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Markt - Unternehmensnachfolge

Fachkräftemangel in der Führungsetage

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) schätzt, dass dieses Jahr ein Viertel aller Unternehmerinnen und Unternehmern, die eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger suchen, niemanden finden und das Geschäft aufgeben müssen. In der Radbranche bestehen noch zusätzliche und be-sondere Herausforderungen bei der
Unternehmensübergabe.

Fünf Prozent aller deutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen suchen aktuell einen neuen Inhaber oder Inhaberin. Insgesamt 190.000 Betriebe sollen bis Ende des Jahres in neue Hände übergehen, analysiert der aktuelle Nachfolgemonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Das hört sich nach sehr viel an, ist aber über die letzten Jahre einigermaßen konstant. Dramatisch ist nach Auffassung der KfW unterdessen, dass 70.000 dieser Unternehmen noch keinen echten Plan haben, wie das funktionieren kann. »Wir sehen bei Unternehmen mit Nachfolgewunsch, dass jedes vierte keinen findet und ungewollt stilllegen muss«, sagte Fritzi Köhler-Geib, die Chef-Volkswirtin der KfW, im Rahmen einer Pressekonferenz.
Was für den Mittelstand im Allgemeinen, gilt für die Radbranche im Besonderen ganz ähnlich. »Zahlreiche Fahrradgeschäfte sind mit Aufkommen der Ökobewegung Anfang der 1980er-Jahre entstanden«, sagt Unternehmensberater Ulf-Christian Blume der Firma 53-ELF. Diese Unternehmen sind also um die 40 Jahre, die Gründerinnen und Gründer um die 65 Jahre alt. Zeit für den Rückzug.
Der ehemalige Radsportler und ausgebildete Jurist Blume hat sich darauf spezialisiert, bei der Firmenübergabe zu helfen. Dieses Jahr wird er zehn Nachfolgeprozesse begleiten. »25 Prozent Geschäftsaufgaben, wie die KfW das analysiert, halte ich für die Fahrradbranche für zu hoch. Wenn man keinen Nachfolger findet, hört man ja nicht zwingend auf.« Dass die wechselwilligen Inhaber in der Radbranche Probleme haben, eine geeignete Nachfolge zu finden, unterschreibt Blume allerdings sofort. »Der Fachkräftemangel schreit zum Himmel«.

Zu viele Radgeschäfte im Angebot

Das hat zunächst ganz banale demographische Gründe. Die oben genannten Inhaber entstammen der geburtenstarken Generation der Baby-Boomer. Potentielle Nachfolger­innen kommen zum Beispiel aus der Generation X (1965 – 1979) oder Y (1980 – 1999). Im Jahr 1964, dem Fruchtbarkeitsrekordjahr in Deutschland, wurden 1,36 Mio. Babys geboren. Im Jahr 1980 waren es noch 865.000.

Dass die Unternehmensnachfolge keine einfach zu bewältigende Aufgabe ist, zeigt die Vielzahl an Problemfeldern.

In den letzten Jahren war das Problem der Nachfolge weniger offensichtlich als heute. Viele Unternehmen in der Fahrradbranche, namentlich aus dem Handel, haben es in den schwierigen Jahren zu Beginn des letzten Jahrzehnts nicht geschafft, signifikant Reserven für die Rente aufzubauen, sei es aus mangelnder Weitsicht oder aus der schwierigen Wirtschaftslage heraus. Rente war keine Option.
Das hat sich in den letzten Jahren gedreht. Dank E-Bike-Sonderkonjunktur und gewachsenem Öko-Bewusstsein haben sich die Firmeninhaber ein Polster geschaffen und sind zunehmend bereit, den Weg freizumachen für die nächste Generation. De facto fühlen einige sogar einen gewissen Zeitdruck. Die notwendige digitale Transformation stellt viele klassische Läden vor ein unlösbares Problem. Die Stabilität der Erlössituation ist ebenfalls keineswegs gesichert. »Der Markt scheint ziemlich gesättigt und die große Konkurrenz durch Handelsketten macht eine gründliche Standortanalyse für eine nachhaltige Geschäftsentwicklung unabdingbar«, mahnt das Gründerportal Selbstaendig.de.
Es gibt also potenziell mehr Inhaber, die ihr Unternehmen übergeben wollen, und gleichzeitig weniger Nachfolger, die eines haben wollen. Neben der demographischen Delle beklagt die KfW einen deutlich sinkenden »Gründungswillen« bei den Jungen. »Die Gründungstätigkeit in Deutschland nimmt ab und es gibt weniger Menschen, die durch die Übernahme eines bestehenden Geschäfts gründen«, sagt Fritzi Köhler-Geib, Chef-Volkswirtin der KfW.
In Zahlen: 2003 wurden 1,4 Mio. Unternehmen in Deutschland gegründet. Im vorletzten Jahr noch 600.000. Bei den Neugründungen durch Übernahme ist es ähnlich. 2003 entschieden sich 200.000 Neugründerinnen und -gründer für die Übernahme eines bestehenden Betriebs. 2021 waren es keine 50.000 mehr.

