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Markt - Fahrradanhänger

Flexible Transporteure

Fahrradanhänger sind die flexible Alternative zum Cargobike, bekommen aber deutlich weniger Publicity. Warum das so ist und weshalb es sich für Einzelhändler lohnt, dieses Segment weiter im Auge zu behalten – ein Überblick

Alternative zum Lastenrad: Ein Anhänger ist flexibel, kommt nur ans Bike, wenn er gebraucht wirdMultifunktionsfahrzeug: Ein Fahrradanhänger kann zum reinen Kinderwagen werden oder Einkaufswagen sein

»Fahrradfahren ist schnell, gesund, umweltfreundlich, klimaschonend, günstig, angesagt und förderungswürdig«, proklamiert das Umweltbundesamt auf seiner Webseite – und erzählt Fahrradfreunden damit wenig Neues. Auch die Expertenschätzung, dass 30 Prozent der Wege, die derzeit mit dem Auto zurückgelegt werden, ebenso gut mit dem Fahrrad zu bewältigen wären, ist in der Theorie angesichts wachsenden Klimabewusstseins und zunehmend Pkw-verstopfter Innenstädte ein logischer Schritt und wünschenswert. Aber: Was, wenn man nicht allein unterwegs ist, sondern mit dem Nachwuchs? Oder wenn Einkäufe transportiert werden sollen? Dann ist ein normales Velo oftmals keine Alternative. Zumindest nicht ohne »Anbau«. Eine flexible Lösung für das Platzproblem sind Fahrradanhänger. Sie lassen sich an das bereits vorhandene (Stadt-)Rad hängen, wenn sie gebraucht werden, abhängen, wenn man allein unterwegs ist, und sind oftmals so gestaltet, dass man sie auch als Kinderwagen oder Jogger einsetzen kann. Drei Fliegen mit einer Klappe also.

Das Fahrrad nach Bedarf erweitern

Und tatsächlich finden Fahrradanhänger stetig neue Fans. Zwar ließen sich keine konkreten Marktzahlen finden, Branchenexperten schätzen jedoch, dass in den vergangenen Jahren die Verkäufe von rund 40.000 auf mittlerweile sechsstellige Zahlen geklettert sind. »Die Nachfrage nach Kinderfahrradanhängern wird immer größer, die Leute fangen an, sich dafür zu interessieren und alternative Möglichkeiten zum Auto zu suchen«, bestätigt Nikolai Boldt, Gründer und Geschäftsführer des rheinländischen Herstellers Qeridoo. Das Unternehmen stellt seit 2006 »multifunktionale Kindersportwagen« her, möchte sich künftig aber auch für Lasten- und Hundeanhänger öffnen. Denn der Markt und damit die Nachfrage sind differenzierter geworden. »Der Kunde hat mittlerweile eine Reihe von verschiedenen Anbietern mit diversen Features zum Vergleichen, welche noch vor wenigen Jahren sehr übersichtlich waren«, beobachtet Hanna Gehlen, Geschäftsführerin von Croozer und Tochter von Andreas Gehlen, der 1993 die ehemals Zwei plus zwei Marketing GmbH, jetzt Croozer GmbH als junger Vater gründete und sich seither beruflich dem Fahrradanhänger widmet und hierzulande zu den Pionieren auf diesem Gebiet gehört. »Der Fahrradanhängermarkt ist für neue Hersteller interessant geworden, da Menschen sich zunehmend bewusst entscheiden, das Fahrrad anstelle eines Autos zu nutzen«, sagt Hanna Gehlen.
In der Tat hatte laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur der Radverkehr 2002 am Verkehrsaufkommen noch einen Anteil von 25 Millionen Wegen pro Tag, 2017 waren es bereits 28 Millionen Wege pro Tag. Derzeit liegt der Anteil des Fahrradverkehrs am Gesamtaufkommen laut Zahlen des nationalen Radverkehrsplans bei elf Prozent, die Bundesregierung möchte, zum Beispiel durch verschiedene in diesem Plan festgelegte Maßnahmen, dafür sorgen, dass der Anteil weiter wächst. Einen Teil dazu beitragen, dass Fahrräder ein echter Autoersatz werden, könnten Fahrradanhänger. Allerdings werden die, im Gegensatz zu Cargobikes, für die es teils Kaufprämien von Kommunen, Bund und Ländern gibt, nicht staatlich gefördert. Zu Unrecht, findet Croozer-Chefin Gehlen: »Der Fahrradanhänger erhält viel zu wenig mediale und vor allem politische Aufmerksamkeit. Der Anhänger ist unserer Meinung nach die günstigste, nachhaltigste und flexibelste Lösung, Kinder, Hunde oder Lasten mit dem Fahrrad zu transportieren. Die Menschen können vorhandene Fahrräder nutzen, der Anhänger lässt sich klein zusammenfalten und auch mit in den Urlaub nehmen, ob mit dem Zug oder der Fähre.« Sie sieht einen der Gründe für die mangelnde Aufmerksamkeit darin, dass es keine Lobby für Fahrradanhänger gibt.

