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»Wir sind in Europa heute schon die Nummer Eins im Mountainbike-Gravity-Bereich«, sagt Markus Flossmann, Gründer und Geschäftsführer von YT.
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Portrait - YT Industries

Mit dem Downhiller steil nach oben

Der MTB-Hersteller YT Industries ist wenige Jahre – aber sehr erfolgreiche Jahre – auf dem Markt. Die Basis dafür: Direktvertrieb, Kultfaktor und Authentizität.

Das Basis Camp für unseren Besuch bei YT Industries ist ein Glaskasten aus zwei Containern mit giftgrünen Besprechungssesseln und einem großen, hellen Holztisch. Das Aquarium, wie die Mitarbeiter den trotz der Werksaufseher-Optik gemütlichen Meetingraum nennen. Warum der hier wichtig ist? Weil man diesen in sich geschlossenen, aber offen einsehbaren Raum irgendwo zwischen Service-Abteilung und Werkstatt auch als Metapher sehen kann für die aktuelle Situation der Firma YT: Container sind eine Zwischenlösung, ein vorübergehender Status Quo. YT Industries selbst ist derzeit mit viel Power auf dem Weg. Alles ist in Veränderung. Aber obwohl die Firma geradezu voran-schießt, hat man mit dem Container quasi im Auge des Sturms einen Ort, in dem man sich bei Meetings die Ruhe nimmt, genau zu planen und Entscheidungen zu treffen. Und das scheint ziemlich gut zu laufen.

Lenker statt Hantel

Markus Flossmann, Gründer und Geschäftsführer von YT, sieht schon auf den ersten Blick aus wie ein klassischer Vertreter der Funsport-Szene: Bart, Tweet-Käppi, großflächige Tattoos auf dem muskulösen Unterarm und sehr lockerer Habitus. Das heißt nicht, dass er nicht auch ein erfolgreicher Geschäftsmann sein kann: »Wir sind in Europa heute schon die Nummer Eins im Mountainbike-Gravity-Bereich«, erzählt er fast wie nebenher. Dabei lernte der 39-Jährige das MTB erst zufällig kennen: Nach einem Bandscheibenvorfall war es für den ambitionierten Kraftsportler mit dem »Pumpen« erstmal vorbei. Gut so, denn dadurch kam die Möglichkeit, mal den Sport der damaligen Freundin und jetzigen Frau Julia Flossmann auszuprobieren. Siehe da: Mountainbiken machte Spaß. Ab dem Jahr 2000 saß er auf dem Bock, wann immer es der Job zuließ. Flossmann war damals Marketingleiter in der Fitnesscenter-Kette McFit, arbeitete hart. Seine Zentrale zog im Laufe der Jahre vom fränkischen Schlüsselfeld nach Berlin, seine Frau und die kleine Tochter sah er nur noch am Wochenende. »Als wir die hundertste Filiale eröffnen konnten, sagte ich mir, jetzt ist genug. Jetzt will ich selbst was aufbauen.« Die Antwort auf die Frage, was, kam wie nebenbei: als er einmal zwei »jungen Talenten« auf dem Dirt Bike zusah. »Die hatten wirklich was drauf. Ich sagte ihnen, sie sollten ihr Baumarkt-Rad stehen lassen; mit einem guten Bike geht noch viel mehr.« Die zu erwartende Antwort: »Kann ich mir nicht leisten.«
Als Gelegenheits-Motocrosser hatte Flossmann sich schon gefragt: »Warum müssen gute Mountainbikes eigentlich so viel kosten wie ein erstklassiger 250er-Motocrosser?« Eine der wichtigsten Antworten darauf: die Handelsspanne. Sie ließe sich per Direktvertrieb umgehen, auch wenn dadurch geringe andere Kosten entstünden. Schließlich gingen in anderen Fahrrad-Bereichen auch schon einzelne andere Unternehmen diesen Weg. Und Dirt Bikes sind keine Produkte, die individuell spezifiziert werden – die Menge der Anbauteile ist einfach begrenzt. Auch das macht sie kostengünstig direkt vertreibbar.

