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Portrait - Gerrit Gaastra

»Leider muss ich alles perfektionieren!«

Über den Sport kam er zum Fahrrad. Seit dem Jahr 2000 entwickelt Gerrit Gaastra eigene Fahrräder. Er macht das Bike besser – koste es, was es wolle. In seinen Unternehmen dreht sich alles um eines: Perfektion. Das sieht man.

Wenn Menschen wirklich viel Geld für ein Fahrrad ausgeben, also mindestens 3.500 Euro, dann erwarten sie dafür entweder teuerste Materialien kostenintensivst bearbeitet, siehe Leichtbau, oder hochwertigen Rückenwind inklusive, siehe E-Bike. Oder sie erwarten gar nichts Besonderes – außer, dass das Ding genau das tut, für was es gebaut ist: funktionieren, aber das perfekt und eine gefühlte Ewigkeit lang.
Genau das sollen Kunden von Gerrit Gaastra und seiner Marke Idworx bekommen: Räder, die man immer und überall einsetzen kann, unter widrigsten Bedingungen und auf Endlos-Distanzen, ohne zu mucken. Das erfordert Detailarbeit – und erstreckt sich auf nahezu alle Teile des Rads, vom Reifen über Rahmen, die Kabelführung und sogar auf Hightech-Details wie Nabendynamos.

Rückenwind aus Holland

Eigentlich ist sein Zugang zum perfekten Rad ein ganz einfacher: »Ich wollte meine Freizeit nicht mit Wartung und Reparatur verbringen, sondern mit Fahren«, erklärt Gaastra bei unserem Besuch in seinem Unternehmen Bike Basics. Und damit wären wir schon beim Thema Sport angelangt. Gaastra ist im direkten Wortsinn damit groß geworden – wenn auch nicht, wie wir es uns heute vorstellen: »Als Kind bin ich schon mit dem Moped im Gelände herumgejagt«, erinnert er sich. Das liegt wohl in den Genen, hatte doch der Urgroßvater des Niederländers bereits 1904 die Firma Batavus gegründet. Sie stellte im Nachkriegs-Holland neben den Fiets auch sehr erfolgreich motorisierte Zweiräder her. Das war unter der Leitung von Gerrit Gaastra dem Älteren. Der Vater des Idworx-Machers, Andries Gaastra, gründete dann 1974 Koga Miyata, heute Koga – auch das bereits damals eine Highend-Marke, die ab den späten 1980er Jahren vor allem im Reise- und Tourenradsektor bekanntermaßen Maßstäbe setzte. Doch zunächst sah es eher danach aus, als würde der Sohn andere Trails verfolgen: Gaastra wanderte nach Kanada aus und studierte Kommunikation. Sportlich blieb er trotzdem: Er fuhr ab Ende der 80er erfolgreich Motocross- und Enduro-Rennen. Und als Training: das gerade zum Trendgerät gewordene MTB. Womit sich der Kreis wieder schließt. Mit besten Connections zu Shimano und Co. hatte der Sprössling der Zweirad-Dynastie beste Möglichkeiten, Teile zu testen und machte so die ersten Erfahrungen damit, was auf Dauer »nicht so funktioniert, wie es sollte«.

Hightech-Zentrale im Wald

Genau darum geht es in seinen Entwicklungen. Realisiert wird im kleinen Ort Wachtberg, gut 15 Kilometer von Bonn entfernt. Seit vier Jahren steht hier in einem unauffälligem, fast ländlichem Gewerbegebiet ein zweistöckiger lichtgrauer Kubus mit unauffälliger, aber sehr klar aufgebauter Fassade; viel Glas und Metall mit feinen roten Akzenten und dem Namenszug Bike Basics. Hier entstanden 2012 unter Gaastras Leitung etwa 1700 Räder der Marke Idworx und dem neuen Label Gaastra. Auch mit den »Fyts«-Modellen dieser neuen Marke hat man sich der Wartungsarmut und Zuverlässigkeit beim Alltagsrad verschrieben, allerdings auf einem Preisniveau deutlich unterhalb den Idworx-Modellen – Perfektion in Stahl für Einsteiger sozusagen.
Der Chefentwickler sitzt in einem lichten Eckbüro mit riesigen Fenstern, Blick auf das Siebengebirge – eines seiner beliebten Bike-Reviere. »Mindestens fünf Tage die Woche sitze ich für eine Stunde auf dem Mountainbike«, erzählt er, »das muss auch sein«. Er wohnt in Bonn-Bad Godesberg, aber nicht nur diese Distanz erleichtert den täglichen Sport: Im Erdgeschoss finden sich eine Umkleide und eine großzügig bemessene Dusche für alle Biker der Firma.
Nebenan ist die Montage. Hier wird gerade eine Serie orangefarbener All Rohler, das neueste Modell, fertiggestellt. Daneben gleich der Laufradbau. Die Toleranzen, an denen hier zwei Mitarbeiter schrauben, sind noch einmal deutlich geringer als bei andere Highend-Firmen, erklärt Gaastra nicht ohne Stolz. Das Fahrrad-Lager ist zur Winterzeit noch voll mit Kartons. »Wir verschicken in den größten und teuersten Radkartons, die es gibt«, sagt der drahtige 45-jährige. Verständlich, schließlich geht es hier um mit die teuersten Bikes auf dem Markt, zumindest was die Marke Idworx angeht.

