10 Minuten Lesedauer

Markt - Trends

Innovationen für die Zukunft

Dass die Fahrradwelt gerade eine innovative Phase erlebt, hat sich bis zu den Endverbrauchern herumgesprochen. Viele Neuheiten haben das Zeug dazu, die Branche selbst zu verändern. Eine Einordnung.

Wer dieses Jahr nach den Highlights der Saison fragt, bekommt von den meisten zunächst die Neuheiten an der E-Antriebsfront genannt. Als ein großes Highlight darf Pinion mit der neuen E-Motor-mit-Getriebebox-Kombi gelten, aus gutem Grund griffiger Motor.Gearbox.Unit (MGU) getauft. Alle Schalt- und Antriebsmagie geschieht dabei zentral rund ums Tretlager. Wenn diese Technik annähernd so zuverlässig funktioniert, wie das bei den bisher bekannten Getriebeschaltungen von Pinion der Fall ist, dürfte das ein Highlight und ein potentes Werkzeug sein für alle, die an ihrem E-Bike weniger Wartungsaufwand wünschen und sich gleichzeitig während der Fahrt am Gedanken erfreuen können, wie gerade viele Zahnräder ineinandergreifen und rotieren. Wer die Pinion-Produkte kennt, weiß gleichzeitig, dass es so viel Ingenieurskunst nicht umsonst gibt. Die Produkte sind und bleiben weiterhin im High-End-Segment angesiedelt mit entsprechendem Preisschild. Dafür haben bereits zum Produktlaunch schon einige Hersteller die MGU von Pinion verbaut.

Ein vollgefederter E-MTB-Prototyp aus Aluminium wird zur bemerkenswerten Neuheit, wenn er aus dem 3D-Drucker kommt. Der italienische Hersteller Thok zeigt, was in diesem Bereich heute machbar ist.

Dazu gehören Simplon, Tout Terrain und Zemo. Besonders begeistert ist man offenkundig bei der ZEG vom neuen Antrieb, die ihn bei den Marken Bulls, i:SY, Kettler und Pegasus zum Einsatz bringt.

Das ist nicht nur Ausdruck von Vertrauen in die Produktentwicklung von Pinion, sondern auch eine Möglichkeit für die Marken, die eigene Innovationsfähigkeit zu zeigen. Bei so viel Aufmerksamkeit ist es den Schwaben fast, aber nur fast, gelungen, dem neuen Bosch-Antrieb die Show zu stehlen.

Leichte Motoren für schwere Aufgaben

Absehbar wird dieser im breiten Markt eine größere Bedeutung und Verbreitung finden als Pinion. Viele Marktteilnehmer haben bereits die pfeifenden Spatzen auf den Dächern im Vorfeld der Präsentation wahrgenommen, vielleicht richtete der Branchenkern deswegen relativ schnell nach der Premierenvorstellung seine Aufmerksamkeit auf die vielen anderen Themen. Dabei haben sicher alle einen genauen Blick auf die neue Performance Line SX von Bosch geworfen.

Die Hauptbühne gehört in diesem Jahr den Neuheiten von der Antriebsseite, allen voran Bosch und Pinion.

Es ist nicht nur der Umstand, dass sogar der Antriebs-Marktführer nun auf leichtere Motoren setzt, sondern der Hinweis darauf, was die Markterwartung für die nächsten Jahre ist. »Ein Viertel bis ein Drittel Marktanteil für leichte Antriebe«, bezifferte ein Experte als Erwartung der Motorhersteller. Alles, was sportlichere Ansprüche bedienen will, wird diese Entwicklung berücksichtigen müssen. Auch sonst werden noch viele E-Bikes mit leichten E-Antrieben verkauft werden müssen, um auf diese Zahlen zu kommen.

Neben geringem Gewicht bei hoher Leistung präsentierte Bosch auch die Erweiterung seines »smarten Systems«. Auch diese Entwicklung sollte man nicht unterschätzen. Den Puristen genügen vielleicht ein paar Dioden zur Statusanzeige, aber der breitere Markt weiß es zu schätzen, wenn er wie im Auto aus einem komfortablen, digitalen Angebot wählen kann, sei es bei den gebotenen Displays oder der eigentlichen Software-Funktionalität, die auch das eigene Smartphone einbezieht.

