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Interview // Kooperation VSF und Bico - Teil I

Konkrete Angebote statt Visionen

Die Kooperation zwischen den Verbänden VSF und Bico hat bisher nicht so viel Aufmerksamkeit erfahren, wie sie es verdient hätte. Immerhin verfolgen die Akteure die Absicht, den Fachhandel bestmöglich auf die Zukunft vorzubereiten. Die Geschäftsführer Jörg Müsse, Georg Wagner und Uwe Wöll geben im Interview Auskunft, wie dies gelingen kann und was dafür nötig ist.

Wie kam es zur Kooperation zwischen VSF und Bico? Wer hatte die Idee dazu?

Uwe Wöll: Die Kooperation ist eine logische Folge aus unseren Gesprächen. Wir haben festgestellt, dass unsere Ansichten über den stationären Fachhandel wirklich sehr nahe beieinanderliegen und kamen dadurch zu der Überzeugung, dass es sehr, sehr sinnvoll ist zusammenzuarbeiten. Es brauchte ein paar Jahre und wir sind umeinander gekreist, aber es ist klar, dass das von beiden Seiten ausging.

Jörg Müsse: So etwas entsteht natürlich durch persönliche Gespräche. Durch Ideenaustausch und das Sich-Kennenlernen. Das geschieht schon seit Jahren. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo man sich dann fragt, wie konkret es werden und wie man es umsetzen kann.

Wie lange hat es denn gedauert, bis sich die Verbände auf ein gemeinsames Programm geeinigt und die konkrete Zusammenarbeit ausgestaltet wurde?

Müsse: Diese Phase hat gar nicht so lange gedauert. In einem Zeitraum von sechs oder sieben Monaten spielte sich das ab. Wir sind methodisch so vorgegangen, dass wir unsere jeweiligen Leistungen gegenübergestellt und dann einfach die Schnittmengen und Ergänzungspotentiale ermittelt haben. Das ging relativ schnell.

"Dem stationären Fachhandel das anzubieten, was ihm in seiner täglichen Arbeit hilft, ist das Beste, was wir gerade tun können."

Uwe Wöll, VSF

Als Ziel wurde die „Absicherung des Fahrradhandels und die damit verbundenen Vertriebsstrukturen“ ausgegeben. Welche Themenfelder wurden dafür als wesentlich identifiziert?

Wöll: Vier Themenfelder wurden bereits kommuniziert: Die Warenversorgung, die Fort- und Weiterbildung, die politische Interessenvertretung und die Digitalisierung. Dieser letzte Teil ist noch am unkonkretesten, nicht, weil wir keine Ideen und Ansätze hätten, sondern weil wir wissen, dass das eine ganz eigene Herausforderung ist und wir die anderen Punkte jetzt schon mit konkreten Aktivitäten hinterlegen können.

Was werden denn die ersten Punkte sein, die der Handel bemerkt, die aus der Zusammenarbeit entstehen? Was wird sich als erstes verändern: Werden Händler auf die Einkaufskonditionen der Bico zurückgreifen oder umgekehrt das VSF-Schulungsprogramm für Bico-Händler geöffnet?

Wöll: Beides ist schon passiert. Konkret haben wir etwa mehrere Bico-Händler zur VSF-All-ride-Grundlagenschulung eingeladen. Das ist eine Öffnung unseres Schulungsangebots an Bico-Händler und das wird auch umgekehrt mit der Warenversorgung passieren. Es haben sich schon ein Dutzend Händler bei der Bico gemeldet, die sich gerne dem Partnerprogramm anschließen wollen.

Müsse: Da wir Wert darauf gelegt haben, nicht nur mit Visionen um die Ecke zu kommen, sondern direkt Angebote machen können, ist schon zu sehen, dass das Interesse sehr groß und sehr breit ist. Wenn ich als Verantwortlicher in der Bico für das Thema Warenversorgung sprechen darf, dann kann man schon sagen, dass das Interesse von den VSF-Händlern hoch ist. Dazu muss man sagen, dass über 90 VSF-Händler sowieso schon Bico-Händler sind. Diese Doppelmitgliedschaft war schon immer möglich. Es gibt jetzt gute Möglichkeiten für alle, an den Vorteilen der Bico-Warenversorgung teilzunehmen. Aber meist ist es so, dass nach der ersten Euphorie die tatsächliche Umsetzung folgt. Und da haben schon jetzt mehr als ein Dutzend ganz konkrete Anfragen. Um das ins Verhältnis zu setzen: Normalerweise hat die Bico etwa 25 bis 30 Anfragen im Jahr. Wenn jetzt auf einen Schlag mehr als ein Dutzend Händleranfragen kommen, dann zeigt das offensichtlich, dass das Angebot einen Nerv trifft.

