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Die detaillierte Dialogannahme ist für Kunden ein Zeichen, dass der Händler sie ernst nimmt – und daher Bestandteil jeder Zertifizierung.
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Report - Werkstatt-Zertifizierung

Investieren statt weiter draufzahlen!

Es ist eine langsame Entwicklung, aber doch ein Trend: Verbände zertifizieren die Werkstätten ihrer Mitglieder. Wer macht es wie, und was sind die Vorteile?

Vom Autohändler sind Kunden das gewohnt: Feste Zeiten und Preise für ServiceEinheiten, konkrete Vorgaben, wie etwas zu geschehen hat, und fixe Terminabsprachen, Ersatzteil-Service innerhalb eines Tages und Ähnliches. Das Hightech-Fahrzeug E-Bike rückt durch zusätzliche elektrische und elektronische Komponenten technisch näher an das Auto heran. Vor allem Kunden, die ohne vorherige Fahrrad-Erfahrung auf das E-Bike aufsteigen, haben oft Erwartungen, die das auch widerspiegeln. Im Werkstatt-Service reicht es daher vielleicht nicht aus, einfach höhere Qualität zu bieten, selbst wenn dem einen oder anderen Händler klar ist, an welchen Stellschrauben er dazu drehen muss. Schließlich will ein solcher Kunde, dass man Qualität in Standards ausdrückt, an denen er sich orientieren kann und dass jemand für die Qualitätsbehauptungen bürgt. Wenn das keine Aufgabe für die Verbände ist, was dann?
Vielleicht muss der Anstoß aus dem Verband kommen, der Händler steckt im Tagesgeschäft und hat wenig Chancen für den Blick von außen auf seinen Betrieb. So werden einige Dinge unhinterfragt hingenommen. Noch bis vor wenigen Jahren schien es so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass die Händlerwerkstatt nicht rentabel sein kann. »Da müssen wir immer draufzahlen«, so lautete der Tenor auch unter den Händlern im Verbund Service und Fahrrad (VSF) noch vor 15 Jahren. Doch einige im VSF wollte das nicht hinnehmen. Bereits 2004 gab es eine kleine Gruppe von Händlern und deren Werkstätten, die das ändern wollten. Erfas, sich regelmäßig treffende Erfahrungsaustauschgruppen, arbeiteten schließlich daran, Best-Practice-Verfahren zu erstellen und Standards festzulegen. So beschreibt Uwe Wöll, einer der Geschäftsführer der VSF Service GmbH, rückblickend die Anfänge der Werkstatt-Zertifizierung in seinem Verband. Das Unterfangen fruchtete. Das heute bekannte Zertifikat »VSF..all-ride« für die Werkstatt gibt es seit 2014; etwa 30 Händlerwerkstätten haben sich zertifizieren lassen.

Kundenfeedback im Fokus

Wer bei den Standards zur Zertifizierung im Vordergrund steht, ist klar: die Kunden. Und das sei kein Marketing-Statement: »In dem Moment, wo die Prozesse kundenfreundlicher werden, funktioniert es besser. Immer«, erklärt Wöll eine der wichtigsten Erfahrungen, die sich herauskristallisiert haben. »Unzufriedene Kunden sind der größte Zeitkiller.« Und damit entstehen auch Kosten, die relativ einfach vermieden werden können.
Als »wichtigstes Instrument« in diesem Zusammenhang sieht er die VSF-Feedback-Karten, die jeder Kunde nach Abholung seines Fahrrads von Reparatur oder Wartung bekommt. Er kann auf der Karte ankreuzen, ob der abgesprochene Termin und der Kostenvoranschlag eingehalten wurden und natürlich wie zufrieden er mit der Arbeit war. Außerdem ist da Platz für einen Kommentar. Diese Karten können an den Verband geschickt werden. Etwa 5000 Feedbacks erreichen die VSF-Zentrale so pro Jahr. Das ist ein Rücklauf von über fünf Prozent, was nach der klassischen Marketing-Einstufung eher viel ist, schließlich antwortet der Kunde analog. Wichtig ist auch das Feedback vom Verband an den Händler, wenn ein Kunde nicht zufrieden war. Er hat so die Möglichkeit, nochmals mit dem Kunden oder der Kundin zu kommunizieren.

