
Interview - Decathlon Deutschland
Hohe Ziele im Fahrradmarkt
Wie zufrieden sind sie mit dieser aktuellen Fahrradsaison bei Decathlon?
Axel Thunig (Domain Leader Mobility, Decathlon Deutschland): Wahrscheinlich zufriedener als viele unserer Mitbewerber. Wir sind sportlich ambitioniert und hatten entsprechend hohe Ziele. Zwar hatten wir gehofft, dass sich das Overstock-Problem und der Preiskampf dieses Jahr entspannen würden, das ist jedoch nicht eingetreten. Die Kaufzurückhaltung ist weiterhin spürbar. Unsere Produkte kommen gut an, dennoch liegen wir beim Absatz etwas hinter unseren Erwartungen. Im Vergleich zum Gesamtmarkt sind wir mit der Entwicklung aber zufrieden und performen überdurchschnittlich.
Geoffry Janssens (Market Leader Van Rysel, Decathlon Deutschland): Im Bereich Road Cycling, insbesondere mit Van Rysel, sehen wir eine deutlich positive Entwicklung. Der deutsche Markt ist für Van Rysel noch jung, aber wir wachsen kontinuierlich, nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.
 Hatte Decathlon denn auch ein Overstock-Problem? Man würde erwarten, dass durch die Vertikalisierung das Thema weniger drängend ist?
Axel Thunig: In einzelnen Segmenten waren wir durchaus von Overstock betroffen. Wir machen eine Produktionsplanung für Europa, und wenn es dann eine europa- oder weltweite Konsumzurückhaltung gibt, dann lässt sich das nicht immer ausgleichen. Das heißt, dass wir schon mit etwas zu hohem Lagerbestand zu kämpfen haben. Allerdings ist das bei uns weniger gravierend als bei Händlern, die mit Vororder arbeiten. Für diese war das Problem deutlich existenzieller. Bei uns ist es eher ein Thema des Abverkaufs.
 Andere Sportfilialisten haben sich nach Corona allmählich wieder aus dem Fahrradsegment zurückgezogen. Decathlon gibt seit Jahren besonders viel Gas auf dem Fahrradmarkt. Warum ist dieser Markt für Sie so spannend?
Axel Thunig: Der Fahrradmarkt ist für uns strategisch enorm wichtig. Wenn man den gesamten Sportmarkt betrachtet, ist das Fahrradsegment mit Abstand der größte Bereich. Für uns als Multisportanbieter wäre es fahrlässig, dort nicht aktiv zu sein.
Zudem ist das Fahrrad nicht nur ein Sportgerät, sondern ein Alltagsprodukt, das ein aktives Leben fördert und eine zentrale Rolle in der Mobilitätswende spielt. Die zunehmende Technisierung der Bikes macht den Markt besonders dynamisch und wachstumsstark.
 Noch ein Wort zur Marktentwicklung. Vor knapp zwei Jahren, als Decathlon-Deutschland eine Milliarde Euro Umsatz erzielte, wurde ein Fahrradanteil von knapp 15 Prozent davon genannt. Wo stehen Sie aktuell?
Axel Thunig: Unser Gesamtwachstum letztes Jahr mit 2,1 Prozent ist bekannt. Dabei lag unser Wachstum bei Radsport knapp über 8 Prozent. Das heißt, dass wir überproportional wachsen. Dieser Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort.
 In welchen Preislagen und Segmenten erwarten Sie noch weiteres Wachstum?
Geoffry Janssens: Wir wollen mit Van Rysel eine Expertenmarke aufbauen. Dabei setzen wir auf Road Cycling, Gravel und Triathlon. Nächstes Jahr kommen neue Produkte im Gravel-Bereich, und Richtung 2027 wollen wir den Triathlon- und Time-Trial-Bereich weiter ausbauen. Wir wollen weiterhin Produkte mit hoher Qualität und technischer Innovation anbieten, aber zu einem Preis, der deutlich unter dem liegt, was vergleichbare Marken verlangen. Es ist nicht unsere Ambition, Räder im Segment Pinarello oder Specialized herauszubringen. Dafür sind wir eine zu junge Marke und stehen erst am Anfang unserer Reise. Bis vor einem Jahr, als wir unsere neuen Roadbikes auf den Markt gebracht haben, gab es kein Produkt im Preissegment von 9000 Euro bei Decathlon. Wir wollen grundsätzlich eher im mittleren Preissegment bleiben und dort qualitativ hochwertige Produkte anbieten.
