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Report - Cargobikes

Easy Lastening

Sie sind mächtig im Kommen, auch wenn manche von ihnen retro wirken wie ein Relikt aus vergangener Velociped-Zeit: Lastenräder. Wieso Cargobikes, und wer nutzt sie wirklich?

Das Lastenrad ist – zumindest von der Idee her – so alt wie das Fahrrad. Der Ursprungsgedanke ist rein ökonomischer Art: Business per Pedal. Anfang des 20. Jahrhunderts stellte es die beste Möglichkeit dar, ein Unternehmen oder einen Teil davon mobil zu betreiben; entsprechend zählten Post-, aber auch Bäckerräder zu den ersten Lastenrädern überhaupt. Aber auch Unternehmen, die nicht nur Transporte anboten, sondern eine ganze Geschäftsausstattung trugen, gab es bald: Der von Ort zu Ort ziehende Scherenschleifer ist ein gutes Beispiel dafür.
Auch wenn das Fahrrad und speziell das Frachtenrad bis in die 30er-Jahre hinein ein Vielfaches des Monatslohn eines Arbeiters kostete – es war die günstigste Möglichkeit für ein Unternehmen, wirklich mobil zu sein.

Flower-Power-Pedallast

Das Auto als Massenprodukt verdrängte nach dem zweiten Weltkrieg die belastbaren Bikes. Erst in den leisen Anfängen der Umweltschutz-Bewegung wurde es wieder entdeckt – zunächst als eher skurrile Mobilitätsoption innerhalb der alternativen Szene. Hier fängt die private Nutzung des Lastenrads an: als Eltern-Kind-Taxi oder einfach als Einkaufsrad. Wo Umweltschutz und vor allem Nachhaltigkeit viele Trends in unserem öffentlichen und privaten Umfeld bestimmen, gewinnt das Lastenrad an Popularität und sorgt für ein grünes Image – und für eine gehörige Portion Hippnessfaktor für die Fahrer.

»Status-Objekt für Nachhaltigkeits-Fans«

Eltern-Taxi und Einkaufs-Trolley

Privat ist das Cargobike vor allem auch Status-Objekt für Nachhaltigkeits-Fans, die ganz oder weitgehend auf ein eigenes Auto beziehungsweise sogar allgemein auf Autofahrten verzichten. Es ist oft das wohl unproblematischste und praktischste Pedal-Eltern-Taxi, das man sich vorstellen kann. Schließlich ist nicht jedes Rad Kindersitz-geeignet. »Schon mit einem Kind kam mein Sportrad oft ins Schlingern – da musste etwas Besseres her. Doch der Anhänger ging nicht durch den Hausflur, Dreiräder erst recht nicht«, erzählt Stephanie Bemmel aus Tangermünde in Sachsen-Anhalt, die gern wo es geht auf das Auto verzichtet. Die Lösung für die Mutter von zwei Kindern: Über Netzrecherche stieß sie auf das Longtail-Lastenrad Yuba Mundo (fast baugleich mit dem Prana von Velonom). Nach wenigen kleinen Veränderungen am Serienbike bringt sie jetzt ihre zwei Kinder sicher auf dem riesigen Gepäckträger unter und kann zusätzlich den Wochen-Einkauf in zwei Gepäcktaschen transportieren. Der Schwerpunkt ist relativ weit unten, »das macht das Fahrverhalten sicher und unkompliziert«, freut sich die Psychologin. Sie ist begeistert von der Flexibilität des Cargobikes. Sie hat Glück: Tangermünde und Umgebung ist Bergfrei. Ohne E-Unterstützung sorgt das Trägheitsmoment des voll bepackten Rads an Steigungen doch schnell für Schweiß. Aber in der Ebene? »Wenn’s mal rollt, dann rollt’s«, lacht Bemmel zufrieden.

Cargobike versus Auto

Ein vollwertiger Auto-Ersatz? Das kann das Lastenrad trotz aller Flexibilität nicht sein, muss die sportliche Mutter zugeben. Sie hat schon zur Kinderkrippe elf Kilometer – einfache Strecke! Das funktioniert per Bike nur, wenn morgens keine Arbeitstermine für die Freiberuflerin anliegen. Da eine ÖPNV-Infrastruktur in ihrer Region weitgehend fehlt, ist ein Leben ganz ohne Auto schon eine echte Herausforderung. »Mit Kindern ist das hier einfach nicht realistisch«.


Die Mitarbeiter des Baustoff-Konzerns Holcim nutzen Lastenräder zur Fortbewegung auf dem kilometerlangen Werksgelände.