Nicht immer das Rad neu erfinden

Egal, wo man in diesem 1.500-Quadratmeter-Kubus hinter dem Bike-Basics-Logo hinschaut: Alles ist hell, übersichtlich, hochwertig und vor allem funktional. Und spiegelt damit die perfekte Welt des Gerrit Gaastra wider: Keep it simple, no Gimmicks. Das zieht sich sogar durch die Sprache, in der intern kommuniziert wird: Mal englisch, mal holländisch, mal deutsch, häufig gar einen Mix; Effizienz zählt!
So entstand als eine seiner Entwicklungen im Bike-Bereich die Big Apple-Bereifung: Eine robuste und unkomplizierte Alternative zur Fahrwerks­feder-
­ung. Nicht überall erkennt man die Innovationskraft der Gaastraschen Ideen sofort. Im Traditionshaus Koga zum Beispiel wollte man von den Dicken Dingern Anfang 2003 nichts wissen. Doch der Big Apple, den der große Holländer als Berater bei Schwalbe geprägt hat, wurde ein Hit. »Lösungen sind oft sehr einfach«, erklärt er. »Nicht immer muss alles von Anfang an neu gedacht werden; manches gab es schon mal.« Der Ballonreifen der 30er Jahre war einfach zu schwer, träge Laufeigenschaften und schlechtes Handling waren die Folge. Gaastra verbessert also häufig nach heutigem Stand der Möglichkeiten. Im großen, hellen Showroom, der gleichzeitig als Empfangsraum fungiert, findet sich eine Auswahl an Detail-Weiterentwicklungen des »Evoluzzers«, wie ihn ein journalistischer Kollege vor kurzem treffend nannte. Eine brandneue Bremsscheibe, wie sie am neuen All Rohler zu finden sein wird, zum Beispiel: 3,2 Millimeter stark und 203 Millimeter im Durchmesser. Das Wichtigste an diesem Brummer: Damit sich die Scheibe auf langen Gefällen hitzebedingt ausdehnen kann, ist die Scheibe zweiteilig; der innere Stern ist mit der eigentlichen Scheibe verschraubt. Anderes Beispiel: das Idworx-Heggemann-Kettenblatt aus gehärtetem Edelstahl. Damit kommt man auch bei härteren Bedingungen auf dem Trekkingrad gut 30.000 Kilometer weit. Oder der umgebaute Son-Nabendynamo F+r, dem Gaastra ein neues Gehäuse entwickelte: Von der Leistung her toll, von der Steifigkeit aber noch nicht den Ansprüchen des Perfektionisten genügend. Deshalb entwickelte Gaastra ein eigenes, deutlich breiteres Gehäuse, mit dem er jetzt noch seitenstabilere Laufräder aufbauen kann. Dazu entwickelt Bike Basics auch gleich noch Felgen: Einige sind für die bekannte Firmtech-Bremse, eine Weiterentwicklung aus der Magura HS-Serie, optimiert und weisen für die breiter bauenden Magura-Bremsklötze entsprechend höhere Bremsflanken als normale Felgen auf. Außerdem werden die Speichenbohrungen genau auf die jeweilige Nabe ausgerichtet und die Carbide-Supersonic-Beschichtung sorgt dafür, dass die Abnutzung der Felge gegen null geht. »Wir zahlen, auch wegen kleiner Stückzahlen, viel Geld für solche Spezialmodelle«, sagt Gaastra, »aber das ist uns ziemlich egal. Für uns zählt das Ergebnis.« Alleine die Beschichtung kostet das Unternehmen im Einkauf von Ryde – wo Gaastra auch beratende Funktion hatte – um die 40 Euro pro Paar; etwa das Sechsfache des Einkaufspreises einer einfachen Felge. Oder die neue, längere Lampenhalterung für den Son-Scheinwerfer: Für eine bessere Nahausleuchtung hatte Gaastra eine spezielle Reflektorform gewählt. Damit nun nicht der Reifen, sondern die Straße direkt davor angestrahlt wird, war besagte längere Lampenhalterung nötig – der Teufel liegt eben immer im Detail, und das kostet Geld.

