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Report - Ausbildungsabbrüche

Ausbildungen erfolgreich zu Ende führen

Fahrradhändlerinnen und -händler spüren den Personalmangel bereits bei der Suche nach Auszubildenden. Richtig groß wird der Frust, wenn später die Ausbildung wieder abgebrochen wird. Doch Vertragsauflösungen können vermieden werden.

Ca. zwei Drittel der gelösten Ausbildungsverträge fallen 2019 – wie auch in den Vorjahren – in das erste Jahr der Ausbildung. 

Auch im Fahrradfachhandel blieben in den letzten Jahren Ausbildungsstellen unbesetzt. Der aktuelle »Datenreport« des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) belegt dies auch für das Jahr 2020 wieder: »Die größten Besetzungsprobleme waren 2020 erneut im Zuständigkeitsbereich des Handwerks zu verzeichnen.« Bundesweit blieben 12,8 Prozent des betrieblichen Angebots unbesetzt. »Seit 2009 (3,2 %) hat sich die Zahl der ungenutzten Ausbildungsstellenangebote im Handwerk somit vervierfacht.« In Industrie und Handel ist die Lage nicht ganz so dramatisch, doch auch hier wurde 2020 die 10-Prozent-Marke gerissen: »Insgesamt wurden … 33.500 Stellen ohne Erfolg angeboten, das waren 11,6 % des betrieblichen Gesamtangebots.«
Wer trotzdem einen Auszubildenden findet, kann sich glücklich schätzen. Thorsten Larschow, Inhaber von Rad&Tour in Cuxhaven, gehört zu diesen Glücklichen: »Wir können alle Ausbildungsstellen besetzen und sogar unter einer ausreichenden Zahl an Bewerbungen auswählen. Die besten Chancen haben allerdings Bewerberinnen und Bewerber, die wir durch ein Praktikum früher schon kennengelernt haben.« Derzeit arbeiten in seinem Betrieb fünf junge Auszubildende, eine Kauffrau im Einzelhandel, zwei Fahrradmonteure und zwei Fahrradmechatroniker. Larschow ist Profi, seit mehr als 20 Jahren bildet er aus, auch »Verkäuferinnen und Verkäufer, Grafikerinnen, Mediendesigner und bei Bedarf auch andere Berufe«.
Wird ein Ausbildungsvertrag vorzeitig wieder gelöst, ist der Frust groß. Deutschlandweit betrifft dies jährlich mehr als jedes vierte Ausbildungsverhältnis, Tendenz steigend. Für die Inhaberinnen und Inhaber der Betriebe bedeutet dies, dass sie erneut Geld und Zeit in die Hand nehmen und sich wieder auf die Suche begeben müssen. Doch auch die gescheiterten Azubis stehen vor einem Scherbenhaufen. Junge Erwachsene gehen dann oft einen Schritt zurück in die Unselbstständigkeit und Abhängigkeit von den Eltern. Im schlimmsten Fall fallen sie sogar komplett aus dem dualen Ausbildungssystem heraus und bleiben für immer Ungelernte.

Zeitpunkt der Vertragslösungen

Vor drei Jahren, also vor Ausbruch von Corona, entschied oft die Probezeit über das berufliche Schicksal der Auszubildenden. Die meisten Vertragslösungen fielen laut BiBB in diesen Zeitraum (Industrie und Handel: 34,7 Prozent; Handwerk: 30,2 Prozent) und in die Phase des ersten Ausbildungsjahres (Industrie und Handel: 34,2 Prozent; Handwerk: 31,8 Prozent). Szenarien, die auch Thorsten Larschow aus Cuxhaven kennt. Er musste bisher zweimal »die Notbremse ziehen«. »Das geschah immer nach dem Verstreichen der Probezeit. Die Anforderungen an Auszubildende sind anfangs nicht sonderlich hoch. Wenn allerdings nach ein bis zwei Jahren keine Entwicklung zu sehen ist, ist das für beide Seiten sehr frustrierend.«