Doch alles, was sich im engeren Umkreis um das Städtchen abspielt, wird meist mit dem Yuba erledigt – und die Kids sind dabei. Und am Wochenende geht’s noch weiter – zum Beispiel fürs Picknick am Elbufer. Toll ist auch die Kontaktbörsen-Funktion ihres Kindertransporter: »Wir wecken wohlwollende Blicke und oft auch interessierte Fragen bei allen, die uns begegnen!«

Privatlasternachfrage: steigend

Bob Giddens, Gründer der Firma Used, die unter anderem auch Lastenräder wie das Yuba vertreibt, sieht in der Radgattung eine große Zukunft. »Wir haben zwei Arten von Kunden: Einerseits gewerbliche, wie die Industrie und die touristischen Unternehmen. Vor allem im letzteren Segment gibt es in den letzten Jahren enorm viel Potenzial. Für die Industrie dagegen – für die wir auch individuell gefertigte Räder vertreiben – zählt vielfach das Lastenrad noch nicht als ein Fahrzeug wie das Auto, das selbstverständlich einem Wartungszyklus unterliegt.« Die Räder werden, anders als die Maschinen oder Kfz, also kaum gewartet und überleben nur dort länger, wo sie wenig in Anspruch genommen werden.
»Im anderen, also dem privaten Bereich, gibt es bei uns einen ganz klaren Anstieg: Die urbane Lebensweise und mehr ökologisches Bewusstsein machen das Lastenrad vor allem für kleine Familien sehr sinnvoll.« Viele Kunden teilen sich mit anderen ein Auto oder haben gar keines. Die private Zielgruppe beginnt bei etwa 30 Jahren – Leute, die Wert darauf legen, einen möglichst geringen CO2-Fußabdruck zu hinterlassen. »Und da ist natürlich die Lifestyle-Gruppe: Sie fahren ihr Cargobike ähnlich wie andere ihren Singlespeeder.«

»Find ich super, dass ihr mit dem Fahrrad kommt«

Ökologische Einstellung ist nicht nur eine rationale Sache; viele Menschen sind einfach unzufrieden mit ihrem Leben, mit Wartezeiten im Stau, den schmutzigen, Feinstaub-belasteten Innenstädten. Der Griff zum Cargobike, so Giddens, ist da fast logisch. Das Schöne an diesen Rädern: Neben dem grünen Image, das sie alle transportieren, gibt es individuelle Lifestyle-Richtungen. Von »voll retro« wie das klassische Bäckerrad – am besten in Schwarz – bis hin zur
Hightech-Transportrakete wie dem Bullit von Larry vs Harry ist alles drin.

Schneller Stauraum

Die »Rakete« Bullit nutzt unter anderem die Schreinerei Stratmann in Bottrop-Kirchhellen seit einem Jahr – und zwar eigentlich zufällig: »Die Idee kam uns, als wir die Planung für einen Radladen in Dorsten gemacht haben und das Bullit zum ersten Mal gesehen haben«, erzählt Geschäftsführer Matthias Stienen, der das Cargobike selbst vor allem für Fahrten zu Kunden im Umkreis nimmt. »Vor allem zum Aufmessen, zum Beispiel für Schränke«, also zur Planung, für die nicht die große Geräte-Ausstattung gebraucht wird. Innerhalb eines Radius’ von etwa acht Kilometern kommt fast immer das Rad zum Einsatz.
»Und der Kollege fährt damit auch täglich zur Arbeit und zurück – und hat Spaß dabei«, so Stienen.


Die Kunden der Schreinerei Stratmann finden es klasse, wenn der Handwerker mit dem Lastenrad statt dem Kastenwagen kommt.

Natürlich ist ein Lastenrad für eine Schreinerei nicht praktischer als ein Auto. Aber viel günstiger, umweltfreundlicher und – das ist ein ganz wesentlicher Punkt: Es hat für die Schreinerei einen nicht zu unterschätzenden Image-Faktor. »Find ich super, dass ihr mit dem Fahrrad kommt«, hört man da des Öfteren – und das nicht, weil die Schreinerei Stratmann nur ökologisch orientierte Kunden hätte. »Die meisten finden das Rad auch technisch interessant«, so Stienen, »und für uns ist es ein guter Werbeträger.« Deshalb entwickeln die Tischler jetzt sogar auch eigene Koffer für den Bullit-Aufbau.
Den Werbeträger Lastenrad vermarkten, das macht man auch bei Evonik: In dessen Chemiepark Marl gibt es seit diesem Jahr auch ein Bullit für alle anfallenden kleineren Transporte. Natürlich nicht irgendeines: Das Rad ist von vorne bis hinten im Corporate Design gehalten, der Tragerahmen wird je nach Last von Begrenzungen im gleichen Look zur Wanne gemacht. So brachte es das Bullit, das bei Evonik mal schnell zu Fluidum umgetauft wurde, auf die Titelseite der hauseigenen Standort-Zeitung für den Chemiepark.