Bei Radanhängern fehlen noch die ExpertenAndreas SzygielTaxxi

Nur hinstellen reicht nicht

Immerhin existieren vermehrt Einzelhändler, die den Anhänger für ihr Sortiment entdecken. Einer, der ihn sogar zum Schwerpunkt des Ladens gemacht hat, ist Bikebox ( www.bikebox-shop.de ) im baden-württembergischen Rottweil-Neufra: »Als Unternehmen sind wir mit Fahrradanhängern groß geworden. Es waren die ersten Produkte im Sortiment und sind auch heute noch sehr wichtig für uns. Als einer der größten Fachhändler für Fahrradanhänger in Deutschland machen diese immer noch einen beträchtlichen Teil vom Gesamtumsatz aus«, berichtet Geschäftsführer und Inhaber Steffen Faulhaber. Dafür tut das Handelsunternehmen aber auch was: »Fahrradanhänger sind sehr beratungsintensiv«, erklärt Faulhaber. Neben der individuellen Beratung können die Kunden die Hänger vor dem Kauf ausprobieren. Angesichts der großen Auswahl bei Bikebox lassen sich so die Unterschiede der Anhänger im wahrsten Sinne erfahren. Allerdings ist eine solche Situation immer noch eher Ausnahme als Regel. So würde sich Nikolai Boldt von Qeridoo wünschen, dass die Präsentation der Anhänger vor Ort weiter verbessert würde und nicht nur die Auswahl, sondern auch die Beratung mehr in die Tiefe geht: »Es sollten nicht nur die wichtigsten Funktionen erläutert werden, sondern alle. Unsere Modelle bieten zum Beispiel so viele Funktionen, die vielleicht klein erscheinen, aber einen absoluten Mehrwert bieten.« Auch Andreas Szygiel von Taxxi, einer noch jungen Marke für Fahrradanhänger unter dem Dach der Kinderradmarke S´Cool in Bielefeld, sieht im Bereich Beratung noch Potenzial: »Mit Lastenrädern kennen sich die meisten Fahrradhändler sehr gut aus. Beim Fahrradanhänger sieht das noch anders aus. Hier fehlen einfach in der Breite noch die Experten«, glaubt er.

