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Interview - Will Butler-Adams, Brompton

Etwas wahnsinnig, aber dennoch oldschool

Brompton hat eine hohe Fertigungstiefe, ein besonderes Produkt und große Pläne für die Zukunft. CEO Will Butler-Adams erklärt im Interview, wie der Faltradhersteller die jüngste Krise bewältigte und warum die britische Marke die Distribution gern selbst in die Hand nimmt.

Ende vergangenen Jahres hat Brompton das millionste Fahrrad gebaut. Welches Brompton-Modell durfte das Jubiläumsrad werden?

Will Butler-Adams: Wir haben versucht, ein Rad zu bauen, das dem Original von Andrew Ritchie so nahe wie möglich kommt. Die ersten Räder waren alle rot und schwarz, die Mehrheit hatte einen Gepäckträger und einen schwarzen Lenker, der damals noch aus Stahl war. Ich habe in den letzten Jahren so viele dieser ersten Generation an Rädern gesammelt, wie ich konnte.

In diesem Jahr war der Fahrradmarkt an vielen Stellen geprägt von Stornierungen und nachkommenden Lieferungen. Wie sehr war Brompton davon betroffen?

Wir sind oldschool. Wir befinden uns in Privatbesitz und sind etwas wahnsinnig, aber dennoch oldschool. Wir hatten schon immer eine Richtlinie, nach der unsere Kunden ihre Bestellung stornieren konnten. Traditionell waren das immer drei fixe Monate. Ordern, die länger als drei Monate in die Zukunft gehen, können die Händler stornieren. Das heißt, dass wir früh davon erfahren, wenn es ein Problem gibt. Und von dieser Situation haben wir vor über einem Jahr gehört. Im März 2022 wussten wir, dass dieses Problem besteht. Unsere Händler teilten uns mit, dass sie keine weiteren Bestellungen aufgeben wollen. Im März stornierten sie also die Lieferungen für den Juni. Das war natürlich in Ordnung. Aber es betraf nicht nur einen Händler, sondern es betraf uns überall. Wir nahmen es mit Fassung. Letztes Jahr haben wir uns 20 Millionen Pfund geliehen, weil wir aufgehört hatten, Fahrräder herzustellen.

Das ließ sich so einfach umsetzen?

Wir kaufen keine Rahmen, sondern machen alles selbst. Wir kaufen auch nicht bei der Fahrradindustrie ein, sondern von der Maschinenbaubranche. Das macht uns einzigartig in der Industrie, dass so viele Teile spezifisch für unsere Räder sind. Deshalb waren wir in der Lage, die Produktion einzustellen. Wir haben keinen Bestand in den Markt gedrückt und somit auch nicht für Überbestand gesorgt. Das Problem war allerdings, dass wir nach der Pandemie Rohmaterial mit Vorlaufzeiten von 12 bis 18 Monaten bestellt hatten. Normalerweise sind das acht bis zwölf Wochen. Obwohl wir die Produktion pausierten, kam also weiterhin Material rein, das wir bezahlen mussten. Deshalb haben wir uns verschuldet und die Lagerkapazitäten erhöhen müssen. Zum Glück verkaufen wir kein Gemüse. Die Rohstoffe halten sich.

Und ist das Lager noch immer mit diesen Rohstoffen gefüllt?

Mittlerweile haben wir sie aufgebraucht und die Schulden zurückgezahlt. Die Bestellungen sind wieder im Normalzustand.

»Letztes Jahr haben wir uns 20 Millionen Pfund geliehen, weil wir aufgehört hatten, Fahrräderherzustellen«

Will Butler-Adams

Wir hatten als Marke keine Rabattierungen und keinen Überbestand. Es geht uns gut.

In Deutschland haben Sie vor ein paar Jahren die Distributionspartnerschaft mit Voss Spezialrad beendet. Wie bewerten Sie diesen Schritt rückblickend?

