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Marketing - Nachhaltigkeit

Grünes Marketing

Die Werbung mit klimafreundlichen Produkten boomt auch in der Fahrradbranche. Wie präsentiert ein Unternehmen seine grüne Seele noch glaubwürdig am Markt?

Vom fair gehandelten Kautschuk für Fahrradreifen über die emissionsarme Lieferkette bis hin zur recycelten Batterie im Cargobike. Ohne grüne Positionierung kommt auch in der Fahrradbranche kein Unternehmen aus. Unter dem Stichwort »Green Marketing« sollen Werbung und PR die Nachhaltigkeit von Unternehmen und deren Produkten hervorheben.

Auf inflationäre Schlagworte verzichten

Adjektive wie »grün«, »bio« oder »ökologisch« sind nicht geschützt. Kritiker wittern bei solchen unspezifischen Begriffen schnell »Greenwashing«, mindestens besteht Verwechslungsgefahr. Den mit Green Marketing verbundenen Begriff der »Nachhaltigkeit« hat das Marketing durch inflationären Gebrauch selbst zum Problem gemacht. Public Relations Manager Steffen Jüngst von Schwalbe sagt dazu: »Vor rund zehn Jahren hat man sich noch von anderen Unternehmen abgegrenzt, wenn man von Nachhaltigkeit gesprochen hat. Mittlerweile ist es aufgrund der Überflutung mit Nachhaltigkeitsbemühungen für Verbraucherinnen und Verbraucher schwieriger zu entscheiden: Ist das jetzt glaubwürdig?« Deshalb grenzt man sich bei Schwalbe davon ab. Jüngst: »Den Begriff ›Green Marketing‹ nutzen wir nicht. Wir haben die dahinter stehenden grünen Themen schon sehr lange in den Vordergrund gerückt. Nicht nur im Marketing, sondern vor allem in der unternehmerischen Entwicklung.«

Schwalbe hat in der jüngsten Zeit sehr ambitionierte Projekte umgesetzt. Dort läuft dieses Engagement unter dem Stichwort »unternehmerische Verantwortung«.

Dasselbe gilt für »Nachhaltigkeit«. Bei Schwalbe spricht man von unternehmerischer Verantwortung. Das umfasst die ökologische und soziale Komponente und es steckt eine moralische Dimension darin, die noch ein positives Alleinstellungsmerkmal verspricht.

Das Commitment der Leitung kommt zuerst

Will sich ein Unternehmen glaubwürdig aufstellen, reicht es nicht, bei dieser und jener Produktlinie ein bisschen grün zu sein. Vielmehr braucht es eine Gesamtstrategie – und die ist immer Chefsache. »Man kann nicht einfach der Marketing-Abteilung sagen, denkt euch mal was Nettes aus«, erklärt dazu Jörg Matheis, Chief Communication Officer bei Riese & Müller. Die Marke hat angekündigt, bis 2025 das nachhaltigste Unternehmen der E-Bike-Branche sein zu wollen. »Es braucht vor allem das Commitment der Geschäftsführung und eine Unternehmensstrategie, die auf nachhaltigem Wirtschaften aufbaut. Es muss echte Projekte geben und den Willen, wirklich etwas zu verändern.« Er spricht von einer intrinsischen Motivation im eigenen Unternehmen. Die führe automatisch dazu, dass man mit den Themen sichtbar werde. Matheis: »Wir überlegen nicht, wie wir uns grün darstellen können. Es ist unsere Grundüberzeugung und Teil unserer Markenidentität, verantwortungsvoll zu handeln. Dafür stoßen wir gezielt Projekte an, um eine positive Veränderung in der Klimabilanz oder in der Lieferkette zu bewirken. Wir denken also erst das Projekt, unser Ziel. Der positive Effekt auf die Marke ergibt sich daraus.«

Die Messbarkeit bringt die Glaubwürdigkeit

Es gibt unterschiedliche Wege, die grüne Seele im Unternehmen herauszuarbeiten.
»Wir haben unsere Projekte in vier Säulen um das Produkt, die Lieferkette, soziale Themen sowie das Unternehmen selbst strukturiert«, erklärt Jüngst. Das wird nach außen kommuniziert. Hinzu kommt die bald auf das Unternehmen zutreffende EU-Richtlinie, CSR-Berichte zu veröffentlichen.

