
Report - Wiederbeschaffung gestohlener E-Bikes
Jäger des gestohlenen E-Bikes
Kurz nach der Mittagszeit an einem Werktag vor ein paar Wochen steht eine Kundin auf der Verkaufsfläche des Fahrradhändlers Eric Poscher im österreichischen Dornbirn. Das Rad der Dame ist in der Nacht zuvor gestohlen worden. Ihre App, in der sie das Fahrrad eigentlich tracken können soll, verursacht zwar regelmäßige Bewegungsalarme, zeigt aber keinen Standort an. Der Händler hilft und verbindet mit Einverständnis der Kundin sein eigenes Smartphone mit dem Tracker. Das Fahrrad ist keine zwei Kilometer weit entfernt. Er nimmt mit einem Testrad die Verfolgung auf und findet das Rad mitsamt dem mutmaßlichen Dieb. Schließlich kann er die gerufene Polizei zum Ort des Geschehens führen. Die Kundin hat ihr Rad wieder.
Der skizzierte Fall ist aus Händlersicht sicher besonders action-geladen und ob der technischen Schwierigkeiten hoffentlich nicht mustergültig. Dennoch zeigt er, wie schnell sich mit Trackern ausgerüstete Fahrräder und E-Bikes heute wiederbeschaffen lassen.
Finden oder ersetzen
Zu den Firmen, die in ihrem Konfigurator optional einen Tracker anbieten, zählt Riese & Müller. Der RX-Chip des Mühltaler E-Bike-Herstellers erlaubt es je nach gebuchtem Service, mindestens das Rad zu orten und einen Bewegungsalarm einzustellen. Wer einen höherwertigen Service abonniert, versichert sein Rad auch gegen Diebstahl. Verschwindet das Rad vorm Café oder aus der Garage, können die Kundinnen und Kunden den Fall in der dazugehörigen App melden und die Wiederbeschaffung damit in Gang setzen. Benjamin Wenz aus dem Kommunikations-Team erklärt das Versprechen: »Sollte es uns einmal nicht möglich sein, das E-Bike wiederzufinden, wird es schnellstmöglich mindestens durch ein gleichwertiges ersetzt. Dieses Komplettpaket aus RX-Chip, App und Service nehmen unsere Kundinnen und Kunden sehr gut an.« Ist das E-Bike wieder da, sind die Fachhändler vor Ort dabei involviert, das Rad gegebenenfalls aufzuarbeiten und zurückzuführen.
Drei von vier Rädern tauchen durch die professionelle Suche wieder auf. Entweder wird ein firmeneigenes Team aktiv oder der Fall landet bei der IOT Venture GmbH. Das Darmstädter Unternehmen stellt die RX-Chips für Riese & Müller her. Zudem vertreibt es unter der Marke »It’s my Bike« Nachrüstlösungen für den Fachhandel. Wer eine Diebstahlmeldung absetzt, kann in der App zusätzliche Angaben machen, auch zum gegebenenfalls bekannten Tathergang. Der nächste Schritt ist dann, den Dieb oder die Diebin bei der Polizei anzuzeigen. Nina Sielmann, Head of Marketing & Communications bei IOT Venture, erläutert: »In Deutschland muss man die Anzeige zu seinem eigenen Eigentum selbst vornehmen. Das können wir für den Kunden nicht erledigen.«
Mithilfe der Vorgangsnummer nehmen die Bike Hunter genannten Spezialisten und Spezialistinnen von IOT Venture dann direkten Kontakt mit der Polizei auf. »Wir hatten schon einige Fälle, wo das Rad in einer Stunde wieder beim rechtmäßigen Besitzer war. Das kann ganz schnell gehen.«
IOT Venture bietet Händlern einen Sondertarif an, mit dem sie die Räder auf der Verkaufsfläche selbst überwachen können. Das kann im Fall eines Einbruchs schützen oder dann, wenn Räder bei Testfahrten geklaut werden.
