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Unterwegs in Sachen Musik und Fahrrad auf der EXPO 2017
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Der etwas andere Messebericht:

EXPO 2017: Bob Giddens & Co rocken und radeln in Kasachstan

Messenachrichten gab es im vergangenen Jahr in der Fahrradbranche beinahe im Wochentakt. Und kaum ein Thema hat die Branche in diesem Jahr so elektrisiert und wurde so kontrovers diskutiert. Eine ganz andere Messegeschichte erlebte Bob Giddens, bekannt als Frontmann von Carry-Freedom-Anbieter Used und gleichzeitig Sänger einer Rockband. Beide Passionen brachte Giddens als Vertreter Deutschlands und der Fahrradszene bei der diesjährigen Weltausstellung EXPO 2017 in Astana/Kasachstan als Aussteller im deutschen Pavillon zusammen. Die Erlebnisse dort haben Giddens und sein Musikpartner Heinz Rebellius jetzt niedergeschrieben – ein Messebericht der anderen Art:

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Es war der 8. Juli 2017. Zwei Männer in beige-braunen Overalls bugsierten im völlig überfüllten Amsterdamer Flughafen Schiphol – in den Niederlanden hatten gerade die Schulferien begonnen! - nicht weniger als 15 Gepäckstücke durch die Menschenmassen. Darunter sechs überdimensionale Pappkartons, in denen Fahrräder und Fahrradzubehör steckten. Diese beiden Männer hatten eine Mission, und die hieß: EXPO 2017 in Astana/Kasachstan. Und diese Männer waren wir – Bob Giddens und Heinz Rebellius, Sänger und Gitarrist von Cliff Barnes and the Fear of Winning. Auf Einladung des deutschen Pavillons jetteten wir in die Hauptstadt Kasachstans, wo wir in einer Woche und in 20 Shows den Kasachen und der ganzen Welt zeigen sollten, dass Rock´n´Roll ohne Steckdose sehr wohl funktioniert. Denn wir hatten unser Pedal Power System mit an Bord, bei dem vier modifizierte Fahrräder den kompletten Strom für unsere Performance erzeugen. Da die gesamte EXPO 2017 unter dem Thema „Future Energy“ stand, waren wir natürlich genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort!

Zur richtigen Zeit landeten wir dann auch in Astana – dank einer Zeitverschiebung von vier Stunden und einem etwa sechsstündigen Flug erreichten wir gegen Mitternacht den modernen Flughafen und wurden von Mitgliedern unserer Konzertagentur stürmisch begrüßt. Sie waren wohl selbst davon überrascht, dass man uns mit all unserem Gepäck ins Flugzeug und auch ins Land Kasachstan hinein gelassen hatte. Eigentlich hatten wir erwartet, vom kasachischen Zoll durchsucht zu werden, schließlich hatten wir einiges an ominöser Elektronik mit dabei. Aber die lapidare Frage „Habt ihr Geschenke mit!“ war die einzige, die wir beantworten mussten.
Dschenghis, der kasachische LKW-Fahrer, brachte uns und all unsere Taschen, Pakete, Gitarren, Fahrräder und Koffer dann auf´s Expo-Gelände, wo wir über zwei Stunden auf einen weiteren Sicherheitscheck warteten, und irgendwann landeten wir in unserem bescheidenen Hotel und schliefen erstmal aus.

Strom aus Fahrrädern?

In der Nacht von Sonntag auf Montag stieß dann auch unserer dritter Mann dazu – Harry Schuler hatte noch schnell auf dem G20-Gipfeltreffen für das Kommunikations-Netzwerk dieser Veranstaltung ein paar Strippen gezogen, ehe er uns nachreisen konnte. Gerade rechtzeitig, denn Montag waren die ersten Shows. Wir waren anfangs nicht sicher, ob alle Leute, die uns dort sahen, auch genau wussten, dass unser Strom mit vier Fahrrädern erzeugt wurde. Aber Kasachstan ist eine Fahrradnation und die vier Fahrräder waren immer mit Leuten besetzt, die strampeln wollten. Gut für uns! Wir hatten uns extra Schilder in Kasachisch und Russisch angefertigt, auf denen „Mehr“, „Weniger“ und „Stromerzeuger gesucht“ stand. Übrigens: Das Wetter in Astana ist eine Wucht! Im Sommer steigt die Temperatur bis auf +40°C, im Winter sinkt sie auf -40°C! Bei unseren Konzerten, die draußen stattfanden, gab es abwechselnd Regen und Sonne, sodass wir unsere Anlage in Müllbeutel einpackten, um sie vor Regen zu schützen.