Genial und günstig

Auch beim Fitness-Discounter McFit ging es ums Preis-Leistungs-Verhältnis, acht Jahre Marketingleitung waren offenbar eine gute Vorbereitung für die Markteroberung in der Gravity-Szene mit Vorgabe Preis/Leistungs-Sieger. »Ich habe da unglaublich viel gelernt«, bestätigt Flossmann. Kontakte für die Rahmenproduktion gab es auch flott: Niels-Peter Jensen, Extremsportler und Liebling der Sportmedien, bekannt aus der Nutella-Werbung und Unternehmer mit eigenen Bike-Marken konnte weiterhelfen. Er hatte die nötigen Beziehungen zu den asiatischen Rahmenmachern. Die ersten Bikes entwickelte 2008 Flossmann mit Jensen zusammen. »Die erste kleine Serie waren 150 Bikes. Kostenpunkt: 499 Euro das Stück. Die waren in zehn Tagen ausverkauft«, erinnert sich der Chef und schüttelt den Kopf, als könnte er das heute immer noch nicht glauben.
Dann geht’s richtig los: 2009 steigt Stefan Willared ein. »Seit 1987 war Mountainbiken mein zentrales Sonnensystem«, sagt der 44-jährige von sich. »Ich war der ambitionierteste MTB-Bastler, den man sich vorstellen kann. Ich hatte ständig eine Idee, wie ich mein Bike verbessern kann, habe pausenlos an den Dingern rumgebaut.« Technisch versiert ist er sowieso: Bis er bei YT einsteigt, arbeitet er bei Autozulieferer Schaeffler als Projektleiter in der Entwicklung von Antriebssystemen. Jetzt soll er sich um die Entstehung voll gefederter Bikes kümmern. Und bestellt erst einmal die genauen Kraft/Weg-Messdaten der wichtigsten Hersteller von Federelementen, allen voran Marzocchi und Rockshox. Dort war man überrascht ob der noch nie gestellten Fragen. »Doch für uns war das die Basis, für die kinematischen Berechnungen«, so Willared. Mit den Daten werden Computersimulationen gefüttert, die dem Experten jede Menge über den Aufbau der Bikes und Anlenkung der Dämpfer erzählen – wenn man richtig zuhören kann. Willared setzt seine Erfahrung über die Kinematik von Antrieben am Mountainbike um. Was herauskommt, lässt sich gut fahren: Schon die ersten Fullys von YT kamen 2009 bestens beim Publikum an.
»Natürlich ist die gesamte Branche immer besser geworden. Richtig schlecht funktionierende Federungen gibt es so gut wie gar nicht mehr. Aber Unterschiede schon«, erklärt Willared mit einem Anflug von Stolz im Unterton. Er ist 2012 Co-Geschäftsführer geworden und in die GmbH mit eingestiegen. Was für ihn wie für alle im Unternehmen immer wichtig ist: Die Identifikation mit dem MTB und letztendlich mit der Firma läuft über den Fahrspaß. »Eine gute Zeit haben«, das kann man hier immer wieder als Motto hören. Zwar werden mit Andreu Lacondeguy, Cameron Zink und Kelly McGarry auch einige der größten Fahrer der Szene gewonnen, doch mit dem Leistungsgedanken soll das Bild der Marke YT wenig zu tun haben – Fun regiert.