Eine Großbaustelle im Fahrradhandel sind die Umverpackungen für Kompletträder. Riese & Müller punktet nicht nur aus grüner Sicht mit seiner Mehrwegverpackung.

»Für jede Säule haben wir kurz-, mittel- und langfristige Ziele definiert. Wir kommunizieren das vorab und lassen uns daran messen.«
Je ambitionierter das Ziel, umso angreifbarer macht man sich. Aber die Messbarkeit, sagt der Schwalbe-Mann, ist ein zentraler Punkt. »Wir haben bisher ausnahmslos positives Feedback dazu erhalten.«

Vom grünem Produkt zur grünen Marke

Ohne »grüne« Produkte existiert auch keine grüne Marke. Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Green Marathon von Schwalbe. Der besteht nicht nur aus recyceltem Material. Man ist dabei aber Vorreiter unter Reifenherstellern mit einem Thema, das beim Kaffee längst etabliert ist.

»Das Thema Nachhaltigkeit ist eins, das nicht ein Hersteller alleine lösen kann.«

Jörg Matheis, Chief Communication Officer bei Riese & Müller.

Jüngst: »Wir verwenden Fair Rubber, das steht für fair gehandelten Naturkautschuk. Für jedes Kilo Kautschuk wird ein Zusatzbetrag von uns direkt an die Zapferinnen und Zapfer gezahlt. Infrastrukturell ist damit in Indonesien schon sehr viel entstanden.« Entsprechend wird das Thema über die Homepage, Werbung oder Newsletter bespielt. Am Ende steht dann wieder die Marke. »Wenn wir Kundinnen und Kunden fragen: Was verbindest du mit Schwalbe? Dann soll nicht nur Reifen, Marathon oder Langlebigkeit kommen, sondern auch: Da steht ein Familienunternehmen dahinter, das es in Sachen Verantwortung ernst meint.«

Komplexe Öko-Themen sind eine Herausforderung

Ambitionierte Unternehmen kämpfen manchmal mit der Übersetzbarkeit ihrer grünen Kommunikation. Wie bricht man wissenschaftliche Zusammenhänge etwa bei der CO2-Emission für die Marketing-Botschaft griffig und verständlich herunter? »Beim Thema Ökobilanzierung wird es sehr komplex. Das kann man nicht in einem Katalog oder auf einem Plakat in zwei Zeilen einer Überschrift erklären. Da geht es teils sehr wissenschaftlich zu. Geht es in die Tiefe, muss es verständlich bleiben. Wird es zu komplex, sind die Leute überfordert«, beobachtet Jüngst.
Eine denkbare Lösung könnte darin liegen, im Marketing Projekte herauszustellen, die sich einfach und verständlich kommunizieren lassen. Jüngstes Beispiel bei Riese & Müller ist der Mehrweg-Fahrradkarton der Marke. Selbst wenn die Botschaft zuerst den Handel angeht, wird die klimafreundliche Mehrfachverwendung im Verkaufsgespräch gerne positiv weitergegeben.

Unterschiedliche Interessen von Zielgruppen

Denn die Zielgruppe der Lastenrad-Käuferinnen und -Käufer, tendenziell junge Familien, die das zweite Auto abschaffen, fragt nach Hintergründen. Jörg Matheis: »Menschen, die sich für das Thema Cargobike interessieren, schauen in erster Linie nicht auf technische Details, sondern fragen sich, wo die Materialien herkommen, die im Bike verbaut sind. Bei ihnen steht das Thema Nachhaltigkeit an oberster Stelle.« Das wird kommunikativ herausgearbeitet und die Info dem Handel für die Beratungssituation an die Hand gegeben.
Anders sind die Erfahrungen bei Rose Bikes, wo man eine andere Zielgruppe erreichen will. Ambitionierte Radsportlerinnen und Radsportler wählen ihre Rennräder bisher kaum unter ökologischen Gesichtspunkten aus. Für die nachgefragten Carbonrahmen existieren weder Ersatzstoffe noch ein gutes Recycling-Verfahren. Das führt zu einem Zielkonflikt: Einerseits ein wettbewerbsfähiges Produkt auf den Markt zu bringen, andererseits den vom Unternehmen gewünschten ökologischen Anforderungen zu entsprechen.