Wer ist der richtige Nachfolger?

Es gibt viele Gründe, warum die Gründungstätigkeit in Deutschland auf dem niedrigsten Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg ist. Ein gravierender Grund ist, dass vor allem die Generationen Y und Z ein anderes Verhältnis zu Work-Life-Balance haben als die vorhergehenden. »Die Generationen vor mir, meine einschließlich, hatten die Einstellung: Was zu tun ist, wird getan. Ungeachtet der Frage, ob das bedeutet, dass man Überstunden machen muss.« Ulf-Christian Blume will das gar nicht bewerten, er hat selbst eine 22-jährige Tochter. Er kann verstehen, dass viele junge Menschen hier anders denken. Aber das schafft natürlich ein latentes Problem bei der Geschäftsübergabe.
Es ist die schiere Definition von Unternehmertum, die einer Überarbeitung bedarf, um junge Menschen in die Selbstständigkeit zu locken. Handwerksbetriebe wie der Sanitärbetrieb Keller aus Überlingen am Bodensee locken inzwischen Fachkräfte mit der Viertagewoche, und siehe da: Auch der Meister oder Geschäftsinhaber kann der Neuorganisation der Arbeit Positives abgewinnen. Inzwischen häufen sich variable Teilzeitmodelle auch in der Radbranche: »Gerne auch ehemalige Schrauber in Rente«, heißt es bei einem Essener Betrieb.
Umdenken ist allerdings auch angesagt, wenn es um die Definition »des richtigen Kandidaten« für eine Nachfolge geht. Über die Hälfte aller Inhaber mit Rücktrittswunsch suchen zuerst in der Familie, analysiert die KfW. Dann folgt der Blick auf externe Bewerber und erst an letzter Stelle rangieren die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Fahrradbranche gilt das so nicht, beobachtet Ulf-Christian Blume. »Es gibt im Betrieb meistens den Primus inter pares und da werden hinter den Kulissen eigentlich immer Gespräche geführt. Das hat auch viel mit Vertrauen zu tun.«

Die Zahl der Menschen, die willens sind, ein Unternehmen zu gründen, sinkt seit vielen Jahren. Das erschwert auch die Suche nach Nachfolgelösungen.

Vertrauen ist ein wichtiges Stichwort. Blume empfiehlt, dass sich Inhaber zunächst einmal klar darüber werden sollen, wie sie sich die Zeit nach der Übergabe vorstellen. Das bezieht sich auf die eigene, private Lebensgestaltung genauso wie auf die künftigen Geschicke der Firma. Will man, dass der Betrieb in ähnlichem Stil weitergeführt wird, oder geht es vor allem darum, den maximalen Preis zu erzielen?
»Für eine Übergangszeit kommt auch ein Mentoring-Modell in Frage, wo der Altinhaber dem Nachfolger beratend zur Seite steht«, sagt Blume. »Tendenziell wünschen sich die Nachfolger, dass der Chef noch eine Weile dranbleibt.« Allerdings legt er Wert darauf, dass die Modalitäten einer Zusammenarbeit eindeutig geklärt werden. Ein Profit-Sharing sieht Blume eher kritisch. Das schafft zu hohe gegenseitige Abhängigkeit. »Eine gemischte Kalkulation ist in einem Drittel der Fälle üblich, aber das Fixum sollte deutlich größer sein als ein variables Element«.

Das Problem der Bewertung

Aber was ist eigentlich der »richtige« Preis für ein Radgeschäft? Ein Drittel aller befragten Inhaber haben der KfW berichtet, dass es an der nicht erfolgten Einigung auf einen Unternehmenswert liegt, wenn die Übergabe scheitert. Auch Blume erlebt immer wieder, dass Altinhaber einen hohen ideellen Wert an ihren Betrieb anlegen, der möglicherweise nichts mit der aktuellen Marktsituation zu tun hat. »Das Problem hat sich allerdings verringert. Vor Corona waren die Lager voll mit überalterter Ware. Das hat sich durch den Corona-Blowout relativiert.«
Eine realistische Bewertung des Warenbestands ist die entscheidende Größe, abgesehen von der Lage des Betriebs und den Modalitäten in Sachen Immobilie (Pachtvertrag und Co.). Dabei hilft, wenn die Altunternehmer vorher »ausmisten«. Oft hat sich über die Jahre ein Sammelsurium an Produkten aufgehäuft, das keine klare Positionierung erlaubt.
Selina Kaschel aus Jestetten am Rheinfall hat 2017 den Betrieb ihres Schwiegervaters übernommen. 30 Jahre lang hatte Jakob Wallimann den Betrieb geführt. Es war die klassische Kombination aus Handel und Werkstatt. Selina fokussiert seit fünf Jahren ausschließlich auf Reparatur. Und das führt zu einem klaren USP: kurze Wartezeiten und direkter Kontakt per Whatsapp. Ganz bewusst wirbt Selinas Fahrradwerkstatt damit, jedes Rad zu reparieren, egal, wo es herkommt. Und schon landet die rührige Badenerin bei Fahrrad.de im Werkstattverzeichnis.
Ulf-Christian Blume berichtet vom Fall eines Radhändlers, der in signifikantem Umfang Schlauchreifen und Campagnolo-Teile am Lager hatte. Produkte, die heute nicht mehr vom Mainstream nachgefragt werden, aber bei Liebhabern sehr begehrt sind. Der potenzielle Nachfolger wollte diese »unverkäufliche« Ware aus dem Übernahmepreis praktisch streichen. Also nahm der Altinhaber sie aus dem Sortiment und verkaufte sie online. Noch vor dem Datum der Übergabe waren die »Restbestände« nahezu verkauft. »Ich war selbst erstaunt, wie schnell und zu welchen Preisen das funktionierte.« Die Idee, dass der Altinhaber einen kleinen Teil des Sortiments mitnimmt und selbst veräußert, ist für Blume zwar nicht der Regelfall aber ein Beispiel, wie man aus einer verfahrenen Situation für beide Parteien ein positives Ergebnis erzielen kann.