Axel Thunig: Geoffry hat hier natürlich das sehr leistungsbezogene Segment beschrieben. Unsere DNA bleibt die Demokratisierung des Sports. Wir wollen Mobilität für alle zugänglich machen, auch im günstigen Einstiegspreissegment. Dies kann man besonders bei unserer Innovation, dem stufenlosen Automatik-Getriebe-Motor von Owuru, sehen. Dieser ist in Modellen unter 3000 € erhältlich und macht High-End-Technik auch im äußerst fairen Preissegment zugänglich. Das ist der Weg, den unsere Marken weiter verfolgen werden und wo wir die Zukunft unserer Vertriebsstrategie sehen.
 Welche Ziele verfolgen Sie mit der Marke Van Rysel?
Geoffry Janssens: Das Ziel ist, Van Rysel zu einer der Top 5 bekanntesten Rennradmarken weltweit zu machen. Das werden wir heute noch nicht sein. Um dahinzukommen, spielen wir wie gesagt sehr klar Road Cycling, Gravel und Triathlon – alle drei gleichwertig, aber mit Entwicklungsprioritäten. Mit Van Rysel als eine der Expertenmarken im Portfolio von Decathlon möchten wir unsere Reputation und Glaubwürdigkeit stärken. All das muss auch Hand in Hand gehen mit Umsatz und Stückzahlen.
 Wie arbeiten Sie an der Markenidentität von Van Rysel, um dieses Ziel zu erreichen?
Geoffry Janssens: Ein zentrales Element unserer Markenstrategie ist die enge Kooperation mit dem Profi-Team Decathlon AG2R La Mondiale. Wir sind Co-Namensgeber und jüngst auch Eigentümer des Teams und stellen einen Großteil des Equipments vom Helm über Brille und Bekleidung bis hin zu den Rädern. Nur bei den Schuhen haben die Fahrer freie Wahl, weil das sehr individuell ist. Diese Partnerschaft ist für uns ein wichtiger Hebel, um Van Rysel als Expertenmarke im Road-Cycling-Segment zu etablieren – gerade bei den Kundinnen und Kunden, die sich über den Profisport und Fachmedien informieren.
Aber das ist nur ein Teil. Deutschland hat innerhalb des Van-Rysel-Projekts eine Sonderrolle bekommen, zusammen mit UK und China. In diesen Märkten investieren wir gezielt in den Markenaufbau. In Deutschland setzen wir dabei auf drei strategische Säulen: erstens die Präsenz bei lokalen Events wie der Cycling World in Düsseldorf, Rund um Köln oder die ADAC Cyclassics in Hamburg, zweitens die Zusammenarbeit mit Rennrad-Communitys wie Gruppetto Hamburg und drittens unsere Shop-in-Shop-Konzepte, etwa in Köln-Marsdorf.
»Das Ziel ist, Van Rysel zu einer der Top 5 bekanntesten Rennradmarken weltweit zu machen.«
Geoffry Janssens, Market Leader Van Rysel, Decathlon Deutschland
Gerade die Community-Arbeit ist uns wichtig, weil Van Rysel noch nicht die Sichtbarkeit auf der Straße hat wie andere etablierte Marken. Wir wollen nicht nur Produkte liefern, sondern auch die Community unterstützen mit langfristigem Commitment und echter Nähe zum Alltag der Fahrerinnen und Fahrer. So entsteht Vertrauen, und das ist essenziell für den Aufbau einer starken Markenidentität.
 Wo, würden Sie sagen, unterscheidet sich das Decathlon-Sortiment am stärksten von dem, was der klassische Fahrradfachhandel verkauft?
Axel Thunig: Ich würde sagen, der größte Unterschied liegt in unserer Struktur und Philosophie. Wir sind nicht einfach nur Händler, sondern entwickeln unsere Produkte als Hersteller selbst. Das heißt, wir sind entlang der gesamten Wertschöpfungskette aktiv, von der Produktentwicklung über das Design bis hin zur Produktion. Dabei stehen wir auch im engen Austausch mit unseren externen Partnern. Das ermöglicht uns, ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten und gleichzeitig Innovationen schneller umzusetzen.
