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Report - Megatrends

Megatrend E-Bikes?

Das E-Bike liegt an den Schnittstellen der Mega-Trends unserer Zeit. Der E-Bike-Markt boomt. Keine Frage. Aber hält dieser Boom an, oder findet er ein jähes Ende?

Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen« lautet ein beliebtes Zitat, das wechselweise Mark Twain, Winston Churchill oder Kurt Tucholsky zugeschrieben wird. Aber gibt es nicht auch Experten, Marktforscher oder Trendgurus, die es genauer wissen sollten? Können wir denen glauben? Wollen wir das? Vertrauen wir lieber unserem Bauchgefühl? Oder bleiben wir einfach bei der Kölner Erkenntnis »Et kütt, wie et kütt«?

Der Trendforscher hat immer Recht

Gerade bei Trendforschern scheiden sich schnell die Geister und wenn sich dann noch ein Unternehmen »Zu­­kunfts­institut« nennt, ist die Polari­sierung praktisch vorprogrammiert. Während die einen in Erwartung neuer »Key-Messages« für das strategische Marketing und die Entwicklung profitabler Geschäftsmodelle an den Lippen ihrer Gurus und Heilsbringer kleben, schauen andere voller Skepsis auf die Ergebnisse. Von »Banal und kalter Kaffee« über »Da gibt es auch genug Gegenbeispiele!« bis zu »Unwissenschaftlich und nicht belegt!« reichen die Gegenreden. Oft gefolgt von der Frage: »Wo ist er denn jetzt, der Trend?«
Wer hat also Recht? Provokant formuliert: »Alle, und vor allem die Trendforscher!« Denn mit Trend- und Zukunftsforschern verhält es sich ein wenig wie mit Wahrsagern. Sie erzählen einem nichts, was wir nicht schon vorher irgendwie oder irgendwo einmal gesehen, gelesen, gehört oder selbst erfahren hätten. Daraus machen sie auch gar keinen Hehl. So sagt Matthias Horx, Gründer des Zukunftsinstituts: »Megatrends sind in der realen Welt verankert, aber wir finden sie auch tief in unserem Inneren.« Megatrends? Schon wieder ein Begriff, mit dem teure Vorträge und Studien sprachlich aufgewertet werden sollen?

Booms enden, Trends kommen und gehen, Megatrends bleiben

Bleiben wir erst einmal beim festgestellten E-Bike-Boom: Laut Duden bezeichnet der Begriff Boom »ein plötzliches gesteigertes Interesse an oder für etwas, das dadurch sehr gefragt ist«. Die eingangs gestellte Frage nach dem Ende des E-Bike-Booms scheint damit berechtigt, denn irgendwann, so der logische Schluss, kann oder muss das so plötzlich erwachte Interesse ja wieder nachlassen. Und haben wir nicht auch gelernt, dass Wachstum irgendwann an Grenzen stößt?
Schon beginnt die Diskussion: An welcher Stelle des Booms befinden wir uns? Ganz am Anfang? In der Mitte? Schwächt sich der Boom kurzfristig ab? Oder ist er etwa schon am Ende? Schnell wird klar, dass der Begriff Boom lediglich als Zustandsbeschreibung taugt, nicht aber zur Klärung künftiger Marktentwicklungen.
Kommen wir zum »E-Bike-Trend«, von dem in den Medien ja ständig die Rede ist. Auch hier ist erst einmal eine Begriffsklärung nützlich: Denn Trends bezeichnen einerseits statistisch erfassbare Entwicklungstendenzen, andererseits in der Soziologie aber auch gesellschaftliche Wandlungsprozesse. Dabei unterscheiden Fachleute eine ganze Reihe von Trends. Vom regional begrenzten oder kaum beobachtbaren Mikrotrend bis hin zu Mega- und Metatrends ist alles dabei. Um uns der Frage nach der Zukunft des E-Bike-Markts zu nähern, liegt es auf der Hand Megatrends heranzuziehen, denn per Definition treten sie in großem Maßstab auf, halten lange an und verursachen tiefgreifende Veränderungen.

