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Report: Außendienst im Einsatz

Auf Achse für das Fahrrad

Wie sieht eigentlich der Alltag eines Außendienstlers aus? Wir setzten uns zwei Tage zu Jürgen Haumon, der für Velo de Ville unterwegs ist, ins Auto und fuhren mit auf seiner Händlertour.

Der Arbeitstag von Jürgen Haumon beginnt um acht Uhr morgens mit den magischen Worten »Hey, Siri ...«. Schon nach wenigen Metern Autofahrt verbindet ihn die digitale Assistentin mit dem ersten Gesprächspartner. Es ist das erste Telefonat von Dutzenden, die er an diesem Tag im Auto führen wird, um die kleinen und großen anstehenden Aufgaben zu erledigen. Organisatorisches, Fragen und Sorgen der von ihm betreuten Händler, der Austausch mit dem Innendienst und den Kollegen stehen auf dem Programm. All diese Dinge sind sein täglich Brot und von diesem Brot bekommt er jeden Tag reichlich.

Haumon ist ein Außendienst-Urgestein in der Branche. Seit ziemlich genau neun Jahren betreut und bereist er das Gebiet Bayern Süd und Baden-Württemberg Süd-Ost für Velo de Ville. Vielen in der Branche ist er aber noch aus seinen fast 20 Jahren davor bei Roeckl bekannt. Aktuell betreut Haumon in seinem Gebiet rund 110 Händler, die er regelmäßig besucht und mit denen er auch sonst in engem Kontakt steht. Etwa 65.000 Kilometer spult er pro Jahr im Auto ab. Das ist eine beachtliche Strecke für eine relativ überschaubare Fläche. Dieser Trip führt ihn wieder einmal in die Bodensee-Region, wo er insgesamt zehn Händler besuchen wird.

Auf diesem Trip hat er sich viele verschiedene Aufgaben vorgenommen. Es ist Anfang November, aber zwei Neukunden (für die Saison 2023) wollen noch besucht werden. Seit Kurzem ist eine Händlergruppe neuer Partner bei Velo de Ville und Haumon macht seinen Antrittsbesuch. Zu den zwei Neukunden, mit denen er die administrativen Formalitäten abschließt, fährt er gut vorbereitet: »Ich fahre niemals irgendwo hin, ohne dass die nötigen Formulare so weit vorausgefüllt sind wie möglich«, erklärt er seinen Anspruch. Auf Tour gibt es keine Zeit zu verlieren, weder seine eigene noch die der Händler, dafür hat er sich die Termine zu eng getaktet.

Ansonsten steht auch beim Altenberger Hersteller die Neukundengewinnung derzeit nicht im Vordergrund. Stattdessen zeigt er seinen Kunden die neuesten Möglichkeiten im Händlerportal und im neuen Konfigurator, bespricht die Mitarbeiterschulung vor der nächsten Saison, bearbeitet Reklamationen und erledigt vieles mehr. Bei einem Händler beurteilt er den Unfallschaden einer Kundin. Sie wurde von einem zurücksetzenden Autofahrer umgefahren. Als offizieller Elektroradsachverständiger der IHK München/Oberbayern kann er die Feststellung treffen, ob es sich um einen wirtschaftlichen Totalschaden handelt oder nicht. Bei dem gestauchten Tiefeinsteiger ist das der Fall. Das wenige Monate alte Rad hat nur noch Schrottwert. Sein Wort genügt für die Versicherung.
Nach wenigen Stunden mit dem 54-Jährigen lässt sich sein beeindruckendes Arbeitspensum nicht länger übersehen. Alles, was telefonisch angestoßen, erledigt, nachgefragt werden kann, wird sofort angegangen. Beimnächsten Stopp werden Mails gecheckt und schnell beantwortet. Nur komplexere Aufgaben bleiben zunächst offen. Zu den Kundengesprächen nimmt Haumon das Handy nicht mit hinein. Dort will er sich auf das Treffen konzentrieren.
Sein Arbeitstag endet erst kurz nach Mitternacht. Dann hat er alle losen Enden bearbeitet, die über den Tag angefallen sind und die ihm sonst den Schlaf rauben. »Ich schiebe nicht gerne Sachen auf«, erklärt er seinen inneren Antrieb. Normal sind solche langen Tage nicht, können aber mal vorkommen. Einsatz zeigt er auch bei der Geschäftsanbahnung: Attraktive Händler, die noch unerschlossene Verkaufsgebiete bedienen könnten, werden von Haumon auch mal jahrelang bezirzt, bis eine Geschäftsbeziehung zustande kommt.

