Messebericht – Teil 1
Spezialradmesse ist angekommen
… mit „ja“ beantworten. In Lauchringen an der Schweizer Grenze trafen 90 Aussteller auf gut 6.000 Besucher – eine Zahl, die auch letztes Jahr genannt wurde – und damit war die Veranstaltung für die Messemacher Gabriel und Florian Wolf und Franz Furmaniak klar als Erfolg verwertbar. Aber auch die meisten Aussteller waren zufrieden, die sonnenverwöhnten Besucher sowieso: Vor allem die Präsenz der Light electronic Vehicles, LEVs, war 2024 besonders hoch, so Gabriel Wolf. Sie zeigten damit die Wichtigkeit des Spezialrad-Segments für die Verkehrswende deutlich. Oder, wie es Branchen-Kommunikationsprofi Gunnar Fehlau ausdrückte: „Hier kannst du die Verkehrswende schon fahren.“ Und das taten die Besucher, denn tatsächlich waren die Quadvelos, Podbikes, Hoppers und (Lasten-)Trikes mit und ohne Hülle auf dem stark frequentierten, kombinierten innen- und Außenteststrecken die Eyecatcher und begehrte Testobjekte.
Lastenräder für alle
Selten war die Spezi bunter: Um ihre Interpretation des Dauerbrenner Cargobike zu präsentieren, kamen sogar Unternehmen wie Ca Go zur Spezi. Aber auch CargoFactory, ehemals Kargon, stellten hier ihren Long John aus. Dass das Cargobike auch ehemals branchenferne Unternehmen auf den Plan ruft, zeigte Spezi-Neuling Clemens Kirchner mit seinem nicht mehr ganz unbekanntem Iumentum. Sein Unternehmen ist ansonsten in der Elektronik-Branche unterwegs. Das Besondere am Iumentum – abgesehen vom Fokus auf geringes Gewicht: Die Ladefläche ist durch den „Torbogen“ im Transportkäfig vor dem Fahrer nicht nur für deutlich längere Frachten und größere Kinder auf der Ladefläche flexibel nutzbar, das Rad soll dadurch auch steifer sein. Bis zu 200 Liter Volumen fasst die Transporttasche. Hier gibt’s – wie mittlerweile bei vielen Modellen – eine Seilzuglenkung. Man will beim Made-in-Germay-Produkt Iumentum auf Premium-Qualität setzen und bietet außerdem eine individuelle Zusammenstellung der Räder oder einzelne Rahmensets an. Iumentum setzt auf geringes Eigengewicht – Einstieg bei unter 13 Kilogramm – und verkauft viele Räder ohne Unterstützung, liefert aber auch mit Pendix- oder Frontmotoren. Preislich geht’s bei 2.200 Euro los. www.iumemtum.cc .
Cargobike-Variante oder Mischform?
Nach dem Gravit von Hasebikes zeigt und auch Tern mit dem Orox ein E-Lastenrad für ruppiges Terrain. Im Gegensatz zum Hase-Frontlader ist das Orox ein Longtail. Und es fasst in die Vollen: Performance-CX-Motor mit 800 Wattstunden, 210 Kilo zulässiges Gesamtgewicht. Jenseits der glatten Straße kann ein Mensch mit bis zu 80 Kilo transportiert werden, auf Asphalt darf er auch 100 wiegen. Je nach Modell rollt das Rad auf 29er oder fetten 27er Reifen – letztere in satten vier Zoll Breite. Praktisch: Mit dem Orox hat man Zugriff auf das breite Zubehörprogramm von Tern, vom starren Festhalte-Bügel für Mitfahrende über Taschen bis hin zu Trägern für die Front.
www.ternbicycles.com
Newcomer aus Belgien
Noch relativ neu in Deutschland und ganz neu auf der Spezi sind die Belgier von 43, einem Kreuzrahmen-Longtail mit speziellem Detail: die kleine Box hinter dem Sattelrohr. Werden Kinder transportiert, hat das Kind hinter dem Fahrer darin eine sichere Fußablage – „für die anderen bis zu zwei Kinder sind die Trittbretter links und rechts des abgedeckten Hinterrads erreichbar“ erklärt, Noe Zimmer vom Brüsseler Hersteller. Ein 20er (hinten) und ein 24er Reifen sorgen für eine geringe Höhe der Familien-Fracht und tiefen Schwerpunkt. Fürs einfache Einsteigen, so zeigt Zimmer, kann der Sicherheitsbügel der die Kinder umfasst, hochgeklappt werden.
