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Mit Online-Tools den Offline-Umsatz fördern
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Handel - Digitalisierung

Mit Online-Tools den Offline-Umsatz fördern

Digitalisierung ist ein Schlagwort, das immer mehr auch durch die Einzelhandelslandschaft geistert. Das sei die Zukunft, heißt es oft. Aber was bedeutet Digitalisierung eigentlich konkret für den mittelständischen Handel?

Wer sich bei Rad & Tour in Cuxhaven beraten lassen möchte, setzt sich erst einmal an den Computer und vereinbart online einen Termin. Im Laden, der hell, offen und übersichtlich gestaltet ist, werden die Kunden dann von einer Mitarbeiterin begrüßt und zum jeweiligen Berater überwiesen. Der trägt Punkte wie »gewünschter Fahrradtyp« oder »hauptsächlicher Einsatzzweck« in ein digitales Formular ein. Danach geht es für den Kunden in den 3D-Scanner zur Körperanalyse, dessen Auswertung dem Kunden auf Wunsch per E-Mail zugesendet wird. Ein schönes Beispiel, wie sich im mittelständischen Einzelhandel digital und stationär verbinden lassen – für zufriedene Kunden, die wiederkommen. Und für zufriedene Händler, die im Laden Umsatz generieren, wo ein Kunde sonst vielleicht ins Internet abgewandert wäre und ein günstigeres Versenderrad gekauft hätte.
»Mittelständische Händler setzen Digitalisierung oft mit online handeln gleich«, weiß Oliver Kling, Digital Business Analyst bei der E-Commerce-Agentur dotSource in Jena. Doch das ist nur eine Komponente – und keinesfalls die wichtigste. Einzelhändler sollten sich nicht ausschließlich auf höhere Abverkäufe oder den eigenen Webshop fokussieren, rät Kling, sondern im ersten Schritt zunächst einmal überlegen, wo sie aktuell stehen. Und dann entsprechende Maßnahmen ergreifen, mit denen sie die Digitalisierung zu ihrem Vorteil nutzen können. Das könnte zum Beispiel sein: Kostensenkung durch Automatisierung und effizientere Prozesse oder höhere Sichtbarkeit durch lokalisierte (Google-)Werbung. Beides sind laut Kling Stellschrauben, in die es sich zu investieren lohnt, um langfristig die Umsätze zu steigern. Genauso wichtig ist es, das Kundenerlebnis kontinuierlich zu verbessern. Und zwar sowohl auf der Fläche selbst wie auch durch digitale Zusatznutzen. Dabei sollte sich der Einzelhändler bewusst sein, dass der Kunde zumeist nach der Devise »Bequemlichkeit schlägt im Zweifel Qualität« vorgeht. Das heißt, der Kunde hat eine Vorstellung davon, was er möchte (ein bestimmtes Rad, eine spezielle Beratung etc.), will aber so wenig Zeit wie möglich damit verbringen, es zu finden.

