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Report - Quereinsteiger

Frischzellen für den Fahrradmarkt

Der E-Bike-Boom bringt neue Impulse von außen in die ­Fahrradbranche. Neueinsteiger und frische Ideen bereichern das Bike-Business – oder mischen die Branche auf, je nach Sichtweise. Die Flexibilität der Marktteilnehmer ist gefragt wie noch nie.

Auf der Eurobike 2011 hat die Daimler-Tochter Smart mit Ihrem Pedelec-Konzept mehr Aufsehen erregt als jeder klassische Fahrradhersteller. Die Erwartungen der Kunden an Unternehmen aus dem Automobilsektor sind hoch, aber oft auch selbst erfüllend im Sinne von: »Wenn die Autobranche das mal anpackt, dann kommt eben ’was Gutes raus!« Dabei geht es auch bei den ganz Großen nicht von selbst. Auch sie könnten ab und an mehr Assistenz von Brancheninsidern brauchen, wie man immer wieder merkt. In der Smart-Werbung heißt es zum Beispiel: »Solange die Elektrounterstützung aktiv ist, braucht man eigentlich keine Schaltung. Der Fahrer kann an der Bedieneinheit per Knopfdruck zwischen vier Stufen wählen…« Und von einem smarten Yuppie-Testimonial, der stolz sein Smart-E-Bike präsentiert, heißt es, er habe bislang vier Ketten geölt und acht Ketten gewechselt. Die Logik dieser Äußerung dürfte nicht nur den Fachmann verwundern.

Neuzugänge machen die Branche breiter

Klar ist aber: Fahrradhersteller brauchen Know-how in Sachen Elektronik und IT, wenn sie sich im E-Bike-Bereich betätigen – was heute fast alle tun. Aber das ist nicht alles: Mit dem E-Bike wird sich auch die Strukturierung des Marktes ändern und sich vielleicht eine ganz neue Käuferschaft bilden. Kein Wunder, dass Quereinsteiger im E-Bike-Segment mit bislang ungewöhnlichen Strategien und ganz anderen logistischen Strukturen in die Branche kommen – beziehungsweise die Branche an den Rändern erweitern.


Die schnellen Modelle kommen bei der neuen Marke E Bike vom Schweizer Partner Stromer, während die Pedelecs bei Pantherwerke vom Band laufen.

Die Firma Advanced Technologies GmbH und deren Marke Ebike wurde erst im Oktober 2011 von Wolfgang Momberger und Helge von Fugler gegründet. Beide kannten die Branche zunächst nur von außen. Momberger ist in der Marken- und Vertriebswelt kein Unbekannter: Geschäftsführer beim Werbe-Giganten Ogilvy & Mather und Vorstandsmitglied bei Karstadt Quelle sind nur zwei seiner zahlreichen Karriereetappen. »Bis das E-Auto für die großen Märkte reif wird, dauert es noch. Das E-Bike boomt jetzt schon«, beschreibt Momberger seine Markt-Einschätzung. Wer sich wie Momberger auf den Vertriebswegen für technische Produkte auskennt, erkennt hier seine Chancen. Die Idee kam vom Partner. Fugler baute damals in Shanghai die Produktion eines Möbelunternehmens auf und erkannte das Potenzial der E-Mobilität. Die Partner von Ebike in der Produktion sind der Schweizer Premium-Hersteller Stromer (für E-Bikes bis 45 km/h) und die deutschen Panther-Werke. In gemeinsamen Teams werden Räder für Ebike in drei Kategorien entwickelt: Unter R wie Race findet man MTBs, S (Super Sport) kennzeichnet die Trekking-Modelle, ein C steht für Komfort. »Die Vorgaben in Punkto Rahmenform und Komponentenkonfiguration werden von Advanced Technologies definiert«, so Momberger. »Wir managen die gesamte Wertschöpfungskette und sind hautnah am Handel.« Der Vertrieb wird über die eigenen Ebike-Fachgeschäfte oder Premium-Fachhändler laufen, die exklusiv Ebike vertreiben sollen. Mit den beiden Handelsformen soll es Ende 2012 schon etwa 50 Verkaufsstellen geben. Desweiteren plant man mit Shop-in-Shop-Modulen in Premium-Autohäusern, die die insgesamt 12 E-Bike-Modelle an den Kunden bringen sollen. Nicht nur in der Herstellung, auch im Handel könnte die Autobranche also immer mehr mitzureden haben.

Gibt’s da auch was von Ratiopharm?

