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Die neue Firmenzentrale signalisiert Selbstbewusstsein und Innovation
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Erfolg made in Mattighofen

KTM Fahrrad: Ein Phoenix mit eurasischen Wurzeln

Es braucht einigen Druck, um einen Diamanten zu formen. In mehrerlei Hinsicht könnte dies auch als Metapher für die Entwicklung der KTM Fahrrad GmbH dienen - einem Unternehmen, das in den Neunziger Jahren mehrmals am wirtschaftlichen Abgrund stand. Die Krisen haben ein gestärktes, weltoffenes Unternehmen entstehen lassen. Kaum ein Fahrradhersteller hat sich so gründlich wie ertragreich neu erfunden wie KTM. Ein Besuch in Mattighofen gibt einen Einblick in die Erfolgsrezepte der Österreicher.

Die neue Firmenzentrale signalisiert Selbstbewusstsein und InnovationBlick in die Fahrradproduktion bei KTMBlick in die Fahrradproduktion bei KTMBlick in die Fahrradproduktion bei KTMInhaberin Carol Urkauf ChenFirmeneigener PrüfstandEntwickelt wird am Bildschirm

Gleich am Eingang zum Werksgelände signalisiert KTM seine Strategie. Die glänzende, vor knapp zwei Jahren neu errichtete Firmenzentrale verkündet selbstbewusst: „Wir sind erfolgreich und modern“. Beide Ansprüche kann KTM belegen. Für den Erfolg sprechen die von KTM publizierten Zahlen. Das Geschäft wächst kontinuierlich, allein im Jahr 2008 stieg die produzierte Stückzahl um mehr als 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 165.000 Räder. Wertmässig konnte KTM sogar noch mehr zulegen: Der Umsatz stieg um 14 Prozent auf rund 73 Millionen Euro. Und für die Moderne spricht ein Blick ins Sortiment: Mehrere Eurobike Award Preisträger sind dabei, vollgefederte Mountainbikes mit weniger als 10 Kilogramm Gesamtgewicht, trendige Triathlon-Räder und Pedelecs. Mit solchen Rädern hat KTM bereits vor neun Jahren angefangen, als außer ein paar Nischenanbietern noch kaum jemand an eine große Zukunft der neuen Fahrradgattung glaubte. Allein als hochpreisige Premium-Marke will sich KTM aber nicht verstanden sehen. Das Preisniveau für Erwachsenenräder reicht von 400 bis 6000 Euro, und die aktuelle Produktepalette umfasst über 230 Räder; einige Dutzend davon werden exklusiv für Großkunden wie die ZEG gefertigt.

Schiffbruch und Neuorientierung

So erfolgreich wie heute war KTM aber bei weitem nicht immer. Bevor die heutige Inhaberin Carol Urkauf-Chen die Firma übernahm, ging KTM einmal Konkurs und ein weiteres Mal stand der Fahrradhersteller kurz davor. Der erste Schiffbruch während der Rezession im Jahr 1991 hatte zur Folge, dass die Arbeitsbereiche Fahrräder, Motorräder, Kühlsysteme und Werkzeuge des bisherigen Unternehmens auf vier unabhängige Firmen verteilt wurden. Als die KTM Fahrrad GmbH vier Jahre später wieder in Schwierigkeiten steckte, sprang die Ehefrau des damaligen Inhabers Hermann Urkauf ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte Carol Urkauf-Chen bereits viel eigene Erfahrung in der Fahrradindustrie gesammelt, unter anderem mit der eigenen Rahmenfabrik Carol Cycle in ihrem Heimatland Taiwan. Mit diesem Wissen als Grundlage verpasste die neue Inhaberin KTM eine radikale Verjüngungskur. Die veraltete Produktion von gemufften Stahlrahmen wurde mit sofortiger Wirkung eingestellt, KTM setzte von einem Jahr auf das andere voll auf zeitgemäße Aluminiumrahmen aus Fernost. Die Produktionshalle in Mattighofen wurde deswegen aber nicht komplett leer geräumt. Lackierung, Montage und Laufradproduktion blieben in Österreich. „Dadurch, dass wir nahe am Absatzmarkt produzieren, können wir rasch auf Nachfrageveränderungen reagieren“, sagt Chen.

