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Report - Verkaufen heute

»Fahrrad kaufen? Haben Sie einen Termin?«

Wie sieht das zeitgemäße Verkaufsgespräch aus? Fahrradhändler haben spätestens seit dem Corona-Lockdown überraschende Antworten. Vorweg: Hier geht’s nicht um Rhetorik und Kniffe, um zu überzeugen. Dazu gibt es andere Mittel – und oft baucht man sie auch gar nicht.

»Für Kampfpreise sind wir nicht der richtige Ansprechpartner«, sagt Lucas Grimm im Fahrradfachgeschäft Bici in Weingarten, nicht weit vom Bodensee entfernt. Sein Laden ist mit 100 Quadratmetern eher klein. Wert wird auf wenige, aber hochwertige Labels wie Riese & Müller, Patria und Coboc gelegt. Grimm ist Quereinsteiger und seit 2020 Geschäftsführer bei Bici, wenn auch schon länger in der Branche. Was die Preisvorstellung seiner Kunden anbelangt, ist der studierte Maschinenbauer sicher, dass sie selten fix sind. »Wenn jemand anfangs ein Pauschalbudget nennt, haken wir zunächst nach, wie er das Rad einsetzen will und wie viele Kilometer er fahren wird. Passt das mit dem Budget nicht zusammen, erklären wir ihm das sofort und auch, warum. Wenn wir gut beraten, steht der Preis nicht im Vordergrund«, sagt er. Individualisierung ist dabei ein großes Thema. Abgefragt wird neben Einsatzbereich und -intensität beim Start auch gleich die bevorzugte Sitzhaltung. Wer anatomisch nicht dem Durchschnitt entspricht oder ein Reiserad sucht, kommt automatisch auf den Velochecker, den Messbock von Patria. Bei den anderen Marken wird mit Lenker, Griffen, alternativen Sätteln angepasst. »Der Kunde erkennt, dass das ein für ihn sehr wichtiger Service ist, um sich wohlzufühlen.«

»Neue Normalität« in der Verkaufsberatung

So wie bei Bici sieht eine mögliche und auch recht typische Antwort auf die Frage »Wie funktioniert das Verkaufsgespräch heute?« aus. Andere Antworten bringen derzeit aber manche Überraschungen mit sich.

Dazu gehört etwa die Tatsache, dass das effizienzorientierte Verkaufsgespräch mit seinen strategischen Kniffen derzeit absolut im Hintergrund steht. Das bestätigten nicht nur die befragten Händler, sondern auch der Unternehmensberater und Verkaufstrainer Thomas Bottin (s. Interview S. 30). Trotzdem gibt es natürlich erhebliche Unterschiede darin, wie ein Händler seine Räder heute verkauft.

Storytelling: Begeisterung weitergeben

Ähnlich wie bei Bici läuft es bei Dynamo in Augsburg, der eine ähnliche Markenzusammenstellung bietet. »Klassische Trends stehen bei uns gar nicht im Fokus«, sagt Christoph Mießl, Geschäftsführer bei Dynamo.
Sinnvoll eingesetzte digitale Lösungen, ins Steuerrohr integrierte Pufferakkus für die Lichtquelle, Navigationsgeräte, solche Zusatzfeatures werden bei Dynamo individuell immer gleich dazu empfohlen, wo sie zum Nutzerprofil passen. »Wer hier reinkommt«, so Mießl, »der kommt aufgrund von Mundpropaganda der Stammkunden. Der hat schon eine Vorstellung davon, wie viel ein Fahrrad für seinen Bedarf kostet.«

Und doch komme es gelegentlich vor, dass ein Kunde im Laufe des Gesprächs aufgrund der Preisvorgabe aussteigt und später, nach weiterer Recherche wiederkommt und sagt, »Ich hab mir‘s überlegt, ich will doch so viel ausgeben«.
Beraten wird von den Verkäufern quasi per Storytelling: »Wir sagen einfach, was wir gut finden«, sagt Mießl. »Wir sind selbst begeistert von den Rädern und Produkten, die wir nutzen, und erzählen das ganz einfach.« Dabei kommt Mießl auch auf seine deutschen Zulieferer zu sprechen. »Was wir auf deren Schulungen erleben und erfahren, das geben wir an unsere Kunden weiter.« Er nennt die eindrucksvolle Vorführung von Frontstrahlern in der Tiefgarage von Busch & Müller. »Die Kunden wollen gar nicht überzeugt werden, sie wollen mitstaunen. Und sie freuen sich über unsere kulante Abwicklung von Gewährleistungsfällen, die diese Hersteller uns ermöglichen, und nehmen dafür auch einen höheren Preis in Kauf.« Alle diese Punkte führen dazu, dass das Verkaufsgespräch bei Dynamo auf den ersten Blick eher einem Erfahrungsaustausch gleicht.

