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Porträt - Decathlon

(Fast) Unbegrenzte Möglichkeiten

Decathlon tritt als Herausforderer des stationären Fachhandels und auch ihrer Fachhandelsmarken immer stärker in Erscheinung. Ein Besuch in der Firmenzentrale im französischen Lille zeigt, wie viel Entwicklungspower in dem Unternehmen steckt.

Was vielen nicht so richtig bewusst ist: Decathlon ist schon längst ein Fahrradriese. Global verkaufen die Sportfranzosen derzeit 4 bis 5 Millionen Fahrräder jährlich. In Europa liegt man bei etwa einer Million Einheiten. Insbesondere bei Kinderrädern ist man enorm erfolgreich. Bei Laufrädern für Kinder hält Decathlon einen Marktanteil von über 80 Prozent. Seit 1984, als das Fahrradsortiment an Fahrt aufnahm, hat Decathlon 80 bis 100 Millionen Fahrräder verkauft.
Bislang war das Meiste im niedrigpreisigen Segment angesiedelt. Doch das ändert sich gerade. Decathlon rückt mit seinen Marken immer stärker an die Qualität im Fachhandel heran.
Das alles kommt nicht von ungefähr. Das Fahrrad hat einen hohen Stellenwert für den Multisportler, der einmal mit 10 Sportarten anfing und nun für 80 verschiedene Sportarten ausrüsten kann. Am Standort in Lille ist gebündelt und in Fülle verfügbar, was anderen Herstellern oft genug gar nicht zur Verfügung steht. Dazu kommt, dass das Fahrrad nicht bloß ein Produkt ist unter den vielen anderen, die in Lille entwickelt werden. »Wir sehen Fahrräder als Weg, die Gesellschaft zu verändern, und nicht nur als Konsumprodukt«, heißt es aus dem Unternehmen.

Einen Kilometer lang zieht sich die Halle, in der Decathlon in Lille seinen Sitz hat.

Aufbauend bei der Stärke in den Kinder- und Jugendbereichen will man eine solche Veränderung erreichen. Die Stärke gerade im Kindersortiment steigert natürlich die Chancen, dass man auch für das nächste Fahrrad wieder zum französischen Sportfilialisten geht. Allerdings will man nicht nur die ganz jungen Kundinnen und Kunden überzeugen. »Wir legen unseren Fokus auf die Gen Z«, erklärt einer der Manager, die durch die Fabrik führen. 30 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Das ist die Zielgruppe, die Decathlon für sich gewinnen will.

Riesige Fläche für die Fahrradentwicklung

Das B‘twin-Village in Lille zeigt auf den ersten Blick, dass es Decathlon sehr ernst meint mit dem Fahrrad. Auf insgesamt 180.000 Quadratmetern Fläche werden dort Fahrräder und das sonstige Radsortiment von Decathlon entwickelt und produziert. Wem das irgendwie viel vorkommt: Das ist enorm viel. Die gesamte Hallenfläche der Messe München verfügt auch »nur« über 200.000 Quadratmeter, die Messe Friedrichshafen kommt nur knapp auf die Hälfte an überdachter Fläche.

Ob umfassende Prüfmöglichkeiten oder ein großer Fahrradladen – im B'twin-Village findet sich eine bemerkenswerte Mischung an einem Ort.

Wenn man von einem Ende der Fabrik zum anderen gehen will, ist man rund einen Kilometer lang unterwegs. Auf dem Weg sieht man dann den größten integrierten, reinen Fahrradladen von Decathlon. Auf knapp 3000 Quadratmetern Ladenfläche finden die Locals ihre Fahrradausrüstung. Auch ein Van-Rysel-Store ist dort inzwischen als Shop-in-Shop integriert. Er bringt 380 Quadratmeter Verkaufsfläche ein, mit angeschlossenem Lager sind es knapp 2500 Quadratmeter Fläche. Der Ort ist nicht nur Fabrik und Entwicklungszentrum, sondern damit auch Shopping-Gelegenheit und Sportstätte. Für zahlreiche weitere Sportarten finden sich dort die passenden Flächen. Mitarbeitende nutzen für einen symbolischen Monatspreis das große Fitnesscenter. Genug der Zahlen: Das Decathlon-»Dorf« ist heute das größte Gebäude der Stadt und wird es wohl auch bis auf Weiteres bleiben.
Das Spannendere ist ohnehin, was im Inneren geschieht. Am Standort wird nicht nur das Fahrradsortiment entwickelt, es ist aber ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit vor Ort. Das zeigt auch die Flächennutzung.

»Wir machen derzeit nicht jedes Jahr, sondern eher alle paar Monate einen Sprung.«

Untergebracht auf dem riesigen Gebäude ist auch die Fahrradproduktion, die jährlich zwischen 50.000 bis 100.000 Fahrräder herstellt. Lille ist damit einer von fünf europäischen Produktionsstandorten. Die anderen sind in Rumänien, Portugal, Polen und Italien angesiedelt.
Die in Lille entwickelten Fahrradprodukte werden auch gleich vor Ort auf den eigenen Prüfständen getestet. Dafür stehen die geeigneten Maschinen auf 2000 Quadratmetern Fläche bereit. »Manchmal überbringen wir auch schlechte Nachrichten. Das ist unser Job«, erklärt der verantwortliche Testleiter lakonisch. Decathlon engagiert sich auch in den Standardisierungsgremien auf Landes- und EU-Ebene, prüft auf den eigenen Testständen aber stets 50 Prozent höher, als verlangt wird.
Auf dem Gelände findet natürlich auch die Produktentwicklung großzügig Platz. Insgesamt 40 Sportwissenschaftler (14 von ihnen sind promoviert) arbeiten mit im Team an neuen Produkten. Für ihre Arbeit finden sie offenbar ziemlich gute Bedingungen vor. Mehrfach wird von den verschiedenen Gesprächspartnern zufrieden und eher beiläufig erwähnt, dass man doch ganz gut arbeiten könne unter diesen Umständen. Beispiel gefällig? Die wenigsten Hersteller stecken ihre Produkte in eine Klimakammer, um sie unter verschiedenen Wetterbedingungen zu testen. In Lille hat man gleich vier davon zur Verfügung, jede zu einem Stückpreis von 400.000 Euro. Vermutlich sind es auch diese Dinge, die dazu führen, dass Decathlon relativ selten mit Rückrufen zu kämpfen hat.


_356-Wh-Akku, seitlich herausnehmbar, Heckantrieb, 23 kg Gewicht, zirkulär entwickelt, UVP: 1000 Euro. So sieht einer der Hoffnungsträger von Decathlon aus. _

Vor allem aber führt es dazu, dass es derzeit mit großen Schritten vorangeht. Einer der anwesenden Commercial Directors, also der für ein europäisches Land verantwortliche Manager, erklärt im Gespräch: »Wir machen derzeit nicht jedes Jahr, sondern eher alle paar Monate einen Sprung.« Das liegt vielleicht auch am eigenen pragmatischen Ansatz: »We believe in Progress over Perfection«, formuliert es ein anderer Manager.
Es ist schon jetzt absehbar, dass die Franzosen weiter aufholen werden und vielleicht sogar in einigen Segmenten ganz vorne mitspielen können. Die Tage von Decathlon als Billiganbieter sind jedenfalls vorbei. Derzeit wächst der nächste Branchenherausforderer gerade zu voller Größe heran. //

22. September 2025 von Daniel Hrkac

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