Report - Fahrrad-Materialien und Umwelt
Ein wachsendes Problem: Cycle and Re-cycle
Das Fahrrad hat unter allen Fahrzeugen wohl den saubersten »CO2-Reifenabdruck«. Wir hinterlassen die Welt bei jeder Fahrradfahrt insgesamt gesehen relativ wenig verschmutzt – verglichen mit anderen Fahrzeugen. Doch wie sieht es mit den verwendeten Materialien aus, aus denen das Fahrrad besteht?
Der erste Gedanke: Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit ist auch eine Frage von Rohstoffen. Was aus nachwachsenden Rohstoffen besteht, ist im ersten Schritt ja schon mal umweltverträglich. Das führt uns zu einem Material, das zwar immer noch deutlich in der Nische sitzt, in den letzten drei Jahren aber einen regelrechten Boom erlebte: Bambus. »Robust, leicht, dämpfend wie Stahl, steif wie Alu« beschreibt es Felix Habke von My Boo, einem der Pioniere des modernen Bambus-Fahrradbaus. Nachhaltig, weil nachwachsend? Richtig: Etwa zwei Jahre braucht die Pflanze, um so nachzuwachsen, dass man daraus wieder einen Fahrradrahmen bauen kann. Doch stellt sich da noch die Frage nach der Dauerhaltbarkeit – die Bambus-Hersteller ebenfalls sehr positiv beantworten. Zumindest bei My Boo, die in Ghana produzieren, kann man sogar von sozial nachhaltigen Arbeitsbedingungen sprechen – das Unternehmen hat dort bereits »40 fair bezahlte Arbeitsplätze geschaffen«. Doch was die Entsorgung anbelangt, muss man auch bei diesem Material zugeben: So richtig umweltfreundlich ist das nicht. Die Räder bestehen neben der Pflanze aus einigen Alu-Teilen, Hanfseilen und Kunstharz. Letzteres ist die Krux: Selbst wenn man es bei der Wiederverwertung von den anderen Materialien trennen könnte: Es kann nicht wiederverwendet werden, ist aber auch nicht kompostierbar. Ein hunderprozentiges Recyclen gibt es hier also nicht. Doch, und das kennen wir aus der Diskussion um CO2-Zertifikate und ähnlichem: Es wird auch in Sachen Umweltschutz immer gegengerechnet. So stellt man man heute der geringen Umweltverträglichkeit des Harzes von Bambusrädern seine Nachhaltigkeit als nachwachsender Rohstoff gegenüber. Und ebenso den langen Transportweg von Ghana in die sozial verträgliche Produktion – speziell dann, wenn der Produktionsstandort vom Unternehmen dort geschaffen wurde.
Die Klassiker: Stahl und Alu
Stahl, das Standardmaterial für das erste Jahrhundert des Fahrrads, gilt als umweltverträglicher als Aluminium, das in den Neunzigern innerhalb weniger Jahre die Produktion umkrempelte. Heute erfreut sich Stahl wieder wachsender Beliebtheit, hat im Sport-Bereich das Image des Kernigen – und eben den Bonus der energieärmeren Herstellung und des relativ einfachen Recyclings.
Natürlich ist das in der Praxis das sogenannte Downcycling. Zwar lassen sich aus Teilen eines Stahlrahmens Gebrauchsgegenstände, vor allem Möbel und Accessoires entwickeln, doch wer an »echtes« Recycling auf gleicher Anspruchsebene denkt, der liegt da falsch, wie auch das Interview mit Professor Michael Braungart zeigt, einem Chemiker und renommierten Öko-Visionär (s. unten).
