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Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.
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Report // Wippermann

Ketten aus dem Ruhrpott

Die Kette, die unbekannte Allerweltskomponente. Fast jeder braucht sie, aber kaum jemand ahnt, wie viel Technik darin steckt. Nur einer in Deutschland macht sie: Wippermann in Hagen.

Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.Bei Wippermann in Hagen gibt es viel Geschichte und Technik zu entdecken.

Die altehrwürdige Backstein-Fassade mit viktorianischen Anleihen lässt keine Zweifel, das Unternehmen mit dem Zahnrad-Logo sitzt hier fast schon seit seiner Gründung. 1893 wurde Wippermann Jr. von Wilhelm Wippermann ins Leben gerufen. Damit sind die Hagener wohl das zweit­älteste Unternehmen der Bike-Branche nach Hebie. Das wichtigste Produkt im Betrieb damals waren Fahrradketten. Durch das kleine Tor tritt man in einen großen Hof, von dem weitere Gebäude abgehen, an die sich wiederum weitere anschließen, an die sich jüngere Hallen anschließen. Es ist ein weitverzweigtes Netz an Produktionsorten, die einander ergänzen. »Das ist bei uns nicht wie bei einem Neubau«, meint Reinhard Bludom, Produktmanager Fahrrad bei Wippermann, »aber es ist natürlich gewachsen und erfüllt seinen Zweck.«
Bludom ist seit 47 Jahren im Betrieb. Was der kräftige Mann Anfang 60 auf den 47.000 Quadratmetern Fläche nicht kennt, das gibt es nicht.

Industriekultur ist zeitlos

Fast verwunschen wirkt die mittig stehende Direktorenvilla im Gründerzeitstil, unbewohnt, wie sie derzeit ist. Auch im Bürokomplex herrscht noch die Gründerzeit mit integriertem Pförtnerbereich hinter Glasscheibe, davor eine Sitzecke mit zwei schweren Flechtwerkstühlen und Lederkissen. Über die Marmortreppe geht es in holzgetäfelte Büros und Meeting-Räume. »Wir sind jetzt in der fünften Familiengeneration«, erklärt Dorette Schierling, Projektleiterin Marketing. Die beiden Chefs, Christian Hamann und Dr. Stephan Gerber, sitzen nebenan. »Wir haben kurze Entscheidungs- und Kommunikationswege«, so Schierling, »ein großer Vorteil.« Wie in klassischen Familienunternehmen legt man auch hier Wert auf Sicherheit. Hier achtet man besonders auf Erhalt der Arbeitsplätze.
Fahrradketten waren nicht die einzigen Produkte, mit denen ab 1893 die Erfolge sprichwörtlich eingefahren wurden. Neben Motorradketten und Ketten für die damaligen zahlreichen Elektroautos (in New York fuhren um 1900 deutlich mehr E-Autos als Benziner) fertigte Wippermann auch Kettenräder und Pedale. In den ersten Jahren des Fahrrads war die Kette ein empfindliches Bauteil, das des Öfteren den Dienst quittierte. Der Ärger über die häufigen Probleme seines Sohnes mit dem Bauteil soll der Auslöser für die eigene Kettenentwicklung Wilhelm Wippermanns gewesen sein. Er wollte es besser machen. Heute werden unter dem Namen Connex 36 verschiedene Fahrradketten hergestellt, von »einfachen« Ketten für Nabenschaltungen und Fixies bis hin zur topaktuellen 12-fach-Kette. Die Schaltungskette sichert dabei seit 1990 den größten Umsatz. Damit ist Wippermann auf das moderne Fahrrad aufgestiegen.

Ketten für die Industrie

In den 60er-Jahren wurde mit Indus­trieketten ein neuer Produktionszweig angestoßen, der heute 90 Prozent der Umsätze generiert. »Egal, ob im Automotive-, im Lebensmittel- oder im Verpackungssektor, eine der ›treibenden‹ Kräfte in der Industrie ist die Kette«, bestätigt Schierling. Neben Standardketten gibt es spezielle Produkte mit klingenden Namen wie Mitnehmerketten, Stauförderketten, Plattenbandketten oder Zahnketten. Vieles davon entwickelt man auf individuellen Kundenwunsch.
Wie bei den Fahrradketten kommt das Rohmaterial für die Produktion aus der Region bzw. dem europäischen Umland. Im südöstlichen Ruhrgebiet, Sauerland und im Oberbergischen spielt Stahlverarbeitung eine große Rolle, was beste Voraussetzungen für eine hohe Fertigungstiefe sind. Hier kommt viel Rohmaterial an, vor allem Stahl. Für Standard-Industrieketten gibt es einen Unternehmens-Ableger namens Witra mit Stammsitz in Kirchlengern, der Ketten aus fremder Herstellung vertreibt. Dort bekommen Industriekunden wie etwa Sägewerke Ketten aus ausländischer Fertigung, die ein garantiertes Qualitätsniveau haben. Auf den Industrie-Beratungsservice ist man stolz. Aufgrund der Erfahrungswerte hat man bei Wippermann die Möglichkeit, schon in der Planung neuer Anlagen in Sachen Kettensysteme zu beraten. Bei den Indus­trieketten liegt der OEM-Anteil derzeit bei 39 Prozent.