Dienstleister und Problemlöser

Was macht den Außendienstler aus? »Nicht das Verkaufen ist essenziell, sondern die Dienstleistung. Die Aufgabe lautet, Wünsche und Probleme zu erkennen und zu lösen«, beschreibt er seine Tätigkeit. »Die Kundenzufriedenheit ist das Wichtigste«, lautet eine seiner Überzeugungen. »Die Händler kaufen zu 50 Prozent die Marke und zu 50 Prozent das dazugehörige Servicepaket.« Zu diesem Paket gehört die Geschäftsleitung, das Produktmanagement und Marketing bis hin zum Innen- und schließlich dem Außendienst, der als Gesicht des Unternehmens regelmäßig im Betrieb auftaucht und dafür sorgt, dass die Prozesse laufen. »Im Außendienst bist du immer ein Einzelkämpfer, trotzdem ist das Erreichte immer eine Teamleistung.«

Außendienstler sind bekannt für ihre mitunter sehr verschiedenen Arbeitsweisen. Ob findiger Chaot, professionelle Verkäuferin oder Charmeur mit Abschlussstärke, für ihre Arbeitgeber zählt am Ende oft nur das Ergebnis. Haumon gehört zu den Strukturierten und Organisierten. Kaltakquise ist nicht sein Ding. »Ich arbeite nur mit Termin«, erklärt er seinen Ansatz. Die Vorstellung, ohne erkennbaren Grund bei einem Betrieb aufzutauchen, missfällt ihm sehr. Die aufgewendete Zeit will er lieber zielgerichtet nutzen. »Ich bin vielleicht nicht der beste Verkäufer, aber einer der fleißigsten«, lautet seine Selbstbeschreibung. Mit »der beste Verkäufer« meint er diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die ihre Verkaufstechnik so weit perfektioniert haben, dass sie auch dann die ihrerseits gewieften Fahrradhändlerinnen und -händler vom Einkauf überzeugen können, wenn diese vor dem Gespräch noch nicht ganz überzeugt waren. Darauf legt er keinen übertriebenen Wert. »Profitorientierung ist nicht immer zielführend oder intelligent. Manchmal muss man den Händler auch mal einbremsen oder vor Fehleinkäufen bewahren.« Es gibt Handelsbetriebe, die manchen Außendienstlern bei der Vororder freie Hand geben. Sie kennen und vertrauen sich so umfassend, dass der Herstellermitarbeiter weitgehend frei entscheiden kann, was nächstes Jahr auf die Verkaufsfläche kommt. Haumon ist durchaus stolz darauf, dass er mit einigen seiner Kunden über die Jahre ein solches Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Wenn man dann auch noch hohe sechsstellige Umsätze mit einem Handelsunternehmen erzielt, »ist man nicht nur irgendwer, sondern ein relevanter Geschäftspartner«. Einer, bei dem zumindest die geleistete Arbeit geschätzt wird, sehr oft ist es aber mehr.