Offline-Service online sichtbar machen

So lässt sich die persönliche Beratung rund ums Bike beispielsweise durch ein Online-Tool nicht ersetzen. Größe, Geometrie, Komponenten, Zubehör – um als Händler die für den jeweiligen Kunden richtige Auswahl zu treffen, muss er ihn gesehen, vermessen, mit ihm gesprochen und jede Menge Erfahrung haben, um auch »zwischen den Zeilen lesen« zu können. Ärgerlich nur, wenn der Kunde gar nicht weiß, dass das Radgeschäft vor Ort einen solchen Service bietet oder dass es den Laden überhaupt gibt, weil es im Suchmaschinen-Ranking nicht auftaucht, der Kunde dort aber gewohnheitsmäßig sucht. Wem es als Einzelhändler gelingt, den Service-Mehrwert, den er auf der Fläche bietet, im Internet für potenzielle Kunden bequem auffindbar zu machen, kann Kunden in den Laden locken. Voraussetzung ist, dass der Händler das Konzept »online und offline« konsequent durchzieht. Wer ein Termin-Tool auf seiner Webseite anbietet, sollte sicherstellen, dass die Mitarbeiter im Geschäft von den jeweiligen Terminen wissen. Fragt der Händler vorab online einige Eckdaten ab, müssen diese beim persönlichen Gespräch im Laden präsent und der jeweilige Berater idealerweise schon entsprechend vorbereitet sein. Selbst ein Feedback-Terminal auf der Fläche ergibt nur Sinn, wenn man als Händler bereit ist, sich möglichen negativen Reaktionen zu stellen und daran zu arbeiten.
So hat Globetrotter beispielsweise in seinen Filialen Touchpads installiert, über die Kunden ihr Feedback abgeben können. Dazu füllen sie einen Fragebogen aus, dessen Beantwortung gerade einmal 20 Sekunden dauert. Allein im Juni tippten mehr als 10.000 Kunden ihre Bewertung ein zu Einkaufserlebnis, Sortiment und dergleichen. »Wenn wir es knapp und direkt formulieren, erwarten wir uns von den Terminals, dass wir offene Potenziale angehen und besser nutzen können. Dazu zählt ein optimierter Verkauf durch genauer abgestimmte Sortimente und entsprechend auch eine verbesserte Beratung. Das Feedback unserer Kunden hilft uns dabei, Trends zu erkennen und uns intensiver mit Wünschen und Anreizen auseinanderzusetzen. Außerdem bekommen wir einen verbesserten Überblick über das Facility Management und holen uns Meinungen über neue Verkaufs- und Marketing-Konzepte ein. Durch die Rückmeldung über die Feedback-Terminals können wir die Werbe- und Motivwirkung testen«, erklärt PR-Managerin Miriam Blume. Aufgrund des KundenFeedbacks habe Globetrotter beispielsweise konkrete Dinge im Marketing und Verkauf und verschiedene Systeme für eine optimale und schnelle Beratung und Betreuung der Kunden in der Schuhabteilung umgesetzt.

Möglich ist viel, notwendig nicht

Einen Schritt weiter geht Nike mit seinem US-Store »Nike by Melrose«. Dort testet das Unternehmen neue Konzepte wie die Online-Reservierung von Produkten (selbst wenn der Kunde sie gar nicht aktiv anfordert) mit anschließender Anprobe im stationären Geschäft oder einen Abholautomat außerhalb des Ladens. »Das Besondere am Store ist, dass die gesamte Ladengestaltung, die angebotenen Services und auch die angebotenen Produkte auf der Grundlage von Retail Analytics gestaltet wurden: Kundendaten, Konkurrenzdaten und Daten, wie die Kunden in dieser Region mit Nike interagieren. Auch die Warenversorgung und das -angebot richtet sich nach lokalen Bedürfnissen«, schreibt Gerd Wolfram auf »zukunftdeseinkaufens.de« über das visionäre Konzept. Er ist CEO von IoT Innovation & Consult, beschäftigt sich seit Langem mit innovativen Technologien und entwickelt Digitalstrategien für Unternehmen. Er sagt: »Mittlerweile sind die digitalen Möglichkeiten umfangreich und vielfältig. Viele der Technologien und Konzepte sind auch für stationäre Mittelständler umsetzbar.« Aber: Sie müssen zum Geschäft passen. Wahllos neue Technologien in seinen Laden zu integrieren, sei nicht erfolgreich, warnt der Experte. Die Käufergruppe, die angesprochen werden soll, müsse digitale Angebote und Ergänzungen zum stationären Geschäft akzeptieren. Das bedeutet: ausprobieren. »Mittelständische Einzelhändler sollten klein anfangen, in einem Geschäft oder in einem Teilbereich des Geschäftes. Und sie sollten sich von anderen, innovativen und erfolgreichen Geschäften inspirieren lassen, dann ein Konzept entwickeln und testen, ob es angenommen wird«, empfiehlt Wolfram. So hat Globetrotter zum Beispiel ein System wieder verworfen, bei dem die Kunden für die Schuhberatung Nummern ziehen sollten. Dafür schuf das Unternehmen aber ein Einkaufserlebnis, das über die reine Kundenversorgung hinausgeht. Die Globetrotter-Mitarbeiter sind nicht nur fachliche Experten, die bei Fragen weiterhelfen. Sie sind zudem proaktive Berater, die gezielt nachfragen, um Kundenwünsche zu identifizieren: »Wir wollen in allen Belangen, die das Thema Outdoor und Reisen angehen, Ansprechpartner Nummer eins sein«, formuliert es Miriam Blume.

