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Service / Werkstatt der Zukunft

Die wunderbare Welt der Werkstatt

Mit dem E-Bike verändert sich auch die Werkstatt. Die Arbeit wird komplexer, das nötige Wissen aktuell zu halten anspruchsvoller. Dabei steht diese Entwicklung noch ganz am Anfang.

Über voreingestellte Serviceintervalle lässt sich das Werkstattaufkommen bereits steuern. Doch das ist erst der Anfang.

Wer wissen möchte, was die Zukunft für die Fahrradwerkstatt bereithält, findet beim Blick auf die Automobilwelt einige faszinierende Einsichten und vielleicht sogar schon die passende Blaupause. Der Fahrer eines Autos neueren Jahrgangs dürfte inzwischen wissen, welche Daten von ihm erfasst werden. Der jeweilige Hersteller weiß, wer da gerade fährt, welchen Radiosender er hört, wo er hinfährt, mit welchen Geschwindigkeiten er das tut und verfügt dazu noch praktisch unbegrenzt über Daten aus dem Inneren des Motors. Es ist eine Fundgrube für Datensammler, ein von Datenschützern kritisch beäugter Vorgang und für den Hersteller samt Werkstattbetrieben die Grundlage für einen modernen Service, auf den sie nicht mehr verzichten wollen und können. Derzeit arbeitet die Automobilwelt mit Hochdruck an möglichen Geschäftsmodellen, die aus diesen Daten abgeleitet werden können. Bereits umfangreich genutzt werden Verkehrsfluss-Informationen für die Nutzer, vieles andere ist aber noch Gegenstand umfangreicher Überlegungen. Denkbar ist etwa ein Rabatt bei der Fahrzeugversicherung für eine defensive Fahrweise, wohingegen der sogenannte »sportliche Fahrer« einen anderen Tarif geboten bekommt. Wie weit diese Überlegungen inzwischen gediehen sind und was davon Akzeptanz findet, ist unbekannt. Diese Überlegungen werden über kurz oder lang auch in der Fahrradwelt ankommen. Bereits jetzt werden Versicherungsleistungen etwa an GPS-Lösungen gebunden. Was aus dieser Entwicklung noch folgt, wird auch im Zweiradbereich sehr aufmerksam beobachtet. Aktuell genutzt werden die gesammelten Daten aber vor allem für den Service in der Werkstatt.
Die Überwachung von Motor- und Batteriedaten ist auch in der Fahrradwelt von höchstem Interesse. Wenn der Kunde zum Service in die Werkstatt kommt, dann lassen sich aus dem Speicher der üblicherweise verwendeten Antriebssysteme viele Informationen ablesen, die relevant für die eventuelle Problembehandlung sind. Neben den offensichtlichen Fehlercodes sehen die Werkstattmitarbeiter auch Informationen zu genutzten Unterstützungsmodi.
Besonders spannend ist der nächste Schritt dieses Motor-Services: Wenn man es schafft, rechtzeitig aus den Motordaten eine Fehlentwicklung herauszulesen, etwa Hitzeentwicklung an unerwünschten Stellen, könnte man als Service-Betrieb und Hersteller eingreifen, bevor es zu einem tatsächlichen Defekt und Systemausfall kommt.

Predictive Maintenance als Ziel

Diese Vorhersage von zukünftigem »Service-Bedarf« gibt es bereits. Am Auto nennt sich das Predictive Maintenance und bedeutet, dass der Hersteller aus der Analyse der Service-Vergangenheit in der Flotte manchmal sehr genau vorhersagen kann, welches Ungemach bevorsteht oder einfach, welcher Service gerade dringend notwendig geworden ist. Der Kunde kann dann über die entsprechenden Kanäle entweder als Service-Meldung im Auto oder über direkten Werkstattkontakt zu einer Inspektion aufgefordert werden.
Für den Hersteller ist diese Möglichkeit von unschätzbarem Wert: Er vermeidet Pannen beim Kunden und steigert so dessen Zufriedenheit mit dem Produkt. Ganz nebenbei kann er eventuelle Schwächen im System ausbügeln, ohne dass der Nutzer das unbedingt erfahren muss. An dieser Stelle wird natürlich der Skeptiker hellhörig, der sogleich an manche Mauschelei denkt. Auf der anderen Seite wird seine Neugierde vermutlich nicht so groß sein, dass er mitten auf der Autobahn herausfinden will, welche Art von Getriebeproblem sein Fahrzeug hat.

