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Report - Textiltrends

Was hast du denn da an?

Die Lycra-Hose mit Mehrzonen-Sitzpolster ist eine gute Sache, aber nicht das Ende der Entwicklung, wenn es um die Technologien bei Radbekleidung geht.
Ein kleiner Einblick in drei Gebiete, die derzeit trenden – eingeordnet von Experten.

Im Markt für Fahrradbekleidung ist Bewegung. Zum einen, was das Umsatzpotenzial betrifft: Einer Schätzung von US-Marktforschungsinstitut Grand View Research zufolge betrug das globale Marktvolumen im Jahr 2022 rund 5,6 Milliarden Euro – im Vergleich zu 4,9 Milliarden in 2019. Zum anderen tut sich auch einiges in Sachen Trends und Technologien. Wir haben Experten auf drei aktuelle schauen lassen.

Natur und Recycling

Noch dürfte der Anteil an regulär hergestellter Fahrradbekleidung deutlich größer sein als der von nachhaltig produzierter. Immer mehr Hersteller scheinen den Faktor »grüne Produktion« zumindest in Teilen ihrer Kollektionen zu berücksichtigen. Da gibt es Radhosen und Trikots aus Nylongarnen, die aus Fischernetzen gewonnen wurden, Bekleidung mit einem Anteil aus recyceltem Plastikmüll aus den Ozeanen oder solche aus (größtenteils) nachwachsenden Naturmaterialien wie Merinowolle.
Vaude, ein Hersteller, der sich bereits seit Jahren mit nachhaltiger Produktion und nachhaltigen Materialien beschäftigt, hat kürzlich eine Kooperation mit dem finnischen Forst-Spezialisten UPM angekündigt. Zweck dieser Zusammenarbeit ist die Herstellung von holzbasiertem Polyester. Dadurch soll das klassische Basismaterial für Funktionsbekleidung, das auf Erdöl basiert, erneuerbar und dadurch nachhaltiger werden. Das ist möglich, da Monoethylenglykol sowohl ein Bestandteil der Chemiefaser ist als auch von Holz; genauer: einem Harz, das für die Technologie zum Einsatz kommt. Anwendungen in der Radbekleidung sind denkbar, wenn auch noch nicht konkret geplant.

»Grün« ist nicht immer »grün«, manchmal aber doch. Vaude erforscht gerade den Einsatz von holzbasiertem Polyester.

Dr. Jan Beringer, Senior Scientific Expert beim Textil-Prüfdienstleister Hohenstein, findet es begrüßenswert, dass seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher immer mehr nachhaltige Materialien gefordert werden und dadurch die Industrie einen Anreiz hat, selbige entstehen zu lassen und einzusetzen.
Andererseits, so sagt er, berge der Begriff »nachhaltig« auch die Gefahr, dass die Menschen mehr kaufen, da sie ein gutes Gewissen dabei haben. Dadurch hebt sich der grüne Effekt aber auf. Denn mehr zu konsumieren, ist zwar gut für Industrie und Handel, schont die Ressourcen aber nicht. Selbst wenn es sich um »grüne Bekleidung« handelt. Hier heißt es ohnehin »Augen auf«: Wer sich nachhaltige Fahrradbekleidung ins Geschäft hängen möchte, sollte einen prüfenden Blick auf die Herkunftsbeschreibung der recycelten Materialien werfen und den Handelsvertreter oder die -vertreterin ruhig mit Fragen löchern.
»Beim Claim ›hergestellt aus Ocean Plastic‹ sollten die Leute zum Beispiel hellhörig werden«, so Jan Beringer. »Wenn Plastik einmal den Elementen ausgesetzt war, hat die Natur meist schon zu viel kaputt gemacht, um noch Kleidung daraus herzustellen. Deshalb stammt solches Plastik für gewöhnlich nicht direkt aus dem Meer, sondern von einer Müllhalde in der Nähe des Meeres.« Zudem ist der Umwandlungsprozess sehr (energie-)aufwendig und damit nicht unbedingt immer nachhaltiger als reguläre Produktion. Aber, und das ist eine gute Sache: Zumindest wird bereits existierendes Material wiederverwertet.