Mit Made in Germany stark im Aftermarket

»Wir sind vor allem stark im Aftersales«, sagt dagegen Bludom über den Fahrradkettensektor. Beim großen Geschäft kann man mit reiner Made-in-Germany-Produktion schlecht mithalten. Doch mit dem Aftermarket hat man »seine Nische gefunden«, so Bludom, und das Angebot an Schaltungsketten zeigt, dass die Nische breit ist.
In der Fertigung sind viele Arbeitsgänge von Industrie- und Fahrradketten ähnlich, auch wenn nicht immer dieselben Maschinen verwendet werden, da der Größenunterschied enorm ist. »Was willst du mit deinem Vogelfutter«, meinen die Kollegen oft scherzhaft zum Produktmanager. Kein Wunder, sind doch manche Ketten so groß, dass ein einzelnes Glied schon schwer zu tragen wäre.

Vom Draht zu Bolzen und Lasche

Unter lautem Gedröhne stanzen Maschinen die rohen Außen- und Innenlaschen aus millimeterdünnen Blechen. Wie beim weihnachtlichen Plätzchenbacken. Nur dass hier die Metallkekse mit dem Druck von 180 Tonnen ausgestochen werden. Ähnlich die Rollen der Kette, die später auf den Ritzeln gleiten. Sie werden aus einem einige Millimeter starken Stahlband ausgestanzt.
Als kilometerlanger Stahldraht, auf Spindeln gewickelt, wird das Rohmaterial für den Kettenbolzen angeliefert. Der Draht durchläuft eine Richt-Maschine und wird dann auf die nötige Länge gekappt. Dann erhält er hier noch die charakteristische kegelförmige Einkerbung an den Enden. Was wir nicht sehen, sind die Feinheiten in der Produktion. Natürlich lässt sich kein Hersteller gern auf die Finger schauen, was seine Spezialrezepte anbelangt. Da geht es auch um spezielle Härtungen oder individuelle Beschichtungen.
Die Basiselemente sind jetzt in Grundform vorhanden: Rolle, Innen- und Außenlaschen sowie der Bolzen. Seit der Sachs-Sedis-Kette in den Siebzigern werden die Bohrungen in den Innenlaschen zu Kragen ausgeformt. Auf diesem Kragen sitzt die Rolle. Das macht die Schaltungsketten flexibel für die Schaltvorgänge auf den Kassetten. Wer eine klassische Nabenschaltungskette in der einen und eine Schaltungskette in der anderen Hand hat, merkt den Unterschied.
Jeder Bestandteil der Kette wird in einem Ofen gehärtet. Laschen etwa fahren per Band in einen Ofen, der sie auf etwa 900 Grad erhitzt; dann werden sie in einem Ölbad abgekühlt und danach wieder angewärmt. Es folgt das Entölen durch Schleudern und schließlich werden sie mit Schleifkörpern und Wasser in einer Art Waschmaschine schmeichelglatt poliert. »Beschichtungen«, so erklärt der Experte, »sind immer ein Kompromiss.« Man geht ihn ein, wenn es etwa darum geht, mehr Korrosionsschutz zu erreichen, weil der jeweilige Einsatzbereich das fordert. Sicher spielt auch der Geschmack des Kunden eine Rolle, denn eine auffällig goldfarben vermessingte Kette wirkt. Tendenziell nimmt eine Beschichtung der Kette aber immer an Robustheit.
Wie mechanische Zauberer muten schließlich die kleinen Maschinen an, die die Einzelteile verheiraten. Vor allem, wenn gerade vermessingte, also goldfarbene Ketten gefertigt werden. Da sitzen die Laschen und Rollen auf langen Dornen, auf die sie sich vorher in einer Art Drehschüssel selbst gefädelt haben und wackeln Teil um Teil nach unten, um sich als wertvolles Mitglied in eine 118 Glieder lange Schlange einzureihen.

