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Report - Online-Schulungen

Digitale Evolution

Die Pandemie machte Präsenz-Schulungen zeitweise unmöglich, die Branche musste schlagartig einen großen Schritt in Richtung virtuelles Lernen gehen. Wie funktionierte das, und wo sieht man heute die Zukunft der Schulung?

Die Branche ist naturgemäß handfest. Die Händlerinnen und Händler verkaufen und warten vor allem das technische Produkt Fahrrad und seine Teile. Man hält wortwörtlich etwas in der Hand, das verstanden und repariert werden will. Das bedeutet auch, dass die notwendigen Schulungen zu den Produkten viel technische Praxis enthalten. Für viele Unternehmen schien daher bisher ein klassischer Workshop, in dem der Umgang mit den Produkten geschult wurde, unumgänglich. Doch dann machte die Pandemie das unmöglich. Seit Frühjahr 2020 musste ein anderer Weg gesucht werden, und wurde im virtuellen Lernen auch gefunden. Glücklich, wer sich schon einmal in den Formaten und dem Modus der Online-Übermittlung von Wissen versucht hat, und das waren dann doch einige in der Branche.
In der Not eine Neuentdeckung gemacht hat man bei Abus. »Im Zen­trum standen bei uns immer die Präsenzschulungen. Etwa zehn Konzepte gab es dazu, jeweils von Oktober bis März«, erklärt Axel Patzer, Schulungsleiter Mobile Sicherheit bei Abus. Die Präsenzveranstaltungen fanden in Hotels oder flexibel auch beim Händler statt, mit Werksbesichtigung auch am Abus-Standort. Schon seit Jahren bastelte man bei Abus aber parallel an Online-Formaten. Dann traf man auf Myagi, ein recht neues Online-Tool für Schulungen. »Das war ein Glücksgriff«, so Patzer. »Auf dieser Plattform konnten wir ein komplettes Schulungs-Angebot aufbauen«, inklusive vorbereitetem Zugang zu den Kunden, also vor allem den Abus-Händlern. Myagi will eine Schulungs- und Netzwerk-Plattform für komplette Branchen werden. »Das heißt, dass hier auch andere herstellende Unternehmen diese Plattform nutzen und daher ohnehin viele Händler anzutreffen sind.« Mit den internen Kanälen lässt sich für Händlerinnen und Händler das gesuchte Wissen direkt per Videoclip abrufen, dank Myagi-App sogar auf dem Handy. »Mit einem Clip erreiche ich so bis zu 2800 Verkäuferinnen und Verkäufer«, schwärmt Patzer, »und bin zeitlich total flexibel.« Es gibt fünf oder sechs Clips pro Produkt. Das fängt an beim Handling und geht über die Funktion bis hin zu Verkaufstipps. Die so Beschulten zahlen nichts für die Clips und können direkt Feedback geben. Bei Abus ist man heute so überzeugt von der Plattform, dass man sich einen zweiten, internationalen Account gekauft hat. Mittlerweile gibt es eine Mitarbeiterin, die sich ausschließlich um die Myagi-Schulungen kümmert.
Die Verkaufsschulung vor Ort schlägt bei Abus übrigens mit 150 Euro zu Buche, das Online-Seminar mit 90.

Professionelle Hilfe

Bei Spezialrad-Unternehmen wie HP-Velotechnik haben Präsenzschulungen schon aufgrund des komplexen Produkts einen hohen Stellenwert. Bislang wurde jeden Februar ein Schulungstag mit Händlerschulungen im Unternehmen durchgeführt. »Meist gab es zwölf verschiedene Themenbereiche«, erklärt Thomas Wilkens, der Vertriebsleiter. »Die Händler konnten sich einen Stundenplan mit den für sie relevanten Kursen zusammenstellen.« In der Corona-Krise waren diese Schulungen passé. Die Lösung konnte nur »Online« heißen. »Wir haben ein Filmteam engagiert, das Schulungsvideos produziert hat. Diese waren im Vorfeld über den Händlerbereich zugänglich. Zu einem späteren Termin konnten die Partnerinnen und Partner dann über das Programm Microsoft-Teams Fragen zu speziellen Problemen stellen.«
Während Präsenzveranstaltungen mit Verpflegung von einem Unkostenbeitrag der Händler und Händlerinnen unterstützt wurden, sind die Online-Formate kostenlos. Laut Wilkens kann der Online-Kontakt allerdings den »persönlichen Austausch nicht ersetzen. Wir haben mit den Online-Schulungen eine Lücke geschlossen, Verbraucherinnen und Verbraucher spüren in der Servicequalität des Handels keinerlei Einbußen.« Von den HP-Partnern und Partnerinnen gab es für die Schulungen durchwegs sehr positives Feedback. Der Fokus auf das Produkt kann, so die Erfahrung, bei den Online-Formaten im Vergleich zur Präsenzveranstaltung sogar noch intensiviert werden – es gibt weniger Ablenkung. Das trägt dazu bei, dass man in Kriftel in Zukunft eine Mischung aus beiden Formaten anbieten wird. Auch wenn »manche oder mancher mit der digitalen Technik immer noch etwas fremdelt …« so Wilkens mit einem Schmunzeln.