»Werkstattmitarbeiter müssen sich zunehmend mit technisch komplexen und vernetzten Produkten auseinandersetzen.«Tamara WinogradBosch

Auch die Antriebshersteller in der Fahrradbranche arbeiten an solchen Systemen, die aber noch in den Kinderschuhen stecken. Auf dem begrenzten Raum eines E-Bike-Motors braucht es nicht zuletzt eine beachtliche Menge an Sensoren, um nützliche Rückschlüsse zu erlauben. Wie weit die Hersteller auf diesem Wege schon gekommen sind, lassen sie noch nicht erkennen. »Predictive Maintenance, wie wir es vom Auto kennen, lässt sich nicht eins zu eins aufs E-Bike übertragen«, heißt es von der Bosch-Unternehmenssprecherin Tamara Winograd. Man lehnt sich vermutlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man davon ausgeht, dass zu diesem Thema das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Internet of Things

Dass Predictive Maintenance noch nicht möglich ist, liegt auch an der noch nicht sehr verbreiteten Vernetzung der E-Bikes. Wo sie bereits vorhanden ist, erzeugt sie einen Mehrwert, der nicht mehr wegzudenken ist. »Der Mehrwert der Digitalisierung besteht für E-Biker im Wesentlichen aus drei Feldern: Nutzung, Sicherheit und Service. Nehmen wir das Beispiel Service: Wer möchte, kann sich den nächsten Service-Termin beim Fachhändler direkt über den E-Bike-Bordcomputer anzeigen lassen. In der Werkstatt verfügt der Händler über digitale und vernetzte Diagnose- und Analysemöglichkeiten, kann den Systemstatus auslesen oder Software-Updates aufspielen. So lassen sich technische Neuerungen rasch und komfortabel integrieren. Darüber hinaus interagiert er mit den technischen Services bei Bosch: Das Diagnosesystem sendet beispielsweise Prüfberichte digital an Bosch«, erklärt Winograd.
Noch allerdings und bis auf weiteres besteht die größte Herausforderung, das Werkstattaufkommen besser über das Jahr zu verteilen. Gerade in diesem Jahr sind die Zustände in vielen Betrieben an der Grenze des Leistbaren und unmöglich ein Dauerzustand. Schon jetzt lässt sich zumindest der Service von E-Bikes auf diese Weise entzerren. So gibt es im Shimano-Steps-System die Möglichkeit, einen Maintenance-Alert zu setzen, wie Michael Wild, Marketingleiter bei Paul Lange, erklärt: »Shimano bietet hier den Händlern die Möglichkeit nach Datum oder Laufleistung ein Service-Intervall zu setzen, das im Display einen Hinweis anzeigt, sobald das Fahrrad in die Werkstatt muss. Dadurch kann der Händler heute schon seine Werkstatt-Auslastung bis zu einem gewissen Maße steuern.« Dieses Prinzip nutzt auch der Wettbewerber Bosch.

Ansprüche an Qualifikation der Mitarbeiter steigen weiter

Dort geht man davon aus, dass der Händler auch weiterhin einen beachtlichen Teil der Wartung vor Ort vornehmen kann. »Wartungsarbeiten und kleinere Reparaturen, etwa das Austauschen von Dichtungselementen oder peripheren Anbauteilen, erledigt der Fachhändler selbst. Das wird auch in Zukunft so bleiben«, erklärt Unternehmenssprecherin Winograd. Dennoch wird der Werkstattmitarbeiter an seiner Qualifikation arbeiten müssen, um bei den vielfältigen Entwicklungen dauerhaft auf dem Laufenden zu bleiben. Zudem wird er sich absehbar in neue Themengebiete einarbeiten müssen. »Die moderne Fahrradwerkstatt ist mehr als ein bloßer Reparaturdienst. Sie muss auf dem aktuellen Stand der Technik sein, denn Werkstattmitarbeiter müssen sich zunehmend mit technisch komplexen und vernetzten Produkten auseinandersetzen, zu denen auch E-Bikes gehören. Für einen Fahrradmechaniker ist außer den mechanischen Kenntnissen zunehmend wichtig, über IT-Wissen zu verfügen: Er sollte beispielsweise ein Computer-basiertes Diagnose-Tool richtig bedienen können und sich mit der Diagnose über Wi-Fi oder ›Over the Air‹ auskennen. Was für den Endkunden attraktiv und interessant ist, nämlich die Produktvielfalt, kann Werkstattmitarbeiter vor große Herausforderungen stellen. Deshalb ist es elementar, sich regelmäßig fortzubilden und Schulungen zu besuchen«, heißt es bei Bosch. Damit die Werkstatt funktioniert, braucht es neben Know-how auch angepasste Strukturen im Betrieb. »Ein ganz entscheidender Faktor ist die Betriebsorganisation: Die Kapazitäten in der Werkstatt müssen den Anforderungen des E-Bikes noch besser angepasst werden, denn ein E-Bike ist in der Wartung aufwendiger als ein Fahrrad ohne Elektromotor. Zudem ist wichtig, im Bereich Diagnose effizient zu arbeiten, um die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Und dazu gehört eben, dass der Werkstattmitarbeiter seine (digitalen) Hilfsmittel sehr genau kennt und diese entsprechend einsetzt«, ist man bei Bosch überzeugt. Man darf davon ausgehen, dass diese Perspektiven für praktisch alle anderen Systemanbieter genauso absehbar sind. Die Werkstatt wird einmal mehr die Zukunft für den Radhandel mitbestimmen. Ihr Funktionieren ist heute vielleicht sogar entscheidend in der Frage, welche Rolle der Fachhandel spielen wird.

6. August 2020 von Daniel Hrkac

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