Vom Mainstream überrollt

Heute gibt’s drei Modellgruppen von YT-Bikes: Dirt Bikes – ein Bereich, »der seinen Peak ganz klar schon hinter sich hat«, so Willared, Enduros und Downhiller. »Das Schlüsselwort heißt für uns hießt Gravity. Von Bikes mit langen Federwegen werden wir uns definitiv nicht verabschieden.« Trotzdem nähert sich das Unternehmen einer Region, die man bei YT Industries nicht gern vor Augen hat, immer mehr an: dem Mainstream. Stopp: Da muss man schon genau sein: »Nicht wir nähern uns dem Mainstream an«, erklärt Kerstin Kaufmann, die PR-Managerin, »der Mainstream nähert sich uns an. Die All-Mountain-Liga geht immer mehr in Richtung Enduro, sprich, die Federwege wachsen. Deshalb werden unsere Bikes eigentlich immer ›normaler‹«. Doch reine Trail- oder Marathonbikes sollen nie aus Forchheim kommen. »Und umgekehrt«, so der Entwicklungschef, »wird der Enduro-Markt immer größer.« Rahmensets mit dem YT-Logo sind nicht im Angebot; verkauft werden nur Kompletträder. Das ist Teil des Konzepts. Nachvollziehbar, schließlich ist die komplette Geometrie und Anlenkung der Federelemente an den Bikes genau auf die jeweils verbauten Komponenten abgestimmt.
Diese Präzision nehmen auch die Medien in Tests wahr – in Deutschland wie international. In England gab es von allen Fachmagazinen höchstes Lob für das 2014 Enduro Capra. Ebenso gab es in Deutschland speziell für dieses Bike viel Applaus.
Aber auch in Foren und den Social Media bekommen die Oberfranken von den Nutzern viel Bestätigung – besonders auch für die Fahrwerke. Die sind nicht »weichgespült«, wie Willared es ausdrückt, sprich: »Die Federelemente treten dann in Aktion, wenn es wirklich nötig wird, nicht schon bei der kleinsten Erschütterung.« Wo rohe Kräfte abgebaut werden müssen, sind die YT-Bikes in ihrem Element – das heißt auch dort, wo es zügig bergab geht.
Das aggressive Design der Räder in knackigen Farben kommt an. Ein Erkennungszeichen: der ausgeprägte, fast organisch wirkende Steuerkopf. Derzeit gibt es bei YT Industries vier Carbon-Modelle des Capra-Enduros und zwei mit Aluminium-Rahmen. Das renntaugliche Capra CF Pro Race kommt auf 4199 Euro und ist mit Highend-Komponenten ausgestattet. Der teuerste der sechs Downhiller Tues CF Pro kostet knapp 4000 Euro. Ein ziemliches Schnäppchen, und übrigens auch ein Carbon-Modell, worauf die Entwickler stolz sind.

Das Immobilien-Mosaik

Das eigene Wachstum jedenfalls hat das Unternehmen regelrecht überrannt. In Forchheim hat YT nicht nur die Zweibrückenstraße als ersten Standort. Hier wurden neben zwei Büros und der Halle mit »Aquarium« und angrenzender Werksatt auch noch Räume im Nebenhaus angemietet, wo unter andrem die IT-Abteilung und die Abteilung Web ihr Domizil haben und dem 3D-Drucker Gesellschaft leisten. Letzterer spuckt auch schon mal Rahmensegmente aus, dessen Daten ihm die Entwicklungsabteilung Willareds eingeflößt haben. Die sitzt wiederum seit Ende Februar etwa zwei Kilometer entfernt in der Bayreuther Straße; dort wurden weitere 300 Quadratmeter bezogen. In dieser Außenstelle ist noch Platz für Entwickler und Grafiker – und auch Bedarf, wie der Leiter der Abteilung nachdrücklich bestätigt. Insgesamt sind es in Forchheim etwa 1.300 Quadratmeter Unternehmensfläche. Dazu kommen Lager und Montage im thüringischen Schleusingen, wo noch einmal knapp 900 Quadratmeter anfallen.

Service 2.0

Spricht man von Direktvermarktung, ist Service ein zentraler Punkt – Räder, die ohne den Zwischenschritt über den stationären Handel zum Kunden kommen, müssen hohen Kriterien genügen. Zunächst sollten sie auch für den Laien einfach aufzubauen sein – eine aufwendige Vormontage sowie eine hochwertige Dokumentation beziehungsweise Bedienungsanleitung sind wichtiger als bei Produkten vom Händler.
Genauso wichtig ist aber, dass jemand zuverlässig hilft, wenn es Probleme oder Fragen gibt. Das übernimmt die fünfköpfige Service-Abteilung. »Service 2.0« nennt man hier intern die interne Weiterentwicklung dieser »technischen Telefonseelsorge«. Und einmal mehr kommt die Struktur aus der Automobilbranche: Hier gibt es eine »Level 3 Support«, wie Wolf, der Service-Leiter, erklärt. »Sendet der Kunde eine Anfrage per Mail, wird – wenn erforderlich – die Frage nach drei Level geroutet.« Wenn also beispielsweise eine einfache Sachantwort gefragt ist, kann Level 1 direkt Feedback geben. Level 2 heißt komplexere Erklärungen, während Level 2 schwierigen technischen Fragen vorbehalten ist. »Konsequenz einer solchen Struktur ist natürlich, dass wir den Technik-Profis unter den Service-Mitarbeitern den Rücken von einfachen Ja/Nein-Fragen und ähnlichem etwas frei halten müssen«, so Wolf.