»Old School stürzt ab – nur Termine!«

»Wir haben den Kunden quasi vor einen Einlassfilter gestellt«, sagt Thomas Barth, Geschäftsführer des »Fahrradies« in Halle und meint die Terminvergabe: Vormittags ist das Geschäft für die Laufkundschaft geschlossen, es gibt ausschließlich Verkaufsberatung mit angemeldeten Kunden. »Damit trennen wir die Spreu vom Weizen«, sagt Barth. »Wir können unsere Zeit einfach nicht mit Beratungsdieben vergeuden.«

Den Einwand, dass man sich damit von der Business- und Laufkundschaft verabschiedet, kann Barth kontern: »Wir arbeiten an Konzepten, die den klassischen spontanen Einkauf auch vormittags trotzdem ermöglichen.« Ein Vorbild wäre etwa die Nachtklappe der Tankstelle oder Apotheke, meint Barth. Damit könnte man bei ansonsten nur für Beratungsgespräche geöffnetem Geschäft auch Ersatzteile kaufen.

Beratung fängt bei Barth mit der Vermessung des Kunden an, geht über die genaue Abfrage von Einsatzzweck und -dauer sowie Sitzgewohnheiten zum Anpassen des gefundenen Rad-typs und findet das vorläufige Ende in der Probefahrt. Der kontrollierte Zugang macht alles einfacher für den Händler, aber auch für den Kunden: »Für den Stammkunden gibt es bei uns eine Fast Lane zur Werkstatt. Die anderen müssen derzeit eben lange warten. Wer sich von den Kunden auf die Regeln einlässt, der ist fein raus.« Das gilt ebenso bei den meisten Kollegen, kann man ergänzen. Und wer nicht will, dass sich etwas ändert? »Old School stürzt ab«, sagt Barth.

Mit 3D-Scanning mehr Professionalität zeigen

Martin Fischbeck in Fürstenfeldbruck hat mit Marken wie Scott, Bergamont, Simplon oder Conway eine breite Range in seinem Familienbetrieb. 400 Quadratmeter Verkaufsfläche stehen 800 Quadratmetern an Werkstatt und Lager gegenüber. Seine Kundenbetreuung fängt mit aufwendiger Vermessung an: Per 3D-Bodyscan, wofür er und seine Mitarbeiter umfangreich geschult wurden, wird von den Sitzknochen über die Handgelenke bis hin zu den Besonderheiten von Hals- und Lendenwirbelsäule alles vermessen. Mit diesen Daten geht’s dann ins Beratungsgespräch. Wichtig: »Bis dahin haben wir nur über den Menschen gesprochen, nicht über das Produkt. Und dadurch haben wir ein ganz anderes Vertrauensverhältnis«, so Fischbeck. »Wenn ich ihm dann sage, ›das Fahrrad, das du im Kopf hast, das passt so nicht zu dir‹, und anhand der Daten erkläre, warum, dann schwenkt der sofort um, weil er schon Vertrauen gefunden hat.« Im Laufe des Gesprächs bekommt der Kunde das angepasste Fahrrad, eventuell mit individuellem Lenker und anderen Sattel sowie der auf ihn eingestellter Federung zur Proberunde. Sie ist genau festgelegt, nach Möglichkeit fährt der Verkäufer mit. Danach kann der Kunde entscheiden, welche von den Austausch-Komponenten er am Rad haben will. »Es geht nicht um Fahrrad und Marke, sondern um den Kunden, das ist das Entscheidende«, so Fischbeck. »Wir verkaufen Beratung, andere Händler Rabatte.« Etwa 1000 Räder verkauft Fischbeck im Jahr, Durchschnittspreis: Ca. 1500 Euro (inklusive Kinderräder).

Werkstatt und Verkauf gemeinsam denken

Bei Pedalpower im hessischen Baunatal wird jeder Kunde zunächst auch nach der Entscheidung E-Bike oder nicht abgeklopft. »Am Ende entscheiden sich 80 Prozent der Kunden für ein Fahrrad mit Motor«, sagt Andreas Appel, der Geschäftsführer. »Fragen nach Streckenlängen und -profil können da manchmal im Kopf des Kunden aus dem Fahrrad ein Pedelec machen.« Ein weiterer wichtiger Punkt: »Wir denken Werkstatt und Verkauf gemeinsam. Es geht darum, dem Kunden ein für seine Zwecke wartungsarmes Fahrrad zu verkaufen.« Das bedeutet unter anderem auch Aufklärung darüber, dass Vielfahrer preislich etwas höher einsteigen müssen, da sonst die Wartungskosten später hoch werden. Wer ein Fahrrad ohne einzeln tauschbare Kettenblätter kauft, wird als Vielfahrer draufzahlen.

Auch bei Pedalpower gilt, dass das Mindsetting das Wichtigste ist. »Wenn ich Mitarbeiter habe, die täglich mit dem Rad zur Arbeit kommen und für das Fahrrad brennen, dann merkt und honoriert das der Kunde«, so Appel.