Kettenschaltung bleibt aktuell

Auch an der klassischen, also der Nicht-E-Antriebsfront, verändert sich derzeit viel. Viel Aufmerksamkeit erfährt der stattfindende Wettbewerb zwischen Shimano und Sram. Wer dachte, die Geschichte der Kettenschaltung sei auserzählt, wurde in den letzten Wochen und Monaten eines Besseren belehrt. Autoshift, Freeshift und Cues heißen die Zauberworte bei Shimano, Eagle Transmission und UDH bei Sram. Shimano zeigt, dass der Komfort auf dem Rad durch automatische Schaltvorgänge immer noch deutlich gesteigert werden kann. Dazu kommt bei beiden noch all die neue elektronische Unterstützung beim eigentlichen Schaltvorgang. So wie es aussieht, wird der Bowdenzug samt Hülle immer weiter ersetzt durch eine Batterie.

Sram hat auch die Einstellschrauben für das Schaltwerk eingespart. Wer nun noch Feineinstellungen vornehmen will, kann dies stattdessen über eine App tun. Sollte diese Technik tatsächlich so funktionieren wie versprochen, wird sie eine schöne Arbeitserleichterung in den Werkstätten und auch bei den Hobbyschraubern zu Hause sein. Selbst die Publikumszeitschriften werden dann vielleicht nicht mehr alle Jahre erklären müssen, wie man seine Gangschaltung korrekt einstellt.

Sichere und kurze Bremsvorgänge auch für unbedarftere Radfahrende sicherzustellen, hat sich Magura mit dem CBS zum Ziel gesetzt.

Wenn man die großen zwei nennt, sollte man inzwischen nicht mehr die vielen kleineren Schaltungsanbieter unterschlagen, die Innovatives zu zeigen haben. Campagnolo, 3X3, Enviolo, Revolute, Classified oder Rohloff arbeiten alle daran, mit eigenen Lösungen den Gangwechsel auf ein neues Niveau zu heben. So viel marktrelevante Auswahl gab es noch nie. Dass diese Entwicklungen nicht für die Galerie der Techniknerds sind, sondern ihre Berechtigung haben, zeigt sich an der Ausdifferenzierung der verschiedenen Segmente.

Insbesondere das Lastenrad hat sich zum Innovationstreiber entwickelt. Höhere Lasten müssen bewegt werden in bisher untypischen Einsatzszenarien. Die Elektrifizierung des Fahrrads hat dieses Segment aus der Spezialrad­ecke in die Mitte der Branche gehoben. Auch dieses Jahr gibt es wieder viele Neuheiten, die man aber besser als stete Evolution denn als durchschlagende Revolution versteht. Ob Longtail oder Long John, ein- oder zweispurige Fahrzeuge, praktisch jeder Hersteller hat eigene, interessante Lösungen für die jeweiligen Einsatzzwecke im Sortiment. Das zeigt zum einen, dass am Lastenrad viel Raum für neue Ideen besteht und zum anderen, dass auf diesem Feld praktisch keine allgemeinen Standards etabliert sind. Da der Strom an Neuheiten nicht abreißt, wird es wohl auch noch eine Weile dauern, bis sich daran etwas ändert. Trotz der inzwischen vorhandenen Vielfalt ist der Anblick der Hybrid-Fahrzeuge bei den verschiedenen Lieferdiensten immer noch ungewohnt.

Auch an der Teilefront gibt es dieses Jahr viel Bemerkenswertes zu entdecken. Zu nennen ist etwa das Combined Braking System von Magura. Auch diese Entwicklung ist letztlich vom Cargo-Segment angestoßen, wenngleich vom Motorrad übernommen. Hier geht es darum, dass nach wie vor viele Menschen mit ihrer Vorderradbremse auf Kriegsfuß stehen. Die ewige Angst vor dem Überschlag nimmt Magura, indem die Bremskräfte automatisch und angepasst an das jeweilige Fahrzeug ideal auf Vorder- und Hinterrad verteilt werden. So lassen sich selbst für ungeübte Fahrerinnen und Fahrer kurze Bremswege bei hoher Fahrsicherheit herstellen. Zunächst nur für Long Johns verfügbar soll das System mittelfristig den Weg in die klassischen Fahrradsegmente finden.

_Das V-Sion getaufte Konzeptbike von Pegasus zeigt, dass es auch an der Designfront noch viele spannende Ideen zu entdecken gibt. _

Im Übrigen handelt es sich dabei nicht um ein Anti-Blockier-System (ABS), wie es Bosch oder Blubrake anbieten. Bosch wurde für sein überarbeitetes ABS-System, das nun deutlich weniger am Rad auffällt, auf der jüngsten Eurobike ausgezeichnet.

