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Porträt - Bike o'bello

In vier Jahrzehnten zum Online-Riesen

Die Anlehnung an das italienisierte Adjektiv
»picobello« beschreibt den Radsportbekleidungs-
händler Bike o’bello ziemlich passend: Optimierte Prozesse, ein umfassender Kundenservice und alle Zeichen auf Wachstum lassen das Unternehmerehepaar Nanni optimis-tisch in die Zukunft blicken.

Bike o’bello ist ein ziemliches Unikat. Sehr viele Unternehmen im Fahrradhandel pflegen eine gewisse Hassliebe zur Radbekleidung. Im letzten Jahrzehnt hat sich diese nur insofern aufgelöst, als oft das Segment einfach komplett aufgegeben wurde. Ganz anders Bike o’bello. Als Spezialist für Radbekleidung hat man sich im Markt für Fahrradklamotten nicht nur behauptet, sondern steht stärker da als je zuvor. Bis dahin wurde allerdings ein langer Weg zurückgelegt.

Der Anfang: Alleinstellungsmerkmal Profiteambekleidung

Der Radbekleidungsversand Bike o’bello feiert 2023 zwar sein 40-jähriges Jubiläum, aber die Geschichte der aktuellen Inhaber von Angelo und Anne Nanni beginnt erst im Jahr 2007. Denn in diesem Jahr übernahm das Ehepaar das Ladengeschäft im baden-württembergischen St. Leon-Rot sowie den zugehörigen Versandhandel. Der Diplom-Kaufmann, der in Köln und Mailand Betriebswirtschaftslehre studiert hat, brachte als Geschäftsführer größerer internationaler Spezialunternehmen bereits Erfahrung aus dem Versandhandel mit.

Der stationäre Shop in Wiesloch vereint unter seinem Dach Bekleidung und Zubehör für verschiedene Radsportdiszplinen.

Rückblickend betrachtet Angelo Nanni die Übernahme als eine passende Gelegenheit, »weil wir viel einbringen konnten, vor allem das Know-how als E-Commerce-Fachmann, was dem Unternehmen gutgetan hat.« Dennoch war es wichtig, zunächst ein genaues Konzept zu entwickeln. Überhaupt scheint der Geschäftsführer ein sehr strukturierter Mensch zu sein, der kaum etwas dem Zufall überlässt, wenn er von Konzepten, Prozessen und Strategien spricht. Mit Bike o’bello war ein gesundes Nischenunternehmen gefunden, das mit Fahrradbekleidung innerhalb eines sehr guten Umfelds agierte und ein nachhaltiges, gesundes Wachstum versprach. Als Spezialist für Bekleidung kann Bike o’bello mit seinem Sortiment in die Tiefe und Breite gehen. Das verschafft dem Unternehmen Vorteile im Vergleich zum Fahrradfachhandel, für den Bekleidung oft lediglich eine Nebenbaustelle ist, wenn das Segment überhaupt noch angeboten wird.
Angelo und Anne Nanni sind eigenen, augenzwinkernden Angaben zufolge »passionierte E-Bike-Fahrer«, als Kernzielgruppe jedoch identifizieren sie die sportlich-ambitionierten Radfahrenden. Diese waren auch schon vor 40 Jahren die erste Klientel von Bike o’bello. Denn damals gab es Fahrradfahren und Rennradfahren: Während die Fahrradfahrerinnen- und -fahrer wenig Wert auf funktionelle Radsportkleidung legten, eiferten die sportlichen Fahrer (meist eben Rennradfahrer) auch modisch ihren Idolen aus der Profiradsportszene nach. Sie waren also die idealen Abnehmer für die Trikots ihrer Vorbilder. Selten blieb es jedoch beim Kauf von Profitrikots. Socken, Handschuhe, Helme und weiteres Zubehör landeten oft zusätzlich im Einkaufswagen. Eine Erweiterung des Angebots war also dringend geboten.

Im Vordergrund rechts: Der Geschichte der großen Radrennen ist eine eigene Wand gewidmet.
Im Hintergrund links: Die Schaufensterpuppe trägt ein Trikot der Bobteam-Eigenmarke.