Standards rund um Kunde und Kommunikation

So dreht sich also viel um das Verhältnis Kundschaft –Vertreter der Werkstatt. Als Beispiel hier die Auftragsannahme:

  • Das Fahrrad wird von einem speziell geschulten Angestellten auf Augenhöhe angehoben.
  • Der Mitarbeiter inspiziert das Fahrrad systematisch mit dem Kunden.
  • Er erstellt einen verbindlichen Kostenvoranschlag,
  • und gibt dem Kunden einen verbindlichen Abholtermin inklusive eines Abholscheins. Der Kunde soll mit dem Gefühl nachhause gehen, dass alles geregelt ist und er sich um nichts mehr kümmern muss. Falls sich durch unvorhersehbare Umstände an den Daten etwas ändert, wird der Kunde verständigt.
  • Der Kunde bekommt auf Wunsch ein Leihfahrrad.
  • Ein Wartungs- oder Reparatur-Protokoll dokumentiert die gesamte Ausführung des Auftrags.

Erfolgreich mit Zertifikat

Torsten Hieke, Geschäftsführer von Radhaus Büren, bestätigt den Sinn eines Werkstattzertifikats: »Wir haben vor etwa zwei Jahren die Werkstatt all-ride-zertifiziert.« Damals hatte sein Geschäft vier Angestellte, heute sind es zwölf. Eine Vergrößerung, die er zu einem Teil auch der Zertifizierung zuschreibt. Eine ständige Weiterentwicklung sei außerdem durch die Zugehörigkeit zu den Erfa-Gruppen fast selbstverständlich, meint er. Insgesamt hat er bei der Zertifizierung etwa 5000 Euro investiert. »Das ist kein Muss«, sagt er, »wir haben etwas mehr umgebaut. Wichtig ist aber vor allem, dass alle mitziehen, dass alle Mitarbeiter verstehen, warum es diese Veränderungen gibt und was für alle dabei herauskommt. Wenn das läuft, dann macht es auch allen Spaß.« Und auch die Kunden verstünden, warum sich Dinge im Laden geändert haben und können die höheren Werkstattpreise, verglichen mit Wettbewerbern, nachvollziehen.
Seit einem Jahr ist Hieke nun dabei, auch den Verkauf neu zu strukturieren, »da gibt es einfach Parallelen in der Struktur, die man anwenden kann,« erklärt er.

Zertifizierung als Zugpferd – für Händlernachwuchs

Auch für den Verband selbst bringt die Zertifizierung konkrete Vorteile. Die Existenzsicherung seiner Mitglieder wird gestärkt, so die einhellige Meinung. Als Effekt bedeutet das mehr Planbarkeit und Sicherheit für den Verband. »Die Zertifizierung ist derzeit unser Zugpferd«, so Geschäftsführer Wöll, »die meisten Neuzugänge in den VSF kamen vor allem deshalb. Und, ganz richtig: Die All-ride-Mitglieder sind in Sachen Umsatzentwicklung ganz vorn.« Und trotzdem sind derzeit nur 13 Prozent der Mitglieder zertifiziert, da ist also noch Luft nach oben. An den Kosten dürfte es nicht liegen: Die Grundlagenschulung für neue Aspiranten dauert zwei mal zwei Tage und kostet, mit allem Drum und Dran wie Verpflegung und Unterkunft 900 Euro pro Person. Meist durchlaufen diese Inhaber und Werkstattleiter gemeinsam. Bei den Umbauten der Werkstatt für die Zertifizierung gibt es keine konkreten Vorschriften. Es kann nicht darum gehen, dass jeder VSF-Laden wie jede McDonalds-Filiale gleich aussehen muss, sondern darum, Standards einhalten zu können. Und das funktioniert auch mit unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten.

Entschieden gegen Tüv&Co.