Know-how ist übertragbar

Die meistverkauften Ketten sind die
11 S0 und die 11 SX, die günstigste und die aufwendigste 11-fach-Kette von Connex. Letztere hat eine Innenlasche aus Edelstahl, was für maximale Verschleißfestigkeit steht. »Wir haben hier den Vorteil, dass wir aus dem Indus­triekettenbereich immer wieder auch Know-how-Transfer zu den Fahrradketten ableiten können«, erklärt Bludom. Und erzählt vom Wunschtraum jedes Vielfahrers, der »Marathon-Kette«. »In der Industrie läuft die sehr gut«, bestätigt Schierling. Diese Kette schmiert sich weitgehend selbst. In den Buchsen ist Schmierstoff enthalten, der nach und nach austritt und so deutlich lebensverlängernd wirkt. Wieso also nicht auch fürs Fahrrad Marathon? »Das ist schwierig, da ist man enorm vielen unterschiedlichen Einflüssen ausgeliefert«, erklärt Bludom. Schlimmstenfalls Sand oder Salz. »Da würden Fremdkörper dorthin gelangen, wo sie gar nicht hinsollten.« Das rührt auch daher, dass Schaltungsketten seitlich flexibel und so Lücken vorhanden sein müssen.

Folterkammer für den Antrieb

Im Testlabor werden praktische Erfahrungen gesammelt. Die eigenen Ketten werden unter anderem nach definierten Versuchsanordnungen und -zeiten mit denen anderer Hersteller verglichen beziehungsweise tagelang gequält. Sie laufen unter harten Bedingungen wie Sandzugabe unter starkem Zug.
Bei Wippermann ist man überzeugt, dass Kette aus Hagen eine der besten auf dem Markt ist. So weit wie manch anderer Hersteller – einer garantiert beispielsweise 10.000 Kilometer Laufleistung seiner E-Bike-Kette – will man sich nicht aus dem Fenster hängen. »Die Lebensdauer einer Kette hängt von so vielen Faktoren ab, da ist es nicht realistisch, mit solchen Zahlen zu kommen.« Man müsse den Antrieb als System sehen. Kassette, Zahnkranz und Kettenblatt müssen qualitativ zusammenpassen. Gibt es neue Antriebselemente auf dem Markt, sehen Bludom und sein Team sich die Produkte an und entwickeln die passenden Ketten dazu. Der Einfach-Zahnkranz für E-Bikes ist ein relativ neues Produkt von Wippermann. Da sieht man sich mit mehreren Modellen für große Mittelmotor-Hersteller gut aufgestellt. Das E-Bike bringt auch im Kettensektor Zuwachs. »Die Verbraucher kaufen ein teures E-Bike und verstehen dann, dass auch die Ersatzkette hochwertig sein muss«, erklärt Bludom.
Etwa 35 Prozent der Ketten geht in den Export. In Europa sind die wichtigsten Märkte die Niederlande und Großbritannien. Verkaufsbüros und Partner-Großhändler gibt’s auch in Litauen, Russland, in Malaysien und Thailand, aber auch in den USA.

Großhandel statt Internet

»Wir arbeiten nur mit Großhändlern und Erstausrüstern zusammen und haben eine sehr gute Großhändlerstruktur, mit der wir uns sehr wohlfühlen«, erklärt Bludom, Das soll auch so bleiben. Die Connex-Homepage ist im Gegensatz zur Wippermann-Seite erkennbar am Endverbraucher orientiert. Dieses Vorgehen ist gut für Bekanntheitsgrad und Imagepflege im Sinne einer modernen Endverbraucher-Marke und auch für Vorinformation über das Produkt. In Sachen Verkaufszahlen ist der Onlineshop im Internet aber nicht relevant und braucht es auch nicht zu sein.
Seit langen Jahren ist Connex überall dort, wo Ketten besonders hart rangenommen werden. »Bei etwa 30 deutschen und internationalen Rennen und Events sind wir mit Service-Stationen vertreten«, erzählt der Kettenmeister. In normalen Jahren, versteht sich. »In Willingen, am Gardasee, bei den Tagesklassikern bekommen wir Feedback von den Verbrauchern und lernen ihre Probleme kennen.« Das zeigt einmal mehr, dass man bei einem traditionsreichen Unternehmen mit seinen Werten, Strukturen und Vorstellungen nicht voreilig darauf schließen sollte, dass es nicht auch jung und aufgeschlossen auftreten kann. //

17. Dezember 2020 von Georg Bleicher

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