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Eingerahmt von "Felgenquetschen" tagte der Bike Brainpool vergangene Wohe bei WSM.
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Denkfabrik für die Fahrradbranche

Bike Brainpool: Wie ticken die deutschen Fahrradfahrer?

Zweimal im Jahr kommen führende Köpfe der Fahrradbranche beim Bike Brainpool zusammen, um einerseits gemeinsam Zukunftsthemen für den Fahrradmarkt zu entwickeln, aber auch um Denkanstöße für das eigene Unternehmen mitzunehmen. Dass sich die Mitglieder des Brainpool vergangene Woche bei WSM, einem führenden Anbieter für Fahrradabstellanlagen trafen, hatte dabei durchaus einen symbolischen Charakter. Denn diesmal standen die Themen Infrastruktur und Fahrradnutzung im Vordergrund.

Eingerahmt von "Felgenquetschen" tagte der Bike Brainpool vergangene Wohe bei WSM.Manfred Tautscher von Sinus Sociovision informierte über das Ergebnis des Studie "Fahrradland Deutschland".Dr. Dennis Hürten erklärte, wie wichtig der Radtourimus inzwischen als Wirtschaftsfaktor in Deutschland ist.Dr. Achim Schmidt macht sich Sorgen über die Zukunft des Radfahrens.Die Teilnehmer des Brainpool-Treffens.

„Deutschland ist ein Fahrradland!“ - Mit dieser selbst für die Brainpool-Teilnehmer noch gewagt klingenden Aussage eröffnete Manfred Tautscher seinen Vortrag. Doch der Meinungsforscher weiß wovon er spricht: Im vergangenen Sommer befragte sein Institut Sinus Sociovision, auch bekannt als Anbieter der Sinus-Milieustudien, einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung zu ihren Fahrradgewohnheiten. Herauszufinden, „wie ticken die Deutschen, wenn es ums Fahrrad geht“, lautete die Aufgabe. Auftraggeber war der ADFC, der sich und der Branche die Studie zu seinem 30. Geburtstag spendierte. Auf der letzten Eurobike konnten ADFC und Sinus Sociovision erste Ergebnisse der Studie präsentieren (velobiz.de berichtete) . Für die Mitglieder des Brainpool ging Tautscher nun noch tiefer in die Details der Umfrage.
„Für 37 % der Bevölkerung ist das Fahrrad ein wichtiges Verkehrsmittel“, erklärte der Meinungsforscher seinen Zuhörern. Und: 38 % würden das Fahrrad zudem gerne künftig häufiger nutzen. Die Aussage, Deutschland sei ein Fahrradland, lässt sich damit also durchaus vertreten. Allerdings nur, wenn man dabei die Fahrradnutzung der Bevölkerung als Maßstab nimmt. Wenn es um die Infrastruktur für den Radverkehr geht, sieht die Sache schon anders aus. Rund 37 % der Bundesbürger fühlen sich nämlich auf dem Fahrrad in der Stadt nicht sicher, so ein weiteres Ergebnis der Befragung. Der diesbezügliche Leidensdruck der Bevölkerung ist offenbar hoch: Auf die getrennt gestellte Frage, in welche Verkehrsbereiche die öffentliche Hand künftig mehr Geld investieren soll, antworteten zwar 42 % in öffentliche Verkehrsmittel und 28 % in den Straßenbau, aber schon an dritter Stelle wurden mit 25 % die Fahrradwege genannt. Und immerhin noch 7 % schrieben der Politik bessere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder in das Pflichtenheft. Dazu Tautscher in seinem Vortrag: „Das zentrale Thema der Fahrradpolitik ist der Ausbau der Infrastruktur.“

WSM: Infrastruktur für den Radverkehr

Bei der Forderung nach besserer Fahrrad-Infrastruktur konnten sich die Gastgeber von WSM ein Grinsen natürlich kaum verkneifen. Schließlich zählt das oberbergische Familienunternehmen zu einem der Marktführer für Fahrradabstellanlagen. Neben mobilen Raumsystemen, Schaukästen und anderer Stadtmöblierung zählen Fahrradparker für das Unternehmen zu einem wichtigen Umsatzträger. Allerdings ist die Fertigung dieser lohnintensiven Produkte aus Stahlrohr in den vergangenen Jahren immer mehr unter Preisdruck geraten. 1997 wurde deshalb im tschechischen Breznice das Tochterunternehmen Metamax gegründet, bei dem seitdem sämtliche Produkte für’s Fahrrad vom Band laufen. Das Auslieferungslager befindet sich hingegen weiterhin am WSM-Standort Waldbröl, wodurch kurze Lieferzeiten für die überwiegend kommunalen, aber auch für gewerbliche und private Kunden gewährleistet seien. Apropos private Kunden: Deren häufigste Anlaufstelle bei der Suche nach Fahrradabstellanlagen für den heimischen Gebrauch seien zwar Baumärkte, doch schon an zweiter Stelle rangiert der Fahrradhandel. Allerdings würden die Kunden dort nur selten fündig. Aus Sicht von WSM-Geschäftsführer Werner Schenk lasse sich der Fahrradhandel damit einige Umsatzchancen entgehen.