»Man hat einfach immer ein Downgrading«, sagt auch Albert Herresthal, Geschäftsführer des VSF und selbst Umweltbetriebsprüfer. Bei Stahl liegt das vor allem an der Unreinheit: Verschiedene Legierungen werden zusammen eingeschmolzen und recycelt. Das bedeutet: Das entstehende Material ist notgedrungen von minderer Qualität als das Ausgangsmaterial; viele Recycling-Linien führen in Richtung »einfacher« Baustahl; und selbst da werden offensichtlich Qualitätsgrenzen erreicht. Grundsätzlich definiert sich also Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit auch daran, wie viel Material für einen bestimmten Zweck unter einer bestimmten Produktionsmethode gebraucht wird. Und dabei liegen Stahl und Aluminium relativ gut im Rennen. »Alu war früher Teufelswerk«, erinnert sich Herresthal, »heute weiß man, das stimmt nicht.« Zwar braucht man sehr viel Energie für die Aluherstellung, es lässt sich aber relativ einfach und rein recyceln. Je nach Rechnungsart kann also Aluminium umweltverträglicher sein als Stahl. Überhaupt sind diese Berechnungen nicht statisch: Abnehmende Ressourcen der für die Herstellung nötigen Energie führen beispielsweise rechnerisch zu einer schlechteren Umweltbilanz eines Materials – obwohl sich an seiner Zusammensetzung nichts ändert.
Echte Recycling-Kreisläufe nach Professor Braungart sind also schiwerig. Allerdings ist dieses Cradle to Cradle-Prinzip nicht unumstritten. Und ganz so schwarz sehen viele die Entwicklung in den letzten Jahren auch nicht. Und was Carbon angeht? Vielleicht ist zwischen dem Stahl-Recycling und dem von CFK doch nur ein relativer Unterschied?
Recycling-Realität
Tim Rademacker ist Mit-Geschäftsführer der CarboNXT GmbH. Dieses Unternehmen aus Wischhafen stellt zusammen mit seiner Partnerfirma CFK Valley Stade Recycling-Carbonteile her. Ein Kunde aus dem Rad-Bereich ist Stevens. »Eigentlich ist das Carbon-Recycling gar kein so komplexer Vorgang«, erklärt Rademacker. »Die Fahrradrahmen durchlaufen ein sogenanntes Pyrolyse-Verfahren. Heißt: Unter Ausschluss von Sauerstoff werden sie erhitzt. Dabei wird das Epoxydharz im Material aufgespalten und geht bei Temperaturen über 500 Grad in Gas über.« Die aufgefangenen Gase werden verbrannt und treiben den Pyrolyseprozess weiter an, der dadurch energieeffizienter wird. Die reinen Carbonfasern bleiben zurück. Allerdings: Sie haben nicht die ursprüngliche Länge, sondern sind im Schnitt nur wenige Millimeter lang. »Sie können jetzt als Verstärkung in bestimmten Kunststoff-Spritzgussteilen verwendet werden. Tatsächlich kann man sie auch heute schon als Beigabe für kleinflächige Teile wie Sattelstützen verwenden. »Der Käufer des Recycling-Materials muss wissen, was er damit anfangen möchte«, sagt Rademacker. »Wir haben Partner, die das Halbzeug, das entsteht, weiterverarbeiten. Oder wir produzieren, je nach individuellem Kundenwunsch, selbst.« Warum das bisher so wenig gemacht wird? Das recycelte Material muss zum Kundenwunsch passen. Vor allem: die richtigen Faserlänge haben, um dem entsprechenden Anspruch gerecht zu werden. Das Unternehmen CarboNXT GmbH zeigt sich kreativ, Anwendungen für das recycelte Material zu finden. Ein neues Produkt ist seit kurzem möglich: Fräsbauteile. »Man kann so Fahrradkomponenten aus CFK-Blöcken aus unserer Anlage fräsen«, so Rademacker. Das bedeutet, dass im Idealfall durch dieses Recyclingverfahren sogar neue Fertigungsverfahren für bestimmte Komponenten entstehen könnten. Entsprechend wirbt das Unternehmen auf seiner Internetseite damit, dass das Konzept von CFK Valley Stade auch die Erschließung neuer Anwendungsfelder in der Leichtbaubranche ermöglicht. Entsorgungsverträge gibt es mit Radherstellern, aber auch mit Unternehmen wie Airbus und Bugatti.
