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Report - Handel

Fahrradhandel: Quo vadis?

Während es im Einzelhandel in den vergangenen Jahren zum Teil einschneidende Veränderungen gegeben hat, konnte sich der mittelständisch geprägte Zweiradhandel gut behaupten. Doch mit dem E-Bike-Boom und dem allgemeinen Run auf E-Mobilität könnte es mit der Beschaulichkeit bald vorbei sein.

Mit der voraussichtlich auch künftig positiven Marktentwicklung von E-Bikes gewinnen neue Geschäftskonzepte und -ideen an Gestalt und Konjunktur. Marken- oder zielgruppenspezifisch ausgerichtete Zweiradläden öffnen, neue Unternehmen mit innovativen e-Mobilitätskonzepten starten in attraktiven Lagen, Motorradhändler erweitern ihr Sortiment Richtung E-Bikes und selbst Autohäuser setzen künftig auf den Verkauf von elektrisch unterstützten Zweirädern. Um sich gegen die etablierte Konkurrenz aus dem Fahrradhandel zu behaupten und sich gezielt abzugrenzen, setzen viele junge Unternehmen zudem auf modernes Marketing, neue Services, Interaktion und Erlebnischarakter. Vom Logo über die Ladengestaltung bis zu Internet und Social Media, PR und Events wird zunehmend die gesamte Palette der Kommunikation zur Kundengewinnung und -bindung genutzt.

Herausforderung Internet

Vom Einzelhandel wird das Internet vielfach als Bedrohung wahrgenommen und auch Fahrradhändler machen da keine Ausnahme. Von Preiskampf und Beratungsdiebstahl ist oft die Rede, während die Chancen, die sich durch das Medium gerade für emotional besetzte und erklärungsbedürftige Produkte – wie E-Bikes – bieten, bislang kaum erkannt und wahrgenommen werden. Dabei schauen sich Kunden gerade bei größeren Anschaffungen mehr und mehr zuerst im Netz um, bevor sie zum Händler gehen.
Nach einer repräsentativen Studie des Hightech-Verbands Bitkom aus dem Jahr 2010 informiert sich inzwischen mehr als die Hälfte aller Bundesbürger vor einem Kauf im Internet über Preise oder Produkteigenschaften. Dabei spielen Erfahrungsberichte und Empfehlungen anderer Kunden auf Websites, in Foren oder sozialen Netzwerken eine immer größere Rolle. Aber nicht nur bei den Produkten suchen Kaufinteressenten inzwischen im Netz nach Informationen, sondern auch bei der Wahl des richtigen Händlers. Ist er in diesem neuen Bereich kompetent? Hat er ein attraktives Produkt- und Service-Angebot? Eine gute Leistung ist gefragt und dafür sind Kunden beim E-Bike gerne auch bereit, die Angebote zu vergleichen und längere Anfahrtswege in Kauf zu nehmen. Doch auch wenn viele Fahrradhändler inzwischen über passable Webseiten verfügen: Abgesehen von Hinweisen, dass man auch einige Elektrofahrräder führt, sucht man Informationen im Sinne einer gezielten Kaufberatung zum Thema E-Bike bislang leider oft vergeblich.

Spezialisten machen Druck

Viele neue Anbieter, Filialisten und Online-Shop-Betreiber wie die Internetstores AG oder Rose-Versand sind hier schon viel weiter und punkten längst nicht mehr allein durch günstige Angebote und die Möglichkeit, 24 Stunden am Tag zu bestellen. Sie nutzen inzwischen alle Möglichkeiten und Instrumente des Web 2.0, um eine gute Beratung zu gewährleisten und das Vertrauen und die emotionale Bindung der Kunden zu stärken – beispielsweise durch Produktbewertungen, Videos, Blogs, Foren, Facebook-Anbindung usw.. Die persönliche Erfahrung oder eine Testfahrt vor Ort wird dadurch zwar nicht ersetzt, aber die Beratungsqualität lässt sich bei entsprechendem Aufwand an die des Einzelhandels annähern.