Wirtschaftsfaktor Radtourismus

Um Umsatzchancen, wenn auch eher aus Sicht der Tourismusbranche, ging es auch im Vortrag von Dr. Dennis Hürten, dessen Marktforschungsinstitut Trendscope im vergangenen Jahr die aufschlussreiche Studie „Radreisen der Deutschen“ durchgeführt hatte. (velobiz.de berichtete) . Was viele vorher schon geahnt hatten, wurde mit der Studie erstmals auch zahlenmäßig belegt: Die Radurlauber haben für den Tourismus in Deutschland eine besondere Bedeutung. Mit rund 6,5 Mrd. EUR, die von Radtouristen in Deutschland jährlich ausgegeben werden, beträgt deren Anteil an der gesamten touristischen Wertschöpfung hierzulande rund 11 %. Eine weitere interessante Zahl: 21 % der deutschen Bevölkerung haben schon mal eine Radtour mit Übernachtung unternommen.

Mit der Studie zum Radtourismus konnte Trendscope also einige Wissenslücken in diesem Bereich schließen. Zusammen mit dem Institut ETI wollen die Kölner Marktforscher sich nun ein weiteres Gebiet im Fahrradmarkt vornehmen, zu dem bisher nur eher nebulöse Kenntnisse vorhanden sind: Hürten stellte den Brainpool-Mitgliedern die geplante Studie „Kundenmonitor Fahrradbranche 2010“ vor, die insbesondere das Image einzelner Marken und Anbieter im Fahrradmarkt beleuchten soll. Ähnlich eines Marken-Rankings, wie es beispielsweise in der Automobilbranche schon länger durchgeführt wird, soll dabei nicht nur die Bekanntheit von Marken untersucht werden, sondern auch deren Image beim Verbraucher. Als Basis soll eine Online-Befragung von rund 10.000 Personen dienen.

Neues Portal für fahrradfreundliche Lehrer

Dass Kinder als Zielgruppe für die Fahrradbranche kaum weniger wichtig sind, musste Dr. Achim Schmidt in seinem folgenden Vortrag nicht erst belegen. Auch ohne Expertenwissen leuchtet ein, dass die Fahrradbranche irgendwann Absatzprobleme bekommen wird, wenn Kinder nicht mehr Fahrradfahren lernen. Das mag sich zunächst vielleicht abwegig anhören, schließlich ist Fahrradfahren lernen als Teil des Heranwachsens in unserer Gesellschaft fest verankert. Doch aus Sicht des Dozenten der Sporthochschule Köln sind bereits deutliche Zeichen sichtbar, dass dies bei kommenden Generationen vielleicht nicht mehr so deutlich der Fall sein könnte. Sorgen sollte sich die Fahrradbranche jedenfalls über folgende Zahlen machen: 1997 berichteten Ausbilder an Schulen, dass bei 46 % der Kinder Mängel bei der Radfahrfertigkeit bestünden. Bei der letzten Umfrage im Jahr 2007 war diese Zahl bereits auf 72 % angewachsen. Auslöser ist nicht alleine ein verändertes Freizeitverhalten bei Kindern, die nachweislich immer mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen: Auch zu frühes Radfahrenlernen, so der Experte, kann kontraproduktiv wirken. Nämlich dann, wenn Kinder schon mit drei oder vier Jahren vom Laufrad aufs Fahrrad wechseln, obwohl die dafür notwendigen kognitiven Fähigkeiten vielleicht noch nicht vorhanden sind. Die Folge seien nicht selten Unsicherheiten, die dann auch im späteren Kindesalter oft nicht mehr abgelegt würden.

Gemeinsam mit dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) und dem Autoclub Europa (ACE) stellt die Sporthochschule demnächst ein Portal online, dass der nachlassenden Radfertigkeit bei Kindern und Jugendlichen entgegen wirken soll: Unter radschlag-info.de finden Lehrer, Übungsleiter, Eltern und andere Erzieher künftig eine Wissensdatenbank, in der umfassende Informationen über Radfahren bei Kindern gesammelt sind. Das beinhaltet beispielsweise Unterrichts- und Aktionsideen sowie rechtliche Grundlagen, aber etwa auch Informationen über Fahrradtechnik für Kinder. Darüber hinaus wird eine mit Experten besetzte Hotline angeboten, bei der sich Lehrer Ratschläge beispielsweise für den Fahrradunterricht holen können. „Viele Lehrer haben Berührungsängste mit dem Thema Fahrrad“, berichtet Michaela Mohnhardt, Projektleiterin beim VCD. Mit dem Radschlag-Portal sollen diese Ängste abgebaut werden.

Ob dies gelingt, werden die Brainpool-Teilnehmer sicherlich beim nächsten Herbsttreffen erfahren: Dann nämlich wird Kinderrad-Hersteller Puky Gastgeber für die Denkfabrik der Fahrradbranche sein. Als Rahmen für das nächste Frühjahrstreffen wurde hingegen der neue Branchenkongress Vivavelo ausgewählt, der im kommenden Februar in Berlin erstmals stattfindet.

12. Oktober 2009 von Markus Fritsch

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