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Report - Die Zukunft des SUV-Bikes

Dicke Dinger

Alles, was Eindruck macht und manchmal auch praktisch ist: fette Reifen, breite Lenker, Federung. Das SUV-Bike ist vor etwa fünf Jahren auf die Straßen gerollt und wurde dankend akzeptiert. Bleibt es Verkaufsschlager?

Vielleicht zuerst der Name, dann haben wir es hinter uns: Ja, das SUV-E-Bike hat seinen Namen vom Sports Utility Vehicle, der Allzweckwaffe der Autobauer in den letzten zehn Jahren, und das ist vielen Radfahrenden tatsächlich ein Dorn im Auge. 40,6 Prozent aller Pkw fallen aktuell in diese Kategorie. Doch Abgrenzungen vom Auto und moralische Ansprüche an das Fahrrad sind das eine, Verkaufszahlen und eine klare Aussage darüber, was das E-Bike kann und wofür es geliebt wird, das andere.

Bei Riese und Müller entstehen SUV unter anderem auch durch individuelle Ausstattungswünsche zu den Rädern.

Ein SUV ist für viele im Radbereich, wohl anders als beim Auto, ein Gefährt, mit dem sie absolut flexibel sind. Man kann die Tour weiterfahren, wenn wider Erwarten und entgegen der Darstellung von Komoot die Strecke plötzlich an einem matschigen Pfad endet, und dabei ist man sogar noch komfortabel unterwegs. Es ist das »Gravelbike für E-Biker«, aber mit mehr Schmackes. Vierrädrige SUVs werden selten auf Feld- und Waldwegen gefahren, das SUV-Fahrrad erfüllt dagegen tatsächlich gelegentlich den Zweck, den der Name verheißt. Insofern, und in Anbetracht der Bekanntheit des Ausdrucks, wäre es schwierig, einen anderen, weniger belasteten Namen für diese Bike-Kategorie zu finden. Aber es geht trotzdem ohne.

Kein SUV beim SUV-Spezialisten

»Wir benutzen diesen Ausdruck nicht«, sagt Julia Werling, Team Lead Public Relations bei Riese & Müller. »Wir gehen eher vom Bedarf aus. Bei uns fallen Räder in diesen Bereich, die MTB, City und Trekking miteinander verbinden.«

»Stollenreifen schließen die Lücke zwischen On- und Offroad.«

Julia Werling, Team Lead Public Relations, Riese & Müller

Eine eigene Kategorie gibt es dafür nicht, wer beim Mühltaler Hersteller kauft, kann sein Wunschrad ohnehin mehr oder weniger individualisieren. »Oft schließt man mit der Wahl von Stollenreifen die Lücke zwischen On- und Offroad.« Kunde und Kundin stellen also oft ihr Rad so zusammen, dass es ein Quasi-SUV ist. Beim Delite GT Touring etwa sei dies oft der Fall.

Komfort zuerst: Vom Tiefeinsteiger ausgehend entwickelt Victoria SUV-E-Bikes.

Hier kommt gelegentlich auch ein Frontgepäckträger hinzu. Für viele Menschen steht der Begriff SUV auch für hochwertige Ausstattung und Komfort. Komfortpakete, wie ein besonders hochwertiger ergonomischer Sattel oder ein gekröpfter Lenker sind auch bei Riese & Müller buchbar. »Oft wird auch der stärkere CX-Motor gewählt«, so Werling.
Überhaupt sieht man bei Riese & Müller das hochwertig ausgestattete und vor allem flexibel einsetzbare Rad immer auch unter dem Gesichtspunkt, dass damit das Auto zumindest teilweise ersetzt werden soll. »Dann steigen auch Ansprüche an Qualität und Komfort«, so die Projektmanagerin.

Gewicht könnte bald auch beim SUV eine größere Rolle spielen, findet man bei Kalkhoff.

Einen starken Wettbewerber zum SUV-ähnlichen Rad im eigenen Portfolio sieht Werling nicht, allerdings gewinnen die leichten urbanen Räder deutlich an Fahrt, die in gewisser Weise ein Gegenstück zum SUV sind. Dass sie den deutlich schwereren Vollausgestatteten damit Volumen nehmen, sieht man aber hier nicht.

