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Chance Winterradfahren

Auf Schnee und Eis zum Umsatzplus

Fahrradexpertinnen und -experten schauen meist neidvoll nach Amsterdam oder Kopenhagen. Gunnar Fehlau blickt hingegen nach Oulu in Finnland. Dort ist das wahre Paradies für Winterradler. Der Kommunikations- und Branchenexperte erklärt, was Winterradeln so reizvoll macht und wie der Fahrradhandel ein Stück vom Winterumsatzkuchen abbekommt.

Ja, ich bin bekennender Winterradler. Damit meine ich nicht, in der kalten Jahreszeit unzählige Kilometer auf dem Hometrainer im Keller abzuspulen. Das ist zwar ein veritables Geschäft und ein sicherer und komfortabler Weg für Radsportler, sich in Form zu bringen und dank moderner interaktiver Elemente längst auch eine gesellige Angelegenheit.

Echtes Winterradeln gibt es nur jenseits der Haustür

Dennoch besitze ich keine Rolle (mehr), denn die Rolle nimmt dem Radfahren für mich seine Reize: Mich aus eigener Kraft durch Raum und Zeit zu bewegen, den Wind zu spüren, die Natur zu beobachten, die Witterung zu riechen, das Wechselspiel zwischen Reifen und Untergrund zu hören und die Jahreszeiten hautnah zu erleben, all das ist Radfahren für mich. Tempo oder Kilometerleistungen sind mir dabei einerlei: Erlebnis statt Ergebnis ist Motto.

Der Winter hat so viel zu bieten, wovon Frühling, Sommer und Herbst nur träumen. So sind Winterausfahrten ideal, um die Landschaft zu erkunden. Vom Laub befreite Bäume geben die Sicht frei, wo im Sommer eine Wand aus sattem Grün den Blick versperrt. Radsportler sagen: »Wintertraining macht Sommersiege.« Ich entgegne folgerichtig: »Die schönsten Sommertouren werden im Winter entdeckt.«

Miteinander auf winterlichen Wegen

Im Winter ist in Wald und Flur weniger los. Damit meine ich weniger die Tiere, die im Energiesparmodus sind und lieber weit umfahren werden sollten, sondern auch den Menschen. Weniger Wanderinnen, weniger Läufer, weniger andere Radfahrerinnen und Radfahrer. Die Menschen, die dennoch draußen unterwegs sind, verbindet ein Gemeinschaftsgefühl, das man zu keiner anderen Jahreszeit erleben kann. Der Covid-Nutzungsdruck hat die Fronten vielerorts verhärtet. Schnee und Kälte reißen sie wieder ein. Es wird gegrüßt, geholfen und gerne auch mal der Inhalt der Thermos­kanne geteilt.

Wer jetzt aufschreit: »Ja, der Fehlau, der letzte Fatbiker Deutschlands. Was hilft mir das in meinem Radladen?«, denkt zu kurz. Coaches für Persönlichkeitsentwicklung würden es einen Glaubenssatz nennen, wenn Radhändlerinnen und -händler von einem Saisonverlauf sprechen. Die Saison entsteht zuerst als Gedanke, daraus folgen Handlungen, in deren Konsequenz kein Winterradeln stattfindet. Erst so entsteht der Saisonverlauf.

Wer im Winter radelt

Schaut man genau hin, so radelt im Winter der gleiche gesellschaftliche Querschnitt wie im Sommer. Schülerinnen und Studenten pedalieren Richtung Bildung, Senioren kaufen per Velo ein, Tourenradlerinnen drehen eine kleine Runde im Naherholungsgebiet und Radsportler sind auf Crosser, Gravelbike, Mountainbike und – wenn es die Straßenverhältnisse zulassen – per Rennrad unterwegs. Im Winter sind halt nur absolut betrachtet weniger mit dem Rad unterwegs. Dass das nicht sein muss, zeigt die Stadt Oulu in Finnland, deren Radverkehrsanteil auch im Winter kaum absackt. Der Youtube-Kanal »Not Just Bikes« aus Kanada (also klimatisch durchaus mit Finnland vergleichbar und deutlich kälter als Deutschland) hat einen detaillierten Blick aufs Winterradeln in Oulu geworfen und zeichnet sehr gut nach, warum niedrige Temperaturen und Schnee zum jeweiligen Radverkehrsanteil nicht zwangsläufig in einem »negativen« Verhältnis zueinander stehen müssen. Das Video »Why Canadians Can‘t Bike in the Winter (but Finnish people can)« auf Youtube lässt sich in erster Linie als Anleitung für Kommunen und Verantwortliche lesen, aber auch als Einkaufszettel für Radler in Regionen, die nicht wie Oulu aussehen: Gute Beleuchtung, passende Reifen und vielleicht sogar ein Fatbike stünden drauf.

Tiefe Temperaturen – hohe Umsätze

Spätestens jetzt wird der gewiefte Radhandel hellhörig. Mehr als 99 Prozent aller Radfahrenden dürften gegenwärtig eine unzureichende Ausrüstung fürs Winterradeln haben. Da winken Verkäufe. Sei es die Neopren-Ummantelung für den Akku, die richtigen Winterschuhe, Spikereifen, Winterhelm, Thermosflasche oder gar ein Winterrad. Das kann ein gut beschutzblechtes Rad mit vorzüglicher Lichtanlage, etwas aufrechterer Haltung und breiten griffigen Reifen (mit viel Reifenfreiheit) sein, oder auch die Königsklasse: ein Fatbike. Die waren mal Hype, sind etwas aus dem Blickfeld gerückt, aber nach wie vor funktionell das beste für Winterfahrten im Schnee und – mit Spikes versehen – auch auf Eis. //

2. Dezember 2021 von Gunnar Fehlau
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