Optimierungs-Berater

Bulls, Derby, Pegasus, Rigida, Sapim, Schwalbe sind nur einige der Unternehmen, die er im Namen seiner zweiten Firma GG Concepts berät oder beraten hat. Dazu kommt Idworx-Anbieter Bike Basics, denn auch hier ist Gaastra offiziell nur Berater. Die Geschäfte führt seine Frau Cate Ellis, eine studierte Archäologin, die er in Kanada kennen gelernt hat. Neben dem Holländer gibt es noch ein Zimmer hier oben, in dem man sich um Entwicklung und Service kümmert. Dort sitzen Joachim Neisius und Justin Clausen an Rechnern mit CAD-Programmen und kümmern sich um die kleinen Details, die für die Ergebnisse von Gaastras Arbeit so wichtig sind. Erfolge gibt’s genug. 2012 wählten die Leser des Magazins »Trekkingbike« Idworx zum zweiten Mal zur Trekkingbike-Marke des Jahres.
Auch das »technische Gewissen der Entwicklung« wird sich darüber gefreut haben: Horst Storkebaum, ehemals Redakteur eines MTB-Magazins und bekannter Technik-Spezialist für Räder mit Stollen, ist ein weiterer Partner Gaastras.

Fluch und Segen

Wer im neuen Idworx-Katalog blättert, dem blitzen spannende Details auf jeder Seite ins Auge – seien es die schönen Ausfallenden am neuen ORTi, dem Off Rohler aus Titan, elegante vierfach-Zugverlegung unter dem Hauptlager oder die Lösung des Lenkanschlags bei einigen Modellen.
Dass Gaastra nicht nur in Sachen Bike ein Perfektionist und Nachhaltigkeits-Fan ist, zeigt die funktionale Anlage des Firmensitzes von Bike Basics – die auch noch wachsen kann: Das Gelände nebenan kaufte Gaastra vor vier Jahren gleich mit. Wo der Landschaftsgärtner eine kleine, aber feine MTB-Teststrecke für Bike Basics gebaut hat, können später neue Lager- und Produktionskapazitäten geschaffen werden. Seine perfektionistische Weltanschauung und der Sport hingen schon immer zusammen, und das ist auch heute noch so: »Ob das Training selbst oder die Kleidung, ich mache alles mit dem Gedanken: das muss optimal funktionieren.« Sportgerät ist nicht nur das Bike: In den letzten Jahren saß er desöfteren in schnellen Rennsportwagen; auch hier ist der Wille zum Optimum Erfolgsgarant, Pokale in der Garage am hinteren Ende der Halle zeugen davon. Und auch das Geländemotorrad lässt Gaastra nicht los. Eine KTM wurde von ihm vor kurzem erst mit einer automatischen Fliehkraftkupplung versehen.
Wenn man diesen fliegenden Holländer nach seinen beruflichen Träumen fragt, bekommt man prompt die Antwort: »Dass ich im Motorrad-Bereich ebenso perfekte Lösungen anbieten kann wie beim Bike – hier gibt es noch unglaublich viel Potenzial.« Erste Pläne für Produkte schlummern schon in diversen Schubladen. Allerdings läuft das »natürlich nur nebenher: Ich sehe im Motorradbereich auch eine große Möglichkeit, für den Fahrradbereich zu lernen.« Dem E-Trend der Branche steht er als Sportler eher skeptisch gegenüber. Aber auch deshalb, weil er derzeit noch keine Möglichkeit sieht, E-Bikes zu bauen, die seinem Anspruch genügen. In absehbarer Zeit wird es aber wohl zumindest von der Marke Gaastra auch Räder mit Rückenwind geben.
Der umtriebige Kerl kann wirklich nichts in Standardausgabe stehen lassen. Selbst die neue Computeranlage musste er in der weihnachtlichen Freizeit optimieren. Und da der Anspruch an sich selbst sehr hoch ist, sammelt er automatisch Expertenwissen an. Es dürfte niemanden wundern, gäbe es bald Software von ihm zu kaufen.

18. April 2013 von Georg Bleicher
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