Fahrräder und E-Bikes sind kein Megatrend

Zweiräder als Megatrend auszurufen, wäre zu einfach. Unabhängig von räumlichen und kulturellen Gegebenheiten und dem Verbreitungsgrad ist zwar weltweit ein deutlicher Trend zu Fahrrädern und E-Bikes auszumachen. Doch diese Erklärung greift zu kurz, denn es geht ja hier um gesellschaftliche Prozesse. Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx grenzt Megatrends deshalb scharf von anderen Trendarten ab. Nach seiner Definition verfügen sie über folgende Eigenschaften:

  • Der Trend muss eine Halbwertzeit von mindestens 50 Jahren haben.
  • Er muss in allen Lebensbereichen (Ökonomie, Konsum, Politik, Alltagsleben etc.) eine Rolle spielen und Auswirkungen zeigen.
  • Megatrends sind in einer vernetzten Welt zunehmend globale Phänomene. Dabei verlaufen sie gleichzeitig synchron und asymmetrisch.
    Interessant ist dabei vor allem der Hinweis, dass Megatrends global auftreten und »gleichzeitig synchron und asymmetrisch« verlaufen. Damit ist gemeint, dass einige Megatrends in verschiedenen Ländern weiter als in anderen sind. Trotzdem bleiben die Entwicklungen auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen die gleichen.


Die Deutsche Bahn startet mit ­ersten »e-Call a Bike«-Flotten in Stuttgart und Aachen.

Mit Blick auf das Thema E-Bike und Fahrrad lässt sich die Welt so mit neuen Augen sehen. Auch wenn wir Berlin nicht mit Amsterdam, London nicht mit Kopenhagen und Münster nicht mit Wuppertal vergleichen können – die Entwicklungen sollten überall die gleichen sein. Auf unterschiedlichem Niveau und mit unterschiedlicher Dynamik. Tatsächlich gibt es dafür weltweit eine Reihe von Indikatoren.

Trends, die künftig unser Leben bestimmen

Insbesondere in den Metropolen der Welt lassen sich Veränderungen hin zum Zweirad beobachten. Dafür muss es Gründe geben, die tiefer liegen. Es lohnt sich also die Megatrends, die unser Leben in den kommenden Jahrzehnten aller Voraussicht nach entscheidend prägen werden, genauer zu betrachten.

Megatrend Mobilität

Mobilität ist und bleibt die Grundlage unserer Wirtschaft und Gesellschaft sowie Voraussetzung und Treiber unseres Wohlstands. In der Vergangenheit hat der Verkehr immer weiter zugenommen und auch für die Zukunft wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Die Folgen: Ressourcenverbrauch und Emissionen steigen und Verkehrsräume stoßen an ihre Leistungsgrenzen.
Konsequenzen: Zur Verfügung stehende Ressourcen, Infrastrukturen und Räume müssen effizienter genutzt und gleichzeitig schädliche Emissionen reduziert werden. Das Fahrrad bietet hier als effizientes und platzsparendes Fortbewegungsmittel im Rahmen vernetzter Verkehrsmittel ein enormes Potenzial. E-Bikes erschließen weitere Einsatzmöglichkeiten, sprechen neue Nutzergruppen an und werden auch für Verleihflotten attraktiv.