»Branchen können sich innerhalb weniger Jahre verändern, wenn ein Markt attraktiv genug erscheint, um neue Geschäftsideen und Verkaufskonzepte zu entwickeln und finanzkräftige Investoren anzuziehen«

Zusammen mit der Option, Ware bei Nichtgefallen problemlos wieder zurückzusenden, gewinnt der Onlinehandel zunehmend an Beliebtheit und nimmt dem stationären Einzelhandel Marktanteile ab.

  • In Deutschland wächst die Internetstores AG mit »Fahrrad.de« und der 2010 gelaunchten Plattform »e-ways.de«, einem Online-Fachhändler für Pedelecs, E-Bikes und Elektrofahrzeuge, weiter. Mit dem Ausbau des Bereichs Zubehör setzt Internetstores inzwischen verstärkt auf den gesamten Customer Life Cycle.
  • Der mittlerweile an über 500.000 Kunden in über 80 Ländern der Welt verkaufende britische Fahrrad-Online-Händler Wiggle ist für Investoren so attraktiv, dass sie für weiteres Wachstum 210 Millionen Euro bereitstellen. Dazu der Kapitalgeber Bridgepoint: »It benefits from the ongoing migration to online sales.«
  • Eine Vielzahl von Filialisten und neuen Unternehmen beansprucht im Internet inzwischen mit einem spezifischen Produkt- und Informationsangebot einen Know-how-Vorsprung und positioniert sich gezielt als Spezialisten für E-Bikes und E-Mobilität.

Filialen erobern den Markt

Zurück zum stationären Handel. Wer in der Weihnachtszeit mit offenen Augen durch die Stadt gegangen ist, dem wird aufgefallen sein, dass immer mehr alteingesessene Einzelhändler schließen. An ihre Stelle rücken Filialgeschäfte mit ausgefeilten, auf spezifische Kundengruppen zugeschnittene Laden- und Verkaufskonzepten und attraktiven Sortimenten. Längst schreitet die Filialisierung auch in kleineren Städten und Stadtteilen fort, denn in den 1A-Lagen sind die Wachstumspotenziale oft bereits ausgeschöpft. Dabei gewinnen keineswegs nur große Marken und internationale Konzerne im Verdrängungswettbewerb. Auch der klassische Einzelhandel entwickelt sich mit neuen Verkaufs- und Filialkonzepten weiter.
Viele der bekannten Filialisten haben sich inzwischen so als Marke etabliert, dass sie fast magnetisch Kundenströme anziehen. Sie alle haben dabei eins gemeinsam: Die Idee, einen Markt vollkommen neu zu gestalten und entweder einen möglichst großen Teil der Wertschöpfungskette zu kontrollieren oder aber durch Größenvorteile einen höheren Gewinn zu erzielen. So deckt beispielsweise die Fielmann AG als Hersteller, Vermittler und Dienstleister inzwischen die komplette Wertschöpfungskette der augenoptischen Branche ab. 2010 erwirtschaftete Fielmann mit 655 Niederlassungen einen Umsatz von 1,16 Milliarden Euro.
Immer wieder finden sich Unternehmen, die in bislang noch wenig filialisierten Branchen mit innovativen Konzepten neue Kunden gewinnen und bestehende Läden verdrängen. Beispiel Butlers: Hervorgegangen aus der 1829 gegründeten Firma Wilhelm Josten Söhne, einem klassischen Haushaltswarengeschäft, ist seit der Eröffnung der ersten Butlers-Filiale im Jahr 1999 ein Unternehmen mit über 150 Filialen im In- und Ausland, 650 Mitarbeitern und jährlich weltweit 30 Millionen Filialbesuchern geworden.

Der Erfolg des E-Bikes lockt neue Marktteilnehmer an, wie die 20 Mrd. Euro schwere Schweizer Migros-Gruppe mit ihrem Ladenkonzept M-Way.

Steht der Fahrradhandel vor einem Umbruch?