Allerdings ist eine Sache klar: Auch dieses Carbon-Recycling wird immer ein Downgrading sein, da aus Fahrradrahmen keine neuen Fahrradrahmen entstehen können, sondern Produkte, die geringeren Qualitätsanforderungen gerecht werden. Und: Laut der Broschüre »Abfallbehandlung carbonfaserverstärkter Kunststoffe« vom Umweltbundesamt (aus dem Jahr 2017) braucht Carbon schon zur Herstellung noch etwas mehr Energie als das energieintensive Aluminium.
Lärmschutz statt Laktatmaschine
Auch das amerikanische Unternehmen Specialized hat einen Partner für das Recycling: »Seit 2012 betreiben wir das Recycling von Carbon-Rahmen«, sagt Troy Jones, Corporate Social Responsibility Manager bei Specialized. 2018 wurde hier ein Weg eingeschlagen, auch wiederaufbereitetes Material in neue Rahmen zu integrieren. »Etwa noch ein Jahr sind wir heute von dem Ziel entfernt, die Fasern aus recycelten Rahmen in unsere Produkte zu integrieren.« Die Händler schicken Rahmen und CFK-Komponenten nach Salt Lake City, wo die Rahmen zunächst zerkleinert und später einem nicht näher beschriebenen Prozess beim Unternehmen Carbon Conversions ausgesetzt werden – »ein Unternehmen mit globaler Führungsrolle im Carbon-Recycling«, so Jones. Aus den kurzen Fasern, die man durch den Prozess erhält, werden unter anderem Lärmschutzmatten hergestellt. Also natürlich auch hier kein Cradle to Cradle. Auch in Deutschland gibt es mittlerweile ein Rücknahme- und Recycling-Verfahren von Specialized. Die Händler können Rahmen zur Zentrale in den Niederlanden schicken, die sie einem Recycler übergibt. In den USA werden selbst die ausgemusterten Alu-Rahmen von den Händlern nach Salt Lake City zurückgeschickt. Dort werden sie zum aktuellen Aluminium-Preis an ein regionales Recycling-Unternehmen verkauft. Aluminiumrahmen kann man in Deutschland bei den meisten Wertstoffhöfen los werden. Tatsächlich gab und gibt es Projekte, in denen gezielt Aluminium-Dosen zu Fahrradrahmen verarbeitet werden. Wieviel wiederaufbereitetes Alu grundsätzlich in die Fahrradindustrie fließt, ist aber nicht zu eruieren. Das sagt auch Michael Ritthoff. Der Diplomingenieur und Mitarbeiter am Wuppertal-Institut hat die »Umweltinanspruchnahme« der Rahmenwerkstoffe Alu, Carbon und Stahl verglichen.
Ein kleiner Exkurs: Auch in Sachen Fahrradreifen gibt es Recycling und Umweltschutz. Schwalbe bietet seit 2015 ein Schlauchrecycling an: Die Händler nehmen alte Schläuche vom Kunden zurück und schicken sie paketweise (und kostenlos) zu Schwalbe zurück. In den Herstellerwerken in Indonesien wird das Material recycelt, also »devulkanisiert« und fließt laut Schwalbe zu hundert Prozent wieder in die Herstellung. 20 Prozent des Schlauchmaterials soll derzeit aus Recyclingmaterial bestehen. Das geht schon deutlich stärker in die Richtung eines vollständigen Kreislaufs, wobei sogar nur ein Fünftel der Energie zur Wiederaufbereitung nötig sein soll.
Einen anderen Weg geht Conti, wo seit kurzem der Reifen Urban Taraxagum aus Löwenzahn-Kautschuk hergestellt wird. Der Pneu aus dem hessischen Forschungs- und Entwicklungszentrum von Continental stammt damit aus heimischen Anbau. Da Conti als einziger Reifenhersteller in Deutschland produziert, wäre es eine sehr nachhaltige Lösung, wenn wie geplant tatsächlich langfristig Kautschuk aus den
Tropen durch Löwenzahn-Kautschuk ersetzt wird.