Gründe für die Vertragsauflösung

Ursachen für Vertragslösungen gibt es viele. Die Erkenntnis, eine falsche Berufswahl getroffen zu haben und deshalb die Ausbildung abzubrechen, ist ein nachvollziehbares Argument. Laut »Ausbildungsreport 2020« der DGB-Jugend ist dies der Hauptgrund für einen Ausbildungsabbruch (60 Prozent). »Bereits an zweiter Stelle folgen jedoch Konflikte, die für mehr als die Hälfte der betroffenen Auszubildenden ursächlich für die Auflösung des Ausbildungsverhältnisses waren, gefolgt von der Enttäuschung darüber, in der Ausbildung zu wenig von den Ausbildungsinhalten beigebracht zu bekommen (39 Prozent)«, heißt es im Bericht weiter.
Doch auch die Betriebe haben Gründe, Verträge vorzeitig zu lösen: Mangelnde Leistungsbereitschaft, die sich in wiederholten Fehlzeiten und unzureichender Identifikation mit dem Betrieb ausdrückt, oder mangelndes Durchhaltevermögen zählen genauso dazu wie unzureichende Leistungen und das Gefühl der Überforderung der Auszubildenden.


Ca. zwei Drittel der gelösten Ausbildungsverträge fallen 2019 – wie auch in den Vorjahren – in das erste Jahr der Ausbildung.

Dass sich ein Schatten über die Auszubildenden legt, erkennt man auch an zunehmender Niedergeschlagenheit, schleichender Gereiztheit bis hin zu aggressivem Verhalten, sinkender Motivation für den Ausbildungsbetrieb oder die Berufsschule. »In der Regel ist es von allem ein bisschen. Außer eventuell Alkohol- und Drogenkonsum. Wenn das noch hinzukommt, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen«, weiß Thorsten Larschow aus eigener Erfahrung. »Drogenkonsum und dadurch eine komplett fehlende Struktur und Motivation zum einen und Faulheit zum anderen« waren der Grund, warum in seinem Betrieb eine Ausbildung jäh zu Ende ging. Bei den anderen genannten Indizien ist es leichter möglich, erfolgreich dagegen zu arbeiten.

Onboarding – eine Strategie gegen den Abbruch

Ein guter Einstieg in den Betrieb sorgt dafür, dass sich Auszubildende vom ersten Tag an wohlfühlen. »Onboarding« ist der Fachbegriff dazu aus dem Personalmanagement und bedeutet nichts anderes als ein systematisch gestaltetes »an Bord Nehmen« neuer Auszubildender. Dabei bleibt nichts dem Zufall überlassen. Ziel ist es, die Motivation und Eigeninitiative zu steigern sowie die Integration in das Team zu optimieren.
Was ist konkret zu tun? Der Neuling sollte vom ersten Tag an wissen, was auf ihn zukommt. Larschow hat dafür auf seiner Homepage die Unterseite »Karriere« eingerichtet, auf der er seinen Betrieb und den Arbeitsalltag potenziellen Auszubildenden auch per Imagefilm vorstellt. Überzeugend und authentisch empfiehlt darin der damalige Auszubildende Jonas Tredup – heute Meister – die Ausbildung zum Zweiradmechatroniker/zur Zweiradmechatronikerin Fachrichtung Fahrrad. Auch das Arbeitsklima in einem »netten, lustigen und freundlichen« Team soll Lust machen auf das Arbeiten in diesem Betrieb.
In den Betrieben angekommen, ist ein detaillierter Einarbeitungsplan für die ersten Monate eine wichtige Richtschnur.

»Ein Ausbildungs-abbruch wurde ja immer schon dann verhindert, wenn eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wurde. Glücklicherweise ist das ja derRegelfall.«

Thorsten Larschow, Inhaber von Rad&Tour in Cuxhaven

Der Plan gibt Aufschluss darüber, wann welches Aufgabengebiet ansteht und wer bei Fragen weiterhilft. »Wir versuchen Auszubildende früh in Verantwortung zu nehmen. Über das Maß, was sie lernen und können müssen, dürfen sie bei uns Bereiche selbstständig übernehmen. Das liegt nicht allen, aber wer es mag, findet hier zusätzliche Motivation«, erklärt Larschow sein Konzept für Azubis.