Der Kunde bekommt, was er will

Wie gut es derzeit läuft, weiß man auch in Cloppenburg: »Natürlich hat der Händler momentan ein leichtes Spiel«, erklärt Frank Belling von GMZ Belling in Cloppenburg. »In den Köpfen der Kunden ist alles ausverkauft und man kann nichts nachbestellen.« Er selbst hat aber »mutig geordert«, sodass es für tatsächlich vergriffene Modelle in seinem Innenstadtladen mit 520 Quadratmeter Verkauf oft noch Alternativen gibt. Er führt Marken wie KTM, Gazelle, Morrison oder Raleigh und Univega. Um die zwei Mio. Euro Umsatz erwirtschaften die 28 Mitarbeiter, von denen die Hälfte im Verkauf tätig ist. Sein Verkaufsgespräch beginnt mit dem Einsatzzweck des Rads, führt über die richtige Rahmengrößen-Auswahl und die digitale Sitzknochen-Vermessung (»Wer es will«) hin zum Zubehörangebot. In erster Linie geht es bei diesem Zusatzverkauf um Körbe für die Damenräder, Taschen für die Herren, außerdem den Helm oder Hövding, Letzterer läuft bei ihm »sehr gut!«. Am Durchschnittspreis von etwa 3500 Euro kann man einschätzen, dass der Kunde auch in Cloppenburg nicht vom Schnäppchen weggelockt werden muss, das es ohnehin derzeit nicht gibt. »Der Kunde bekommt aber immer, was er will. Und wenn wir ihm für seinen Einsatzbereich eine Kettenschaltung empfehlen, er aber bei der Nabenschaltung bleiben will, dann ist das eben so.«

Pandemie als positiver Katalysator

Beratung nur mit Termin, sich die Zeit nehmen, um authentische Begeisterung zum Kunden zu transferieren, und Verkaufen als Wohlfühl-Service, das scheinen Eckpunkte zu sein, die Händler in den letzten Jahren, aber spätestens durch Corona für sich entdeckt haben. Viele bekräftigen: Auch hier ist die Krise nur ein Beschleuniger einer von diesmal positiven Entwicklungen. Die Logik des Verkaufs scheint derzeit vor allem dadurch definiert, dass Kunde und Verkäufer quasi am selben Strang ziehen. Überzeugungsarbeit ist nicht nötig oder kommt durch Vermessung und Beratung. Der Kunde kommt mit einem angemessenen Budget und ist oft bereit, für Qualität, aber auch für Kompetenz und Professionalität des Händlers zu zahlen.

Der Händler sollte, wie auch Verkaufstrainer Bottin im Interview meint, das jetzt nutzen. Und er sollte für Zeiten jenseits der »neuen Normalität« mit klaren Konzepten
vorsorgen. //

Jetzt für die Zukunft aufstellen!

Thomas Bottin, 50, ist Unternehmensberater und Verkaufstrainer, unter anderem auch in der Fahrradbranche. Was ist für ihn in der momentanen Situation nötig?
Thomas Bottin

Herr Bottin, wie sehen Sie die aktuelle Lage der Fahrradhändler in Deutschland?

Thomas Bottin: Die Händler stehen momentan sehr gut da, unter anderem durch das Cocooning des Lockdowns. Trotzdem sollte sich der Händler derzeit Zukunftsfragen stellen.

Was wären das derzeit für Fragen?

Unter anderem: Welche Klientel will ich mir strategisch sichern? Wenn der Hype abflaut, wird klar: Everybody's Darling ist everybody's Depp. Wenn ich mich nicht klar aufstelle, dann werde ich später, wenn der Boom vorbei ist, meine Schwierigkeiten haben. Das ist aber auch zum Beispiel die Frage, welchen Anteil an E-Bike-Verkäufen will ich in Zukunft haben? Ich muss mich für bestimmte Zielgruppen attraktiv machen. Jetzt, wo die Kassen voll sind, sollte man den Mut haben, sich zu spezialisieren.

Bezieht sich das nur auf den Kundenstamm?

Das geht viel weiter. Und wirkt sich auch auf die Zulieferer aus. Wenn ich selbst unter den Händlern ein Filetstück darstelle, beispielsweise durch Spezialisierung auf hochwertige Rennräder, dann behandeln mich die Hersteller und Zulieferer viel entgegenkommender. Vor allem, wenn es um kleine Mengen geht, die ich sonst nicht bekommen würde. Einfach, weil ich für sie einen VIP-Kunden darstelle. Noch kann ich natürlich mit einem Wald-und-Wiesen-Angebot punkten, aber nicht mehr lange besonders gut.

Und das Verkaufsgespräch?

Momentan muss ich vor allem Fachwissen haben und einen normalen, unmittelbaren Zugang zum Menschen. Man muss nicht am Verkaufsgespräch herumfeilen, herausragende Verkäufer brauchen wir nicht. Eher ginge es noch darum, jetzt gute Gespräche in kürzerer Zeit zu führen. Vielleicht auch parallel Kunden betreuen zu können. Aber mit dem eigentlichen Verkaufstraining kann ich mich später wieder beschäftigen.

7. September 2020 von Georg Bleicher
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