Wir hatten natürlich Zeit, uns auf der EXPO 2017 umzuschauen, und es war mehr als interessant zu sehen, wie viele Länder sich nicht nur ernsthafte Gedanken um die Energieversorgung der Zukunft machen, sondern auch konkrete Projekte in die Tat umsetzen. Wir waren insbesondere von den Pavillons von Österreich, der Schweiz, Litauen und auch Deutschland begeistert, wo u. a. gezeigt wurde, dass die Energieversorgung eines ganzen Hauses von Algen übernommen werden kann, die an den Hauswänden wachsen. Es gab diverse Solar-Autos und innovative E-Bikes zu sehen, Windparks in Wüsten und Meeren, Gas-Transporte per Schiff, Wasserstoff-Lokomotiven und viele, viele andere Konzepte, die zeigten, dass Ressourcen schonende Energieversorgung längst Realität ist. Singapur ist ein gutes Beispiel, wo ganz viel Positives in dieser Richtung passiert. Warum diese Konzepte aber weltweit und vor allem im Westen so wenig verbreitet sind, zeigte ein wenig der russische Pavillon, der ganz begeistert von seinen Öl- und Gasvorräten in Sibirien berichtete. Thema verfehlt! Auch der gigantische kasachische Pavillon, der auf acht Stockwerken in dem riesigen Globus untergebracht war, brachte wenig neue Erkenntnisse darüber, was diese Ölnation eigentlich bereit ist, selbst für die Energieversorgung der Zukunft zu tun. Ihr Pavillon zeigte eher informierend allgemeine, alternative Energie-Systeme, die aber nicht im konkreten Bezug zu Kasachstan zu stehen schienen.

Kasachstan - ein unbekanntes Land

Überhaupt Kasachstan... Wie ist dieses Land? Das wurden wir oft gefragt. Wir konnten nur mit den Schultern zucken, denn gesehen haben wir eigentlich nur unser Hotel und die Straßen, auf denen wir zur EXPO fuhren. Aber diese Fahrten haben zumindest schon gereicht, um zu sehen, dass Astana wie eine Stadt aus George Orwells Roman „1984“ wirkt. Denn Astana, vor 25 Jahren aus dem Steppenboden gestampft, ist eine Ansammlung bizarrer Gebäude! Hier eine riesige, weiße Moschee, dort eine Pyramide, dann goldverglaste Hochhäuser, ein Riesendenkmal mit einem Ei oben drauf – das Wahrzeichen Astanas – und viele, viele leer stehende, prachtvolle Neubauten entlang der Hauptstraßen. Angeblich sind die Wohnungen in diesen Häusern zu teuer, sodass sich kaum Mieter finden. Denn Kasachstan ist arm, bis auf eine kleine Schicht, die das das Öl, das Gas, das Geld und damit das Sagen hat. Und die wollte der Welt mit der EXPO 2017 eine richtig gute Show bieten – was ihr tatsächlich auch gelungen ist.

Während unserer Zeit trafen wir mit anderen deutschen Musikern zusammen – der großartige Pianist Joja Wendt, die Meute, eine tolle Blaskapelle aus Hamburg und Die Lochis, deren millionenschwere YouTube-Gefolgschaft ihnen diesen Gig auf der EXPO bescherte. Und Frank-Walter Steinmeier, den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, haben wir auch getroffen – bei einem fürstlichen Empfang in einem dieser protzigen Bauten, für die Astana den Spitznamen „Vorstadt von Dubai“ bekommen hat. Ganz nett, aber leider war hier das Pedal-Power-System nicht erwünscht. Dafür spielte dann eine Cover-Band aus München internationale Chart-Hits… Der Bundespräsident redete vom Business und den großen Chancen für eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Kasachstan, findet aber leider kein Worte über Menschenrechte und Umweltprobleme. Schade!