Verschiedene Konzepte unter einem Dach

»Die dritte große Säule neben den urbanen Rädern und Trekking« nennt Thomas Goebel von Hartje die SUV-Reihe der Marke Victoria. »Wir sind darauf angesprungen, als ein, zwei andere Hersteller mit robusten, breit ausgestatteten Tiefeinsteigern herauskamen.«

Das Konzept des SUV bei Victoria überrascht zunächst. »Victoria steht für das Komfortrad«, so Goebel, »und daher entwickeln wir das SUV ausgehend von einem Tiefeinsteiger, entgegen vielen anderen, die aus dem Sport kommen. Die Oberrohrversion ist abgeleitet.« Komfort-Standard sind Federgabel und Federsattelstütze beziehungsweise Hinterradfederung.

»Das SUV wird immer weiterentwickelt!«

Reiner Gerdes, Global Sales Director Kalkhoff

Die Reifenbreite der Stollenbereifung hat sich laut dem Produktmanager bei 60 Millimeter eingependelt, bei Straßenbereifung sind es mindestens 50. »SUV/Allroad-Modelle heißen diese Räder bei uns, wie etwa die Modelle Avyon oder Fybron.« Letztere haben sogar einen Monocoque-Rahmen und Komponenten wie Lenker und Vorbauten aus Carbon, ein SUV ist also nicht notwendigerweise ein Superschwergewicht.

Belastet wird am ehesten der Geldbeutel: Das Topmodell liegt bei 8000 Euro Verkaufspreis.
In Zukunft soll es einen 29-Zoll-Reisetourer mit dem Modellnamen Utylion geben, so Goebel. In Kürze, denn »wir haben uns von der Modelljahr-Struktur verabschiedet und gehen in den Produktionslebenszyklus.«
Eine zweite Hartje-Marke mit SUV-Bikes ist Conway. Hier geht man laut Andreas Banse den genau anderen Weg: Die Gene kommen vom MTB. »Das SUV ist ja der Nachfolger vom All-Terrain-Bike.« Zur sportlichen Orientierung gehören für den Produktentwickler unter anderem »immer ein hochwertiges Luftfahrwerk und Vierkolben-Discs am Vorderrad. Wer ein SUV sucht, bekommt bei uns ein Paket«, so Banse. Das bedeutet: Sportlichkeit auch beim Motor mit Bosch Performance CX-System und oft 750 Wattstunden im Akku.

Kettler sieht sich bereits in einer sehr langen SUV-Tradition und als Miterfinder des Typs.

Einstiegspreis liegt bei knapp 4200 Euro. »Die SUV-Reihe wird bei uns sehr gepflegt, schließlich ist das für den Endverbraucher das bessere E-MTB, er muss nichts nachrüsten, das ist wichtig. Und es gibt für jeden das richtige Akkukonzept.« Auch bei Conway reicht das SUV in den Bereich »Transport im Alltag« hinein.

Mit dem SUV zum Premium-Anbieter

Bei uns heißt der Rad-Typ »Allroad«, erklärt Reiner Gerdes von der Traditionsmarke Kalkhoff. Ein Teil der Modellreihe Entice fällt unter diese Kategorie. »Wir wollen eine sportliche Marke mit der entsprechend jungen Zielgruppenansprache sein«, so der Global Sales Director, »und entsprechend ist übrigens unsere Bildwelt darauf ausgerichtet.« Das erkennt man, wenn man auf der Internet-Präsenz von Kalkhoff unterwegs ist. Die Marke Kalkhoff steckt mitten in einem Wandel. Die SUV sind bei Kalkhoff ein regelrechtes Zugpferd, »sie machen die meisten Stückzahlen innerhalb der Marke. Aber das SUV ist bei allen Herstellern wirklich wichtig.