Private Gewinne und Verluste

Diese Reise ist einer seiner kürzeren Trips, für die er nur eine Übernachtung auswärts einplant. Übers Jahr kommt er auf circa 170 Übernachtungen, wovon er einen Großteil privat organisiert. Auch das ist einer der Vorzüge, wenn man wie Haumon ein kommunikativer, offener Mensch ist. »Über die Jahre entstehen viele Freundschaften«, blickt er zufrieden auf seinen bisherigen Weg zurück. Dabei will er aber nicht verhehlen, dass es auch Schattenseiten gibt. »Das ist etwas, was viele unterschätzen: Wir sind oft und lange von unseren Familien getrennt. Das ist nicht ohne.« Immerhin bereist er eine Region, die landschaftlich reizvoll ist. Gelegentlich erlaubt er sich den Scherz, einen wieder mal besonders schönen Sonnenuntergang in den Bergen fotografisch festzuhalten und an die Kollegen zu versenden mit den Worten »Außendienst in Bayern ist hart«.
Der nächste Morgen beginnt wieder mit dem Beantworten von E-Mails und den ersten Telefonaten im Auto. »Mein Anspruch lautet, E-Mails binnen 48 Stunden zu beantworten.« Wie es scheint, gelingt es ihm meist schneller, von einem Händler wird er gelobt als einer der Schnellsten in seinem Metier.

Die Liefersituation ist wie bei praktisch jedem anderen Hersteller auch bei Velo de Ville aktuell eine Großbaustelle. Haumon erklärt immer wieder die Marktsituation und versucht mit viel Einfallsreichtum, die schwierige Warenversorgung zu managen. Die Händler hören aufmerksam zu, kennen die Geschichte aber schon längst selbst aus leidvoller Erfahrung. Einer der besuchten Händler ärgert sich über das gegenwärtige Gebaren der Hersteller. »Ausnahmslos jeder Außendienstler kommt hier rein mit den Worten ›ich will dir ja keine Pistole auf die Brust setzen, aber wenn du nicht bestimmte Mengen kaufst, gibt es nichts‹« – und fühlt damit natürlich sehr deutlich die Pistole auf der Brust. Zumindest bei Velo de Ville gibt es derlei Vorgaben nicht. Der Custom-Made-Anbieter ist auf größtmögliche Flexibilität ausgelegt, im Moment hat aber auch Haumon nichts zu verteilen. Zu der aktuellen Reise gehört auch, den nächsten Vorordertermin anzukündigen. Schon im Januar und Februar 2022 wird er wieder vor Ort sein und die Order für 2023 schreiben. Dieser Zeitpunkt ist auch für Haumon Neuland. So früh, mit so viel Vorlaufzeit hat er noch keine Ordern geschrieben.

Auch dieser Tag ist gefüllt mit Telefonaten, Gesprächen, Schulungen und E-Mails. Am späten Nachmittag endet dann die Tour, die dem Tacho rund 500 Kilometer hinzugefügt und viel interessanten Austausch geboten hat. Auch dafür werden Außendienstler geschätzt: Sie wissen, was gerade in der Branche passiert.

Der Job ist anspruchsvoll. Man muss die Sprache der Branche sprechen und auch sonst ein kommunikativer Mensch sein. Fachkenntnis in den verschiedensten Bereichen ist ebenso vonnöten wie die Bereitschaft, lange Zeiten weg von zu Hause zu verbringen. Zwar ist die Entlohnung dem Vernehmen nach mitunter gut, aber für die guten Gehälter ist einiger Einsatz nötig. Die in der Branche stattfindende Digitalisierung wird auch das Berufsbild des Außendienstlers verändern. Viele Aufgaben werden künftig schneller über die Händlerportale erledigt werden, doch den persönlichen Kontakt, den direkten Draht und die individuelle Betreuung wird so schnell kein Algorithmus ersetzen. Als Quelle von wichtigen Informationen und kompetenter Ansprechpartner zur Marke und darüber hinaus werden Außendienstler wie Jürgen Haumon noch lange zu den Händlerinnen und Händlern fahren. //

2. Dezember 2021 von Daniel Hrkac
Velobiz Plus
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