Zertifiziert wird beim VSF für drei Jahre. Danach muss jeder Betrieb neu geprüft werden. Vier Auditoren im VSF übernehmen die Zertifizierung in der Praxis derzeit. Das bedeutet auch: Man hat sich gegen eine übergeordnete Instanz wie etwa den Tüv entschieden. »Der rückt ja nur ein oder zweimal im Jahr an, und es kostet Geld, ohne dass man daraus große Rückschlüsse ziehen könnte«, erklärt Wöll. Außerdem ist das Zertifikat-Modell beim VSF dynamisch. Die Bildung von Standards hört nicht auf, »VSF..all-ride entwickelt sich ständig weiter.«

Das Laden-Konzept entscheidet über Zertifizierung

Die VSF-Werkstattzertifizierung scheint gut anzukommen, auch wenn man sich in der Geschäftsführung wünscht, die Entscheidungen der Mitglieder hierzu kämen rascher.
Dagegen entschieden hat sich Stefan Fürst, Geschäftsführer von Velomondial. Der kleine Spezialladen hat in Fürth seine Nische mit Reiserädern gefunden. »Bei uns hat Werkstattservice einfach einen zu geringen Stellenwert«, sagt Fürst. »Schon, weil wir nahezu keine E-Bikes verkaufen und den Laden zu zweit managen. Das wäre vom Aufwand her kaum zu leisten. Schon die Besuche der Erfas …« Dabei ist er selbst von der Allride-Werkstatt überzeugt. Es hat allerdings wenig mit der Größe des Fachgeschäfts zu tun, ob sich eine Werkstatt-Zertifizierung lohne, meint er. »Es ist eher das Konzept. Falls es mal so kommt, dass wir nicht mehr den Hauptteil unseres Umsatzes mit dem Verkauf hochwertiger Reiseräder machen und sich ein größerer Werkstattanteil abzeichnet, würden wir das wohl auch machen, denn das Konzept der Zertifizierung ist gut.«

Gesamtkonzept als Servicepartner

Ein auf den ersten Blick etwas anderes Modell verfolgt der Einkaufsverband Bike&Co, dessen Ambitionen in diesem Bereich noch ganz frisch sind. Die Motivation für das in der Einführung befindliche Zertifizierungskonzept ist ganz ähnlich: »Wir hatten in der jährlichen Händlerbefragung eruiert, dass nur 30 Prozent unserer Partner denken, dass sie ihre Werkstatt effizient betreiben können«, erklärt Georg Wagner, Head of Marketing bei der Bike&Co. »Da wollten wir ansetzen.« Auch die Standards seien bei den Händlern völlig unterschiedlich. Die Bandbreite der Kosten für die Erstinspektion beispielsweise geht bei den Händlern von Null bis 90 Euro. Heute sei das E-Bike das Zugpferd, was den Umsatz angeht, so Wagner. Aber der Händler brauche eine Art zweites Standbein als Service-Dienstleister.
Zunächst wurde mit verschiedenen Zertifizierungsgesellschaften gesprochen, darunter auch dem Tüv. »Doch wir haben schnell festgestellt, dass das für uns nicht passt. Diese Prüfmechanismen und Vorgaben sind meist zu allgemein.« Der ideelle Startpunkt für die Zertifizierung war schnell gefunden. Seminare des Unternehmensberaters Jörg Küster zur effizienten Werkstatt sollen die Grundlagenschulung darstellen. »Dieses Seminar behandelt ja schon die wichtigsten Punkte, von der Terminabsprache bis hin zur Fakturierung«, so Wagner. Küster soll in dem Einführungs-Workshop mit der Vorstellung und Behandlung des Qualitätsmanagement-Handbuchs, Check-Listen und klar definierten Abläufen das Fundament legen. Dazu kommt eine Qualifizierung vor Ort mit individuellem Workshop und Training der Dialogannahme. Handbücher mit sind bereits vorhanden. Und natürlich wird es eine entsprechende Prüfung der Umsetzung der Standards vor Ort und den Gegencheck auch über Kundenbewertungen geben. Wer bei Bike&Co diese Stationen erfolgreich durchlaufen hat, bekommt das Qualitätssiegel »Top Servicepartner in Kooperation mit Bike&Co.« Zu seinem Erhalt muss der Händler jährlich an Erfa-Gruppenseminaren teilnehmen. Auch soll jährlich vor Ort geprüft werden.

