einen viel kraftvolleren Eindruck gemacht, war aber auch mit seiner Akku-Leistung ­früher am Ende. Und der Clean-Mobile-Antrieb war optisch sehr gut in das Fahrrad von KTM integriert und hatte extreme Power. Wenn ich den in der offenen Version voll trete, dann kann ich auf der Straße 60 km/h fahren. Da reicht der Akku dann aber auch nur noch zehn bis zwölf Kilometer. Für eine Freeride-Tour würde das allerdings vollkommen ge­nügen.

Wie haben denn Biker ohne E-Antrieb auf Sie bei der Alpenüberquerung reagiert?
Bei manchen Bikern haben wir eine ziemlich deutliche Ablehnung erlebt.

Da bekamen wir Sachen wie »Weichei«, »­Verräter der Mountainbike-Idee« oder »Du kannst wohl nicht mehr« zu hören. Doch ich halte diese Kritik nicht für angemessen. Ich habe all diese Leute gefragt, ob sie denn selbst schon mal auf einem E-Bike gefahren sind. Da war nicht einer dabei. Da sind also meist noch viele Vorurteile.
Ich habe eine Gruppe von wirklich guten Bikern hier in München, mit denen wir gelegentlich eine Ausfahrt machen. Beim letzten Mal habe ich gefragt, »Wie wär’s denn, wenn ich mit dem E-Bike komme?« Da haben einige zunächst eher verächtlich reagiert. An einer steilen Rampe habe ich dann alle mal ausprobieren lassen. Es gab keinen einzigen, der dabei nicht ein breites Grinsen bekommen hätte.

» Es ist völliger Blödsinn, Verbote auszusprechen«

In Ihrer journalistischen Heimat, dem Bike-Magazin, wird der E-Bike-Trend ebenfalls kontrovers diskutiert. Die dort geäußerte Sorge lautet, dass sich nun viele Menschen neu in den E-Bike-Sattel schwingen und dadurch die schönen Trails verstopfen…

Momentan weiß noch keiner, wo dieser Trend noch hinführen wird. Insofern kann ich diese Sorge auch nicht wirklich entkräften. Aus meiner Sicht werden aber wohl eher die weniger Trainierten die größte Zielgruppe für E-Bikes sein, Menschen, die durchaus mal Touren auf Schotterwegen, aber nicht auf technisch schwierigen Trails fahren. Und diese Schotterwege sind in den Alpen und anderswo oft leer. Ich bin häufig hier in der Region zwischen Tegernsee und Bad Tölz unterwegs, dem Hausrevier der Münchner Mountainbiker. Selbst hier begegnen sie an den meisten Tagen nur ein paar wenigen anderen Bikern. Die Schotterwege in den Alpen vertragen leicht noch die doppelte Menge an Bikern, zumal E-Biker ökologisch sauber sind und lediglich eine ohnehin schon vorhandene Infrastruktur nutzen.

Sehen Sie auch die touristischen Regionen in der Pflicht, die verschiedenen Zielgruppen entsprechend zu lenken?

Ja, aber nicht erst seit dem E-Bike-Trend. Mein Credo ist seit langem, dass Tourismusregionen ein Angebot an ausgewiesenen Touren realisieren und nicht Verbotsschilder aufstellen sollen. Die Gäste folgen dem Angebot. Die fahren in keine Wege rein, die nicht ausgeschildert sind oder zu denen es keine Daten gibt. Es ist völliger Blödsinn, Verbote auszusprechen.

Sollten dann auch spezielle Touren für E-Biker ausgewiesen werden?

Das kann ich mir gut vorstellen. Wobei viele Regionen als offizielle MTB-Touren sowieso nur Schotterwege ausweisen. Die sind alle mit dem E-Bike fahrbar.

Glauben Sie, dass das E-Bike den Tourismus beflügeln kann, so wie es vielerorts auch schon durch das Mountainbike geschehen ist?

Das E-Bike wird den Fahrradtourismus noch mal deutlich populärer werden ­lassen. Da bin ich mir ganz sicher. Im Moment gibt es ein größeres Angebot an sportlichen Mountainbikes noch gar nicht. Die Industrie ist mit der Produktion der Tiefeinsteiger-Modelle gerade schon mehr als ausgelastet. Sobald sich das ändert, wird auch das Angebot an spor­tlichen Modellen zunehmen und damit auch deren Relevanz für den ­Tourismus.
Die Industrie muss nur aufpassen, dass sie es mit der Leistung dieser Modelle nicht übertreibt. Klar finde ich es als Biker berauschend, mit einem 1200-Watt-Motor Gas zu geben. Aber diese Leistung bedingt auch ein großes Konflikt- und Gefahrenpotenzial. //

1. Februar 2012 von Markus Fritsch
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login