www.bike43.com
Erfinder und andere Spezis
Die Spezi würde ihre Herkunft verleugnen, gäbe es nicht das Erfinder-Labor. Zum Ganzkörper-Trainer umfunktionierte Trikes werden hier präsentiert oder auch Enthusiasten, die auf Standard-Dreiräder Karosserien in Premium-Qualität zaubern. Oder, ganz praktisch für eine große Klientel: Kim Bogner bietet mit seinem 3D-gedruckten Brückenaufnehmen die Möglichkeit, den E-Bike-Rahmen einen anderes Motorensystem anzupassen, also beispielsweise einen ausgedienten Yamaha-Motor gegen einen Bosch-Motor zu wechseln.
www.ebikerepair.eu
Aber auch die bereits werbewirksam auftretenden ClipClap-Pedale – ein System, bei dem man sich die Pedalcleats quasi mit Riemen um den Straßenschuh schnürt – konnten sich hier nochmals einem speziellen Publikum präsentieren.
www.clipclap.cc
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Aus dem Erfinderstadium heraus, aber gerade auf der ersten Präsentation in Deutschland ist RyB, Ride and Bike, das rollende Hotel von CampCycle. Entwickler Martin Pisonnault zeigt, wie aus einem kleinen Anhänger auf zwei 16-Zoll-Rädern mit Bogendach ein 2,06 Meter langes, stabil stehendes Bett mit Nachtschränkchen werden kann. In gerade einmal 10 Minuten ist das erledigt, man ist vor Regen geschützt und hat außerdem im unteren Teil des nur 48 Kilo schweren Hängers mit Weber-Kupplung noch 135 Liter Stauraum. Richtig, das ist nicht die einzige Anhänger-Schlafkoje auf dem Markt – aber es ist, glaubt man dem Kanadier, das kleinste und vor allem leichteste Bett to go fürs Fahrrad.
www.campcycle.ch
Nischen in der Nische
Noch nicht über das Prototypenstadium hinaus und so leider ohne Fahrerlaubnis der Entwickler ist das Mini-Quad (Arbeitstitel) von Tretzeug. Die findigen Techniker machten letztes Jahr mit dem Vierrad-Handbike Manul fürs Gelände auf sich aufmerksam. Jetzt gibt es eine Allrad-getriebene Version mit Pedalen: Drehmoment-starker Oli-Motor, Vierradantrieb, auf Wunsch Aufnahme für den Rollstuhl. Dazu ist das Allterrain-Quad mit seinen knuffigen 16er Stollenreifen auch noch faltbar, sodass es in einen Auto-Kofferraum normalen passen soll. Die aufwendige Allrad-Technik sorgt für gut dreißig Kilogramm Gewicht – allein die nötigen drei Ketten dürften für einige Pfund verantwortlich sein. Um auf ein Differential verzichten zu können, wurden die Räder mit zusätzlichen Freiläufen ausgestattet, „die Naben wurden von Tretzeug selbst entwickelt“, erklärt Mitgründer Markus Pohl. Eine 3x3-Nabe sorgt für die passende Übersetzung, vier Scheibenbremsen auch bergab für viel Sicherheit. Das Klientel: Familien – „damit lässt sich auch in unwegsamsten Gelände ein Anhänger ziehen“ – und Reha-Patienten. Und Spaß dürfte das Gerät auf jeden Fall auch machen.
www.tretzeug.de
Auf dem Innen- wie de Außenparcour nutzte das Publikum die Möglichkeiten zur Testfahrt ausgiebig und tatsächlich voller Begeisterung – fast alle Serien-Produkte konnten getestet werden. Nein, langweiliger ist die Messe sicher nicht geworden. Sie ist vielleicht aber auch bodenständiger geworden, wie auch der zweite Teil des Messeberichts zeigen wird.
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