Braucht das Fahrrad ein Umwelt-Label?
Solche Meldungen täuschen aber nicht darüber hinweg, dass wir uns über weite Bereiche auch die nächsten Jahre mit einem Downgrading beim Recyclen zufriedengeben müssen. Sicher aber ist effizientes Downgrading besser als zu Ende genutzte Dinge auf den Müll zu werfen. Anregung: Der Blogger Martin Moschek schlägt auf seinem Blog »Biketour Global« einen »Bicycle Sustainable Index« vor – eine normierte Kennzeichnung zum Nachhaltigkeitsstatus eines Fahrrads. Er soll wie das Engergielabel beim Kühlschrankkauf Aufschluss über die Nachhaltigkeit in Sachen Umwelt und sozialer Verträglichkeit liefern. Sicher ein Gedanke, der auch einem Produkt mit so Umwelt-positivem Image wie dem Fahrrad guttun würde.
»Carbon ist wie ein Flugzeug ohne Landebahn«
{b}Der Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart ist Professor an der Erasmus-Universität in Rotterdam und Gründer des EPEA, ein Umweltforschungs- und Beratungsinstitut in Hamburg. Er hat das Konzept »Cradle to Cradle« (dt.: vom Ursprung zum Ursprung) entwickelt. Nach diesem soll ein echter Kreislauf von Materialien und damit Produkten möglich sein – erst damit kann man von einem echten und zukunftsfähigen Recycling sprechen.{/b}
{b}Herr Professor Braungart, die Fahrradbranche sieht sich gern als potenziellen Umweltretter. Ist das zu hoch gegriffen?{/b}
Ja: Fahrräder sind für die Umwelt eine Zumutung! Alleine schon, was den Abrieb von Reifen und Bremsen angeht, ist das Ergebnis verheerend. Um die 470 Chemikalien stecken im Fahrradreifen. Besonders schlimm wird es, wenn Räder, wie etwa in Amsterdam zu Tausenden, ins Wasser geworfen werden und in den Wasserkreislauf gelangen. Eine große Gefahr für uns alle. Auch Silikon und Carbon sind vom Umweltgesichtspunkt eine Zumutung.
{b}Aber es gibt doch einige Beispiele von Carbon-Recycling?{/b}
Das Verfahren würde ich dann gern abkaufen … Im Ernst: Es kann bei Carbon immer nur um Downcycling gehen. Das ist kein Kreislauf. Das Fahrrad ist so gesehen ein sehr primitives Fortbewegungsmittel. Aber auch das Fahrradfahren ist alles andere als gesund – denken Sie an die Feinstaubbelastung und die enorme Belastung durch Weichmacher oder PVC in den Griffen.
{b}Wie sieht es mit den anderen Rahmenmaterialien aus? Stahl wird doch schon immer recycelt. Könnte man bei Metallen nicht einen intensiveren Kreislauf herstellen.{/b}
Man könnte Stahlprodukte aus einer einzigen Legierung machen und so die Kreislauffähigkeit erhöhen – ich habe dazu Untersuchungen im Automobilbereich gemacht. Momentan wird aus Autostahl qualitativ minderwertigerer Baustahl hergestellt.
{b}Was wäre die Lösung?{/b}
Um wirklich etwas zu verändern, müssten die Hersteller die Möglichkeiten der Digitalisierung besser verstehen und nicht Fahrräder oder Autos, sondern deren Nutzung für eine bestimmte Zeit verkaufen. Dazu muss der Hersteller das Material an jemand anderen Abtreten. Es muss Materialbörsen geben, mit denen das finanziert wird.
{b}Wie sehen Sie die Entwicklung in Sachen E-Antriebe und Umwelt?{/b}
Die Hersteller haben hier die Chancen nicht genutzt und alte Fehler wiederholt. Es werden seltene Erden und Metalle verbraucht, von Recycling kann keine Rede sein.
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