7 Minuten Lesedauer

Neu in der Branche und auf der Eurobike 2022

Start-Up

Branchen-Neulinge faszinieren mit Ideen. Oft ist es ein neuer Gedanke zu einem in der Branche schon lange durchgekaut geglaubten und ungelösten Problem, das die Einsteiger beherzt anpacken. In der Start-Up-Area der Eurobike 2022 haben wir einiges entdeckt, was

Bike BoxBINSebastian Schmock von VelioAerosensorBike Box

seinen Weg in den Markt finden sollte – oder das vielleicht auch so ähnlich schon geschafft hat und nun mit einem neuen Konzept verbessert wird. Etwa 60 solche Stände gab es auf der diesjährigen Messe, und wenn man die Aussteller nach dem Interesse der Besucher an der Start-Up Area fragte, bekam man durchwegs positive Antworten. Wir haben hier vier besonders interessante Newcomer aus der Bike-Branche ausgesucht und werden in einem weiteren Beitrag noch einige Start-Ups aus dem New Mobility-Bereich vorstellen.

Windkanal to go

Das könnte auch ein Deep Fake sein, so überraschend ist dieses Konzept und seine Funktion auf den ersten Blick: Unter dem Namen Aerosensor entwickelte Dr. Baraby Garrood ein System, um die aerodynamische Haltung auf dem Rad zu verbessern. Der Clou: Das System funktioniert ohne Windkanal. Umfangreiche Sensorik und Kamera sorgen für einen enorm großen Datensatz, diesen auszulesen und die einzelnen Daten in einen Zusammenhang zu stellen, ist die Kunst. Das patentierte System besteht aus einem Sensor für den Luftwiderstand unter dem Lenker (Aerosensor), einer Kamera, welche die genaue Körperhaltung festhält (Aerobody) und einem speziellen Aerodrome-Prozessor, der die Daten in weniger als einer Millisekunde an das Anzeigegerät, zum Beispiel einen Garmin-Computer, sendet. Weitere, einfach erhältliche Daten wie zum Beispiel die getretene Wattzahl oder die Geschwindigkeit müssen mit eingespeist werden. Über diese Datenmenge berechnet das System die Aerodynamik der Sitzhaltung und vergleicht sie beispielsweise mit der in der zuvor gefahrenen Runde – optimalerweise wird der Test auf einer Radbahn durchgeführt. Er ist aber auch auf der Straße aussagekräftig. Hat man seine Position, Lenkerform und -Stellung etc. gefunden und als Vergleichsgrundlage eingegeben, zeigt der Computer in Echtzeit beim Fahren an, ob man gerade aerodynamisch besser oder schlechter unterwegs als dieser Vergleichswert.
Garrood arbeitet normalerweise im Umfeld der Formel Eins, und so bot sich an, das System auch dort zu testen – mit Erfolg. Genauso erfolgreich war laut dem Entwickler ein bekannter Radprofi, der seine Sitzhaltung mit dem Aerosensor-System verbessern konnte. Laut Aussage von Garrood ist seine Entwicklung die bislang einzige so umfassende Messung der Aerodynamik.
www.aerosensor.tech

Der QR-Code fürs Fahrrad

Gründer Daniel Kurpisz stellte in der Start Up-Area der Eurobike seine BIN vor, die Bicycle Identification Number. Sie soll sowohl dem Hersteller als auch Händler und Endkunden helfen, Fahrräder auf einfache Art zu identifizieren und vieles mehr. Dabei ließen sich die Entwickler von der FIN, der Fahrzeugidentifizierungsnummer aus dem Automobilbereich, anregen. Sie löste vor 40 Jahren die bis dahin gültige Fahrgestellnummer ab. Ähnlich wie beim Auto soll die BIN weltweit die Fahrzeughersteller und -Modelle bezeichnen. Viele weiteren Daten sollen für Industrie, Handel und Endverbraucher Komfort und Sicherheit bringen. Interessant wird es, wenn der Code mit einer digitalen Markierung im Rahmen versehen ist. Mit NFC, Nahfrequenztechnologie, wie man sie beispielsweise von der Konnektivität von Fahrradcomputer mit dem Handy kennt, lassen sich so die Daten aus dem Fahrradrahmen auslesen. Die BIN besteht aus 19 Stellen in 5 Bereichen. Vom Produkttyp über die Rahmenhöhe und Laufradgröße bis hin zum Hersteller und der Seriennummer kann alles enthalten sein. Der BIN-Code kann aber auch dazu dienen, ein Fahrrad als gestohlen zu melden, die Gewährleistungsbedingungen und deren Ablauf einzusehen oder die Wartungs- und Reparaturhistorie des Fahrrads abzurufen. Im Falle eines Defekts muss der Händler also nur sein Handy mit der entsprechenden App an den Steuerkopf halten und kann die entsprechenden Daten auslesen. BIN war übrigens schon 2021 auf der Eurobike vertreten, gilt aber dank der Weiterentwicklung aktuell noch als Startup. Einige E-Bike-Hersteller haben einer Partnerschaft mit dem tschechischen Entwickler bereits zugesagt.
https://bikeidnumber.org