Bei null angefangen, erfolgreich weitergemacht

»Der normale Workshop soll so bleiben«, dieses Statement ist Dario Valenti von Hase Bikes wichtig. Die Wochenend-Workshops, die bei den Waltropern immer im November stattfanden, waren ein beliebtes Event. Bis zu 14 Kurse konnte man besuchen und oft waren auch noch namhafte Komponenten-Zulieferer im Boot, die Detailwissen zu ihren Lampen oder E-Motoren beisteuerten. Aufgrund der Corona-Zahlen entschied man sich 2020 aber, online zu schulen. »Wir haben bei null angefangen«, sagt Valenti, »geguckt, was wir an Ausrüstung brauchen, und dann geübt.« Der langjährige Hausfotograf bot sich als Kameramann an, Geschäftsführerin Kirsten Hase hatte schon viel Moderations-Erfahrung. So entstand eine Online-Produktlounge mit eingestreuten Zusatzclips zu Detailthemen von insgesamt 1,5 Stunden Länge. »Den eigentlichen Händler-Workshop kann das nicht ersetzen«, so Valenti, »aber wir konnten die wichtigsten Themen abdecken.« Dabei konnte das Team live auf Fragen antworten. Auch das war ein Punkt, der viele zu einem eindeutig positiven Feedback veranlasste. »Die Händler sind überhaupt sehr dankbar für Kontaktaufnahme in Corona-Zeiten. Wir wollen das auf jeden Fall beibehalten, auch für eine schnelle Reaktion innerhalb der Saison.« Mittlerweile gab es sieben Online-Vorträge, darunter einen englischsprachigen und einen für Endkunden. »Auch für den amerikanischen Markt wollen wir Online-Seminare machen«, so Valenti. »Aber die Kommunikation und Interaktion bei den Präsenz- Schulungen ist und bleibt wichtig.«

Präsenz geht technisch in die Tiefe

Seit 2013 bietet Getriebespezialist Pinion Schulungen inhouse an. »Als Zusatz war Online-Schulen schon immer ein Thema«, erklärt Andrea Escher von der Kommunikationsabteilung des Unternehmens. »Schon allein deshalb, weil nicht alle Händlerinnen und Händler regelmäßig zu den Präsenzkursen kommen konnten«, meint auch Schulungsleiter Christof Höfer.


Hauptsächlich Produktneuheiten und technische Inhalte schult Pinion online. Die Inhalte werden an den Wünschen der Teilnehmer ausgerichtet.

Zusätzlich gab es als Ergänzung eine Schulungstournee, zusammen mit Unternehmen wie Hartje, Alber und Gates. Doch mit Corona kamen Online-Schulungen auch in Denkendorf in den Fokus. »Darin geht es hauptsächlich um Produktneuheiten und technische Inhalte«, so Escher. Dabei richtete man die Inhalte an den Kundenwünschen aus, die man per Händler-Umfrage eruiert hatte. Vier Themenschwerpunkte kamen zustande. Es entstand eine Schulungsreihe, bei der jeder Tag einen anderen Schwerpunkt hatte. »Wir haben viel Interaktion«, erklärt Höfer. »Zwei Leute präsentieren, einer ist nur für die Fragen zuständig. Das hat sehr gut funktioniert.« In Zukunft wird es eine Mischform von Schulungen bei Pinion geben. In die Tiefe gehen, was die Schraubertechnik anbelangt, will man nach wie vor mit Präsenzschulungen. Die werden dann mit gemeinsamen Mittagessen angeboten werden, wofür grundsätzlich eine Unkostenpauschale anfällt. Höfer und andere sitzen gerade an der Konzeption für das komplette Schulungspaket.