Perspektivisch wird diese Gattung E-Bike bis 2030 das dominierende Segment unserer Branche sein.« In den letzten zwei Jahren gab es eine Verschiebung, vor allem vom Trekking-E-Bike hin zum SUV bei Kalkhoff. »Bereits ab 2025 werden wir um die 38 Prozent SUV haben!« Dabei verschwimmen die Grenzen: »Wir entwickeln weiter. Das Allround wird sich vor allem ab 25 in Geometrie, Design und Technologie noch deutlicher von Trekking und City abheben«, kündigt Gerdes an, noch ohne allzu sehr in die Details zu gehen. Mit dem SUV verjünge sich zudem die Zielgruppe. Leasing-Möglichkeiten helfen hierbei deutlich, damit für junge Menschen hochpreisige Räder erschwinglich werden. Sportlichkeit, also auch Rahmensteifigkeit, aber genauso Komfort sind tragende Säulen. »Ein Großteil unserer Modelle ist bis 170 Kilogramm Gesamtgewicht zugelassen.« Der preisliche Einstieg in Kalkhoffs eigentlichen SUV-Bereich liegt bei etwa 4600 Euro, die Range geht bis knapp 7000 Euro. Alle E-Bikes sind Hardtails.

Bei Specialized ist das SUV vor allem ein MTB für den täglichen Gebrauch, sportliche Gene inklusive.

»Das SUV wird stetig weiterentwickelt. Unter anderem mit weiterer Technik aus dem E-MTB-Bereich und vielen Sicherheitsfeatures wie ABS und Konnektivität«, so der GSD. Eine Vision für 24: Das SUV könnte leichter werden.

SUV mit Tradition

Keine erst entstandene Gattung ist das SUV für Kettler, wie Managing Director Sales & Marketing Ole Honkomp klarstellt. Räder dieser Ausrichtung »sind schon seit 30 Jahren unter der Marke Kettler präsent, allerdings erst seit einigen Jahren mit Bosch-E-Antrieb.« SUV ist bei Kettler »für ein breites Einsatzgebiet geeignet, sei es im leichten Gelände oder auf asphaltierten Straßen«, erklärt Honkomp. Dabei ist der Komfort wesentlich, aber auch Kindertransport, Einkäufe, Genussfahrten und lange Touren mit Gepäck können SUVs meistern.
Beim heute zur ZEG gehörenden Traditionshersteller stellt man ebenfalls eine immer noch steigende Nachfrage fest. Aktuell sei das Quadriga Town and Country unter anderem mit Bosch Smart System lieferbar. Interessant ist, dass auch hier auf der Webseite die Tiefeinsteiger-Version als Erstes, also als Basisversion für das SUV, angezeigt wird.
Mittlerweile sorgt die Sparte bei Kettler für mehr als 20 Prozent der Verkaufszahlen. »Erfolgreiches muss man nicht austauschen, wir denken grundsätzlich an Weiterentwicklung«, bestätigt man bei Kettler das Festhalten an der Gattung. Das SUV strahlt bei Kettler sogar auf andere Gattungen ab. So wurde das Longtail Flair L-N mit SUV-Komponenten ausgestattet, »um noch mehr Einsatzmöglichkeiten zu bieten.« Auch bei Kettler sind die Reifen noch mehr in die Breite gegangen. Als ideale Lösung sieht man bei Kettler moderne Reifentypen, die trotz Stollen für den gewünschten breiten Einsatzbereich einen sehr geringen Rollwiderstand auf Asphalt aufweisen. Die konsequente Weiterentwicklung ist noch lange nicht am Ende: Auf der Eurobike wird Kettler ein SUV-Modell mit neuem Getriebemotor vorstellen.

Nochmals Gene aus dem Gelände

Wie vom sportiven Hersteller Specialized zu erwarten, war das erste SUV auch hier ein Mountainbike, das mit Zubehör an weitere Einsatzbereiche angepasst wurde. »Ein E-MTB für den täglichen Gebrauch«, nennt es Stephan Barth, Category Lead Active & Kids beim Unternehmen.

