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In der Mitte der Gesellschaft
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Report - Der E-Bike-Kunde 2017

In der Mitte der Gesellschaft

Angesichts einer kaum überschaubaren Vielfalt bei Modellen, Motoren und technischen Innovationen geht schnell der Überblick verloren. Vor allem mit Blick auf die Fragen, was der Kunde heutzutage eigentlich will und ob er sich im Handel richtig beraten und gut aufgehoben fühlt.

Fluch und Segen einer ganzen Branche«, so lautete im Jahr 2013 eine sehr ernst gemeinte Workshop-These zur »E-Bike-Realität im Fachhandel« auf der Jahrestagung des Fahrrad-Fachverbands VSF e.V.. Was will der E-Bike-Kunde heute – vier Jahre danach? Wie tickt er und was hat sich seit 2013 verändert? Dazu haben wir uns mit Uwe Wöll, ehemals Inhaber eines Fahrradgeschäfts, Produktmanager und heute Geschäftsführer der VSF Service GmbH, und Jürgen Fuchs, Inhaber von Fahrrad Fuchs, der »E-Bike-Erlebniswelt« in Groß-Gerau und einem der »Altvorderen bei E-Bikes,« unterhalten.

Hohe Erwartungen – nicht nur an das E-Bike selbst

»Wir stellen damals wie heute fest, dass die Kunden mit viel höheren Erwartungen in den Fachhandel kommen: im Hinblick auf das Produkt, aber auch auf After-Sales-Services«, erläutert Uwe Wöll die Erfahrungen des Verbands, in dem sich viele mittelständische Premium-Händler und Vertreter der Industrie austauschen. »Der Umgang mit den hohen Ansprüchen der E-Bike-Kunden gehört inzwischen aber zur großen Chance des Fachhandels. Die guten Fachgeschäfte haben sich darauf eingestellt.«
Zudem sei die E-Bike-Technik inzwischen deutlich ausgereifter. Die gute Nachricht für den Verbraucher: »Die Themen Abnutzung, Support, Fehlersuche oder Mitarbeiterschulungen stellen heute nur partiell Problemfelder dar.« Damit gelingt es dem Fachhandel inzwischen offensichtlich gut, die traditionell hohe Kundenzufriedenheit beim Fahrrad auch auf das E-Bike zu übertragen. Laut Fahrradmonitor 2015, einer repräsentativen Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums, zeigen sich beispielsweise 86 Prozent der Befragten zufrieden oder sehr zufrieden mit dem Kauf ihres Fahrrads.
Jürgen Fuchs, der sich schon seit 1998 mit Elektrorädern befasst und sich in seinem Fahrradgeschäft seit 2014/2015 ganz auf E-Bikes plus einige Falträder für Pendler und Urlauber konzentriert, beobachtet zudem ganz neue Nutzungsgewohnheiten und höhere Anforderungen: »Das E-Bike sehen immer mehr Kunden als ernsthaftes Fortbewegungsmittel. Dabei stellen wir fest, dass die Fahrleistung im Verhältnis zum Fahrrad schnell verdoppelt wird. 3000 bis 6000 Kilometer pro Jahr sind dabei heute gar keine Seltenheit.« Viele davon seien junge Umsteiger. Nicht vom Rad, sondern vom Auto. Gerade für sie ist nach Jürgen Fuchs die Lösung weiterer Fragen wichtig: Gewährleistung, Service, und Sicherstellen der Mobilität – Stichwort Leih-E-Bike.

Neue informierte Kunden und gezielte Beratung

Ein weiterer Hauptunterschied beim E-Bike-Kunden 2017 im Vergleich zum Jahr 2013 liegt im völlig veränderten Grundwissen und einer stark gewachsenen Akzeptanz. Ein wesentlicher Faktor ist dabei die deutlich gewachsene Verbreitung und starke Präsenz: in der persönlichen Umgebung genauso wie in den Medien. »Die Kunden, die bei uns in den Laden kommen, sind heute gut informiert«, erläutert Jürgen Fuchs. »Erstkontakte zum E-Bike sind in der Regel da. Durch die inzwischen hohe Verbreitung verfügen viele über Erfahrungen im Freundes- und Verwandtenkreis. Dazu informieren sich Interessenten über Publikums- und Fachmagazine und – sie sehen auch ständig E-Bikes auf der Straße.«
Die Gefahr, dass Interessenten und Kunden mit dem immer weiterwachsenden Angebot überfordert sein könnten, sehen beide Fachleute nicht. Ganz im Gegenteil: »Geschulte Verkäufer führen ihre Kunden«, betont Uwe Wöll. »Sie finden das optimierte E-Bike-Modell und verbinden Nutzen und Einsatzbereich. Die Beratung muss das Auge, den Einsatzzweck und die Ergonomie zusammenbringen, genau wie in der Vergangenheit beim gewöhnlichen Fahrrad. Daran hat sich nichts geändert.« Jürgen Fuchs geht sogar noch einen großen Schritt weiter, indem er sich auf eine Marke konzentriert, die ein breites Sortiment vom City-, Trekking- und Lastenrad über S-Pedelecs bis hin zum Faltrad führt.