Könnte man nicht sagen, dass diese Zahl angesichts von etwa 250 Händlern eher gering scheint?

Müsse: Unsere Austrittsquote, beim VSF ist das sicher genauso, ist sehr gering. Wir verlieren pro Jahr etwa zwei Händler. Woran liegt das? Die Händler haben sich vorher sehr intensiv damit beschäftigt. Eine Verbandsmitgliedschaft ist nicht nur eine kaufmännische Entscheidung. Das hat sehr viel mit Emotionalität zu tun. Auf den ersten Schlag mehr als ein Dutzend Händler zu überzeugen ist komplett innerhalb unserer Erwartung. Wir haben natürlich auch eine Perspektive über drei Jahre. Da würde ich sagen, sind wir auf einem guten Weg. Es ist ja auch nicht so, dass die Bico in der Lage wäre, 4500 Fachhändler in Deutschland mit Ware zu versorgen. Das ist gesund, was hier gerade passiert.

Wöll: Ich würde das gerne ergänzen: Es sind ja gerade erst die ersten Meldungen rausgegangen. Es braucht Zeit, bis die Informationen an alle Mitglieder durchsickern und der Entscheidungsprozess stattfindet. Ich gehe davon aus, dass der ganze Informationsfluss erst mit unserer Jahrestagung seinen Abschluss findet und dort auch Skeptiker die Möglichkeit haben ihre Fragen loszuwerden. Aus erfolgreicher Umsetzung und Mund-zu-Mund-Propaganda ergibt sich sicherlich ein nächster Schub an gegenseitigem Interesse.

„Die Fachhandelsquote ist auf über 80 Prozent gestiegen. Das liegt einfach daran, dass die Konsumenten sehr wohl wissen, dass sie das optimale Produkt nur bekommen, wenn man es mit Service-Komponenten anreichert.“

Jörg Müsse, Bico

Wenn es darum geht, die bestehenden Handelsstrukturen erhalten zu wollen: Was sind denn die konkreten Gefahren für diese, dass die Verbände der Meinung waren, sie müssten hier reagieren und die Kräfte zusammenschließen?

Müsse: Ich möchte hier nicht von den Gefahren reden, sondern eher von den Chancen. Was wir im Moment sehen, und die Zahlen zeigen es auch, ist, dass die Endverbraucher durchaus die Tendenz zeigen, im Fachhandel kaufen zu wollen. Die Fachhandelsquote ist auf über 80 Prozent gestiegen. Das liegt einfach daran, dass die Konsumenten sehr wohl wissen, dass sie das optimale Produkt nur bekommen, wenn man es mit Service-Komponenten anreichert. Und jetzt sind wir bei der Chance: Wenn das die Situation ist, sollten wir als Verbände es uns zur Aufgabe machen, den qualitätsorientierten Fahrradfachhandel zu befähigen, diesen Bedürfnissen gerecht zu werden. Was ist der Schlüssel dazu? Qualifizierung und Professionalisierung. Zumindest nach meinem Dafürhalten ist das nicht einfach einer der vier Themenschwerpunkte, sondern vielleicht sogar der wichtigste. Kommen wir noch mal zur Warenversorgung und ihrer Bedeutung: Ohne großes Warenvolumen können wir den anderen Händlern, die schon in den Verbänden sind, nicht wirklich attraktive Preise anbieten. Volumen als solches spielt schon auch eine Rolle, es ist aber nur ein Mittel zum Zweck. Worum es wirklich geht, ist Qualifizierung und Professionalisierung.
Wir sind ja offen für den Fachhandel, es ist keine VSF- und Bico-exklusive Geschichte, die da entstehen wird. Bei der Diskussion, gegen wen wir etwas wollen, bin ich draußen. Wir wollen ja etwas für unser Händler tun. Wir wollen die Zukunft unserer Händler mit der Perspektive fünf bis zehn Jahre stabilisieren. Das ist der Punkt.

"Um die attraktive Ware zu bekommen, muss man als Händler heute auch etwas leisten."