Megatrend Klimawandel

Um die Erderwärmung auf die kritische 2-Grad-Marke zu begrenzen, ist eine deutliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes unabdingbar. Forscher fordern für die Industrieländer eine Rückführung ihrer Emissionen bis 2020 um 25 bis 40 Prozent unter das Niveau von 1990. Doch davon sind wir in Bezug auf verbindliche Vereinbarungen und Maßnahmen noch weit entfernt. So haben die CO2-Emissionen 2011 um weitere drei Prozent zugenommen und einen neuen Höchststand erreicht.
Konsequenzen: Konkrete Maßnahmen zur deutlichen Reduzierung der CO2-Emissionen werden immer dringender und im Bereich Verkehr, der 20 Prozent der Emissionen ausmacht, für die nahe Zukunft wahrscheinlich. Der Politik steht ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung und die Europäische Union hat sich mit dem »EU-Weißbuch Verkehr 2050« einen grundlegenden Strukturwandel und die Reduktion der verkehrsbedingten CO2-Emissionen um 60 % bis 2050 auf die Fahne geschrieben.

Megatrend Urbanisierung

Auch wenn in Deutschland und Europa keine Megacitys zu erwarten sind, gibt es doch einen deutlichen Trend zum Wohnen in der Stadt. Während die Bevölkerung in Deutschland insgesamt abnimmt, steigt sie in den meisten Großstädten. Gerade bei jungen Menschen gewinnen Innenstädte immer mehr an Attraktivität.
Konsequenzen: Die Wiederentdeckung der City als Lebensraum führt zum Konflikt mit dem Konzept der autogerechten Stadt. Parkraum wird knapp und teuer, die Reduzierung von Abgasen, Lärm und Umgestaltung des öffentlichen Raums zur Erhöhung der Lebensqualität sind Herausforderungen, denen sich Städte stellen müssen. Vorreiter wie Kopenhagen und Amsterdam setzen mit großem Erfolg auf die gezielte Förderung des Radverkehrs und immer mehr Metropolen folgen ihrem Beispiel.


Ladestationen für Elektromobile, wie hier in Barcelona, werden künftig zum typischen Bild europäischer Städte gehören.

Megatrend Ressourcen­knappheit

Mit dem weltweiten Bevölkerungswachstum, zunehmenden Wohlstand und der erhöhten wirtschaftlichen Aktivität steigt die Nachfrage nach Ressourcen kontinuierlich an. Besondere Herausforderungen birgt die Peak-Oil-Problematik: Während der weltweite Erdölbedarf von Jahr zu Jahr immer größer wird, nimmt die Fördermenge inzwischen ab. Die Erschließung neuer Quellen wird zunehmend teurer und problematischer für die Umwelt.
Konsequenzen: Abzusehen ist ein tendenzieller Preisanstieg verbunden mit dem Druck, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und die Ressourceneffizienz zu erhöhen. Die Erfahrungen aus der Ölkrise 1973 zeigen zudem, dass Preiserhöhungen bei Benzin und Erdöl erhebliche Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten haben. So erlebte das Fahrrad mit der Krise einen Boom. In den ersten sechs Mona­ten nach Beginn der Ölkrise wurde der Absatz um rund 25 % gesteigert.

Megatrends Gesundheit und demografischer Wandel

Während die Bevölkerung in Deutschland insgesamt schrumpft, steigt die Anzahl der Älteren deutlich an. Bis 2030 wird die Altersgruppe über 65 um rund ein Drittel von 16,7 Millionen im Jahr 2008 auf 22,3 Millionen Personen ansteigen. Das allgemein in den Gesellschaften zu verzeichnende Streben nach Gesundheit, Aktivität und Leistungsfähigkeit prägt dabei auch den Lebensstil der Älteren. Mehr als die Hälfte der 50- bis 75-Jährigen hält eine gesundheitsgerechte Ernährung für wichtig, ebenso wie die Pflege sozialer Kontakte und die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem. In Deutschland geben zudem 52 % an, regelmäßig Sport zu treiben.
Konsequenzen: Ältere Menschen wollen nicht nur aktiv und mobil bleiben, sie können es sich auch leisten. Die Verschiebungen im Kaufverhalten sind beim Thema Mobilität offensichtlich. So ist der typische Neuwagenkäufer inzwischen 51 Jahre alt. Der Anteil der über 70-jährigen Käufer beträgt dabei über 11 Prozent. Auch das Fahrradfahren ist bei Älteren sehr beliebt und das Interesse an Pedelecs nimmt rapide weiter zu. So stellt der ADFC als Ergebnis der Studie »Fahrrad-Monitor Deutschland 2011« fest, dass sich die Anzahl der am Thema Pedelec Interessierten von 2009 bis heute auf 47 Prozent fast verdoppelt hat. In der Gruppe der über 60-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 54 Prozent.

