7 Minuten Lesedauer
i

Report // Fahrradklingeln

Der Sound der Straße

Gehört dazu, funktioniert oft nicht, begeistert selten: Die Fahrradglocke genießt bislang nicht gerade die höchste Wertschätzung. Mit wachsender Radverkehrslast könnte sich das ändern.

Sie gehört an jedes Rad und auch in so gut wie jedes Fachgeschäft. Wer nach Umsatzgaranten im Zweiradhandel fragt, wird aber nicht so schnell ihren Namen hören. Mitnahmeprodukt, bloß nicht zu teuer, Modeartikel – selten hört man etwas anderes, wenn es um dieses durchaus wichtige Teil am Lenker geht.
Sicherheitsrelevant, aber selten sexy: so ist der Beziehungsstatus zur Fahrradklingel oder Glocke. Dabei steckt in dem tönenden Zubehör eine wichtige Funktionalität für zunehmend volle Straßen und Fahrradwege. Je mehr Fahrräder und E-Bikes die Verkehrswege des Landes befahren, desto eher wird auch der Handel sich noch einmal genauer mit den Signalgebern beschäftigen.
Spricht man mit Dirk Zedler über das Thema, dann fängt es sofort an zu schellen: Der Sachverständige mit eigenem Prüfinstitut in Ludwigsburg hat seit Jahren einen eigenen Prüfstand im Unternehmen, um Klingeln auf die DIN-ISO-Norm zu bewerten. Man muss dazu sagen, dass für die Fahrradglocke die strengsten Prüfnormen in der gesamten Branche gelten. Wer die Glockenprüfung bestehen und damit das CE-Zeichen legal auf seinem Pedelec oder E-MTB anbringen möchte, muss mit drei von vier Klingeln gleich eine ganze Reihe von Messwerten erreichen: Es geht um den Schall, der mit mindestens 85 dB austritt, um das Überstehen von mehr als 30.000 Klingelvorgängen und die Korrosionsbeständigkeit bei Regenwetter beziehungsweise sogar winterlichem Salzeinfluss.

Zwischen Pfennigartikel und Designobjekt

So aufwendig Zedlers Teststand ist, so viel Begeisterung er beim Vorführen entfacht, so selten lässt ein Hersteller überhaupt seine Produkte auf die Norm hin testen. Kein Wunder, meint Zedler: »Von den gängigen Serienprodukten im Markt schafft kaum eines die Kriterien.« Weil es so selten Nachfrage nach seiner Bewertung gibt, sammelt das Institut aus dem Schwäbischen auch mal auf eigene Faust Glocken fürs sogenannte »Benchmarking« zusammen, packt also auf eigene Faust Klingeln in den Prüfstand. »Die Ergebnisse sind desaströs«, sagt Zedler. Auf 90 Prozent schätzt er den Anteil der Produkte, die den Anforderungen nicht gerecht werden.
Hört man sich ein wenig in der Branche um, dann ist das kaum verwunderlich. Gerade die als OEM-Ware mit Fertigrädern ausgelieferten Produkte würden vor allem unter einem Aspekt gesehen: Kosten. Es handle sich oft um Centware, die für die allermeisten Hersteller kein Verkaufsargument oder Qualitätsmerkmal darstelle, sondern höchstens hübsch aussehen müsse, so hört man es von Gesprächspartnern. »Wenn man sich im Markt umschaut, muss man schon sagen, dass das Thema eher stiefmütterlich behandelt wird«, sagt Volker Dohrmann von Stevens in Hamburg. Auch für die Räder aus seinem Haus ist die Klingel nicht gerade zentral, allerdings legt man Wert auf eine sichere Mobilität im Alltag und bei Reisen. So gehört eine verlässliche Klingel zur Spezifikation, wenngleich Stevens auf Zuliefererseite wenig hochwertige Modelle vorfindet. »Aber«, sagt Dohrmann, »wir nehmen das schon ernst, versagen dürfen die Klingeln nicht.«