Feedback-Gespräche weisen den weiteren Weg

Während der Probezeit sollten regelmäßige Feedback-Gespräche auf Augenhöhe Standard sein. Dem Arbeitgeber nützt es nichts, wenn die Neuen nach seinem Mund reden. Vertrauen und Offenheit sind deshalb gute Ratgeber. Kritik, eine Beurteilung der geleisteten Arbeit im Abgleich mit den Erwartungen für die nächste Zeit sollten unmissverständlich besprochen werden.
Damit das Gesagte mit der Zeit nicht verhallt, können Ausbilderinnen und Ausbilder auch ein Patensystem aufbauen. Übernehmen können diese Funktion die Azubis im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr. Sie sind an der Situation der Neulinge am nächsten dran und können so zeigen, dass sie Verantwortung übernehmen können.

Hilfen, wenn’s nicht rund läuft

Ahnen Händlerinnen und Händler, dass ein Ausbildungsabbruch vor der Tür steht, gilt es, schnell zu handeln. Aufgeben sollte in dieser Phase aber noch keine Option sein, da es auch Möglichkeiten außerhalb des Betriebs gibt, die eine Ausbildung zu einem erfolgreichen Ende führen können. Beratungsstellen der Industrie- und Handelskammern (IHK) mit bundesweit rund 500 Ausbildungsberaterinnen und -beratern sind dazu verpflichtet, die betriebliche Ausbildung zu fördern, ebenso die örtlichen Handwerkskammern. »Auszubildende, die sich unzuverlässig verhalten, sind einer der häufigsten Gründe, warum Handwerksbetriebe uns um Rat fragen«, berichtet Jana Fuchs, Ausbildungsberaterin bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern. »Ebenso oft kontaktieren uns Betriebe, weil die Arbeitsweise der Auszubildenden nicht ihren Erwartungen entspricht. Wir suchen dann gemeinsam mit beiden Seiten nach einer Lösung. Unser Ziel ist immer, Ausbildungsabbrüche nach Möglichkeit zu vermeiden. Meist gelingt uns das auch.«
Sollte sich während der Beratung herausstellen, dass Fördermaßnahmen oder Unterstützungsangebote Dritter zum erfolgreichen Abschluss der Ausbildung beitragen, übernimmt Jana Fuchs die entsprechende Vermittlung: »Wenn Wissensdefizite geschlossen, Auszubildende wegen Lernschwierigkeiten länger unterstützt oder sozialpädagogisch begleitet werden müssen, empfehlen wir Unterstützungsmaßnahmen wie zum Beispiel die ›Assistierte Ausbildung (AsA)‹ und ›VerA – Stark durch die Ausbildung‹.«
Wenn es dem Auszubildenden oder dem Betrieb – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr möglich ist, die Ausbildung in Vollzeit fortzusetzen, steht selbst dann noch lange kein Ausbildungsabbruch im Raum. Die Modifizierung einer Vollzeitausbildung hin zu einer Ausbildung in Teilzeit sei über eine Vertragsänderung möglich, erklärte der Pressesprecher des BiBB gegenüber velobiz. Seit 2020 ist dies auch ohne Begründung möglich (vgl. Kasten).
Trotz all dieser Möglichkeiten gibt es Situationen, in denen ein Abbruch nicht zu vermeiden ist. »Einen guten und engagierten Azubi haben wir verloren, weil er lange Zeit krank war. Danach wollte er sich doch noch einmal in seinem ersten Ausbildungsberuf versuchen. In diesem Fall gab es eine einvernehmliche Trennung«, erzählt Thorsten Larschow etwas wehmütig von einer Vertragslösung, die das Leben schrieb.

7. April 2022 von Dorothea Weniger

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