Dennoch sind die Aussichten für diese Bremshilfen am Rad längst nicht so positiv wie für andere Trends. Diese vollelektronischen Lösungen kämpfen aufgrund ihres Preisaufschlags, den sie für das gesamte Rad bedeuten, immer noch um eine breitere Akzeptanz.

Gamechanger Systemintegration

Immer mehr Features und Fähigkeiten begründen eine Entwicklung, die zwiespältig zu sehen ist: Systemintegration ist nötig, um all die neuen Funktionen eines Fahrrads und insbesondere E-Bikes unterzubringen, ohne dass das Gewicht überproportional steigt. Im Gegenteil sinkt es meist durch immer tiefer gehende Integration. Sie sorgt gleichzeitig dafür, dass die Räder mitunter sehr kostspielig werden können. Preisschilder reißen inzwischen nicht nur den fünfstelligen Bereich, sondern liegen bisweilen schon sehr dick darüber. Scott und Specialized und manche Edelmarke mehr rufen für ihre High-End-Modelle 15.000 Euro und mehr auf. Das wird absehbar eine sehr spitze Zielgruppe bleiben, die über die Begeisterung für das Produkt, die sinnvolle Verwendung und das dafür nötige Budget verfügt.
Systemintegration ist auch aus Werkstattsicht ein Gamechanger. Die Tage, in denen man mit überschaubarem Werkzeug praktisch alles am Rad selbst reparieren konnte, dürften nun endgültig vorbei sein.

Einerseits ist das für den Werkstattumsatz praktisch, denn Verbraucher sind nun abhängig von einem fähigen Servicedienstleister, andererseits wird auch der Fachhandel oft nichts anderes tun können, als defekte Produkte zum Hersteller weiterzusenden. Das stärkt nicht gerade die Position des stationären Fachhandels. Eine der Besonderheiten der Branche liegt darin, dass sie ein vernünftig reparierbares Produkt anbietet. Wenn das nicht mehr oder nur noch eingeschränkt der Fall ist, öffnet sich das Tor für andere Vertriebswege. Solange es unwirtschaftlich bleibt, Kompletträder herumzusenden, ändert sich aber noch nichts.

Ein stetiger Fluss an Innovationen kommt aus dem Lastenradsegment. So zeigt etwa Ca Go mit dem neuen Modell CS, wie Praxisnutzen und Fahrspaß verbunden werden können.

Selbst wenn das möglich wäre, bliebe es eine unerwünschte Entwicklung: Bei allem berechtigten Skeptizismus rund um das Thema Nachhaltigkeit gibt es ein ernsthaftes Bemühen der Branche, das ohnehin schon mit Abstand ökologischste und ökonomischste Fortbewegungsmittel noch besser zu machen im Hinblick auf seine Umweltbilanz. Neue Materialien, sei es haltbarer und hochwertiger Kunststoff wie bei Igus oder der Metallrahmen aus dem 3D-Drucker wie bei Urwahn und Thok, kürzere Lieferketten und eine umfassende Berücksichtig­ung der Wiederverwertung nach der Lebensdauer gehören zu den Themen, die aktuell viel Aufmerksamkeit bekommen. Selbst wenn man all das Greenwashing wegstreicht, bleiben viel neues Bewusstsein für die Bedeutung dieses Themas und ein bemerkenswerter Veränderungswille.

All diese Trends, Entwicklungen, Neuheiten belegen aber zunächst einmal, dass es der Fahrradbranche nicht bange sein muss, wenn sie an ihre nächste Zukunft denkt. Zumindest auf technischer, auf Produktebene gibt es viele Highlights, die schon bald den Markt erobern werden. Das lässt automatisch ganz viel neues Interesse und neue Aufmerksamkeit entstehen. Diese Treiber des Marktes, und nichts anderes sind die Fahrradtrends, lassen erahnen, dass die Weichen für die Branche in eine positive Zukunft gestellt sind. //

29. August 2023 von Daniel Hrkac

Verknüpfte Firmen abonnieren

Gustav Magenwirth GmbH & Co. KG
Nur für Abonnenten
News
Nur für Abonnenten
Kommentare
Nur für Abonnenten
Stellenmarkt
Robert Bosch GmbH - Bosch eBike Systems
Nur für Abonnenten
News
Nur für Abonnenten
Kommentare
Nur für Abonnenten
Stellenmarkt
ZEG Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft eG
Nur für Abonnenten
News
Nur für Abonnenten
Kommentare
Nur für Abonnenten
Stellenmarkt
Ca Go Bike GmbH
Nur für Abonnenten
News
Nur für Abonnenten
Kommentare
Nur für Abonnenten
Stellenmarkt
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login