Franchise-System für Übersee

Natürlich werden auch hier Räder »geserviced«, wie Kaufmann beim Blick in die Werkstatt erklärt, wo gerade zwei Räder eine Inspektion durchlaufen. Häufig lassen die Kunden ihre Räder von Händlern vor Ort warten – schließlich geht es dabei um die Komponenten, und die sind beim Direktversender auch nicht anders zu warten als beim Bike vom Händler. Trotzdem bietet YT Wartungsservice an, und viele Kunden schicken tatsächlich ihr Bike an den Hersteller. Garantiefälle werden grundsätzlich in der Forchheimer YT-Werkstatt abgefertigt.
Großbritannien ist vor Deutschland übrigens Hauptabnehmer der Franken. Mittlerweile gibt es aber auch YT-Bikes in USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Singapur China, Taiwan, Hongkong, Malaysia und Israel. Die Handelsstruktur dahinter ist nicht der klassische Import eines Händlers: Außerhalb Europas arbeitet YT Industries mit einem Franchise-System. Ein Vorteil: Die Geschäftsführung hat die konsequente Außendarstellung der Marke in der Hand. Und die ist dort, wo es um Emotionen und Kultfaktoren geht, eminent wichtig. »Ein ganz großer Punkt unseres Erfolgs ist, dass wir alle das lieben, was wir produzieren«, erklärt der Geschäftsführer eine heute fast schon selbstverständliche Marketing-Behauptung. Nur: Hier scheint sie absolut zutreffend zu sein. Jeder der 40 Mitarbeiter, der hier gefragt wird – eine Ausnahme soll es geben – kann überzeugend erklären, was das MTB für ihn oder sie bedeutet.

Den Kult leben lassen

Die Liebe zum Bike zeichnet sich für das Unternehmen nicht nur dadurch aus, dass Mountainbike das Hobby aller Beteiligten ist. Das Ganze wird auch aktiv gelebt: Flossmann fährt mit seinen Leuten und zwei riesigen Pickups zu Events und Veranstaltungen, und dort wird nicht nur gefahren, was das Zeug hält, sondern auch gefeiert. Dass es dabei keine vornehme Zurückhaltung des Machers gibt, der nicht mehr 25 ist, glaubt man dem Energiebolzen gern.
Und genau dieses Mittendrinsein und Authentischbleiben dürfte zumindest auch ein Teil der Erfolgsgeschichte sein. In den letzten Jahren war das Wachstum so groß, dass bewusst gebremst wurde: »2013 mussten wir zunächst einmal klare, breitere interne Strukturen aufbauen, sonst wären wir verbrannt. 2014 konnten wir dann wieder frisch zulegen«, sagt sich Flossmann. Das YT-Credo »Bikes für Mountainbiker von Mountainbikern« geht sogar ins Detail: »Wir hatten schon einmal ein Cross-Country-Bike im Programm«, erinnert sich Flossmann. »Es wurde ein Flop. Für mich war sofort klar: Wir machen wirklich nur noch, was wir lieben« – und damit rollt das Rad.
Auch wenn keine Stückzahlen nach außen gegeben werden, die Umsatzzahlen der letzten drei Jahren sprechen eine klare Sprache: 2012 waren es 4 Millionen Euro, 2013 6 Millionen, 2014 zehn. Vor zwei Jahren hatte das Unternehmen 12 Mitarbeiter, Jetzt, Anfang März 2015 sind es 40. Drei davon arbeiten heute in der Qualitätskontrolle im Büro in Taichung.
Mit einer Menge Profi-Know-how und vielen Emotionen macht man in Franken riesige Sprünge – um im Thema Gravity zu bleiben.

22. April 2015 von Georg Bleicher

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