Beschichtung und Veredlung

Um Fahrradbekleidung nachhaltiger zu produzieren, gibt es noch einen anderen Weg. Diesen geht unter anderem der schwedische Hersteller Polygiene: Er rüstet Textilien mit geruchabsorbierenden, antibakteriellen und antimikrobiellen Technologien aus, damit sie seltener in die Waschmaschine müssen. Das spart nicht nur Wasser, Energie und Waschmittel. Weniger waschen bedeutet auch, dass das Gewebe weniger strapaziert wird und die Bekleidung länger hält. Gut für die Umwelt also, und die Menschen.
»Geruchabsorbtion ist ein Thema«, bestätigt Jan Beringer. Es biete vor allem in Sachen Komfort einen Vorteil, da Sportlerinnen und Sportler es durchaus als unangenehm empfinden, in müffelnden Klamotten herumzufahren. Gerade angesichts des Klimawandels mit steigenden Temperaturen hebt Beringer aber andere Funktionen in den Vordergrund: UV-Schutz und Kühlung.

Sporttextilien können heute den Schweißtransport optimieren und mit entsprechenden Veredelungen Geruchsentwicklung verhindern.

»Ein Textil bietet bessere Möglichkeiten, Schweiß effizienter verdunsten zu lassen als die Haut. Deren Oberfläche beträgt rund 1,8 bis zwei Quadratmeter, die Verdunstungsfläche eines Textils lässt sich durch die vielen kleinen Fasern zu einer Fläche von bis zu 200 Quadratmetern vergrößern«, erläutert der Hohenstein-Textilexperte.

Sturzschutz- und Aero-Strukturen

Grundsätzlich ist die Webtechnik ein effizientes Mittel, um einem Material bestimmte Eigenschaften zu verleihen. So geschaffene Oberflächenstrukturen können beispielsweise eine wärmende Wirkung erzeugen. »3D-Strukturen können sinnvoll sein, um Luft einzuschließen, die das Textil wärmer macht«, bestätigt Jan Beringer.
Skeptischer ist er bei der Schutzwirkung solcher Strukturen. Ausnahmen scheint es jedoch zu geben, wenn auch nicht in Form eines regulär geschaffenen Gewebes: Abrieb- und Sturzverhalten seiner Neuentwicklung hat GRDXKN (gesprochen: Grid Skin) beispielsweise mittels Tests wie dem Darmstädter Verfahren nachgewiesen. Die 4D-Drucktechnologie macht es möglich, 3D-Strukturen auf Textil aufzudrucken. So entsteht ein volumenbildendes Material, das abriebfest und aufpralldämpfend ist und so beispielsweise als Schutz bei einem Sturz dienen soll.

Aktuelle Sportmode wirkt sich gerade im Radsport auch positiv auf die Aerodynamik aus, mit entsprechenden Einsparungen bei der aufzuwendenden Leistung.

Ein weiteres, schon etablierteres Einsatzgebiet verschiedener Oberflächenstrukturen ist die Aerodynamik, zum Beispiel in Form von »Golfballprofilen« oder einer Rippenstruktur im Arm- und Schulterbereich von Radtrikots. Nun halten die von Jerseys und Zeitfahreinteilern bekannten Strukturen auch bei sogenannten Calf Sleeves Einzug. Das ist eine Art Kniestrumpf ohne Fußteil. Kamen sie vor allem im Triathlon lange hauptsächlich wegen ihrer Kompressions- und teils auch kühlenden Wirkung zum Einsatz, sollen sie in Aero-Version auch den Luftwiderstand auf dem Rad reduzieren. Bis zu acht Watt Energieersparnis seien beispielsweise durch die Swiss Side Aero Calf Sleeves möglich, wirbt der Schweizer Laufradhersteller und Aeroexperte.
»Das kann funktionieren«, sagt Björn Geesmann, Sportwissenschaftler, Coach und Chef des Trainings- und Leistungsdiagnostikinstituts HYCYS, das demnächst einen eigenen Windkanal im Allgäu eröffnen wird. Er gibt jedoch zu bedenken, dass es in der Praxis durchaus große Unterschiede geben könne.
So haben Aero-Tests seines Instituts auf der Bahn mit verschiedenen Athleten sehr unterschiedliche Ergebnisse ergeben: »Bei manchen gab es mit Aero-Calf-Sleeves keinen Unterschied zur nackten Wade, andere sparten dadurch 5 bis 6 Watt.« Er betont, dass es eine sehr individuelle und von verschiedenen Faktoren abhängige Sache sei, wie viel solche Aero Sleeves bringen. Er rät: »Wer sich für Guards interessiert, sollte verschiedene Modelle zumindest getestet haben, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Dann finde ich ein solches Accessoire auch ganz okay.« //

31. August 2023 von Carola Felchner
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