Videos als Kaufanreiz?

Aber: »Viele Mittelständler stehen sich bei diesem Umdenken noch selbst im Weg«, meint E-Commerce-Experte Oliver Kling. Häufig, weil sie sich scheuen, neue Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Unter anderem auch, weil sie Angst haben, gegen die Datenschutzvorschriften der EU-DSGVO zu verstoßen. Das ist zwar verständlich, allerdings muss die Verordnung ohnehin angewendet werden. Warum sollte man sie also nicht für sich nutzen? Zum Beispiel, indem man transparent macht, auf welcher Basis das Kundenmanagement-System Daten erhebt, speichert und wie Rückschlüsse daraus gezogen werden. Wer sich der Digitalisierung komplett versperrt, vergibt die Chance, mit digitaler Unterstützung datengetrieben die Beziehung zu seinen Kunden zu verbessern oder überhaupt erst aufzubauen. Grundsätzlich sind die Menschen durchaus gewillt, weiterhin stationär zu kaufen: 56 Prozent der Befragten einer Studie von Mood Media, einem weltweit führenden Entwickler von Instore-Erlebniswelten, gaben an, dass sie eher kaufen, wenn sie das Produkt vorher anfassen und ausprobieren können. 38 Prozent ist es wichtig, dass sie das Gefühl haben, das Einkaufserlebnis sei »für mich persönlich«. Um solche Kunden auf sich aufmerksam zu machen, braucht ein Einzelhändler keine High-tech-Digitallösungen. »Für viele stationäre Händler reicht es momentan noch, in SEO und SEA zu investieren, um Kunden auf die Fläche zu holen«, glaubt Oliver Kling. Wobei SEA für bezahlte Suchmaschinenanzeigen steht (search engine advertising), SEO für alle Maßnahmen, die dazu beitragen, dass das Geschäft im Suchmaschinen-Ranking ganz oben landet. Mittels SEA können Einzelhändler Online-Kanäle als Treiber für steigenden Offline-Traffic nutzen, indem sie laut Kling beispielsweise lokale Werbung über das Google-Werbenetzwerk schalten. Entsprechende regionale Parameter lassen sich dort einstellen. Oder es lassen sich die einschlägigen Social-Media-Plattformen nutzen, um die Kunden zu inspirieren und sich selbst als Experten ins Spiel zu bringen. Beispielsweise können Mitarbeiter Fotos, Videos und Tipps von eigenen Radreisen posten und so potentiellen Kunden ein ähnliches Erlebnis ermöglichen. Solche Videos und Bilder können auch auf einer Leinwand im Geschäft laufen. Laut Mood-Media-Studie wirken sich Videoinhalte bei 58 Prozent der Kunden positiv auf die Kaufentscheidung aus. Einer von drei in Deutschland Befragten gab an, sich bereits von Instore-Video-Content inspiriert, informiert oder unterhalten gefühlt zu haben.

Aller guten Dinge sind drei

Zu viel blinken und flimmern sollte es im Laden allerdings nicht, das führt schnell zu Reizüberflutung. Lieber auf angenehmen Duft, dezente Musik und eine alles in allem angenehme Einkaufsatmosphäre achten. Ein Online-Shop ist Oliver Kling zufolge übrigens nicht zwingend notwendig, um digital erfolgreich zu sein. Wichtig ist dann aber, dass der jeweilige Händler keine Energie darauf verschwendet, dem Kunden zu erklären, warum er keinen hat, sondern das umzusetzen, was dem Kunden wichtig ist. Das sind laut Top-Shop-Studie, die dotSource zusammen mit der IFH Köln durchführt: Erlebnis, Service und Bequemlichkeit. Drei Dinge, die sich hervorragend online anstoßen und offline abrunden lassen. Auch ohne eigene App oder Amazon-Marktplatz-Präsenz.

27. August 2019 von Carola Felchner

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