Beispiele für E-Bike-Pläne branchenfremder Unternehmen gibt es viele – auch wenn einiges, fragt man konkret bei betreffenden Firmen nach, vorerst nicht über den Gerüchte-Status hinausgeht. Ähnlich Bosch könnte Siemens in naher Zukunft ein komplettes System anbieten, wird im Markt gemunkelt. Konkrete Information darüber gibt es bislang noch nicht. Ebenso diskret verfährt auch BMW mit den Daten zur weiteren Entwicklung seines im Juli 2011 vorgestellten E-Bike-Prototyps.
Brose, einer der größten Hersteller für Elektromotoren im Auto-Innenraum (150 Millionen Stück pro Jahr), und Partner SEW haben bereits einen Tretlager-Motor vorgestellt, der ohne eigenes Gehäuse voll in den Fahrradrahmen – am Prototypen von Cube – integriert ist. Bei Brose ist man sich sicher, dass der Markt noch viel Potenzial hat: »Das Wettbewerbsumfeld bei E-Bikes und Pedelecs besteht aus Antriebsherstellern, die sich mit ihren Vorteilen ergänzen und nicht unmittelbar konkurrieren. Dadurch kann ein breites Kundenspektrum für dieses Segment gewonnen werden«, sagt Wolfgang Sczygiol, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Brose-SEW. Mit der Designstudie für das Mittelmotorkonzept will man entsprechend »neue Maßstäbe in punkto Integration und Design setzen«, so Sczygiol, der das serienreife Modell zur Eurobike 2012 ankündigt.
Auch wenn diese Art von Konkurrenz den Markt aus Kundensicht sicher belebt: Für die etablierten E-Bike-Anbieter geht es zunächst um einen neuen Mitbewerber, der Erfahrung und Know-how in Sachen Motortechnik mitbringt.

Fern aller Kategorien

Auch Third Element, heute als Fun-E-Bike-Hersteller bekannt, hatte bis Dezember 2009 nichts mit Fahrrädern am Hut. Dann gründeten ein Vertriebsmann, ein Designer, ein Hersteller von Motorsport-Teilen und ein Patentanwalt die Firma, deren Namen schon verspricht: Hier geht es weder ums Fahrrad noch ums Motorrad.


Bikes von Third Element sind – wie der Name schon andeutet – nicht Fahrrad, aber auch nicht Motorrad.

Der Antrieb für das sportive E-Bike mit dem Aussehen einer Enduro kommt von der Partnerfirma Clean Mobile und bietet mit 150 Newtonmeter soviel Drehmoment wie mancher Kleinwagen gerne hätte. Gebaut wird das Bike im alten MZ-Werk in Zschopau. Die sportliche Ausrichtung auch des Fahrwerks definiert das ab 4.500 Euro teure eSpire von Third Element zum Sport- und Fun-Gerät. Relativ klassisch ist der Vertrieb bisher ausgelegt, erklärt Gründungsmitglied Andreas Gutmann, gelernter Grafiker, der für das Marketing zuständig ist. »Händler mit hochpreisigen E-Bikes und Mountainbikes sowie Motorradhändler. Aber auch Autohändler sind unsere Partner.« Ein Problem ist – noch – genau diese Zwitterstellung des eSpire: »Eigentlich ist das Gerät ideal für den Tourismus«, so Gutmann, »aber abseits von Straßen dürfen nur Fahrräder beziehungsweise Pedelecs fahren; deshalb sind auch die Händler eher zögerlich.« Die gute Idee, mit einem Spaß-E-Bike und Know-how aus der Renn- und Motorenbranche etwas ganz neues zu machen, verlangt also noch nach einer weiteren strukturellen Lösung. Aber vielleicht ist die mit dem eSpire comp, einem auf der Eurobike 2011 vorgestellten Pedelec-Modell, schon da.

Quereinstieg, aber klassisch

Eine personifizierte Fahrkarte ins E-Bike-Business würde vielleicht so aussehen: Maschinenbauingenieur mit Entwicklungserfahrung im Automobilsektor und Know-how in der Elektrotechnik. Passt genau auf den 38-jährigen Till Rydyger, der einem großen Autobauer bei Stuttgart den Rücken zugekehrt hat und seit einem Jahr E-Bikes nach eigenen Vorstellungen baut. Vorerst vor allem für gewerbliche Endkunden mit eigenen Label-Vorstellungen – hier sind die Auftragsbücher für 2012 voll. »In Zukunft soll die Marke Remsdale aber auch für den Endkunden zu haben sein«, so Rydyger. Hierbei will er vor allem über die klassischen Vertriebswege laufen, also über Fahrradfachhändler.


Mit Brose betritt ein Anbieter mit viel Elektronik-Erfahrung den E-Bike-Markt.

Besondere Kennzeichen der Marke: unauffällig integrierte Akkus. »Viele E-Biker wünschen sich diese aufgeräumte Optik. Mit unserem ausgeklügelten System ist die Batterie außerdem absolut stoßgeschützt und sicher untergebracht. Nur der Händler oder wir als Hersteller können den Akku austauschen, wenn es einmal nötig wird.« Auch die Akku-Konfektionierung hat Rydyger in der Hand. Die Panasonic- oder Sanyo-Modelle werden nach seinen Vorgaben bestückt.
Sind Quereinsteiger also die besseren E-Bike- oder Komponenten-Hersteller? Machen sie grundsätzlich die »etwas anderen« Produkte? Wichtiger als diese Frage zu beantworten ist für alle Branchen-Beteiligten in der heutigen Situation: Flexibilität zeigen. Keiner weiß genau wohin die E-Bike-Reise geht, aber Potenzial gibt’s derzeit in Überfluss. //

1. Februar 2012 von Georg Bleicher
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