Gebrauchtmarkt mit Service-Anhang

Der E-Bike-Boom und die extrem gestiegenen Preise legen nahe, dass ein wirklich großer Second-Hand-Markt für Velos mit und ohne Motor in greifbarer Nähe liegt. Noch fehlen aber fast bei allen bisherigen Versuchen, einen solchen Markt online für gebrauchte Fahrräder aufzubauen, die Strukturen. Das Kölner Unternehmen Velio will sich daran machen. Die Pläne gehen allerdings weit über den Online-Verkauf von Fahrrädern hinaus. Zunächst braucht man – Fahrräder. „Die ersten E-Bikes sind gekauft“, so Sebastian Schmock von Velio, aber wir suchen noch weiter, um eine geeignete breite Basis zu bekommen. Die Räder sollen zunächst zentral gewartet oder instandgesetzt werden, schließlich ist der Händler auch zur Gewährleistung verpflichtet. Später werden gegebenenfalls Händler-Partner eingebunden. Ein weiteres Standbein von Velio: Man will Versicherungen für die verkauften E-Bikes anbieten. Hierzu ist schon eine Partnerin gefunden. Diebstahl-, Verschleißschutz, selbst die Bekleidung und der Akku werden unter bestimmten Voraussetzungen in den Versicherungsschutz eingebunden. Einen kompletten digitalen Fahrradpass oder Bike-Manager soll jedes Velio-Rad bekommen. Darin hat man auch die Kontrolle über die Arbeiten, die bei Velio am Rad durchgeführt wurden. So wirbt man für einen hohen Wiederverkaufswert. Services wie die Navigation zur nächsten Ladestation oder Bike-Werkstatt sind angedacht.
Der Endverbraucher ist allerdings nur einer der Partner von Velio. Das Unternehmen will auch Verleihern, Leasinganbietern und Reiseveranstaltern mit Fahrräder und speziellen Services bedienen. Der Händler könnte beispielsweise eingebunden werden, indem er das alte Fahrrad eines Kunden für ein neues in Zahlung nimmt und ersteres an Velio weitergibt. Anfang September 2022 fällt der Startschuss.
www.velio.de

Einpacken, Auspacken. 40 mal.

Kein unbekannter auf der Eurobike ist die Bikebox, die nachhaltige Fahrrad-Verpackung. Schon 2019 hat sie den Eurobike Award verliehen bekommen, damals für eine Reise-Variante. Das war wohl Christine Collins nicht genug. Sie und Mitgründer Matthias Höfer krempelten das Konzept nochmals um. Die Bikebox Pro ist nun ein gänzlich anderes Produkt. Der Cyrcular Economy-Ansatz macht den Unterschied: Die Box ist aus voll recyclebarem Kunststoff und kann etwa 40 mal verwendet werden. Nach jeder Verwendung kann die Bikebox leer günstig zum nächsten Einsatzort gesendet werden. Sie lässt sich so klein zusammenfalten, dass sie sehr kleine Formatvorgaben der wichtigsten Logistikunternehmen wie DHL oder UPS erfüllt. Geht es mit der Haltbarkeit zu Ende, wird die Kiste aus ihrem Kreislauf genommen und kommt in den Schredder. Aus den Überresten entstehen neue Boxen.
Laut Studien hat die Anzahl von Umläufen den größten Einfluss darauf, wie nachhaltig Verpackungsmaterialien sind. Bei der Box mit etwa 40 Umläufen soll sich laut Bikebox die CO2-Belastung gegenüber Einweg-Recycling von Papierkartons um etwa 70 Prozent senken lassen. Beim Unternehmen ist man sicher, dass seine Box zum Versand-Standard für Zweiräder werden wird.
https://www.bikeboxpro.com/

21. Juli 2022 von Georg Bleicher
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login