Wir hören sehr stark auf unsere Kundinnen und Kunden: was sie suchen und an Produkten benötigen. Nur so können wir langfristig erfolgreich sein. Deshalb haben wir neben unseren Eigenmarken auch strategische Partnerschaften aufgebaut, zum Beispiel mit Rebike oder Abus. Über diese Shop-in-Shop-Konzepte in unseren Stores und unserem Online-Markplatz erreichen wir eine größere Kundengruppe. Das schafft Vergleichbarkeit und Auswahl. Der Kunde kann selbst entscheiden, ob er eine Fremdmarke oder unser eigenes Produkt wählt.
Ich glaube, das ist ein zentraler Unterschied zum klassischen Fachhandel, der oft stärker auf bestimmte Marken fokussiert ist. Wir bieten beides, und das macht uns aus meiner Sicht besonders.
 Sie haben bereits gesagt, mit welchen Marken Sie sich nicht vergleichen wollen: Mit welchen Wettbewerbern vergleichen Sie sich?
Geoffry Janssens: Wie gesagt wäre es nicht ganz passend, wenn wir uns mit Marken vergleichen, die ein ganz anderes Heritage und eine lange, emotionale Geschichte mitbringen. Aber natürlich schauen wir uns an, was sie tun, was sie erfolgreich macht und was vielleicht auch nicht.
Unsere eigentlichen Benchmarks sind Marken wie Canyon, Cube und Rose. Das sind starke Wettbewerber, die im Preis-Leistungs-Segment sehr gut aufgestellt sind und auch eine klare Marktidentität haben. Wir beobachten diese Marken sehr genau, nicht nur aus Wettbewerbsgründen, sondern auch, um zu verstehen, wie sie ihre Markenidentität weiterentwickeln. Rose zum Beispiel ist ein gutes Beispiel dafür, wie man sich als Marke neu positionieren kann. Das sind Wege, die wir mit Van Rysel ebenfalls gehen wollen – natürlich mit unseren eigenen Akzenten.
 In England gibt es offenbar erste Testläufe, Decathlon-Marken im direkten Vergleich mit den bekannten Fachhandelsmarken antreten zu lassen. Wird es so etwas in absehbarer Zeit auch in Deutschland geben?
 Geoffry Janssens: Der direkte Vergleich, wie er in UK getestet wird – also Van-Rysel-Räder neben Marken wie Giant oder Cube – ist für den deutschen Markt aktuell nicht vorgesehen. Der Hintergrund ist, dass Decathlon in Deutschland ein anderes Standing hat als in UK. Dort ist das Filialnetz kleiner und weniger präsent in den großen Städten, was solche Vergleichsformate sinnvoller macht.
  
Bei Decathlon spielt der Profisport eine große Rolle, wenn es um den Aufbau der Marke Van Rysel geht. Dafür wird dann auch mal Sprintstar Sam Bennett zur Analyse in eine der verfügbaren Klimakammern gesteckt.
In Deutschland hingegen glauben wir, dass wir die Markenidentität von Van Rysel gemeinsam mit Decathlon exklusiv aufbauen können. Wir setzen hier auf gezielte Partnerschaften, wie etwa mit Rebike, wo unsere Räder durchaus neben Secondhand-Modellen anderer Marken stehen, aber das ist kein direkter Vergleich im klassischen Sinne.
Was wir allerdings tun: Wir haben eine eigene Online-Plattform für Van Rysel, vanrysel.com, die außerhalb des Decathlon-Ökosystems operiert. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Marke eigenständig zu positionieren. Aber ein direkter Vergleich im stationären Fachhandel mit anderen Marken ist in Deutschland derzeit nicht geplant.
 Zur Kooperation mit Rebike: Bisher steckt kein anderer Fahrradhändler einen derart hohen Aufwand in den Verkauf von Leasing-Rückläufern. Lohnt sich das denn wirtschaftlich und abseits von Nachhaltigkeitsaspekten?
Axel Thunig: Ja, das lohnt sich für uns auch wirtschaftlich. Wir sind als Multisportspezialist breit aufgestellt und haben dadurch einen gesunden Produktmix, der es uns erlaubt, solche Konzepte wirtschaftlich zu tragen. Der Verkauf von Leasing-Rückläufern bringt uns nicht nur Umsatz, sondern auch neue Kundengruppen ins Geschäft. Viele Kundinnen und Kunden kommen gezielt wegen bestimmter Marken. Wenn sie diese bei uns als gebrauchte Leasing-Räder finden, ist das ein echter Mehrwert.