Die Beamten und Beamtinnen suchen mithilfe der Bike Hunter vor Ort nach dem Diebesgut. Manchmal ist der Kunde oder die Kundin selbst gemeinsam mit der Polizei unterwegs. Was mit den gestohlenen Fahrrädern passiert, hat mitunter echten Krimicharakter oder mutet kurios an. Sielmanns Geschichten reichen von einer »Verfolgungsjagd« nach einem Lkw auf der Autobahn von Berlin Richtung Polen bis hin zu einem Rad, das zunächst in der Hauptstadt gestohlen wurde, durch eine leere Pufferbatterie aber zunächst nicht auffindbar war und sich dann ein halbes Jahr später per Funk aus dem Kosovo zurückmeldete. Das mehrsprachige Team am deutschen Standort von IOT Venture nahm Kontakt zu den örtlichen Behörden auf, die kooperierten und das E-Bike sicherstellten. »Wir werden zu jeder Zeit darüber benachrichtigt, wenn sich ein gestohlenes Fahrrad wieder meldet«, erklärt Sielmann.
Einsatz aus der Ferne
Andere Unternehmen, etwa der niederländische E-Bike-Hersteller Van Moof oder der britische Dienstleister BackPedal gehen in der Suche nach gestohlenen Rädern einen Schritt weiter und spionieren den Fahrrädern persönlich nach. Für IOT Venture kommt diese Spielart des Bike Huntings nicht infrage. »Unser Team bringt sich nicht in Gefahr und auch die Kunden und Kundinnen sollen sich nicht in Gefahr bringen«, sagt Sielmann. Es sei der Job der Polizei, Kriminelle zur Rechenschaft zu ziehen.
Katrine Pauwels, Regional Director Marketing & Communications beim Mitbewerber BikeFinder bestätigt eine ähnliche Haltung für das eigene Team. »Wir spielen nicht Cowboy vor Ort«, ordnet sie ein. Das habe auch rechtliche Hintergründe. Privatgelände zu betreten sei auch zum Zweck der Wiederbeschaffung nur der Polizei erlaubt. Wer das fremde Schloss vom eigenen Rad entfernt, beschädige zudem dennoch fremdes Eigentum. Als Kunde vor Ort zu versuchen, eine Bluetooth-Verbindung mit dem Rad herzustellen, könne allerdings helfen, es zu lokalisieren. Privatgelände oder menschenleere Umgebungen zu betreten, sei ohne die Mithilfe der Polizei hingegen nicht empfehlenswert.
Den FahrradFinden-Tracker, wie das Produkt von BikeFinder heißt, muss die Kundschaft spätestens alle acht Wochen über USB-C aufladen. Er lässt sich mit einem von verschiedenen, stetig wechselnden Spezialwerkzeugen im Lenker montieren und setzt auf Multisignal-Technologie. Das Unternehmen bietet auch eine Variante mit Kabelverbindung für E-Bike-Hersteller an.
Geht bei BikeFinder eine Diebstahlmeldung ein, nimmt das Team mit dem Kunden oder der Kundin Kontakt auf. Auf der Suche nach dem Rad analysieren die Spezialisten alle verfügbaren Informationen, die der Tracker übermittelt, darunter auch Temperaturdaten. Die Erfahrung helfe dem Team dabei, typische Verstecke oder Lagerungsorte zu erkennen, insbesondere durch den Abgleich mit Google Maps.
Beide Seiten werden professioneller
»Ohne Tracker liegen die Chancen fast bei null, ein Fahrrad wiederzufinden«, sagt Katrine Pauwels. Mit Tracker steige der Anteil wiederauftauchender Räder auf 80 Prozent. Neben der korrekten Handhabung und dem richtigen Vorgehen hat vor allem ein Punkt Einfluss auf den Fahndungserfolg: »Der Hauptfaktor ist Zeit«, so Pauwels.
Der Funk-Chip wirkt gegenüber den Kriminellen wie ein Ass im Ärmel und bewegt die Polizei zu direkten Ermittlungen. Während die Standort-Informationen der Polizei in der Vergangenheit oft nicht ausreichten, um ein Betreten von Privatgelände zu rechtfertigen, verlasse sie sich mittlerweile in den meisten Fällen auf die angezeigten Daten. Nina Sielmann bestätigt, dass sich der Umgang der Behörden mit der Technologie professionalisiert habe. »Am Anfang war das Produkt neu und erklärungsbedürftig. Inzwischen ist bei den Beamten angekommen, was es ist und was es bewirken kann«, beschreibt Sielmann. Es gäbe jedoch Unterschiede zwischen einzelnen Dienststellen mit Blick auf ihre Erfahrungen mit Trackern und den Erklärungsbedarf.