Georg Wagner, Bico

Georg Wagner: Qualifizierung und Warenbezug hängen ja ganz oft eng miteinander zusammen. Wir bekommen aus den Gesprächen mit den Herstellern mit, dass sie als Grundvoraussetzung für Händler eine Qualifizierung voraussetzen, um die Ware beziehen zu können. Wenn man dann über VSF-Händler spricht, die die All-Ride-Zerfizierung gemacht haben oder Bico-Händler mit dem Service-Partner-Konzept, dann ist für die Hersteller eigentlich immer klar, dass das Händler sind, mit denen sie zusammenarbeiten wollen. Die haben ihre Qualifizierung erfüllt und müssen dann gar nicht mehr viel machen. Um die attraktive Ware zu bekommen, muss man als Händler heute auch etwas leisten. Deshalb ist das Thema Qualifizierung so wichtig für uns, um den Fachhandel zu erhalten.

Wöll: Durch die aktuelle Situation mit ihren verschiedenen Krisen haben wir als Verbände aber noch weitere Herausforderungen, die wir angehen müssen. Da ist eine Kooperation in dieser Stärke und in dieser Form in jedem Fall hilfreich, um sich gegenseitig zu unterstützen. Dem stationären Fachhandel das anzubieten, was ihm in seiner täglichen Arbeit hilft, ist das Beste, was wir gerade tun können.

Vielleicht andersherum gefragt: Welche Entwicklungen würden die Verbände gerne mitgehen, welche würden sie gerne vermeiden? Immerhin vermeidet diese Kooperation gewisse Dinge, die andere Akteure gerne etablieren würden.

Müsse: Also ich glaube, das ist wieder der falsche Ansatz. Wenn es Dienstleistungen und Angebote gibt, die angenommen werden von den Endverbrauchern, dann haben sie eine Daseinsberechtigung. Wenn wir als Verbände sagen würden, und ich bin jetzt mal sehr selbstkritisch mit dem Auftreten der Fahrradwirtschaft insgesamt, wenn ich versuche, Dinge zu verhindern, die der Endverbraucher aber möchte, für die Bedarf vorhanden ist, dann ist das kontraproduktiv und destruktiv. Ich nenne mal ein Beispiel: Die Firma Canyon hat ein Vertriebsmodell aufgebaut, das viele Hersteller zu verhindern versucht haben. Was ist denn dabei herausgekommen? Canyon hat ein funktionierendes Modell gefunden – und fertig. Sie haben ein Geschäftsmodell gefunden, das im Markt angekommen ist, für das es einen Bedarf gab. Was sollen wir denn da machen? Sollen wir jetzt auch einen Online-Handel aufziehen? Das ist nicht der richtige Ansatz. Was allerdings für mich wichtig ist: Es gibt viele Dinge, die gerade im Raum stehen, wie etwa Sharing-Modelle, die der Fachhandel vielleicht besser könnte als diejenigen, die das gerade ohne ihn forcieren wollen. Ich kann mir vorstellen, dass ein Kinderrad-Abo funktionieren könnte. Wer kann das denn besser als der Fachhandel? Aber der Fachhandel diskutiert solche Optionen gerade nicht. Gerade das ist das Charmante dieser Kooperation von zwei sehr qualitätsorientierten Fachhandelsverbände, nämlich Lösungen finden zu wollen, die den Handel zukunftsfähig aufstellen.

Wöll: Ich kann das an zwei Stellen konkretisieren. Wir wissen, dass wir in unseren Werkstätten gut aufgestellt sind. Wir wissen, wie die Prozesse laufen sollen und müssen. Die Betriebe, die das umsetzen, sind erfolgreich damit. Aber natürlich ist uns daran gelegen, dass die anderen auch davon partizipieren. Wenn es der Branchenfachhandel nicht tut, wird es von Seiten kopiert, die wir nicht im Markt haben wollen. Das ist für uns ein wichtiger Punkt. Deswegen öffnen wir unsere Konzepte. Wir wollen, dass diese Qualifikation im stationären Fachhandel bleibt. Es gibt noch Bereiche, wo wir noch auf halbem Weg sind, wo wir erst noch so gut werden wollen, dass wir die Benchmark setzen, wie etwa bei Nachhaltigkeit, im Verkauf, und so weiter. Wir wollen den Kunden tatsächlich das Professionellste bieten, was der Markt zu bieten hat. Nur dann gibt es weniger Grund, online einzukaufen oder andere Vertriebswege zu suchen. Das ist genau der Job, den wir zu tun haben.

Teil 2 des Interviews veröffentlichen wir morgen an dieser Stelle. Dann geht es um die politische Arbeit der Verbände, weiter um die Weiterbildung und Qualifizierung des Fachhandels, Digitalisierung und die Perspektiven dieser Partnerschaft.

19. Oktober 2022 von Daniel Hrkac

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