Internationalisierung über den Onlineshop

Neben dem Ausbau des Sortiments war es dem Ehepaar Nanni von Anfang an wichtig, die Fühler über Deutschland hinaus auszustrecken. Die Internationalisierung lief Hand in Hand mit dem Ausbau ihrer E-Commerce-Aktivitäten. Die ehemals zwölf Ladengeschäfte in ganz Deutschland, die das Ehepaar mit übernommen hatte, wurden bis auf das Geschäft in St. Leon-Rot nach und nach geschlossen und das Augenmerk auf den Onlineshop gelegt. Der Shop ist bereits seit zehn Jahren in sieben Sprachen verfügbar. Neben Deutsch gibt es dort Inhalte und Begleittexte auf Englisch, Polnisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Niederländisch zu lesen. Ebenso kann man den Kundenservice in diesen sieben Sprachen kontaktieren.
Nicht zuletzt haben sich auch die Investitionen ins Affiliate Marketing ausgezahlt, um über internationale Radsportwebseiten und Fahrradblogs an Bekanntheit zu gewinnen. Mittlerweile macht Bike o’bello 95 Prozent des Umsatzes online. Dabei sind die Auslandsmärkte keinesfalls Nebenschauplätze: Der Anteil des Umsatzes, der im Ausland erwirtschaftet wird, liegt laut Angelo Nanni bei 40 bis 45 Prozent. Wichtigste Märkte sind momentan die Anrainer-Staaten Benelux, Frankreich, Spanien, Italien, zunehmend auch Osteuropa sowie Skandinavien. Es gibt aber auch Kunden aus Süd- und Nordamerika, Japan, Südkorea, Australien oder Südafrika, die über den Bobshop bestellen. Vor diesem Hintergrund ist es gut zu verschmerzen, dass im Ladengeschäft während des Gesprächs an einem Dienstagmorgen nur eine einzige Kundin beraten wird. Weder Angelo noch Anne Nanni scheinen dadurch beunruhigt zu sein.

Serviceorientierung als Wachstumsbringer

Das Ladengeschäft befindet sich mittlerweile in Wiesloch, verkehrsgünstig gelegen in der Nähe des Autobahnanschlusses Walldorf, den auch der Softwarekonzern SAP nutzt. 2018 bezog man das neue Gebäude, das sowohl den Laden als auch Büros und das helle, 2000 Quadratmeter große Lager beherbergt. Zwei weitere Firmen sind als Mieter eingezogen, die Immobilie bietet also genug Platz für weiteres Wachstum.

Selbst im Laden nimmt der Onlineshop eine zentrale Rolle ein.

Im lichtdurchfluteten Lager herrscht Einbahnstraßenverkehr.

»Ohne diese Investition wäre es auch während der Corona-Zeit schwierig gewesen,« resümiert Angelo Nanni, denn in dieser Zeit seien Umsatz und Umschlag explodiert. Heute hat Bike o’bello etwa 60 Mitarbeitende sowie etliche Freelancer, die beispielsweise mit den Übersetzungen unterstützen.
»Es ist nicht so häufig, dass ein E-Commerce-Unternehmen auf so eine lange Historie zurückblicken kann,« stellt Angelo Nanni mit einem verschmitzten Lächeln fest. Nicht nur
er freut sich über den Erfolg seines Unternehmens, auch Anne Nanni bestätigt, dass sie sich »sehr geehrt gefühlt haben«, als sie 2016 vom Deutschen Institut für Servicequalität zum ersten Mal ausgezeichnet wurden und seitdem immer unter den ersten drei platziert waren. Seit 2016 waren sie viermal Gesamtsieger, 2022 war in der Kategorie »Bester Online-Shop für Fahrräder & Fahrradzubehör« nur Fahrrad XXL noch weiter vorne. Anne Nanni schlussfolgert: »Da machen wir vieles richtig, was den Service an-geht.«
Es gibt bei Bike o’bello für Kunden vier Möglichkeiten, bei Fragen persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern aufzunehmen: über WhatsApp, über ein Kontaktformular, über eine Rückrufbitte oder per Livechat, hinter dem sich kein Bot versteckt. Ein Umstand, auf den die Firmeninhaberin Wert legt. Bestellungen, die vor 14 Uhr eingehen, werden noch am selben Tag verschickt. Wenn ein Produkt nicht gefällt oder nicht passt, gelten unkomplizierte, verständliche Rücksende- und Umtauschregelungen. Gerade im internationalen Bereich stehen vielfältige Zahlungsarten zur Wahl. Die Stammkunden bekommen auf Wunsch einen Katalog geschickt und bestellen per Rücksendekarte, manchmal auch per Telefon. Auch das ist bei Bike o’bello kein Problem. Aufgrund der langen Historie des Unternehmens sind diese Stammkunden und -kundinnen nicht selten im gesetzteren Alter von siebzig Jahren und mehr.
Zudem nutzt Bike o’bello eine ausgeklügelte Kundenbindungsstrategie, die sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt. Eines dieser Elemente ist das E-Mail-Marketing: Weltweit sind etwa 300.000 E-Mail-Empfänger für den Newsletter registriert. Wöchentlich werden bis zu drei kundenspezifische Newsletter verschickt. Diese kundenspezifische Ausrichtung trägt dazu bei, dass der Newsletter nicht auf taube Ohren stößt, sondern die Kundschaft zum Kauf anregt.