Bei Riese & Müller sind die RX-Services beliebt. Sie erlauben es je nach Leistungsstufe, das Rad zu orten oder garantieren, dass das Unternehmen es wiederbeschafft oder ersetzt.
Seitens der Kriminellen dürften viele um die Gefahr wissen, die die überwachten Fahrräder für ihr »Handwerk« bedeuten. Zum Teil seien sie dazu übergegangen, das Diebesgut zunächst einmal umzuparken. »Dann werden die Fahrräder erst für einen Tag abgestellt im Land des Diebstahls und wenn nichts passiert, werden sie weitertransportiert«, erläutert Katrine Pauwels. Beliebt seien etwa Bürogebäude, vor denen sich Fahrräder anschließen lassen.
Nicht zu unterschätzen dürfte die Zahl der gestohlenen Zweiräder sein, die durch einzelne vernetzte Fahrräder aufgefunden werden können. Pauwels erzählt beispielhaft von einem Fall in Belgien. Einem Kunden wurde trotz mehrerer Schlösser sein E-Bike vor einem Club gestohlen. Die Polizei fand es in einem Gebäude, gemeinsam mit über 70 weiteren Fahrrädern. »Das ist kein Einzelfall«, ordnet Pauwels ein.
Die Angst vor Fahrraddiebstahl treibt viele Menschen um. In der E-Bike Studie 2020 von Fahrrad XXL ließ sich das statistisch belegen. 48,7 Prozent der damals Befragten nannten Fahrraddiebstahl unter den größten Schmerzpunkten beim E-Bike-Kauf. Häufiger wurden nur hohe Anschaffungspreise genannt (61,1 Prozent). So schadet das Thema Diebstahl auch Handel und Industrie, ist sich Katrine Pauwels sicher. Ihrer Einschätzung nach werde durch die Angst vor allem das höherpreisige Wunschrad nicht gekauft, sondern eher durch einen mittelpreisigen Kompromiss ersetzt, mit entsprechend geringerem wirtschaftlichen Schaden im Diebstahlfall.
Argument für statt gegen Kauf
Im Umkehrschluss können Tracking-Lösungen die E-Bike-Angebote attraktiver machen. »Das Thema Diebstahl hochwertiger E-Bikes beschäftigt ja die meisten Käuferinnen und Käufer«, erklärt Benjamin Wenz von Riese & Müller. Viele seien dann froh, wenn es zusätzlich zum Fahrradschloss noch eine weitere Diebstahlsicherung gibt. »Was man auch nicht vergessen darf: Ein E-Bike bedeutet für nicht wenige Menschen einen Autoersatz, viele sind darauf angewiesen oder haben eine fast schon persönliche Beziehung zu ihrem Rad. Da ist es einfach wunderbar, wenn genau das eigene Rad wiederbeschafft wird innerhalb kurzer Zeit.«
Auch die Versicherungswirtschaft hat die Vorteile von auffindbaren Rädern für sich erkannt und bietet spezielle Tarife an. BikeFinder hat in sechs Ländern ein eigenes Versicherungsangebot, das laut dem Unternehmen 80 Prozent der dortigen Kunden und Kundinnen nutzen.
Laut Nina Sielmann sind Angebote vernetzter E-Bikes sehr wichtig für die Fahrradbranche. »Es war mal ein Extra, wird aber immer mehr zum Standard«, meint sie. Auch Pauwels attestiert den Lösungen, dass sie verbreitet und bekannt sind, vor allem bei Menschen zwischen 20 und 50 Jahren. Aber: »Es kommt sehr aufs Land und auf die Zielgruppe an. Sehr viele ältere Leute, die ein teures Fahrrad haben, wissen nichts von Tracking.«
Versicherungen könnten mitunter selbst dazu beitragen, die Nachfrage nach Tracking und Wiederbeschaffung zu erhöhen. In den Niederlanden ist das bereits der Fall. Dort müssen Lastenräder ab 3500 Euro und E-Bikes ab 4500 einen Chip integriert haben, um versichert werden zu können. //
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