Als ich bei Brompton begann, waren wir 37 Leute und kümmerten uns nur darum, Fahrräder zu bauen, die die Geschäfte uns dann abkauften. In diesen früheren Tagen war Hennings Vater Hans Voss einer unserer ersten Distributoren. Über die Zeit haben wir unser Netzwerk an Vertriebsunternehmen erweitert, in Spanien, Italien, Frankreich, Benelux, Hongkong, Taiwan oder Singapur. Aber indem unsere Firma wuchs und die Welt und die Kundschaft globaler wurden, bekamen wir ein Problem. Die Distributoren vertrieben unsere Räder auf ihre eigene, sehr unterschiedliche Weise. Wir hatten keine universelle Marke. Deshalb haben wir angefangen, den Vertrieb nach und nach wieder selbst in die Hand zu nehmen, um die Marke zu kontrollieren. Wir haben die Distributoren dafür bezahlt, ihnen den Vertrieb abzukaufen. Sie haben also einen Mehrwert generiert mit der ganzen Arbeit, die sie investiert haben. So haben wir es die letzten 15 Jahre gemacht. Henning und vor ihm sein Vater waren fantastische Distributoren. Wenn man aber eine gewisse Größe erreicht und, sagen wir, 250.000 Euro im Jahr in den deutschen Markt investieren will, kann Brompton das stemmen. Wir verdienen Geld in anderen Märkten und können die Marke in Deutschland richtig aufbauen. Henning kann das nicht. Er ist nicht groß genug, um dieses Investment zu stützen. Wir haben uns also geeinigt. Henning ist auch immer noch als Händler in unser Geschäft involviert.

Wie weit fortgeschritten ist denn insgesamt der Prozess, den Vertrieb zurückzukaufen?

Auf den größeren globalen Märkten sind wir nur in Südkorea nicht selbst Distributor. Vor einem Jahr haben wir Japan übernommen, ein schwieriger Markt, weil er kulturell sehr anders ist. Wir sind unser eigenes Vertriebsunternehmen in China, Hongkong, Singapur, Indonesien und Thailand. Wo wir den Vertrieb übernehmen, brauchen wir auch Kundenservice, Trainings und Außendienstler und eine Website. Das in vielen Ländern auf der ganzen Welt hinzubekommen, ist sehr herausfordernd, bereitet aber auch viel Freude.

Auch Direct-to-Consumer-Modelle (D2C) sind inzwischen Teil Ihrer Strategie. Wie wichtig ist dieser Vertriebsweg für Brompton?

Wir müssen bei der Kundschaft beginnen. Der Endverbraucher ist alles, bei ihm funktioniert unser Geschäft oder schlägt fehl. Das muss mittel- und langfristig der Kern der Strategie sein. Letztendlich sind es die Konsumenten aber inzwischen gewöhnt, online zu kaufen. Sie wollen dort recherchieren und auf Knopfdruck kaufen können. Wir verkaufen aber keine T-Shirts oder Turnschuhe. Wenn ein Rad 20 oder 30 Jahre halten soll, muss sich jemand darum kümmern. Und das Brompton ist kein simples Produkt. Es ist sehr ungewöhnlich und erfordert Know-how, deshalb haben wir 1500 Händler weltweit.

Und was ist die Strategie hinter den Marken-Stores von Brompton?

Wir haben eigene Stores, aber mit denen wollen wir unser Produkt zu einem neuen Publikum bringen. Diese Geschäfte sind an absurden Standorten, wie Covent Garden in London oder der Rue de Rivoli hinter dem Louvre in Paris. Das sind Standorte, die ein Händler nicht rechtfertigen kann, ein Markeninhaber aber schon. Die Kombination aus D2C, eigenen Geschäften und Händlern sollte darauf einzahlen, die Marke aufzubauen. Wir sehen das in London. Wir haben unseren Store dort seit zehn Jahren und die Absätze wuchsen weiterhin. Nicht nur für uns, sondern für all unsere Händler.

Sie sind seit 21 Jahren bei Brompton. Welche Entwicklungen der Industrie in dieser Zeit sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Ich war überall, auf der IFMA, der Eurobike, der Interbike und so weiter. Auf der ganzen Welt habe ich mein Fahrrad auf- und eingefaltet. Für eine Weile hat sich die Industrie selbst verloren, glaube ich, und war auf Mode anstatt auf die Technik fokussiert. Sie war an sexy Postern und Werbung, kostenlosem Bier, riesigen Ständen und Partys auf der Eurobike interessiert. Der Technik-Fokus ist wieder zurückgekommen aufgrund des E-Bikes. Das hat Einnahmen erbracht, Innovationen gefördert und meiner Meinung nach die Branche gerettet.

Will Butler-Adams sammelt die Falträder der ersten Brompton-Generation. Das einmillionste Brompton ist ihnen optisch nachempfunden.