Deutschland = Bayern?

Wie überhaupt im Ausland, wurde Deutschland auch in Astana auf Bayern reduziert. Und Deutschland spielte diesen Joker gekonnt aus – mit einem immer gut besuchten bayerischen Restaurant, in dem typisch bayrische Spezialitäten wie Weißbier, Hax´n und Brezeln gab! Nur über den Apple Crumble müssten wir noch mal reden... Selbst für Frank-Walter Steinmeier gab es also nicht etwa einen soliden hannoverschen Willkommensgruß, sondern eine zünftige bayerische Blaskapelle samt Lederhosen. Witzigerweise kamen die meisten Künstler, die für den Deutschen Pavillon spielten, dennoch aus Nord-Deutschland!

Die Security war übrigens allgegenwärtig. Auf dem Konzert der Lochis waren mehr Soldaten und Geheimpolizei vor Ort als Zuschauer. Und überall gab es viele Kontrollen. Wir haben das alles mitgemacht und weise gelächelt, das Beste, was man in solchen Situationen tun kann.

Wie das immer so ist, trifft man natürlich auch in solch einem fernen Land viele Leute. Da war z. B. der amerikanische Journalist Ed Zuckerman, der in seinem lesenswerten Artikel in der renommierten New York Times über uns schrieb: „A band from Germany, Cliff Barnes and the Fear of Winning, played environmentally themed rock songs (“Ride My Bike”), their amplifiers powered by volunteers pedaling bicycles.“ Fahre nach Astana, und die New York Times schreibt über dich!!!

Die Woche und die 20 Shows waren so schnell wie im Flug vergangen – und apropos Flug: Nach der letzten Show am Sonntag demontierten wir die Fahrräder und packten unseren Kram zusammen, denn der Rückflug nach Amsterdam startete um 4:00 Uhr in der Frühe. Zu kurz, um noch eine Runde zu schlafen. Was im Übrigen auch gar nicht gegangen wäre, denn der bestellte LKW kam gut anderthalb Stunden zu spät. Kasachen-Time. So erreichten wir in letzter Minute den Flughafen, wo die Angestellten von KLM sichtlich begeistert waren, die nun drei Männer in ihren komischen braun-beigen Overalls mit 15 Gepäckstücken, darunter sechs Fahrradkartons, auf die letzte Minute noch abfertigen zu müssen. Wir verteilten großzügig CDs, lächelten noch eine Runde und schon saßen wir im Flieger nach Amsterdam. Dort gelandet, hatten wir noch eine letzte Begegnung mit dem Zoll, der nachfragte, wo wir eigentlich gewesen waren. Die Antwort war wohl zufriedenstellend, dann anschließend hat man uns sogar geholfen, unsere sechs hoch bepackten Gepäckwagen nach draußen zu bugsieren. Danke dafür, Niederländer!

Botschaft angekommen

Hat es sich diese Reise gelohnt? Wir denken, ja! Zwar ist unser Co2-Konto jetzt durch die beiden Flüge samt dem Transport der Fahrräder nach Amsterdam und zurück, maßlos überfüllt. Aber die Botschaft, mit der wir unterwegs waren, war es wert! Gerade Deutschland, das so viele Autos produziert, hat auf der EXPO durch den Einsatz einer kleinen Band aus dem Artland gezeigt, dass es auch anders gehen kann! Fahrradstrom als Zeichen der Demut in einem Land, in dem Öl- und Gas-Ressourcen endlos zu sein scheinen. Diese kleine Band hat zudem bewiesen, dass Musik alle kulturellen Unterschiede überbrücken kann, denn Musik ist die internationale Sprache, die jeder versteht!

EXPO 2017 in Astana/Kasachstan: Cliff Barnes and the Fear of Winning waren dabei und zeigten der Welt, wie Future Energy geht.

21. Dezember 2017 von Jürgen Wetzstein
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