»Das war leichter als gedacht«

Breit war das Schulungsangebot auch bei Sram schon vor Jahren. »Es gab schon länger eine Online-Schulungsplattform,« erzählt Steffen Fuchs, Serviceleitung DACH bei den Schweinfurtern, »daneben die klassischen Schulungstage vor Ort, wo in Kursen von acht bis zwölf Personen zwei Tage lang inklusive Vollverpflegung geschult wurde.« Hier wurden Neuheiten von Rockshox, Zipp, Sram und der ganzen Markenbreite des Unternehmens vorgestellt und dann in speziellen Kursen auf die Details eingegangen. »Ganz klar«, sagt Fuchs, »Corona war der Auslöser, dass die Schulungen vorerst auf Digital umgestellt wurden. Das Schulungspersonal blieb dasselbe, aber natürlich wurde in die IT investiert, vor allem in Hardware.« Die Umstellung war in der Praxis nicht nur einfacher als gedacht. »Es war für uns leichter durchführbar, denn das Nonstop-Reden dauert jetzt ja nicht mehr einen halben Tag, sondern nur noch eine Stunde«, argumentiert Fuchs. Also war früher alles schlechter? »Nein, die persönliche Bindung zu den Kundinnen und Kunden fehlt einfach, auch wenn das oft nur ein Mittagessen ist», so Fuchs. Und da die Intensität nicht dieselbe ist, will er auch nicht ausschließen, dass der Anspruch, perfekte Wartungsqualität zu liefern, mit Präsenzschulungen besser eingelöst werden kann.


Abus setzt wie die meisten Unternehmen in Zukunft auf eine Mischung aus Präsenzformaten und Online-Schulungen, wo man sich für die Miyagi-Plattform entschieden hat.

Neue Konzepte wurden schon getestet: Einen intensiveren Hybrid-Charakter erreicht die Schulung, wenn der Händler vorher das neue Produkt bekommt und dann die Online-Schulung macht. Derzeit laufen die Schulungs-Vorbereitungen für den Herbst, der mit Präsenz- wie Online-Formaten bestritten werden soll.

Einiges bleibt außen vor

Auch bei Hartje sieht man durch Corona eine Trendwende eingeläutet, die sich unter anderem auch an dem unkomplizierten Zugang misst: »Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer brauche nur eine Stunde Zeit und einen Computer mit Internet-Verbindung, im besten Falle ein Headset zum unkomplizierten Hören und Sprechen«, erklärt Tristan Zerdick von Hartje. Doch auch hier gilt: »Der persönliche Austausch mit den Händlern und Händlerinnen ist ein wertvolles Gut, und einige Aspekte bleiben auch aufgrund der Verkürzung des Formats außen vor.« Deshalb wird Hartje nach Corona sowohl Online- als auch Präsenzschulungen anbieten.

Eine große Bereitschaft zu Webinaren

In der Fachhandelsakademie des Leasing-Spezialisten Jobrad, die seit 2016 existiert, entschied man Sommer 2020 coronabedingt, die Vor-Ort-Schulungen aufzugeben. »Unsere Partner haben bei Befragungen eine große Bereitschaft zu Webinaren gezeigt«, erklärt Norman Kreuzmann, Teamleiter Partnermanagement Fachhandel. »Seit Beginn der Webinar-Reihe haben bis heute mehr als 1400 Personen an insgesamt zwölf Terminen teilgenommen. Zur konkreten Ausgestaltung tauschen wir uns mit unseren Fachhandelspartnern regelmäßig aus und beurteilen dann, ob wir nur online oder hybrid weiterarbeiten, oder ob wir wieder zur Präsenzveranstaltung zurückkehren«, so Kreuzmann. Alle Veranstaltungen sind bei JobRad kostenlos.

Die Kombi macht es

Auch bei Bosch eBike Systems wird man zukünftig auf Online- und Präsenzschulungen setzen, wie Tamara Winograd bestätigt: »Wir haben unseren Händlerinnen und Händlern über unser Händlerportal auch bereits vor der Corona-Pandemie ein umfangreiches Angebot an Onlinetrainings zur Verfügung gestellt. Dieses möchten wir in Zukunft auf jeden Fall auch noch weiter ausbauen, um den Partnerinnen und Partnern ganzjährig zeit- und ortsunabhängig die Möglichkeit zu geben, sich über die Neuerungen auf dem Laufenden zu halten. Sowohl wir als auch sie schätzen jedoch die Präsenz-Händlerschulungen und den damit verbundenen persönlichen Kontakt und Austausch. Diese gehören auch weiterhin zu den wichtigsten Bausteinen unseres Trainingskonzeptes.«
Nahezu einhellig kommt die Branche also zum Schluss: Online ist gar nicht so schlecht, aber ganz ohne Präsenz geht es bei bestimmten Produkten nicht, oder doch zumindest nicht so gut. Gemeinsame Mittagessen, Produktionsführungen oder Bike-Touren machen nicht nur Spaß, sondern stellen eine wichtige Bindung dar. Dass in Zukunft wieder mehr davon erlebt werden kann, ist die Hoffnung aller Beteiligten.

30. August 2021 von Georg Bleicher und Dorothea Weniger

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