Nur leises Klingeln in den Kassen

In Abwesenheit objektiver Vergleichstests ist es gerade für die Händler gar nicht leicht, den Kundinnen und Kunden gute Empfehlungen zu geben, zumal kaum jemand mehr als 20 Euro für dieses Zubehör berappen möchte. »Für die meisten Fahrradhändler gehört ein Angebot ins Geschäft, aber das war es dann auch schon«, sagt Tobias Hempelmann, Vorstandsmitglied im Verband des Deutschen Zweiradhandels (VDZ). Gerade in ländlichen Gebieten mit geringerer Verkehrsdichte sei die Aufmerksamkeit der Kundinnen und Kunden für diese Produkte nicht groß. Denn dort wird ja die Klingel nur selten gebraucht. Also sieht Hempelmann für diese Produktgruppe eher bei städtischen Zielgruppen Potenzial. »Es ist ein Randthema. Nur da, wo es wirklich starke Frequenz im Laden und auf den Verkehrswegen gibt, wird die Klingel auch für Händler interessant«, sagt Hempelmann.
Andererseits: Es gibt durchaus Klingeln, die auch ein gutes Standing haben. Davon kann Daniel Gareus von Cosmic Sports berichten. Die Fürther vertreiben unter anderem die Produkte der australischen Marke Knog. Darunter findet sich die Klingel »Oi«, eine schmale, ringförmige Aluminiumkonstruktion in verschiedenen Farben, die als Objekt der Begierde gilt. Mehrere Hunderttausend von diesen Klingeln habe man bereits in den Markt gebracht, sagt Gareus. Das Unternehmen erlebte zuletzt erhebliche Nachfrage sowohl von Fahrradherstellern als auch aus dem Fachhandel, es gab sogar Lieferschwierigkeiten. »Die Notwendigkeit einer guten Klingel wird deutlicher, wenn mehr Menschen mehr Zeit auf dem Fahrrad verbringen«, sagt Gareus. »Und der Design-Aspekt sorgt dafür, dass Kundinnen und Kunden speziell nach diesen Produkten fragen.« Neben den Knog-Klingeln, die für ihr Erscheinungsbild prämiert wurden, hat Cosmic Sports zudem auffällige, weil farben- und musterfrohe Exemplare von Nutcase im Angebot, die passend zu den entsprechenden Helmen durchaus ein attraktives Paket für Händler darstellen. Wer sich ein wenig umschaut, erkennt, dass viele andere Hersteller ebenfalls auf diese Trends aufspringen und ähnliche Designs und vergleichbare Farbvielfalt bieten.
Bei Messingschlager hat man aktuell etwa 200 verschiedene Klingeln im Angebot, aber eine Hymne auf das Geschäft mit diesen Produkten hört man dennoch nicht. Eher gibt es folgende Einsicht: OEM-Klingeln müssten klein, unauffällig und aus rechtlichen Gründen vorhanden sein, wenig wiegen und vor allem wenig kosten. Für viele im After-Market-Segment sei die Klingel ebenso nur eine Frage des kostengünstigen Aufrüstens, etwa an Rennrädern. Ein drittes Segment sind die Nachrüster, die nach auffälligen Produkten suchen. »Farbenfrohe Akzente oder gar elektronische Geräusche, hier gibt es einige Angebote, um das Rad zu individualisieren und an die eigenen Vorlieben anzupassen«, sagt Martin Buchta, der für das Baunacher Unternehmen die Kommunikation verantwortet. Bei den anspruchsvolleren Kunden seien aber vor allem hochwertig gefertigte Klingeln aus Messing oder Kupfer gefragt.
Das Ende der Fahnenstange ist für das Thema im Zubehörsegment noch nicht erreicht. Ein Treiber wird die Verkehrssicherheit sein, meint Volker Dohrmann. Ebenso wie das Licht wird auch die akustische Warnung im dichteren Alltagsverkehr zunehmend relevant, vor allem bei einer immer weiteren Verbreitung und Nutzung von Pedelecs. Dirk Zedler sieht das genauso. »Die Beleuchtung und die Klingel an einem Fahrrad sind genauso wichtig wie die Bremsen und die Gangschaltung, wenn es um ernst zu nehmende Mobilität geht«, sagt Zedler. »Da wird an jedem Newtonmeter Drehmoment optimiert, aber man vergisst, dass sich der Fahrradfahrer auch mal den Weg freiklingeln muss.« Das ist sein Appell an den Handel. Denn streng genommen könnte es ja passieren, dass 4000-Euro-Pedelecs aus dem Verkehr gezogen werden, wenn sie die rechtlichen Anforderungen nicht einhalten. Dazu reicht zumindest in der Theorie eine Klingel, deren Sound nach dem Winterwetter Glückssache ist. //

11. Februar 2021 von Tim Farin
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login