»E-Commerce kann Wachstum. Jetzt wird sich zeigen, ob E-Commerce auch Krise kann.«

Angelo Nanni,
Geschäftsführer Bike o‘bello

So transparent wie die Vorteilsprogramme ist auch der Webshop. Seine klare Struktur folgt der Maxime von Bike o’bello: »Die Kunden sollen bei uns nicht suchen, sondern finden.« In nahezu jedem Bereich begegnen einem die Kategorien »Neu!«, »Set-Angebote« und »Sale«.
Angelo Nanni betont die Innovationskraft, die von Bike o’bello ausgeht und die auch nötig ist, um die Nachfrage bei der Kundschaft zu wecken. Während die meisten Mixed-Händler, die neben der Hartware Fahrräder auch eine kleine Ecke mit (meist farblich gedeckter) Radsportbekleidung führen, dem Saisonwechsel mit gemischten Gefühlen entgegensehen, freut man sich bei dem Versandhändler in Wiesloch auf die neuen Kollektionen. Überhaupt ist man begeistert, wie positiv sich das Thema Radsportbekleidung in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. »Das ganze Thema Radsportbekleidung hat sich im Windschatten der Hartware mitentwickelt. Insoweit hat es eine Explosion an Innovationen und Marken gegeben,« fasst Angelo Nanni die letzten Jahrzehnte zusammen. Jede Radsportdisziplin hat ihren ganz eigenen Bekleidungsstil. Auch der zunehmende Frauenanteil, der in den vergangenen 15 Jahren von 5 bis 10 Prozent auf 20 bis 25 Prozent gestiegen ist, schlägt sich im Sortiment nieder. Oft äußert er sich in Form von farbenfrohen Stoffen oder floralen Designs.
Die Set-Angebote im Bobshop stellen für Verkäufer und Käufer eine Win-Win-Situation dar: Kundinnen und Kunden sparen in der Regel acht Prozent auf das mehrteilige Set, Bike o’bello verkauft gleich mehrere Teile auf einmal. Und unter dem Aspekt des Kundenservices übernimmt Bike o’bello die Vorauswahl von passenden Kleidungsstücken, wodurch Kundinnen und Kunden weniger Zeit mit Suchen nach dem passenden Match verbringen.

Auf Euphorie folgt Krisenstimmung

Dass Anfang Februar so viele Sale-Artikel im Bobshop verfügbar sind, hat zwei Ursachen. Zum einen ist es der ganz normale Saisonwechsel von Herbst/Winter auf Frühjahr/Sommer. Zum anderen hat es auch mit den Folgen der Corona-Zeit zu tun: Nachdem viele Player in der Bike-Branche, euphorisiert vom Boom der Corona-Jahre, ihre Wachstumsstrategien nach oben korrigiert haben, waren sie auf den Einbruch von 2021 auf 2022 nicht gefasst. Das fällt einigen Händlern gerade auf die Füße und trägt so zur Bereinigung des Marktes bei. Insbesondere Unternehmen, die anders als Bike o’bello durch Investoren finanziert sind, seien dabei über das Ziel hinausgeschossen.

Das Inhaberehepaar Angelo und Anne Nanni lenkt seit 2007 die Geschicke von Bike o‘bello.

Da die avisierten 30 bis 50 Prozent Wachstum durch Krieg, Inflation und die Energiekostensteigerung ausgeblieben sind, müssen die betroffenen Händler nun ihre Bestände über Sale-Angebote korrigieren. Hinzu kommt die durch das Lieferkettenproblem erst verspätet ausgelieferte Ware. Für das Ehepaar Nanni ist es glimpflich abgelaufen: »Zum Glück sind wir nicht davon betroffen, weil wir schon Anfang des Jahres stark darauf reagiert und unsere Orderpolitik angepasst haben.« Angelo Nanni ist gespannt: »E-Commerce kann Wachstum. Jetzt wird sich zeigen, ob E-Commerce auch Krise kann.«
Auch eine weitere drohende Gefahr der Branche können die Bike o’bello-Macher bisher im Zaum halten: das Direct-to-Consumer-Geschäft der großen Hersteller, das Groß- und Einzelhändler immer konsequenter umgeht. Hilfreich ist den Wieslochern dabei ihre Eigenmarke Bobteam. Die Idee dazu wurde von 15 Jahren geboren und zahlt sich jetzt aus. Ursprünglich wollte man ein paar Themenoutfits entwickeln, die zu Bike o’bello passen, heute füllen die Bobteam-Outfits sowohl modisch als auch preislich die Lücken. Die Verkäufe der Eigenmarke-Artikel machen heute gut zehn Prozent des Gesamtumsatzes aus. Darüber hinaus dienen die Trikots mit dem Bobteam-Schriftzug als Werbeträger. So kann jeder sehen, dass Bike o’bello per se eine Brand ist. Eine, deren Entwicklung noch lange nicht am Ende ist. //

14. März 2023 von Nadine Elbert
Velobiz Plus
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