Im Zweifel muss das Unternehmen die Zeichen der Zeit auch vor der eigenen Kundschaft erkennen können. Marlon Schmidt, CSR-Manager bei Rose Bikes, weiß: »Wenn wir als Unternehmen warten würden, bis der Kunde das nachfragt, dann ist es zu spät.« So beteiligt sich Rose Bikes längst an Forschungsprojekten und arbeitet an den Themen Lieferkette und Produkt.

Das Marketing der kleinen Schritte

Doch niemand weiß, wann die Carbon-Alternative gefunden ist. Deshalb plädiert Schmidt für ein Marketing der kleinen Prozesserfolge. »Welche Prozesse kann man im Unternehmen verbessern? Es ist wichtig für ein Unternehmen, dass man den Konsumentinnen und Konsumenten die einzelnen Schritte hin zu einem Endergebnis nachvollziehbar kommuniziert. Nur mit einer kontinuierlichen und transparenten Kommunikation von Zwischenzielen schafft man es, eine Glaubwürdigkeit gegenüber dem Kunden zu erzielen.« So sei es sinnvoll, Verbraucherinnen und Verbrauchern das möglichst niederschwellig zu zeigen, etwa, indem man es in Storys verpackt.

Unternehmen wie Rose, die eine sehr sportliche Zielgruppe ansprechen wollen, kämpfen mit der Herausforderung, Performance mit Nachhaltigkeit zu vereinen.

Ähnlich äußert sich Riese & Müller-Mann Jörg Matheis: »Nachhaltige Themen lassen sich leider nicht so schnell lösen, wie man das zu Beginn denkt. Deshalb ist es wichtig, auch immer eine hohe Transparenz zu haben und zu zeigen, warum man bei manchen Themen noch nicht so weit ist wie bei anderen.«

Werbelügen werden abgestraft

Der Erfolg von Green Marketing steht und fällt mit Ehrlichkeit und Transparenz. Steffen Jüngst: »Wir arbeiten seit Jahren mit Fachhändlerinnen und Fachhändlern und treuen Kundinnen und Kunden zusammen. Das bedeutet, unser Marketing zielt weniger auf einmalige Kaufentscheidungen ab als auf langfristige Kundenbindung. Man muss immer authentisch bleiben. Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut.« Green Marketing funktioniert also nicht, wenn man kurzfristig denkt. Hinzu kommen die Partner in der Wertschöpfungskette. »Ob Lieferunternehmen oder Hersteller. Denen müssen wir auch erzählen, wo was dahintersteckt«, sagt Jüngst. Lügen haben auch hier kurze Beine. »Die Verbraucher, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit stark auseinandersetzen, schauen sehr genau hin«, findet Matheis. »Am Ende ist die größte Strafe, wenn das eigene Produkt nicht mehr ausgewählt wird, weil man an einer Stelle unehrlich war.«

Transparenz ist eine Branchenaufgabe

Statt Schönfärberei gehört also Transparenz ins Green Marketing. Marlon Schmidt von Rose findet, dass auch die zunehmende Zusammenarbeit innerhalb der Branche zu dieser Transparenz verhilft. Zum Beispiel in Sachen Zulieferer. »Für uns ist es schwer, wenn wir allein auf die asiatischen Zulieferer zugehen und eine Umstellung auf beispielsweise erneuerbare Energien fordern. Sagen das jedoch fünf oder sechs Unternehmen aus der Branche, ist die Chance einer Veränderung größer. Unserer Erfahrung nach findet da in letzter Zeit bereits eine viel offenere Kommunikation untereinander statt als früher.«
Steffen Jüngst ergänzt: »Im Endeffekt geht es um die Welt, die wir hinterher für die nachfolgende Generation hinterlassen. Da ist jedes Unternehmen, das es ernst meint, willkommen. Moralische Überlegenheit ist da völlig fehl am Platz.« Auch Jörg Matheis stimmt zu: »Das Thema Nachhaltigkeit ist eins, das nicht ein Hersteller alleine lösen kann. Da muss eine gesamte Branche dran arbeiten. Ich finde, die Fahrradbranche macht das schon sehr gut. Aber es gibt trotzdem noch viel zu tun. Man kann spüren, dass vom Handel bis zum Zulieferer alle hoch motiviert sind und wirklich etwas verändern wollen. Am Ende geht es um eine lebenswertere Zukunft für uns alle. Das ist die größte Motivation.« //

21. Dezember 2023 von Wolfgang Scherreiks

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