Fahrradbau im Zweierteam

Die Produktion findet in den Hallen gleich hinter dem neuen Eingangsgebäude statt. Die beiden Gebäude sind nur durch eine Tür voneinander getrennt. 120 Personen arbeiten in der regulären Montageabteilung. Alle Räder, vom Kinderfahrrad bis zum hochwertigen Trekkingbike, werden von einem Zweierteam aufgebaut, immer ein Mann und eine Frau zusammen. „Diese Arbeitsweise hat sich bewährt“, sagt Geschäftsführer Josef Spiessberger, „Montagequalität und Effizienz sind höher als in gleichgeschlechtlichen Arbeitsgemeinschaften“. Durch die meist unterschiedlichen Körpergrößen und Fähigkeiten würden sich die Teams so perfekt ergänzen. Bis zu 750 Räder pro Tag baut KTM auf diese Weise auf. Nur die teuersten Highend-Bikes werden separat von zehn besonders geschulten Mitarbeitern in der so genannten „A-Box“ einzeln aufgebaut.

Zuvor wurden die Rahmen bereits im Haus pulverbeschichtet. Der Umwelt zu Liebe setzt KTM dabei voll auf wasserlösliche Lacke mit einem möglichst geringen Giftstoffanteil. Auf die Lackierstraße ist KTM besonders stolz, betont Spiessberger: „Alle Aufkleber werden nochmals durch eine klare Pulverlackschicht geschützt – ein aufwendiger und heikler Prozess, den man dem Neurad nicht gleich ansieht. Aber der Kunde weiß es zu schätzen, wenn sein Rad auch nach einigen Jahren im Gebrauch noch fast wie neu glänzt“. Gleich nebenan baut KTM auch alle Laufräder.

Auf halbautomatischen Anlagen werden bis zu 1500 Laufradpaare pro Tag herstellt – für die Fahrradproduktion wie auch für den Ersatzteilhandel. Denn KTM ist nicht nur der größte Fahrradlieferant des österreichischen Fachhandels, sondern auch einer der bedeutendsten Lieferanten von Zubehör und Ersatzteilen.

Hauseigene Entwicklung

Einen Großteil des heutigen Erfolgs verdankt KTM dem hauseigenen Entwicklungsteam. Vor fünf Jahren wagte Inhaberin Chen nochmals einen kräftigen Sprung nach vorne und investierte zusätzliche Mittel in die R&D Abteilung. Das Entwicklerteam wurde aufgestockt, eine neue Prüfanlage für Rahmen und Kompletträder angeschafft. Innerhalb kürzester Zeit machte sich die Investition bezahlt. „Mehr als die Hälfte unseres heutigen Mountainbike-Umsatzes erzielen wir heute mit Modellen, die es vor 2004 noch nicht gab“, weiß Josef Spiessberger. Die Anzahl der Modelle wurde in dieser Zeit fast verdoppelt, und im gleichen Maß stieg auch der Umsatzanteil der Offroad-Modelle auf die heutigen 40 Prozent des Gesamtabsatzes von KTM. Dieser Umsatzsprung ist umso beachtlicher, wenn man berücksichtigt, dass der Mountainbike-Markt bereits am Anfang der Expansion von KTM bereits seit längerem als gesättigt galt. „Die erweiterte Modellpalette war für uns ein entscheidender Türöffner für neue Märkte“, erklärt Spiessberger, „dank dem Downhiller Aphex und den Freeride-Bikes Tribute und Caliber konnten wir beispielsweise in Frankreich Fuß fassen“. Heute verkauft KTM zwei von drei Rädern im Ausland, neben Deutschland als wichtigstem Exportmarkt bedient KTM auch Kunden in rund 30 weiteren Nationen in Europa und vereinzelt auch in Asien.

Und auch in der Zukunft stehen die Zeichen bei KTM auf Wachstum. „Wir sehen weiterhin ein großes Zukunftspotenzial im Export“, sagt Marketingleiter Stefan Limbrunner: „In Frankreich, Italien und Spanien sind wir auf einem guten Weg – vor allem unsere Rennräder und Mountainbikes stoßen dort auf ein reges Interesse. Aber auch auf den traditionellen Märkten will KTM weiter wachsen – In Österreich, Deutschland und in der Schweiz sind es momentan laut Limbrunner vor allem die E-Bikes, die zulegen – und das sogar für die in den letzten Jahren wachstumsverwöhnte Firma KTM.

Fast noch wichtiger als weiteres Wachstum ist es für KTM aber, die finanzielle Unabhängigkeit zu bewahren: „Gerade während der aktuellen Finanzkrise ist das äußerst wichtig“, betont Limbrunner. „Wir haben eine überdurchschnittlich hohe Eigenkapitalsquote. Die Gewinne fließen wieder zurück in die Entwicklung und in die Erhöhung der Produktivität“. Dieses Bewusstsein schuf sich KTM während der eigenen Krise in den Neunzigern Jahren. Heute hilft es der Firma, in einem gesamtwirtschaftlich schwierigen Umfeld erfolgreich zu sein.

28. Oktober 2009 von Urs Rosenbaum

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