Cappuccino to ride

Kaum ein Produkt, das derzeit enger mit urbanem Lebensgefühl verbunden ist als der Cappuccino für die Pause. Martin Keß, Kölner Kaffeeröster, verbindet diesen Lifestyle seit Juli 2011 mit einer perfekt dazu passenden Geschäftsidee: dem Espresso-Bike. Ein Bakfiets, ein dreirädriges Lastenrad aus Holland, bekam eine komplette Café-Bar-Ausstattung, und los ging’s. »Mobilität per Fahrrad passt einfach am Besten zu unserem nachhaltigen Unternehmen. Aber auch praktische Gründe sprechen für das Fahrrad als Verkaufsstand. Man ist enorm flexibel drinnen wie draußen, mit einem Meter Breite komme ich auch zur Geschäftsfeier in jeden Laden rein; das ist kein Ungetüm wie ein Auto«, erklärt er.
Auf der tollen Kiste sitzt eine große Espresso-Maschine. Darunter das Powermanagement: Kaffee wird entweder mit Strombetrieb, wenn das Bike indoor steht, oder, dank Gasbetrieb, outdoor ohne jegliche Energieversorgung von außen zubereitet. Martin Keß und sein Team können also einfach bei Märkten und Events im Freien auffahren und dort leckeren Cappuccino verkaufen. »Und zwar ein nachhaltiges, biologisch angebautes und fair gehandeltes Produkt in besonders hochwertiger Qualität – deshalb passt ein Fahrrad als Geschäftsstand so gut dazu«, meint Keß. »Und der Schick ist unschlagbar! Das Ding weckt positive Gefühle, wo wir auch hinkommen.«


Nachhaltigen Kaffee-Genuss verspricht das Lastenrad mit Espresso-Bar. Zu weiter entfernten Einsätzen muss das 300-Kilo-Rad jedoch mit dem Auto transportiert werden.

Nicht ganz so positiv dürfte das »Wie hinkommen« dabei sein: Wenn die Strecke eben und nicht zu lang ist, wird per Pedal hingefahren. Gibt es Steigungen, wird das Rad per Auto transportiert. Immerhin wiegt es gut 300 Kilo – »da ist nix mit Bergauffahren«. Deshalb wird jetzt auch über E-Unterstützung für die nächsten zwei Espresso-Bikes nachgedacht.
Fast jedes Wochenende ist das erste schon im Einsatz. Ab 399 Euro kann man es für drei Stunden mit professionellem Barista mieten.

Custom Made Emissionsfreiheit

»Angefangen hat alles mit Joey’s Pizza Service«, sagt Axel Franck, einer der Geschäftsführer von Gobax im baden-württembergischen Mössingen. Die Firma stellte 2011 ihr Lastenrad G1 vor. Beim Marktführer für Bring-Pizzas war das Fahrrad zum Systemstandard geworden. Und Gobax – beziehungsweise damals noch Robax – konnte sich diesen Kunden mit dem Modell G1 sichern. »Bis dahin hatte noch kaum jemand die Idee, wirklich kundengerechte Transportlösungen für Industrie und Dienstleister zu bieten.« Doch die Nachfragewelle rollt jetzt. Auch wegen der stetig ansteigenden Energiepreise und dem Druck zu mehr Nachhaltigkeit. Auf der Internetseite von Gobax findet man eine beispielhafte Jahres-Kostenrechnung: Verglichen werden ein Liefer-Kfz, ein Roller und ein Gobax-Lastenrad für einen Lieferdienstleister. Eines der Ergebnisse: Das Auto kommt letztendlich auf etwa 36 Cent pro Kilometer, das Fahrrad auf 5 Cent; die Gesamtkosten stehen etwa 14.500 zu 1.900 Euro.
Sparsam denkt man auch unter den Apothekern: »Hier gibt es derzeit einen großen Verdrängungswettbewerb«, so Franck. »Apotheken arbeiten deshalb extrem kostenorientiert.« Also ran an regionale Verbände: Auch für die Apotheken-Auslieferungen gibt es schon ein Gobax-Cargobike, speziell auf die Anforderungen der Kunden zugeschnitten. Oder der süddeutsche Baustoff-Hersteller Holcim mit gut drei Kilometer langem Firmengelände. Was könnte hier ein besseres internes Transportgerät sein als ein Lastenfahrrad? Gobax liefert Ausführungen mit und ohne E-Unterstützung.
»Wir sind aber vor allem auch Entwickler und Hersteller von Gepäcktransport-Modifikationen«, spezifiziert Franck das Unternehmen Gobax, das mittlerweile 14 Mitarbeiter hat. Und erzählt dann von einer aktuellen Entwicklung: einem Rad mit einer Art Kühl-Container auf dem Heckträger. Das Cargobike – eine coole Sache. //

1. April 2012 von Georg Bleicher
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