Was haben diese Veränderungen mit dem Fahrradhandel und speziell mit E-Bikes zu tun? Bei genauerem Hinschauen eine ganze Menge. Denn sie zeigen, wie sich Branchen innerhalb weniger Jahre verändern können, wenn ein Markt attraktiv genug erscheint, um neue Geschäftsideen und Verkaufskonzepte zu entwickeln und finanzkräftige Investoren anzuziehen.
Mit einem E-Bike-Boom im Massenmarkt scheinen Veränderungen im Fahrradhandel absehbar. In Deutschland erlebt das Fahrrad einen Imagewandel und eine Aufwertung mit neuen Nutzen, technischen Innovationen, attraktiven Designs und erstarkten Marken. Hand in Hand mit dieser Entwicklung gehen weitere Veränderungen in Bezug auf den Preis, die Kundenstruktur und die spezifischen Erwartungen der Kunden. In der Konsequenz könnten diese Entwicklungen den Markt gründlich in Bewegung bringen, denn auf die neuen Kundenbedürfnisse sind viele etablierte Händler bislang kaum eingestellt.
Filialbetriebe können, wenn sie gut aufgestellt sind, besser und schneller auf die Veränderungen im Markt reagieren. Zum Beispiel mit der Erarbeitung und Umsetzung schlüssiger standardisierter Marketing-Konzepte – bis hin zur Einrichtung von E-Bike-Kompetenzzentren. Vieles spricht demnach dafür, dass Filialisten wie Fahrrad XXL, Stadler, RadlBauer & Lucky Bike oder Decathlon mit derzeit 12 bis 16 Filialen in Deutschland künftig überproportional vom E-Bike-Boom profitieren könnten. Dazu stellt der Verband des Deutschen Zweiradhandels VDZ im Frühjahr 2011 fest: »Im Fahrradhandel findet nun auch ein Trend zu filialisierenden Fachhandelsgroßbetrieben statt, der nicht ohne Einfluss auf das Marktgeschehen der Branche bleiben kann.«

Neue Player mischen den Markt auf

Zu den etablierten Marktteilnehmern gesellen sich inzwischen immer mehr neue Unternehmen – darunter weltbekannte Marken, große Konzerne und finanzkräftige Investoren. Sie machen sich mit technischem Know-how, professioneller Kommunikation, neuen Konzepten und frischem Kapital daran, Marktanteile für sich zu gewinnen.
Beispiel Schweiz: Der anhaltende Erfolg von Flyer hat dort auch andere große Player auf den Plan gerufen. Im Herbst 2010 ist die Schweizer Migros-Gruppe (Umsatz 20 Mrd. Euro in 2010) mit dem Ladenkonzept »m-way« in den Markt für E-Mobilität eingestiegen. Und das Konzept scheint aufzugehen: Nachdem 2011 bereits der dritte Shop in City-Lage eröffnet wurde, sind 2012 drei weitere Geschäfte geplant. Auch Thömus setzt mit der Marke Stromer auf eigene Ladenlokale. Vier gibt es bereits und mit dem neuen Kapitalgeber Andy Rihs, millionenschwerer Hörgeräteunternehmer und Velofan (BMC, Bergamont), stehen derzeit alle Zeichen auf Expansion. Bei Erfolg in der Schweiz ist der Eintritt in den deutschen Markt wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Auch in Deutschland drängen immer mehr Unternehmen auf den Markt, die sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf den Bereich E-Mobilität konzentrieren. Neben E-Bikes und Pedelecs, die auch der Fahrradhandel anbietet, gibt es bei ihnen viele weitere Leicht-Elektrofahrzeuge vom Reha-Dreirad über Elektroroller und E-Mopeds über verschiedenen Bikeboards bis hin zu Segways und Elektroautos. Sie koppeln sich vom Thema Fahrrad ab bzw. verpassen dem Drahtesel mit entsprechenden Nachrüstsets ein Upgrade und setzen ganz auf Lifestyle und e-Kompetenz.
Interessante Konzepte entwickeln zum Beispiel e-motion Technologies, Lautlos durch Deutschland oder Orange Bike Concept. Auch wenn sie sich noch nicht zu ausgereiften Franchisegebern entwickelt haben, bieten sie schon heute Plattformen, die ihren Partnern den schnellen und professionellen Einstieg in die Vermarktung von Elektrofahrzeugen ermöglichen.