Von wegen rasende Rentner …

Auch wenn das Hauptinteresse und der Hauptabsatz von Elektrorädern nach wie vor bei älteren Kunden liegt: E-Bikes sind inzwischen ganz offensichtlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. »In jüngster Zeit kommen auch junge Menschen, also Mittzwanziger, in unseren Laden und erkundigen sich ganz gezielt nach einem E-Bike«, so Jürgen Fuchs. »Nicht für die Freizeit, sondern ganz gezielt als Pendelfahrzeug für den neuen, oftmals ersten »richtigen« Job. Sie stellen fest, dass man mit dem Auto nicht mehr in die Stadt kommt und einen privaten Parkplatz teuer bezahlen muss. Da liegt es nahe, gleich beim Fahrrad zu bleiben, beziehungsweise auf das E-Bike umzusatteln.« Eine weitere deutlich sichtbare Kundengruppe seien auch junge Familienväter, die schnell und pünktlich auf der Arbeit ankommen und gezielt ihr Bewegungsdefizit abbauen wollten. Kein Wunder eigentlich bei der von Dauerstaus geplagten geografischen Lage des Ladengeschäfts im Dreieck zwischen Rüsselsheim, Darmstadt und Frankfurt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der hohe S-Pedelec-Anteil von rund zehn Prozent im Verkauf, für die Jürgen Fuchs, der selbst gerne auf dem schnellen E-Bike unterwegs ist, aktiv wirbt: Mit intensiver Beratung, guten Argumenten (»eigentlich ist es ein Privileg, nicht auf dem Radweg fahren zu müssen«) und mehreren angemeldeten S-Pedelecs im Verleih. Gerade jüngere und sportlichere Pendler, denen 25 km/h zu gemütlich seien, entschieden sich danach gerne für die schnelle Version.

Unisex-Trend bei jungen Käuferinnen und Zweitkäufern

Inzwischen gibt es auch immer mehr Verbraucher der zweiten Generation, die ihr E-Bike durch ein neues Modell ersetzen. Bei älteren männlichen Kunden wächst nach den Erfahrungen von Jürgen Fuchs dabei die Bereitschaft aus ganz praktischen Gründen, ein E-Bike mit Komforteinstieg zu wählen. Trotzdem soll es sportlich-technisch wirken, wie zum Beispiel das Modell Homage von Riese & Müller. Umgekehrt ist es nach Jürgen Fuchs so, dass gerade ­jüngere Frauen gerne das fahren, was ihnen gefällt und worauf sie sich wohlfühlen. »Das kann ein Damenrad sein, muss es aber nicht.«

Gute Strategien für den Handel

»Wichtig sind eine ehrliche, gründliche Beratung, eine ausführliche Probefahrt und das richtige Angebot an Varianten«, resümiert dazu Uwe Wöll die Erfahrungen des VSF. Zunehmend wichtig ist dabei auch die individuelle Konfiguration des Rads. »Bei den Produkten sehen wir bei unseren VSF-Fachhändlern, dass die Kunden, im Gegensatz zu Schnäppchenjägern, bei der Auswahl ‚ihres Rades‘ kompromisslos das für sie beste E-Bike in Wunschausstattung und Farbe haben wollen.«
Das sieht auch Jürgen Fuchs so und nimmt dazu auch gleich die Zubehörhersteller mit in die Pflicht: »Der Kunde bei uns möchte heute ein individuell konfiguriertes Rad, zusammen mit hochwertigen Komponenten, die ihm das Leben einfacher machen. Toll ist hier zum Beispiel, wenn Akku und Faltschloss mit dem gleichen Schlüssel bedient werden können. In der Preisklasse über 4000 Euro wollen die Kunden auch gerne ein Navigationssystem am E-Bike haben.«
Vielleicht ein wenig typisch für die Region, aber bei ihm sehen viele Kunden den Wert des E-Bikes durchaus auch als sinnvolle Geldanlage. »Bevor man das Geld zinslos auf der Bank lässt, gibt man es lieber für etwas Vernünftiges aus«, beschreibt Fuchs seine Erfahrungen.

Positiver Blick nach vorn

In der Praxis steht mit dem E-Bike-Kauf oft vor allem der Wunsch nach mehr Lebensqualität im Vordergrund, der mit Geld auf der Bank sowieso nicht aufzuwiegen ist. Vor dem Hintergrund von Dauerstaus und Parkplatznot, steigenden Umweltbelastungen, drohenden Dieselfahrverboten und nicht zuletzt einer akuten Glaubwürdigkeitskrise der Automobilindustrie könnten E-Bikes zudem für viele neue Nutzer, und vielleicht ja auch die Politik zu einer echten neuen Mobilitätslösung werden. Also, wir sind gespannt auf den E-Bike-Kunden 2018!

21. August 2017 von Reiner Kolberg
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