»Die Offroad-DNA kann in der City sehr hilfreich sein.«

Stephan Barth,
Category Lead Active & Kids bei Specialized

»Der Trend zum vielseitigen E-Bike für die verschiedensten Einsatzzwecke ist immer noch erkennbar«, sagt er. Entsprechend erweitert wurde das Produktportfolio. Das Turbo (bei Specialized steht diese Kennzeichnung immer für E-Bikes) Tero etwa ist ein Hardtail-, das Tero X ein Fully-SUV. Das soll noch mehr Flexibilität, dabei aber »eine echte MTB-DNA« liefern. Dabei ist das Turbo Tero X ein sogenanntes Mullet Bike, das mit einem 29-Zoll-Vorderreifen und 27,5-Zoll-Hinterreifen ausgestattet ist. Damit ist es mehr für den Offroad als für den Onroad-Einsatz geschaffen. Beim Hersteller gibt es drei Typen, die sich aber nicht mehr nach Einsatzbereich, sondern in der Qualität der Ausstattung unterscheiden. »Hätten wir bei der Entwicklung eher an eine vollgefederte Alleskönner-Variante für den Einsatz auf der Straße gedacht, so hätten wir wahrscheinlich eine andere Entscheidung bezüglich Reifengröße, -breite und des Profils gewählt«, so Barth. Für die Zukunft erwartet man bei Specialized mehr vollgefederte Varianten, die sich für den Einsatz im Stadtbereich eignen. Bestehen bleibt dabei das Tero-X-Konzept, was dem Schwerpunkt durch tieferliegenden Gepäckträger zugutekommen soll. Die Offroad-DNA könne in der City hilfreich sein, so Barth. So nützt etwa die absenkbare Sattelstütze dort beim Auf- und Absteigen und beim Ampelhalt. Auf der anderen Seite werden klassische Onroad-Sicherheitsfeatures wie Bremslichtfunktion das SUV zieren. Die »Mission Control App« von Specialized deaktiviert zudem per Knopfdruck den Motor und kann einen Bewegungssensor aktivieren. Das sind Diebstahl-Features, die man von einem klassischen urbanen Velo erwartet. Die Zukunft sieht man bei Specialized, was die Nachfrage nach SUV angeht, durchaus rosig.

Weg vom E-Mountainbike?

Bei Sport-Hersteller Scott findet man das SUV interessanterweise nicht in seiner Reinform. Oder doch? Die Räder der E-Trekkingbike-Sparte Axis weisen dann doch deutliche Bezüge zur Gattung auf, allem voran die breiten Stollenreifen. Zwei Modelle sind Fullys mit 29-Zoll-Bereifung. Man setzt auf Bosch-Performance-CX-Antrieb mit satten 750 Wattstunden Energiegehalt. Laut Yvan Vekemans von Scott Sports entstehen die Räder aus dem E-MTB-Segment, doch schon während der Entwicklung der Rahmenplattform fließen Überlegungen ein, wie das Rad später mit Radschützern, Trägern und Licht ausgestattet werden kann und wie es dabei aussieht. Bei Scott werden die Räder intern All Terrain Bikes genannt. »Sie machen derzeit etwa 30 Prozent der vollausgestatteten Bikes aus«, so der Senior Product Manager.

SUVs heißen bei Scott All Terrain Bikes und stellen etwa 30 Prozent der vollausgestatteten Räder.

Das Konzept der MTB-DNA muss aber nicht so bleiben, denn Vekemans kann sich gut vorstellen, dass sich das All-Terrain-E-Bike auch aus einer anderen Plattform heraus entwickeln kann, je nach der Gewichtung des Einsatzbereichs, den die Kunden und Kundinnen anpeilen. »Das könnte sich gut auf das Fahrverhalten des Rads auswirken«, so Vekemans. »Weiterentwicklung im Detail« gehört auch hier zu den selbstverständlichen Aufgaben.

Never change a winning Team

Die Frage nach dem Verbleib des SUV auf dem Markt entpuppt sich also fast schon als rhetorische Frage. Der Radtypus gehört heute zu den meistverkauften und wird dazu von den Fahrradherstellern als noch im Wachstum begriffen beurteilt. Konzeptuell gedreht wird heute oft eher an kleinen Stellschrauben wie spezieller Ausstattung. Ein Komfortzuwachs durch gefederte Hinterbauten ist für manche Unternehmen die Zukunft.
Nur wenige Unternehmen können sich aktuell noch größere Entwicklungsschritte vorstellen, was für einen bereits hohen Reifegrad spricht. Kennzeichen des Rads und für den Endverbraucher sicher ein Aufmerksamkeits-Trigger bleibt die grobe Stollenbereifung. Dass das Rad unter anderem damit, aber auch durch besonders stabile Träger und hohe Sicherheitsausstattung, ein Tausendsassa ist, macht es umso beliebter. Wenn nur der Name nicht wäre... //

13. Juli 2023 von Georg Bleicher

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