Welches Branchen-Thema beschäftigt Sie und Ihr Team derzeit?

Wir haben eine Klima- und Gesundheitskrise. Es geht nicht um sexy Bilder, sondern darum, einige der globalen Probleme zu lösen. Ein großer Teil davon ließe sich durch das Fahrrad lösen. Wenn wir als Industrie Lobbyarbeit betreiben und zusammenarbeiten mit Stadtplanern, Bürgermeistern, Politikern, dann können wir diese Schande beenden, dass zwei Tonnen schwere Fahrzeuge für drei oder vier Meilen durch unsere Städte rollen. Wir müssen lauter und animierender sein und einen besseren Job dabei machen, die Politik zu verändern. Das muss passieren.

Gerade für längere Fahrten in der Stadt sind E-Bikes aktuell besonders beliebt. Welche Rolle spielen die motorisierten Fahrräder für Brompton?

Wir denken immer darüber nach, was unsere Fahrräder für die Kunden und Kundinnen leisten können. E-Bikes sind wichtig, weil wir wollen, dass mehr Leute Fahrrad fahren. Es gibt eine gewisse Anzahl an Leuten, die das nicht tut. Wenn man sie auf ein elektrisch unterstütztes Fahrrad setzt, lächeln sie, sind glücklich und sagen ›Okay, jetzt verstehen wir uns!‹. Wir können sie zum Radfahren zurückholen und das Radfahren inklusiv halten.
Für Brompton werden E-Bikes aber nie genauso wichtig sein wie für gewöhnliche Fahrräder. Im Gegensatz zu diesen tragen wir unsere Räder. Das Gewicht ist wirklich wichtig. In den Märkten, wo wir die elektrischen Räder verkaufen, machen sie rund 30 Prozent aus. Wir verkaufen sie aber nur auf der Hälfte der Märkte. Wir bieten sie nicht in China, Japan oder Südkorea an, was einige unserer größten Märkte sind. An den Gesamtverkäufen machen die E-Bikes ungefähr 15 Prozent aus. Dieser Anteil wird vermutlich nie größer als 30 Prozent werden, weil die Elektronik je nach Einsatzzweck des Fahrrads zu viel wiegen kann.

Welche Märkte wird Brompton in Zukunft fokussieren? Ist das Faltrad ein Produkt, das überall funktionieren kann?

Unser größter Markt weltweit ist aktuell China, das Land hat das Vereinigte Königreich überholt. Weitere große Märkte sind Japan, Südkorea, Singapur, Frankreich, Spanien, Benelux, Deutschland und die USA. Sie sind sehr divers, aber funktionieren allesamt. Ihre Gemeinsamkeiten sind größer als ihre Unterschiede, obwohl Städte sehr verschieden sind. Die Herausforderungen sind dieselben, etwa Gesundheit oder Bevölkerungsdichte. Unsere strategischen Schlüsselmärkte sind China, Deutschland, die USA und das Vereinigte Königreich. In die werden wir am stärksten investieren.

Brompton hat immer in London produziert. Andere Firmen arbeiten gerade am Reshoring, also daran, die Produktion nach Europa zurückzubringen. Was wären Ihre Tipps für diesen Schritt?

Um die Kosten lokaler Produktion zu rechtfertigen, braucht man geistiges Eigentum. Wenn ein Unternehmen nur mit Standardrahmen arbeitet, sollte man diese weiterhin aus Asien oder vielleicht aus Portugal beziehen. Der Grund, mit dem wir rechtfertigen, vor Ort zu produzieren, ist, dass der Rahmen voll von geistigem Eigentum steckt. Wir stellen ihn also nicht nur her, sondern schützen unser Knowhow. Wir folgen außerdem nicht der Mode. Die Industrie ändert ihre Rahmen alle zwei Jahre. Wir haben unser Rad und die Art, wie wir es herstellen, 50 Jahre lang optimiert. Wir sind dabei unglaublich effizient und haben sehr wenig Ausschussware. 99,5 Prozent der Räder sind im ersten Anlauf
richtig.

Das zweimillionste Brompton dürfte in der neu geplanten Fabrik entstehen, die 2027 in England eröffnet werden soll. Was macht diese Anlage für Sie besonders?

Das Fahrrad, das wir dort bauen werden. Denn es wird sich nicht um das bekannte Model handeln. //

14. August 2023 von Sebastian Gengenbach

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