Die Nische erobern

Eigentlich sollte dies eine Chance für Einzelhändler sein, sich in einer zukunftsträchtigen Nische frühzeitig zu etablieren und eine nachhaltige Reputation aufzubauen. Zukunftsträchtig ist das Segment nicht nur wegen der absehbar zunehmenden Wichtigkeit des Fahrrads als Fortbewegungsmittel. Auch der Aufschwung des Pedelecs hat die Verkäufe von Fahrradanhängern positiv beeinflusst. Allerdings ist der Mehr- und Nutzwert von Anhängern nicht nur in der Branche aufgefallen. Zahlreiche Akteure haben den Markt geschwemmt mit billigen Lösungen, die vor allem über große SB-Warenhäuser wie Real verkauft werden. Und auch bei den Markenartikeln herrscht erheblicher Margendruck, was schon ein schlichter Blick auf die Online-Anbieter verrät. Um hier zu punkten, braucht es also eine echte Überzeugung für das Produkt und ausreichenden Platz, um die Vorzüge zeigen zu können.
»Die heutige Marktsituation ist mehr davon getrieben, den besten Preis zu zeigen, wobei man dann wirklich vergisst, seine Qualität als Händler hervorzuheben. Qualität ist ein Online-/ Offline-Thema, welches bei vielen Händler eine deutlich unterschiedliche Wichtigkeit aufweist. Vorverkaufte Produkte im Markt unterliegen generell einem Preis- und Margendruck, was wir als Hersteller schon deutlich sehen. Wir können immer wieder nur dem Handel aufzeigen, dass größere Margen im Zubehörbereich oder bei Bundles zu finden sind, aber auch in der qualitativen Darstellung als Händler, wo wir als zuverlässiger Partner seit Jahren zur Verfügung stehen«, sagt etwa Thomas Syring, Sales Director Central Europe, bei Chariot-Anbieter Thule.

Ausgefeilte und überzeugende Technik

Neue Impulse für Anhänger versprechen sich die Hersteller auch von den E-Bikes. Um dieser Fahrradgattung gerecht zu werden, hat Qeridoo zum Beispiel seine Anhänger mit einem tiefen Schwerpunkt ausgestattet, der für eine tiefe Straßenlage sorgt, denn »ein E-Bike ist deutlich schneller als ein normales Fahrrad und wir haben auch bei diesem Aspekt dafür gesorgt, dass unsere Kunden sicher unterwegs sind«, so Nikolai Boldt. Apropos sicher: Auch wenn die Gesamtbewertung mancher Kinderanhänger in einem Test der Stiftung Warentest 2019 auf anderes schließen lassen könnte – passieren kann dem Nachwuchs mit den hierzulande zugelassenen Modellen wenig: »Ein generelles Problem gibt es bei den Fahrrad-Anhängern nicht. Die Hersteller, die durchgefallen sind, müssen vor allem auf schadstoffarme Materialien achten oder darauf, dass die Sicherheitsgurte nicht reißen. Das ist beim Thema Kindertransport natürlich ein wichtiges Anliegen«, erklärt ADFC-Rechtsexperte Roland Huhn, und ZIV-Geschäftsführer Siegfried Neuberger ergänzt: »Die Markenprodukte haben im Schnitt recht ordentlich abgeschnitten und bei den Schadstoffen prüft die Stiftung Warentest über der Norm, also so, als handle es sich um Kinderspielzeug. Billiganhänger für unter 100 Euro bekommen qualitätsgegeben mitunter eine schlechtere Bewertung. Grundsätzlich müssen aber auch sie der Norm entsprechen.« Diese beinhaltet unter anderem Anforderungen an die Festigkeit der Deichsel, an den Frontschutz, Scher- und Quetschstellen sowie den Faltmechanismus.

Produkt mit Zeitgeist

Besonders die Kombination von Hänger und Jogger ist interessant für Menschen, die zwischen Job und Familie noch ein bisschen sportliche Bewegung in ihren Alltag einbauen möchten. Für Einzelhändler dürfte dagegen ein anderer Faktor noch interessanter sein: Dadurch, dass Endverbraucher, die sich für einen Fahrradanhänger interessieren, eine ausführliche Beratung und die Möglichkeit zum Probefahren zu schätzen wissen, ist der stationäre Einzelhandel für die Hersteller unverändert ein wichtiger Partner. Sich in diesem Segment reinzuhängen, um nicht abgehängt zu werden, könnte also durchaus lohnenswert sein.

3. März 2020 von Carola Felchner

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