Die Bewertung des Unternehmenswerts stellt aber nicht nur in der Kaufverhandlung ein Problem dar. »Selbst die Hausbanken tun sich schwer mit der Finanzierung einer Übernahme«, berichtet Ulf-Christian Blume. Es sei nicht selten, dass das Drei- bis Vierfache des Warenwerts im Umlaufvermögen als Sicherheit für einen Kredit verlangt wird. Viel zu viel, meint der Berater. »Manchmal wirkt es, als wollten die Banken das Geschäft gar nicht machen.«
An dieser Stelle zahlt es sich natürlich aus, wenn man mit einem professionellen Nachfolge-Berater arbeitet. Während es für den potenziellen Nachfolger möglicherweise der erste Gang zur Bank ist, ist das für den erfahrenen Berater Routine. »Es ist wichtig, ins Gespräch zu kommen, damit man dem Banker das Geschäftsmodell und damit den Wert des Unternehmens besser erklären kann«, sagt Blume.

Was sollte passieren, damit Nachfolge einfacher wird?

An dieser Stelle wünscht sich der Berater auch etwas mehr Starthilfe vom Staat. »Es geht gar nicht um den Niedrigzins, mit dem die KfW immer wirbt, es geht um den leichteren Zugang zu Kapital«, so seine Forderung. Die KfW könnte doch Programme auflegen, die analog zu Gründungskrediten funktionieren, nur eben für das Thema Übernahme.
Auch KfW-Volkswirtin Köhler-Geib erkennt an, dass man die Motivation der potenziellen Gründerinnen und Gründer fördern kann, wenn man das Risiko abfedert. Die Bedeutung eines gesunden Mittelstands für die deutsche Wirtschaft ist für die erfahrene Ökonomin absolut unstrittig. Aber die KfW fordert auch, dass Altunternehmer ihre Hausaufgaben machen. Dazu gehört, dass man den Kreis potentieller Kandidaten für die Nachfolge vor allem um eine Zielgruppe erweitert: Frauen. Blume stimmt zu: »Frauen sind in dieser Branche extrem unterrepräsentiert.«
Außerdem sollen sich Altinhaber frühzeitig um eine Nachfolge bemühen, denn angesichts sinkender Nachfrage handelt es sich um einen langwierigen Prozess. Dazu gehört, dass man das Unternehmen realistisch bewertet, aber auch, dass man für den Inhaberwechsel wirbt. Auf der Plattform Nexxt-Change.org bietet die KfW selbst in Kooperation mit Verbänden und Ministerien die Möglichkeit an, dass Unternehmer und Nachfolger zusammenfinden.

»Tendenziell wünschen sich die Nachfolger, dass der Chef noch eine Weile dranbleibt.«

Ulf-Christian Blume,53-ELF

Ein dritter, nicht zu schätzender Aspekt ist das Formale. »Inhaber sollten sich von Anfang an einen Rechtsbeistand dazuholen«, meint Blume. Tatsächlich hat die KfW berechnet, dass ein Viertel aller befragten Inhaber »rechtliche und steuerrechtliche Aspekte« als bedeutsames Hindernis bei der Abwicklung empfinden. Unter anderem stellen sich potenzielle Nachfolger natürlich die Frage nach der Meisterpflicht. »Wer einen bestehenden Handwerksbetrieb übernehmen kann, benötigt keinen Meisterbrief, wenn er bereits langjähriger Mitarbeiter ist«, berichtet das Portal Ladenbau.de in einem Blog-Artikel. Tatsächlich hängt es vom Leistungsumfang seitens der Werkstatt ab, aber es gibt Wege, die Meisterpflicht zu umgehen. Da derartige Fragen vom Nachfolger zu erwarten sind, ist es gut, wenn der Unternehmensverkäufer darauf vorbereitet ist. //

4. Juli 2023 von Frank Puscher

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