»Schwächt sich der Boom ab, kann aus dem derzeitigen Verteilermarkt schnell ein Verdrängungsmarkt werden«

Neben entsprechenden Marketingtools, einer ausgesuchten Produktpalette, Finanzierungsmöglichkeiten und zusätzlichem Know-how im Bereich Mobilitätsberatung und Flottenmanagement vermitteln sie vor allem ein neues Lebensgefühl. Und auch hier geht die Expansion voran: In Zusammenarbeit mit der Stadt Karlsruhe und der Automotive-Branche bietet beispielsweise Orange Bike Concept im neugegründeten Karlsruher eMobilitätszentrum auf 750 Quadratmetern alles rund um E-Mobilität - inklusive 70 Elektrofahrzeugen, die zum großen Teil auch getestet und gemietet werden können. Auch für die Vernetzung abseits der Fahrradbranche ist inzwischen gesorgt. Beispielsweise durch den neu gegründeten Bundesverband eMobilität BEM und Fachmessen wie die eCarTec in München oder die MobiliTec in Hannover.
Ein ganz eigenes Konzept mit hohen Umsatz- und Renditezielen verfolgen Walter Momberger und Helge von Fugler mit der Marke Ebike und einer Verkaufsstrategie mit Autohändlern als Handelspartner (s.a. Report S. 16-19). So sollen in diesem Jahr 50 Shops entstehen, die 11.000 E-Bikes verkaufen. Für 2013 wird eine Stückzahl von 37.000 erwartet und bereits 2020 will man europaweit jährlich eine Million Räder verkaufen, 300.000 allein in Deutschland.
Auch große Marken und Konzerne entdecken inzwischen das Thema E-Bike für sich: Nach Bosch ist inzwischen auch Smart als Marke vertreten, BMW plant für 2012 eine Ergänzung seines Elektroportfolios durch Roller und ein Falt-Pedelec, das Zulieferer-Joint-Venture SEW-Eurodrive entwickelt induktive Ladesysteme und einen neuen Antrieb für Pedelecs, die Deutsche Bahn startet »e-Call a Bike«, VW hat den Einstieg in die Elektroroller-Produktion im Rahmen eines Verleihsystems – vorerst für Asien – angekündigt und auch die Daimler-Tochter Car2Go schließt eine Erweiterung Richtung E-Bike nicht aus.

Chancen oder Bedrohung für den angestammten Handel?

Der Konkurrenzdruck steigt. Daran gibt es trotz oder wegen des E-Bike-Booms kaum Zweifel. Schwächt der sich irgendwann ab, oder gibt es demnächst ein Überangebot an Händlern, Produkten und Marken, kann aus dem derzeitigen Verteilermarkt schnell ein Verdrängungsmarkt werden. Mit Gewinnern und Verlierern. Gewinnen werden voraussichtlich die Händler, die es verstehen, neue Kompetenzen im Bereich E-Bike rechtzeitig aufzubauen, und denen es gelingt, diese Kompetenz auch effektiv nach außen zu kommunizieren – über das Internet genauso wie über das Erscheinungsbild des Ladens, die Präsentation der Produkte und neue Services.
Der Fahrradhandel ist mit fundiertem Zweirad-Know-how und etablierten Ladengeschäften gut gegenüber der wachsenden Konkurrenz aufgestellt. Für die Zukunft wird es wesentlich darauf ankommen, die Stärken weiterzuentwickeln und aktiv auf die Erwartungen und Bedürfnisse einer zahlungskräftigen und anspruchsvollen neuen Kundenschaft einzugehen. Dazu ist es wichtig, die Entwicklungen des Marktes vor allem in der Region sorgfältig zu verfolgen und selbstkritisch die eigene Positionierung und das Außenbild im Hinblick auf die Zukunft zu prüfen. Angesichts der sich abzeichnenden Umbrüche besteht für Händler die große Chance darin, sich jetzt – in guten Zeiten – mit diesen Themen zu beschäftigen und Kunden, genauso wie den Mitarbeitern im Laden, Lust auf das Thema E-Bike zu machen.//

1. Februar 2012 von Reiner Kolberg
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