Zertifizierung als allgemeiner Weg in die Zukunft

Das Zertifikat erstreckt sich bei der Bike&Co nicht nur auf den Werkstattbereich. Das hat einen klaren Grund: Das Bike&Co-Zertifizierungskonzept soll jedes Jahr ein weiteres Modul erhalten. Das erste, und vielleicht für den Einstieg wichtigste, ist eben die Standardisierung der Werkstattabläufe und -vorgaben. Danach soll sich für Händler eine Reihe an Optionen eröffnen. »Da kann es zum Beispiel nächstes Jahr um die Ergonomie und Bikefitting gehen«, erklärt Wagner. Anbieten würden sich auch Themen wie mobile Werkstatt, Schutzbriefe oder Bike-Leasing. »Wir wollen aber keinen Händler zwingen, mitzumachen, sondern einfach breite Möglichkeiten bieten.«
Zum Einstieg ins erste Modul Ende Oktober 2019 gab es bei der Bike&Co 15 Händler, die am Zertifizierungsprogramm teilnehmen, mehr sollten es dieses Jahr dem Verband nach auch nicht sein. Je nach Bike&Co-Händlerstatuts kostet die Zertifizierung einmalig zwischen 500 und 1000 Euro. »Wir subventionieren hier sehr stark«, bestätigt Wagner den eher geringen Betrag für das komplette Programm.
Noch offen war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe, wer als Namenspartner des Zertifikats fungieren soll. »Schließlich macht es für den Verbraucher Sinn, ein Label wie etwa die Stiftung Warentest oder andere Institutionen, die bei ihm Vertrauen genießen, an der Tür zu haben«, meint Wagner. Hier suche man bis dato noch.

ZEG: Zertifizieren für die nächsten Herausforderungen

Natürlich trägt auch das E-Bike zum Zertifizierungstrend bei. Einerseits gibt es mit dem E-Bike-Sektor neue Sicherheitsvorschriften, beispielsweise in Sachen Akku-Aufbewahrung, andererseits ist der Kunde in diesem Bereich willig, für Service mehr zu zahlen. Das macht es einfacher, hohe, sichere Standards aufzustellen, die auch den Betrieb Geld kosten, meist in Form von Arbeitszeit.
Bei der ZEG sieht man aufgrund der weiteren Planung eine Zertifizierung der Händlerwerkstätten als den wichtigsten Schritt an. »Vor allem wegen der Sharea-Angebote ist das ein enorm wichtiger Schritt«, meint Franz Tepe, Leiter Marketing der ZEG in einem kurzen Gespräch. Diese speziellen Bike-Sharing-Partnerschaften, die sich auf eine feste Nutzergruppe beziehen, brauchen absolute Zuverlässigkeit und Sicherheit, was die Wartung der Leih-E-Bikes angeht, »deshalb brauchen wir die Werkstatt-Zertifizierung, um unser Konzept umzusetzen.« Orientiert man sich an der ZEG-Internetseite, kann man einen wesentlichen Unterschied zu den anderen Konzepten herausstellen: den Tüv Nord, der das vor gut zwei Jahren ins Leben gerufenen Konzept als Partner betreut. Mit der unabhängigen Kontrollmacht Tüv will man entsprechend die Neutralität der Prüfstandards und damit auch das hohe Service-Niveau sicherstellen. Er verleiht nach Prüfung das Tüv Nord Cert Standard A75-S016 – Siegel für »Geprüfte Service- und Reparaturqualität«.
Im Qualitätsrat der ZEG-Hausmarke Pegasus sei die Idee zur Zertifizierung entstanden. 35 teilnehmende Händler sind derzeit als zertifiziert im Internet verzeichnet. Auch hier ist also angesichts von fast 1000-ZEG-Händlern noch Luft nach oben.
Klar scheint jedenfalls: Für Händler, die hohe Qualitäts- und Kommunikationsstandards in der Werkstatt erreichen und langfristig sichern wollen, ist die Zertifizierung innerhalb eines Verbandes der wahrscheinlich nahe liegendste Weg - außer er hat abweichende, sehr eigene Vorstellungen und viel Energie, sie innerhalb seines Unternehmens ohne Unterstützung von außen umzusetzen.

2. Dezember 2019 von Georg Bleicher

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