Gleichzeitig können wir über unser Sortiment in anderen Bereichen zusätzlichen Umsatz generieren. Es geht also nicht nur um das einzelne Rad, sondern um die gesamte Customer Journey. Für uns ist es jedoch weit mehr als das: Es ist ein entscheidender Baustein unseres Engagements für Nachhaltigkeit. Wir sehen darin die Möglichkeit, einen echten Beitrag zur Kreislaufwirtschaft zu leisten, indem wir den Produktlebenszyklus der Fahrräder verlängern.
Außerdem sehen wir darin einen klaren USP gegenüber dem Wettbewerb. Kein anderer Händler bietet diese Kombination aus Rücknahme, Aufbereitung und Wiederverkauf in dieser Form. Mit Rebike als Partner haben wir einen starken Refurbisher an unserer Seite, mit dem wir in Zukunft noch viele Synergien, beispielsweise in unserem Buyback-Programm, aufbauen können.
Das Fahrrad ist auch ein Service-Produkt. Wie zufrieden sind sie mit dem aktuell gebotenen Service-Niveau bei Decathlon?
Axel Thunig: Zufrieden sind wir noch nicht, da fehlt definitiv noch einiges. Die technische Entwicklung der Fahrräder in den letzten Jahren war enorm, und damit steigen auch die Anforderungen an den Service. Wir sehen, wie wichtig es ist, gut ausgebildete Zweiradmechaniker:innen und Mechatroniker:innen zu haben, und da sind wir wie viele andere am Markt noch knapp besetzt. Daher bilden wir sie auch selbst aus. Derzeit absolvieren neun Azubis ihre Ausbildung als Zweiradmechatroniker:in. Weitere Ausbildungsplätze werden diesen Sommer besetzt.
Aktuell betreiben wir vier große Werkstattstandorte in Deutschland, die wir mittelfristig mit unserem Werkstattprojekt Revice auf mindestens zehn ausbauen wollen. Ziel ist es, die Verfügbarkeit zu verbessern und die Wartezeiten deutlich zu verkürzen. Niemand sollte drei bis vier Monate auf einen Service warten müssen.
Gleichzeitig bündeln wir an diesen Standorten gezielt Kompetenz, um unsere Fachkräfte intern weiterzuentwickeln. Unsere Unternehmenskultur hilft uns dabei. Viele Kolleginnen und Kollegen sind lange bei uns und machen Karriere im Unternehmen, auch im technischen Bereich. Wir bieten nicht nur klassische Ausbildungen an, sondern übernehmen auch die Kosten für Meisterausbildungen, wenn die Mitarbeitenden langfristig bei uns bleiben.
Ein weiterer Vorteil ist unsere Multisportstruktur. Unsere Werkstätten sind nicht nur für Fahrräder da, sondern auch für Zelte, Kajaks und andere Produkte. Dadurch können wir die Auslastung besser steuern, auch außerhalb der Fahrradsaison. Das ist ein echter Pluspunkt gegenüber dem klassischen Fachhandel.
Wo steht das Fahrradsegment in Deutschland bei Decathlon eigentlich im Vergleich zu anderen Ländern?
Geoffry Janssens: Wenn wir auf den Road-Cycling-Bereich schauen, dann ist Deutschland aktuell auf dem Weg, sich innerhalb der Decathlon-Gruppe als zweitstärkster Markt nach Frankreich zu etablieren. Frankreich ist durch sein dichtes Filialnetz und die Rolle als Heimatmarkt natürlich weit voraus. Aber wenn wir unsere aktuelle Entwicklung halten, auch über die Herbst- und Winterkollektionen hinweg, dann können wir diesen zweiten Platz am Jahresende sichern.
Das zeigt, dass der deutsche Markt großes Potenzial hat und dass unsere Arbeit hier angenommen wird. Wir sehen das auch in den Kundenbefragungen: Die Awareness und Consideration steigen deutlich. Das stärkt das Vertrauen der Gruppe, weiter in das Projekt Van Rysel in Deutschland zu investieren.
Axel Thunig: Auch im Gesamtbereich Mobility sind wir mit Deutschland auf dem Treppchen angekommen. Bisher lagen die spanischen Kollegen noch vor uns, aber wir sind sehr zuversichtlich, dass wir sie in diesem Jahr überholen können. Die Wintermonate werden da entscheidend sein, Spanien hat natürlich durch das ganzjährig milde Klima einen Vorteil. Aber wir sehen, dass Deutschland als Fahrradmarkt stark wächst und strategisch immer wichtiger wird. //
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