Drahtesel gegen Elektrorad – wer gewinnt?

Vieles spricht derzeit dafür, dass die Verbreitung und Nutzung von Fahrrädern und E-Bikes zügig voranschreitet, denn sie liegen an der Schnittstelle zu den Megatrends unserer Zeit. Aber wer von beiden wird gewinnen? Oder gibt es schlicht ein harmonisches Nebeneinander?
Gut möglich, wenn nicht sogar sehr wahrscheinlich ist, dass die Elektrifizierung des Fahrrads deutlich weiter greift als von vielen erwartet wird. Selten war die Innovationsgeschwindigkeit u. a. mit stufenlosen automatischen Schaltsystemen und der allgemeinen Integration von Elektronik ins Rad so hoch wie in den letzten Jahren. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass neue Erfindungen in kurzer Zeit ganze Märkte verändern. So trug zum Beispiel beim Automobil der elektrische Anlasser, der 1912 die Kurbel ersetzte, nicht unwesentlich zum Durchbruch im Massenmarkt bei und auch beim Fahrrad begründete die Abkehr vom Hochrad zur Jahrhundertwende eine neue Industrie.

»Megatrends sind in der realen Welt verankert, aber wir finden sie auch tief in unserem Inneren.«

Matthias Horx, Gründer des Zukunftsinstituts

Der Trend zur Technisierung des Alltags begünstigt E-Bikes

Beschleunigen könnte die Entwicklung hin zum E-Bike ein weiterer weltweiter Trend, der in den letzten Jahren noch einmal deutlich an Dominanz gewonnen hat. Die Technisierung des Alltags ist ein zentrales Erlebnis für alle Jahrgänge und auch ein prägendes Element für unseren Lebensstil und die Jugendkultur. Kennzeichnend für unsere Zeit ist dabei die Verschmelzung von Computer, Handy, Internet und Social Media zu neuen Systemen. Hinzu kommt die umfassende Vernetzung und Elektrifizierung, die auch Verkehrssysteme per Internet, WLAN, App oder USB integriert.
Technisch attraktive Produkte lösen sukzessive nichttechnische, analoge oder nicht vernetzte Systeme ab. Neben dem Nutzwert spielt zunehmend der Status, den man durch den Besitz der neuesten Errungenschaften erwirbt, eine Rolle. Nach einer aktuellen Untersuchung des Center of Automotive Management interessiert sich zum Beispiel die junge Generation sehr für ein gut designtes und vernetztes Automobil. Fast jeder vierte würde ein Apple- oder Google-Auto kaufen.
Wenn sich der Trend zur Technisierung des Alltags weiter verstärkt – und alles spricht derzeit dafür – gewinnen auch e-Bikes künftig deutlich an Attraktivität. Designräder haben bei den »urbanen Kreativen« bereits heute einen hohen Stellenwert, das hat unter anderem der Fixie-Hype gezeigt. Die Elektrifizierung des Fahrrads bringt aber noch viel mehr: Neben einem hohen Nutzwert verfügen E-Bikes inzwischen auch über attraktive Designs – und sie integrieren weitere Technik. Damit passen sie nicht nur hervorragend zum Lebensstil der jüngeren Kundengruppen, sie verfügen auch über eine gute Portion Sex-Appeal, verbunden mit einem neuen Statusversprechen, dass das Auto inzwischen zunehmend verliert. //

1. Februar 2012 von Reiner Kolberg
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